Photo: Fred Merz

«Unsere Entde­ckung war extrem abnormal»

Ein aussergewöhnliches Abenteuer

Michel Mayor hat 1995 zusam­men mit Didier Queloz den ersten Plane­ten ausser­halb unse­res Sonnen­sys­tems entdeckt, 51 Pegasi b. 2019 wurden beide dafür mit dem Nobel­preis ausge­zeich­net. Michel Mayor erzählt, wie es dazu kam.

1995 haben Sie mit Didier Queloz den ersten Plane­ten ausser­halb unse­res Sonnen­sys­tems entdeckt. War Ihnen die Trag­weite sofort bewusst?

Die Geschichte der Entde­ckung beginnt eigent­lich bereits 1971. Mit einem Forscher­kol­le­gen aus Marseille habe ich einen Spek­tro­gra­phen für ein Tele­skop entwi­ckelt. Mit diesem Gerät lässt sich mit Hilfe der Wellen­länge des Lichts die Geschwin­dig­keit von Ster­nen bestim­men. Es gelang uns, die Bestim­mung 4000fach effi­zi­en­ter zu machen als dies bis zu diesem Zeit­punkt möglich war. Ende der 80er Jahre bauten wir dann eine neue Gene­ra­tion des Gerä­tes. Dazu nutz­ten wir die damals neuste Tech­no­lo­gie. Und damit konn­ten wir die Präzi­sion ein weite­res Mal um das 20fache erhöhen.

Das bedeu­tet?

Statt auf 300 m pro Sekunde waren unsere Messun­gen nun auf 15 m pro Sekunde genau. Diese erwei­ter­ten Möglich­kei­ten des Gerä­tes beweg­ten uns dazu, unsere Forschung anzu­pas­sen. ass ein Gerät die Forschung bestimmt, ist typisch. Anfang der 90er Jahre beschlos­sen wir, nach Plane­ten zu suchen. 

Wie gingen Sie vor?

Wir selek­tier­ten 142 Sterne, die unse­rer Sonne ähnlich sind. Dann began­nen wir der Reihe nach die Geschwin­dig­keit jedes einzel­nen dieser Sterne zu messen. Eine Woche später wieder­hol­ten wir die Messung. Wir fanden stabile und verän­der­li­che Sterne. Und wir fanden Stern 51 Pegasi mit einer peri­odi­schen Varia­tion, also den Hinweis auf einen Plane­ten, der um diesen Stern 51 Pegasi kreist. Ende 1994 hatten wir dazu zwölf Messun­gen. Das war noch nicht wirk­lich viel. Wir waren noch etwas unsi­cher, was das bedeu­tet. Unsere Zwei­fel betra­fen nicht die Mess­da­ten sondern die physi­ka­li­sche Interpretation. 

Wie forsch­ten Sie weiter?

Es dauerte sechs Monate, bis der Stern wieder am Himmel erschien. Im Juli 1995 massen Didier Queloz und ich im Obser­va­to­rium in der Haute Provence dieselbe peri­odi­sche Varia­tion. Da began­nen wir zu glau­ben, dass wir einen Plane­ten ausser­halb unse­res Sonnen­sys­tems entdeckt hatten. Wir entschie­den uns, einen Arti­kel für das Wissen­schafts­ma­ga­zin Nature zu verfas­sen. Wir waren über­zeugt, unsere Entde­ckung war inter­es­sant. Aber sie war auch extrem abnormal. 

Photo: Fred Merz

Inwie­fern?

Der Planet braucht für einen Umlauf um den Stern 4,2 Tage. Das gibt es in unse­rem Sonnen­sys­tem nicht. Zu dieser Zeit sagte die Theo­rie, dass ein Riesen­pla­net mindes­tens zehn Jahre für seine Umlauf­bahn braucht. Jupi­ter, ein vergleich­ba­rer Gasriese, braucht elf Jahre. Das ist ein Unter­schied mit Faktor 1000. Das ist kein Detail. Deswe­gen waren wir etwas unru­hig. Zu diesem Zeit­punkt hatten wir auch keine Erklä­rung, weshalb es einen Plane­ten mit einer so kurzen Umlauf­zeit gab. Aber wir hatten alle Alter­na­ti­ven ausge­schlos­sen. Wir hatten sogar einen ameri­ka­ni­schen Kolle­gen gefragt, unsere Ergeb­nisse zu kontrol­lie­ren — ohne dass wir ihm die genauen Koor­di­na­ten gege­ben hätten.

Weshalb diese Zurückhaltung?

Damals waren verschie­dene Teams auf der Suche nach Plane­ten. Sie wären glück­lich gewe­sen zu erfah­ren, wohin sie ihr Tele­skop rich­ten müssen. 

Und was ergab die Überprüfung?

Der Kollege liess seine Maschi­nen zwei Tage lang rech­nen. Dann kam die Bestä­ti­gung. Auf der einen Seite waren wir damit sicher, auf der ande­ren Seite bleibt immer ein Zwei­fel. Wir haben uns schon gefragt, bege­hen wir mit der Publi­ka­tion eine Dumm­heit? Auch Nature war übri­gens vorsichtig.

Wie haben sie reagiert?

Sie haben unse­ren Arti­kel an drei Refe­ren­ten geschickt zur Prüfung. Das sind mehr als normal. 

Waren Sie sehr nervös bis zur Publikation?

Am 25. August 1995 reich­ten wir den Arti­kel bei Nature ein. Anfangs Okto­ber wollte ich unsere Resul­tate auf einer Konfe­renz in Florenz vorstel­len, noch vor der Publi­ka­tion. Deswe­gen rief ich kurz vorher den Heraus­ge­ber an. Ich dachte, wenn ein Refe­rent die Arbeit als Dumm­heit bewer­tet hätte,wäre es hilf­reich gewe­sen, dies vor der Konfe­renz zu wissen. Als Antwort erhielt ich jedoch die Erin­ne­rung, dass ich keine Erkennt­nisse vor der Publi­ka­tion in Nature veröf­fent­li­chen dürfe. Aber natür­lich sei es möglich, dass ich mich mit Kolle­gen auszu­tau­sche. An der Konfe­renz in Florenz nahmen 300 Kolle­gin­nen und Kolle­gen teil. Aber auch Medi­en­schaf­fende. Der Orga­ni­sa­tor sagte mir, er könne ihnen nicht unter­sa­gen, dabei zu sein. Und so hat sich die Meldung von unse­ren Resul­ta­ten rasend schnell verbrei­tet. Sofort brach der mediale Wahn­sinn los. Zurück im Hotel hatte ich Nach­rich­ten – damals noch Fax – von verschie­de­nen gros­sen US-Medien. Wir hatten die Kontrolle verloren.

War das schwierig?

Ich beklage mich nicht. Didier und ich, wir haben uns gesagt, das passiert jetzt einmal. In zwei Mona­ten spricht niemand mehr davon.

Und?

Es hat nicht aufge­hört. Im Folge­jahr haben die Ameri­ka­ner weitere Plane­ten gefun­den. Auch wir haben weitere, immer klei­nere entdeckt. Jedes Mal hat es die Debatte neu lanciert. 

Der Planet ist 50 Licht­jahre entfernt. Fühlt sich das wie ein Blick in die Vergan­gen­heit an?

Nein. Der Planet ist ein Nach­bar. Wenn man Gala­xien studiert, die vier oder fünf Milli­ar­den Licht­jahre entfernt sind, hat das eine andere Bedeutung.

Auch die US-ameri­ka­ni­schen Wissen­schaft­ler Geoffrey Marcy und R. Paul Butler haben Ihre Entde­ckung schnell bestä­tigt. Die beiden waren selbst auf der Suche.

Nach unse­rer Ankün­di­gung rich­te­ten sie ihr Tele­skop sofort auf den Stern und bestä­tig­ten unsere Arbeit. Ihr Problem war, sie hatten diesen Stern nicht in ihrer Selek­tion. Eigent­lich hatten sie mit ihrer Arbeit mehre­rer Jahre Vorsprung, Sie hatten bereits fünf Jahre verschie­dene Sterne vermes­sen, aber nicht die Geschwin­dig­keit dieser Objekte. Weil Riesen­pla­nete mehrere Jahr für einen Umlauf benö­ti­gen glaub­ten sie, wir können sie nicht einho­len. Sie hatten nicht damit gerech­net, dass es einen Plane­ten mit einer derart kurzen Umlauf­zeit gibt.

Dach­ten Sie damals an den Nobelpreis?

Dass wir unsere Arbeit in Nature veröf­fent­lich­ten, zeigt, dass wir sie für inter­es­sant hiel­ten. Aber ich hab nie an den Nobel­preis gedacht. Aller­dings hat mir damals der Arzt meiner Frau gesagt: «Dafür erhal­ten sie den Nobelpreis».

2019 haben Sie ihn erhal­ten. Wo haben Sie die Nach­richt erhalten?

Ich war beim Baby­sit­ten in Spanien. Mein Sohn und seine Frau waren an eine Hoch­zeit einge­la­den und sie frag­ten mich, ob ich nicht mitkom­men wolle, um auf die Kinder aufzupassen. 

Dort haben Sie es erfahren?

Es war 15 Minu­ten bevor ich auf den Flug­ha­fen fahren musste, um an eine Konfe­renz in Madrid weiter­zu­rei­sen. Im Inter­net hörte ich, wie die Akade­mie bekannt gab, dass drei Wissen­schaft­ler für die Erfor­schung unse­res Kosmos ausge­zeich­net werden. Inter­es­sant, dachte ich. Dann nann­ten sie als ersten James Peeb­les. Wieder ein Kosmo­loge, dachte ich. Und dann hiess es, dass auch zwei Forscher ausge­zeich­net würden, die den ersten Plane­ten ausser­halb des Sonnen­sys­tems entdeckt hatten. Mit der Akade­mie disku­tierte ich dann am Flug­ha­fen an der Bar über meinen Laptop. Als wir in Madrid gelan­det waren, warte­ten bereits die Jour­na­lis­ten – und als ich wieder zu Hause war, stand hinter der Tür eine Flasche Cham­pa­gner mit einer Nach­richt vom Arzt meiner Frau: «Ich habe es Ihnen gesagt.»

War der Nobel­preis schon immer Ihr Ziel?

Nein. sicher nicht. Jedes Jahr hat es mehrere 100 Forschende, die für den Nobel­preis der Physik in Frage kommen. Ich kenne ihre Arbei­ten nicht. Aber sie haben sicher alle ausser­ge­wöhn­li­che Arbeit geleis­tet. Zu erwar­ten, dass man den Preis bekommt, wäre falsch. Es gibt Leis­tun­gen wie die Entde­ckung des Boson-Higgs, bei diesen ist sofort klar, dafür gibt es den Nobel­preis. Aber oft ist die Situa­tion nicht so eindeutig.

Photo: Fred Merz

Soll sich ein junger Forscher den Nobel­preis als Ziel setzen?

Wer als Ziel seiner Forschung den Nobel­preis hat, soll sofort aufhö­ren zu forschen. Der Antrieb zur Forschung muss die Neugierde sein. Es muss die Freude sein, wie etwas klei­nes neues im Univer­sum zu finden, das dazu beiträgt, das Verständ­nis vom Univer­sum zu verbessern. 

Der Preis hat die Menschen bewegt?

Damit das klar ist, ich bin glück­lich, dass ich ihn erhal­ten habe. Er hat stimu­liert. Heute gibt es viel mehr Forschende auf diesem Gebiet. Unsere Aufgabe ist es, dieses Wissen an die Öffent­lich­keit zu tragen. Es wird gemacht, aber es hat noch Poten­zial. Wenn wir an das goldene Zeit­al­ter der Astro­no­mie denken haben wir Newton, Kepp­ler oder Koper­ni­kus im Kopf. Mit der Rela­ti­vi­täts­theo­rie, der Entde­ckung der Expan­sion des Univer­sums, des Ursprungs des Sonnen­lichts und der chemi­schen Elemente sowie anschlies­send derje­ni­gen der Exopla­ne­ten bot auch das 20. Jahr­hun­dert eine Bühne für grosse Entdeckungen.

War für Sie immer schon klar, dass Sie Forscher werden wollen?

Wissen­schaft hat mich schon als Kind enorm inter­es­siert, die Geolo­gie der Alpen, die Bota­nik oder auch die Meteo­ro­lo­gie. Nach der Matura wurde ich mehr ein Theo­re­ti­ker. Ich begann ein Physik- und ein Mathe­ma­tik­stu­dium. Schliess­lich entschied ich mich für die theo­re­ti­sche Physik. Mein Diplom machte ich in einer Zeit, als alle Labors am Ausbauen waren. Und so hatte ich keine Probleme, eine Stelle zu finden. Ich landete am Obser­va­to­rium der Univer­si­tät Genf.

Sie blie­ben der Univer­si­tät Genf treu.

Nach meiner Doktor­ar­beit hatte ich bereits ein Stipen­dium für das MIT in Boston. Dann lernte ich einen Forscher in England kennen. Dieser arbei­tete an einer neuen Methode zur Bemes­sung der Geschwin­dig­keit von Ster­nen. Doch er hatte kaum Mittel. Diese Begeg­nung hat mich dazu gebracht, in die Gerä­te­ent­wick­lung zu wechseln.

Welche Bedeu­tung hat die Geräteentwicklung?

Ein Beispiel: Vor zwan­zig Jahren erhiel­ten wir den Zuschlag, mit HARPS einen neuen Spek­tro­gra­phen für das Tele­skop in Chile zu konstru­ie­ren. Wir muss­ten es bezah­len, die Fach­kräfte für den Bau orga­ni­sie­ren. Aber nach fünf Jahren Bauzeit erhiel­ten wir dafür das Recht, das grosse Tele­skop 500 Nächte zu nutzen. Das ist der Jack­pot. Norma­ler­weise kämpft man, dass man es für drei oder vier Nächte nutzen darf. Für ein astro­no­mi­sches Insti­tut wie die Stern­warte Genf ist es von entschei­den­der Bedeu­tung, neue Forschungs­in­stru­mente entwi­ckeln zu können. Die Entde­ckung von 51 Pegasi b ist ein schö­nes Beispiel. 

Was geschah mit Ihrem MIT-Stipendium?

Ich bin nach Genf zurück­ge­kom­men und habe dem Direk­tor unse­res Insti­tuts mitge­teilt, was ich machen möchte. Er begann zu lachen: Ich als Theo­re­ti­ker wollte mit astro­no­mi­scher Instru­men­tie­rung arbei­ten. Ich fragte, ob ich das Geld für das Stipen­dium für die Entwick­lung des Gerä­tes nutzen konnte. Auch erhielt ich Geld vom Schwei­ze­ri­schen Natio­nal­fonds. 150’000 Fran­ken. Das war nicht viel, aber es war, was ich brauchte. Wir entwi­ckel­ten ein wunder­ba­res Gerät. Es bot so viele Möglich­kei­ten. Es hätte mich frus­triert, dieses zu verlassen. 

Und so blie­ben Sie in Genf?

Ich machte ein paar Auslands­auf­ent­halte, etwa im Obser­va­to­rium in Chile. Aber ich blieb an der Univer­si­tät Genf. Ich war glück­lich mit den Möglich­kei­ten vor Ort. Weshalb sollte ich Genf verlas­sen? Hier habe ich 1971 promo­viert. Es war der Beginn dieses ausser­or­dent­li­chen Abenteuers. 

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