Fotos: Désirée Good

Para­dig­men­wech­sel in der Steuerpraxis

Mit einer Initiative stärkt der Kanton Zürich den Stiftungsstandort. Volkswirtschaftsdirektorin Carmen Walker Späh spricht über die Bedeutung der Stiftungen für den Kanton und darüber, was sich bezüglich Steuerbefreiung geändert hat.

Sind Stif­tun­gen für den Kanton Zürich ein Standortfaktor?

Unbe­dingt. Stif­tun­gen sind heute ein wich­ti­ger Stand­ort­fak­tor für den Kanton Zürich. 

Was macht sie relevant?

Stif­tun­gen bieten gros­sen gesell­schaft­li­chen Mehr­wert. Dabei sind es nicht nur die unmit­tel­ba­ren posi­ti­ven Auswir­kun­gen der Stif­tun­gen auf den Kanton. Stif­tun­gen bezie­hen auch Dienst­leis­tun­gen und Güter von Firmen im Kanton. Ihre Tätig­keit schafft Wert­schöp­fung, beispiels­weise indem Forschende nach Zürich geholt werden oder Ausstel­lun­gen finan­ziert werden, die Touris­tin­nen und Touris­ten in die Museen brin­gen. Ganz grund­sätz­lich stär­ken Stif­tun­gen das Forschungs‑, Bildungs‑, Sozial- und Gesund­heits­we­sen im Kanton. Der Kanton Zürich ist der Wirt­schafts­mo­tor der Schweiz. Dazu leis­ten Stif­tun­gen einen gros­sen Beitrag.

War Ihnen das schon immer bewusst?

Ich hatte schon immer eine hohe Wert­schät­zung gegen­über Stif­tun­gen. Aber erfasst, was dies wirk­lich bedeu­tet, habe ich erst als Volks­wirt­schafts­di­rek­to­rin. Zahlen zeigen, was der Sektor der Forschung bringt und wie Inno­va­tion und damit die Schweiz neue Lösungs­an­sätze für die ganze Welt anstos­sen kann. Das ist grossartig.

Was können Stif­tun­gen besser als der Staat oder die Privatwirtschaft?

Im Gegen­satz zur Wirt­schaft oder zum Staat können Stif­tun­gen viel mehr Risi­ken einge­hen. Sie können in einer ganz frühen Phase das noch Unbe­kannte, das Neue und Inno­va­tive fördern. Stif­tun­gen sind eigent­lich Expe­ri­men­tier­la­bors in unse­rer Gesell­schaft. Sie können aktiv werden, wenn die Wirt­schaft noch keinen Busi­ness Case hat und dem Staat mangels Regu­lie­rung die Legi­ti­mie­rung fehlt. Beson­ders inter­es­sant ist die Kombi­na­tion einer staat­li­chen und einer priva­ten Förde­rung. Stif­tun­gen können dort einsprin­gen, wo es Lücken in der staat­li­chen oder wirt­schaft­li­chen Finan­zie­rung gibt. Beson­ders gut lässt sich dies an unse­ren Univer­si­tä­ten beob­ach­ten. Stif­tun­gen fördern häufig das Spezi­elle, das Zusätz­li­che und machen damit den Unter­schied zum Grundauftrag.

Welche Impulse können Stif­tun­gen der Gesell­schaft und dem Stand­ort geben?

Der Stif­tungs­stand­ort Kanton Zürich ist mit über 18 Milli­ar­den Fran­ken Vermö­gen ausge­stat­tet. Mit ihren Beiträ­gen ermög­li­chen Stif­tun­gen eine breite Viel­falt von Initia­ti­ven und Projek­ten im Forschungs‑, Bildungs‑,  Umwelt- oder Sozi­al­be­reich. Wenn man dieses Poten­zial noch besser vernetzt, entste­hen Impulse. Und ihre lmpuls­funk­tion nehmen Stif­tun­gen vor allem aus ihrer Unab­hän­gig­keit und ihrer grös­se­ren Risikofähigkeit. 

Deswe­gen will der Kanton Zürich den Stif­tungs­stand­ort nun stärken? 

Der Kanton Zürich ist mit über 2200 Stif­tun­gen der Kanton mit den meis­ten Stif­tun­gen. Doch der Trend geht in die falsche Rich­tung. Die Neugrün­dun­gen gehen seit Jahren markant zurück und nirgends gibt es so viele Liqui­da­tio­nen wie im Kanton Zürich. Dem wollen wir Einhalt gebie­ten. Deshalb haben wir die Offen­sive für den Stif­tungs­stand­ort Kanton Zürich lanciert.

Welche Verbes­se­run­gen braucht es?

Die 2021 publi­zierte Studie der Regie­rung zum Stif­tungs­stand­ort hat gezeigt, dass wir an verschie­de­nen Stel­len schrau­ben müssen. Zum einen bei den steuer- und den aufsichts­recht­li­chen Rahmen­be­din­gun­gen. Zum ande­ren möch­ten wir, dass der Stif­tungs­sek­tor in seiner Bedeu­tung sicht­ba­rer wird. Gleich­zei­tig wollen wir als Verwal­tung zugäng­li­cher werden. Aus diesem Grund haben wir von der Volks­wirt­schafts­di­rek­tion im letz­ten Herbst, gemein­sam mit Swiss­Foun­da­ti­ons, die Veran­stal­tungs­reihe «Stif­tungs­ge­spräch Kanton Zürich» lanciert. Wir haben auch eine neue Bera­tungs­stelle geschaf­fen und eine Website lanciert, die alle Stif­tun­gen im Kanton zeigt und die Trans­pa­renz fördert.

Wer steht hinter der Initiative? 

Da es eine Stand­ort­frage ist, kam der Anstoss aus meiner Volks­wirt­schafts­di­rek­tion. Aber der gesamte Regie­rungs­rat hat sich zu den Mass­nah­men bekannt. Insbe­son­dere die Finanz- und die Justiz­di­rek­tion haben gezeigt, dass sie bereit sind, dem Stif­tungs­sek­tor entschei­dend entgegenzukommen.

«Wir legen damit die Grund­lage für ein zeit­ge­mäs­ses und wirkungs­vol­les Stiftungswesen.»

Carmen Walker Späh, Volks­wirt­schafts­di­rek­to­rin Kanton Zürich

Aktu­ell läuft die zwei­jäh­rige Umset­zungs­phase. Welche Erkennt­nisse erwar­ten Sie?

Ich bin über­zeugt, dass sich die Initia­tive «auszah­len» wird. Wir werden sehen, ob sich die kanto­nale Anlauf­stelle für Stif­tun­gen bewährt, welchen Nutzen die insti­tu­tio­na­li­sier­ten Dialoge zwischen Wissen­schaft, Stif­tun­gen und Verwal­tung brin­gen und wie sich die inter­na­tio­nale Posi­tio­nie­rung auswirkt – und ob die regu­la­to­ri­schen Verbes­se­run­gen wirken.

Gerade bei der Frage der Steu­er­be­frei­ung hatte der Kanton Zürich den Ruf, heraus­for­dernd zu sein. Im Februar hat der Kanton Zürich nun einen gros­sen Schritt gemacht und die Steu­er­pra­xis ange­passt. Wie war das möglich?

Jeder Kanton in der Schweiz hat eine eigene Steu­er­pra­xis. Dies erlaubt unser föde­ra­les System, was aus meiner Sicht zu einem erwünsch­ten Wett­be­werb unter den Besten führt. Die Gesetz­ge­bung des Bundes bietet hier ledig­lich einen Rahmen. Das Steu­er­amt des Kantons Zürich hat seine Praxis bezüg­lich verschie­de­ner Fragen zur Gemein­nüt­zig­keit steu­er­be­frei­ter Stif­tun­gen über­prüft. Es passt sich den aktu­el­len Entwick­lun­gen des Stif­tungs­sek­tors an.

Um die Praxis­än­de­rung abzu­stüt­zen, haben Sie bei Andrea Opel eine Studie in Auftrag gegeben?

Wir gehen neue Wege. Es ist ein beacht­li­cher Schritt, den die Finanz­di­rek­tion unter der Führung von Regie­rungs­rat Ernst Stocker macht. Das woll­ten wir konso­li­diert haben. Deswe­gen haben wir Andrea Opel enga­giert. Sie ist eine der schweiz­weit renom­mier­tes­ten Profes­so­rin­nen für Steu­er­recht. Ihr Wort hat Gewicht. Auch beim Bund und bei der Schwei­ze­ri­schen Steu­er­kon­fe­renz. Inso­fern hat ihr Gutach­ten die Praxis­an­pas­sung des Steu­er­amts des Kantons Zürich posi­tiv begleitet.

Was bedeu­tet die Anpassung?

Es handelt sich um eine grund­le­gende Neuaus­rich­tung der Steu­er­be­frei­ungs­pra­xis. Dies führt zu einer nach­hal­ti­gen Stär­kung des Stif­tungs­stand­orts Kanton Zürich. Wir legen damit die Grund­lage für ein zeit­ge­mäs­ses und wirkungs­vol­les Stif­tungs­we­sen, das den moder­nen Anfor­de­run­gen gerecht wird. Ich bin über­zeugt, damit nimmt der Kanton Zürich im natio­na­len, aber auch im inter­kan­to­na­len Vergleich eine klare Vorrei­ter­rolle ein.

Was ändert sich konkret?

Neu werden gemein­nüt­zige Stif­tun­gen ihre Stif­tungs­rä­tin­nen und Stif­tungs­räte entschä­di­gen können. Das ist ent-schei­dend. Denn die Profes­sio­na­li­sie­rung des Stif­tungs­be­reichs verlangt nach profes­sio­nel­len Stif­tungs­rä­tin­nen und Stiftungsräten.

Wie hoch kann die Entschä­di­gung ausfallen?

Sie muss ange­mes­sen sein. Die Kontrolle der Verhält­nis­mäs­sig­keit über­nimmt die Stif­tungs­auf­sicht. Sie hat damit eine neue Aufgabe.

Foto: Dési­rée Good

Was ändert sich noch?

Gemein­nüt­zige Tätig­kei­ten werden im Ausland neu nach dem glei­chen Mass­stab wie im Inland gemes­sen. Dies erlaubt es dem Kanton Zürich, vermehrt inter­na­tio­nal tätige Stif­tun­gen im Kanton anzu­sie­deln. Beispiels­weise im Bereich Klima- und Umwelt­schutz oder Inno­va­tion und Digi­ta­li­sie­rung: Das freut mich beson­ders. Der Rahmen ist auch hier selbst­ver­ständ­lich immer die Gemein­nüt­zig­keit. Weiter werden gemein­nüt­zige Stif­tun­gen im Kanton Zürich ab sofort auch unter­neh­me­ri­sche Förder­mo­delle anwen­den können. 

Was heisst das?

Ihre Förder­tä­tig­keit ist nicht mehr nur auf Á‑fonds-perdu-Beiträge oder Darle­hen beschränkt. Sie können auf der Förder­seite zukünf­tig auch Impact lnvest­ments täti­gen. Voraus­set­zung ist hier, dass Stif­tun­gen dort tätig sind, wo es noch keinen Markt gibt. Sie sind also keine Konkur­renz zu nicht steu­er­be­frei­ten Investoren.

Was bedeu­ten diese Ände­run­gen für den Stif­tungs­stand­ort Zürich?

Die neue Praxis des Steu­er­amts des Kantons Zürich kommt einem Para­dig­men­wech­sel gleich. Dank der neuen Praxis wird der Stif­tungs­stand­ort  Kanton Zürich einer der inno­va­tivs­ten und stif­tungs­freund­lichs­ten der Schweiz, wenn nicht sogar inter­na­tio­nal. Ich freue mich ausser­or­dent­lich über diese nach­hal­tige Stär­kung des Stif­tungs­stand­orts Zürich.

Sehen Sie Themen, in welchen Sie sich ein stär­ke­res Enga­ge­ment der Phil­an­thro­pie wünschen?

Wir haben noch Poten­zial in der Vernet­zung – ohne sie geht nichts. Wir müssen die vorhan­de­nen Kompe­ten­zen noch besser zusam­men­füh­ren. Schauen wir die konkre­ten Heraus­for­de­run­gen und Chan­cen an, die auf uns alle und den Kanton Zürich zukom­men, wünsche ich mir vor allem viel mehr Koope­ra­tio­nen und Public Private Part­ner­ships – so wie dies heute bereits im Forschungs­be­reich durch das starke Enga­ge­ment gemein­nüt­zi­ger Stif­tun­gen geschieht.

Vor Kurzem haben Sie den Food­hub eröffnet.

Er ist ein gutes Beispiel, wie ein Netz­werk, das vorhan­dene Kompe­ten­zen zusam­men­führt, zur gros­sen Stärke wird. Der Kanton Zürich ist präde­sti­niert, mit dem vorhan­de­nen Poten­zial aus Wirt­schaft, Forschung und Inno­va­ti­ons­kraft noch mehr aus der Vernet­zung heraus­zu­ho­len. Der Food­hub kümmert sich um ein zeit­ge­mäs­ses Thema. Es wird zuneh­mend zur Heraus­for­de­rung für die Welt, dass alle Menschen Nahrungs­mit­tel haben. Auch als klei­nes Land können wir hier einen Beitrag für die Welt­ge­mein­schaft leisten.

Sehen Sie auch Poten­zial in der Start-up-Förderung?

Stif­tun­gen sind der Gemein­nüt­zig­keit verpflich­tet und dürfen sich deshalb nur in beschränk­tem Umfang wirt­schaft­lich betä­ti­gen. Wo ich aber im Start-up-Bereich eine ganz grosse Chance sehe, ist beispiels­weise bei der Förde­rung des Über­gangs einer Idee zur wirt­schaft­li­chen Umset­zung. Hier fehlt uns immer noch ein poten­tes Gefäss, um soge­nann­tes «Seed Money» zur Verfü­gung zu stellen. 

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