Sieben Funder, sieben Nonprofits und eine Expertin sind im Dezember in den Live-Track unserer ersten Learning Journey zu KI gestartet. Interessant: Die Nonprofits nutzen die neue Technologie bereits für jedes dritte Gesuch, wie wir durch die Befragung im Stiftungsbarometer wissen. Skeptischer sind die Förderorganisationen. Sie erhoffen sich vor allem Unterstützung bei der Beurteilung von Vorgesuchen und der Auswertung der Reportings. Mit gutem Grund, denn KI übernimmt das «Querlesen» wesentlich zuverlässiger als ein Mensch.
Perfekte Gesuche
«Künstliche Intelligenz» bezieht sich auf die Fähigkeit von Maschinen, menschenartige Intelligenz in die Erfüllung von Aufgaben einzubringen. Seit Transformer-Modelle (Large Language Models, LLMs) wie ChatGPT ihre Leistungsfähigkeit enorm gesteigert haben, schaffen sie tatsächlich eine neue Ausgangslage für viele Branchen, darunter auch für die Philanthropie.
Denn die neuen Helferlein sind sprachliche Meister. Wer sie gezielt mit Informationen zum eigenen Vorhaben und über die anzufragende Förderorganisation füttert, kommt mit wenigen Clicks zu einem perfekten Antrag. Sprachliche Hürden werden damit beseitigt, der Aufwand sinkt und das Resultat ist verständlicher und besser lesbar.
Im Fokus stehen damit die Qualität des Projekts, seine Nachhaltigkeit, Ressourcen wie ein Team, eine solide Finanzierung oder gute Verankerung im bestehenden Ökosystem. Ein «perfektes Gesuch» schafft aber auch neue Herausforderungen. Es ist und bleibt nur ein «Proxy» und vergleichbar mit einer Stellenbewerbung: Der Beweis der Qualifikation erfolgt erst im täglichen Einsatz. Für den Gesuchsprozess bedeutet dies: Das persönliche Gespräch mit einem potenziellen Projektleiter oder Hintergrundinformationen zur ausführenden Organisation werden wichtiger. Ebenso der Austausch und Abgleich mit anderen angefragten Stiftungen.
Nicht alles, was technisch möglich ist, macht auch Sinn.
Probieren geht über Studieren
Im Rahmen der Journey entwickeln wir konkrete Angebote (siehe gegenüberliegende Seite). Zudem haben wir aufgrund der Diskussionen unsere technische Infrastruktur zusammen mit PeakPrivacy.ch auf den neusten Stand gebracht. Ob als Funder oder Nonprofit: Ab sofort können Sie die Stärke von KI selbst erleben. Und dies in einem sicheren Umfeld. Wichtig: Die Nutzer:innen bestimmen selbst, ob deren Daten mit künstlicher Intelligenz bearbeitet werden oder nicht.
Denn: Nicht alles, was technisch möglich ist, macht auch Sinn. Neben ethischen und ökologischen Fragen (KI verbraucht viel Energie) sind vor allem auch die Risiken der heilsversprechenden Technologie im Auge zu behalten. Der gesetzlich vorgeschriebene Schutz von Personendaten beispielsweise ist anspruchsvoll, ebenso der Schutz wettbewerbsrelevanter und sensibler Informationen: Dazu zählen Projektdossiers und Anträge, aber auch deren Beurteilung oder die Begründung einer Ablehnung. Denn die Stärke künstlicher Intelligenz ist auch ihre Schwäche: Sie lernt stetig weiter. Mit anderen Worten: Jede Frage, die wir stellen, macht auch künftige Antworten potenziell präziser.
Gross ist deshalb die Verlockung, die Daten von Nutzer:innen gezielt zur Verbesserung der Modelle einzusetzen. Ausschliessen kann man dies bei ChatGPT erst in der Bezahlversion – und auch dann gilt: Vertrauen ist gut, Kontrolle besser. Bei StiftungSchweiz läuten wir deshalb ein neues Kapitel ein: Als erste Anbieterin in der Philanthropie, hosten wir Künstliche Intelligenz selbst, um sicherzustellen, dass die Nutzung der Technologie keine Spuren in den verwendeten Modellen hinterlässt.
Wissenschaftliche Begleitung
Begleitet wird die Learning Journey zu künstlicher Intelligenz von Lucía Gomez vom Geneva Centre for Philanthropy (GCP). Kürzlich hat dazu eine spannende Konferenz der Universität Genf stattgefunden. Sie zielte darauf ab, das Bewusstsein für die Rolle der Philanthropie bei der Förderung eines ethischen und inklusiven Umgangs mit künstlicher Intelligenz zu schärfen und zwar unter den beiden Blickwinkeln: «KI für die Philanthropie» und «KI ermöglicht durch die Philanthropie».
In beiden Feldern gibt es viel zu tun für interessierte Stiftungen, die allerdings noch nicht sehr zahlreich vorhanden sind. Etwa 300 Organisationen weltweit hat die Soziologin Patricia Snell Herzog aus Indianapolis gefunden: Es gebe hoffnungsvolle Anwendungen im Bereich Klimawandel, generell sei man aber noch weit von einer Best Practice entfernt. Auch Aline Kratz-Ulmer, Stiftungsexpertin aus Zürich, sieht noch einen langen Weg. Denn für Schweizer Förderstiftungen bestehe der grosse Schritt erst einmal darin, von einem analogen zu einem digitalen Gesuchs- und Fördermanagement zu wechseln.
«Agency, not Intelligence»
Doch ist Technologie die Kernkompetenz von Stiftungen? Natürlich nicht, ist Nelson Amaya Durán von der OECD überzeugt und er fügt an: «Philanthopy runs on people and ideas – not on technology». Und doch werde Technologie immer wichtiger, nicht nur aber auch in der Philanthropie.
Noch pointierter bringt es der Yale-Professors und Gründer des Digital Ethics Center Luciano Floridi auf den Punkt. Künstliche Intelligenz funktioniere nur, wenn wir unsere Systeme weitgehend an sie anpassten. Ein Beispiel: Es sei zwar denkbar, dass wir uns eines Tages ausschliesslich mit vollständig autonomen Fahrzeugen bewegten. Aber dafür müssten zuerst alle Strassen neu gebaut werden, optimiert für KI.
Floridi geht aber noch weiter und stellt die «Intelligenz» in der KI grundsätzlich infrage. Das Akronym «AI» interpretiert er frei als «Agency, not Intelligence». KI schafft für ihn eine weitgehende Handlungsfähigkeit eines technischen Systems. Sie ist in seinem Verständnis eine sehr leistungsfähige, im weitesten Sinne autonome Technologie – aber keine Form von Intelligenz.
Plädoyer für Kooperation
Intelligenz reserviert Luciano Floridi dem Menschen. Und in besonderem Mass den Menschen in der Philanthropie. Denn diese sei, so Floridi, auf Kollaboration und Kooperation ausgelegt und genau dort liege ihre Kraft: Weil sie ausserhalb des Wettbewerbs steht, kann sie Schulterschluss der Akteur:innen eine maximale Wirkung entfalten. Mit anderen Worten: gut vernetzt mehr bewirken.
Ist KI also, um ihre Intelligenz beraubt und entzaubert, ein ganz normaler Technologiebaustein in unserem digitalen Alltag? Einer der das Wissen muss, ist Sebastian Hallensleben. Denn seine Aufgabe besteht derzeit darin, die Standards zu entwickeln, welche für die Umsetzung der neuen KI-Gesetzgebung der EU benötigt werden. Die Herausforderung sei grundsätzlicher Natur, sagt Hallenslebel, und sie bestehe darin, Authentizität und Identität im digitalen Raum abzusichern. Und Hallensleben warnt: regulatorische Rahmenbedingungen seien zwar wichtig aber nicht ausreichend, um die potenziellen Schäden von KI zu begrenzen. Und diese, das zeigt Francesca Bosco vom Genfer Cyberpeace Institut eindrücklich auf, sind vielfältig und in ihrem Schadenspotenzial nicht zu unterschätzen.
Ethische künstliche Intelligenz – und viel Pragmatismus
Hier kommt wieder die Philanthropie ins Spiel. Sie kann einen ethischen – und das heisst primär: verantwortungsvollen – Einsatz von KI massgeblich befördern. Eine solche gute Praxis sehen viele Fachleute als das wirkungsvollste Mittel im Kampf gegen eine missbräuchliche oder gefährliche Nutzung der neuen Möglichkeiten.
Unethisch ist nach Luciano Floridi im Übrigen nicht nur der Missbrauch, sondern auch der übermässige oder verschwenderische Einsatz von KI, genauso wie der Nicht-Gebrauch von KI. So sei es unethisch und unökonomisch zugleich, die Zivilgesellschaft oder gesellschaftliche Minderheiten nicht an den neuen Möglichkeiten partizipieren zu lassen (zu den Minderheiten zählt er auch Junge oder Frauen, die üblicherweise nicht im Zentrum der Technologietrends stünden). Stiftungen könnten sicherstellen, dass KI in solchen Bereichen ebenso zur Verfügung stehe, wie in anderen auch, indem sie beispielsweise die Opportunitätskosten senken oder Entwicklungskosten mittragen würden.
Pragmatismus ist also gefragt. Das begrüsst auch Nelson Amaya Durán. Philanthropie solle generell vom hohen Ross heruntersteigen. Sie mache traditionellerweise, was die Privatwirtschaft ignoriere und die Behörden nicht schnell genug auf die Reihe kriegten – nicht mehr und nicht weniger. Und das sei eigentlich auch gut und richtig so. Ein Beispiel für eine solche Stiftung ist die in Chicago beheimatete McGovern Foundation – die wohl einzige Stiftung weltweit, die gemäss Stiftungszweck ausschliesslich auf KI fokussiert.
Doch gerade dieses Beispiel zeigt, dass der Weg noch weit ist. Die Stiftung hat gerade ihre erste zivilgesellschaftlich ausgerichtete KI veröffentlicht, ein Assistent für investigativen Journalismus. Damit Künstliche Intelligenz als Anwendungsfeld für Stiftungen aber greifbar wird, braucht es noch viel mehr solche Prototypen und Fallstudien, die einen praktischen Mehrwert der neuen Möglichkeiten greifbar machen. Und genau darum geht es bei der AI Learning Journey (und ebenso in zwei speziellen Bootcamps für Funder und Nonprofits).