Die russische Wirtschaft dürfte als Folge der vom Westen verhängten Wirtschaftssanktionen mittelfristig in die 90er-Jahre zurückkatapultiert werden. Die Auswirkungen dieser Rezession auf das globale Wirtschaftswachstum sind überschaubar. Russlands Anteil am globalen Bruttoinlandprodukt (BIP) macht gerade mal
3 Prozent aus. Der Schaden kommt vielmehr durch die Verwerfungen an den Rohstoffmärkten. Neben Öl, Gas und Kohle ist Russland ein wichtiger Lieferant von Metallen für die Halbleiter- und die Automobilindustrie sowie der wichtigste Produzent von Dünger und Weizen. Da auch die Ukraine ein grosser Weizenexporteur ist, explodieren die Preise für Grundnahrungsmittel.
Eine neue Ölkrise?
In vielen Entwicklungsländern, die auf Weizenimporte angewiesen sind, drohen Hungersnöte und politische Unruhen. Die westlichen Volkswirtschaften sind weniger von diesen Importen abhängig und Nahrungsmittel machen generell einen kleineren Teil der Lebenshaltungskosten aus. Hier dominieren die Sorgen über Energiekosten und über neue Störungen der Lieferketten wegen des Mangels an kritischen Metallen. Bereits vor dem Angriff Russlands erreichte die Inflation in den USA mit 7,5 Prozent einen Vierzigjahreshöchststand. Die UkraineKrise weckt Erinnerungen an die Ölkrise der 70er-Jahre.
Gestiegene Energieeffizienz
Glücklicherweise ist heute der Ölpreisschock nicht ganz so ausgeprägt. Zwar ist der Anstieg seit den Tiefstkursen 2020 vergleichbar mit den 70ern. Der Preis von 20 US-Dollar pro Fass Öl zum Höhepunkt der Covid-19-Pandemie stellte aber kein langfristiges Gleichgewicht dar. Zudem ist die Energieabhängigkeit der Weltwirtschaft heute deutlich geringer, dank Effizienzgewinnen und dem Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft. Um mit heutigen Preisen gerechnet 1000 US-Dollar BIP zu generieren, wurde 1973 rund ein Fass Öl benötigt. Heute braucht es dazu im globalen Durchschnitt nur noch 0,4 Fass, in den USA gar nur 0,3. Dank Fracking sind die USA heute als grösster Öl- und Gasproduzent der Welt fast autark.
Energie macht im Warenkorb, der in den USA die Konsumentenpreise misst, gerade mal 7,5 Prozent aus. Trotzdem sind die langfristigen Inflationserwartungen verblüffend mit dem Ölpreis korreliert. Diese sind seit dem Angriff Russlands weiter gestiegen. Die erwartete Teuerung drückt auf das Konsumentenvertrauen. Insbesondere dann, wenn diese nicht durch Lohnerhöhungen kompensiert wird, müssen Haushalte mehr sparen. Die Fed steht vor der schwierigen Aufgabe, die Inflation mit einer dosierten Abkühlung der Wirtschaft einzudämmen, ohne eine Rezession herbeizuführen. Eine solche weiche Landung kann durchaus gelingen. In den USA sind gerade wegen des angespannten Arbeitsmarktes die steigenden Löhne der wichtigste Inflationstreiber, was das Konsumverhalten stabilisieren sollte. Die Rezessionsrisiken sind mit dem Krieg in der Ukraine aber deutlich gestiegen, in Europa noch mehr als in den USA.
Das Ende der Friedensdividende
Die langfristigen Konsequenzen des Ukrainekriegs gehen über Inflations- und Rezessionsrisiken hinaus. Nach dem Ende des Kalten Krieges wurden die westlichen Staatshaushalte durch abnehmende Rüstungsausgaben massiv entlastet. Die anderweitige Verwendung dieser Gelder ermöglichte einen gesellschaftlichen Wohlstandsgewinn, der als Friedensdividende bezeichnet wird. Aufgrund des Konflikts in der Ukraine dürfte sich dies nun ändern. Unabhängig davon, wie Europa und die USA kurzfristig auf die Krise reagieren, müssen sie längerfristig mehr in die Verteidigung investieren, zulasten sozialer Prioritäten. Deutschland hat angekündigt, seine Militärausgaben von 1.4 Prozent auf mehr als 2 Prozent des BIP erhöhen zu wollen. Daneben müssen insbesondere in Europa die Investitionen in erneuerbare Energien massiv beschleunigt werden, um die Abhängigkeit von russischem Gas zu verringern.
Der Konflikt hat militärische Bündnisse wie die NATO und Wirtschaftsblöcke wie die zwischen den USA und der EU sowie zwischen China und Russland gestärkt und damit die Deglobalisierung beschleunigt.
Steigende Kapitalnachfrage
In den letzten Jahrzehnten führte die demografische Entwicklung in den Industrienationen zu höheren Sparquoten und die fortschreitende Digitalisierung zu einer geringeren Kapitalnachfrage, weshalb die Realzinsen, d. h. die nominellen Zinsen abzüglich der Inflation, stetig gefallen sind. Aufgrund der zunehmenden Investitionen in Rüstung und erneuerbare Energien steigt nun die Kapitalnachfrage wieder an. Auch die Deglobalisierung hat Kapitalinvestitionen innerhalb der Landesgrenzen zur Folge. Zwar kann durch den technologischen Fortschritt ein Teil der Kapitalnachfrage aufgefangen werden, jedoch wird er nicht sämtlichen Bedarf kompensieren können. Sobald die Inflationszahlen ihren Höhepunkt überschritten haben, dürften also die Realzinsen steigen. Dieser ist entscheidend für die Bewertung von Aktien, da er die Basis für die Diskontierung zukünftiger Gewinne ist. Für Investoren ergeben sich aus dem Anpassungsprozess zum höheren gleichgewichtigen Realzins tiefere Renditen und höhere Unsicherheit. Nach Erreichen des neuen Gleichgewichts winken aber für Aktien und Obligationen gleichermassen höhere Renditeerwartungen, da die Bereitstellung von Kapital aufgrund der höheren Kapitalnachfrage entsprechend entschädigt werden muss.
In der Zwischenzeit sollten Investoren in ihren Portfolios genügend Reserven einbauen, um dem herausfordernden Umfeld Rechnung zu tragen. Bei der Aktienauswahl gilt es, auf vernünftig bewertete Qualitätsunternehmen zu setzen, die dank hohen Margen sowohl mit Inflation als auch mit einer wirtschaftlichen Abschwächung umgehen können.