Peter Buss, Gründer der Plattform stiftungschweiz.ch, Herausgeber und Verleger des The Philanthropist, hat sich entschieden, in diesem Jahr die Geschäftsleitung der Philanthropy Services AG in neue Hände zu geben. Es ist Zeit, gemeinsam mit ihm den Philanthropiesektor etwas genauer zu beleuchten.
Seit rund 40 Jahren befassen Sie sich als Berater und Dienstleister mit dem gemeinnützigen Sektor der Schweiz. Da gehören Sie wohl zu den «Dienstältesten». Wenn Sie zurückblicken: Was hat sich markant verändert?
Das ist eine recht lange Zeit geworden, da haben Sie recht (schmunzelt). Für Aussenstehende hat sich vermutlich nicht viel geändert. Schaut man aber genauer hin, hat der Sektor eine erstaunliche Entwicklung hinter sich. Allein die folgenden drei Stichworte machen dies deutlich. Marketing: Vor 40 Jahren war das noch ein Schimpfwort im Sektor; heute stehen Marketingstellen in jedem Organigramm. Professionalisierung: Heute gibt es ein umfassendes Angebot an Aus‑, Weiter- und Fortbildung im Sektor und dadurch sehr viele gut ausgebildete Fachleute. Als Berater muss man sich sehr viel fitter halten als früher. Heute gibt es auch eine wertvolle wissenschaftliche Aufbereitung der Philanthropie durch Unis und Fachhochschulen. Vor 40 Jahren konnte ich froh sein, wenn ich zum Thema Nonprofitmanagement – Stiftungsmanagement gab es noch nicht – irgendeine Diplomarbeit an einer Uni fand. Und das dritte Stichwort, die Digitalisierung: Den Computer und das Internet gab es damals noch nicht. Wo wir heute stehen und was in kurzen Intervallen uns zukommt, wissen wir alle. Das betrifft natürlich nicht nur die Philanthropie.
Peter Buss
Und was beobachten Sie im Spendenwesen?
Spenderinnen und Spender sind heute stärker sensibilisiert als früher. Sie wollen wissen, was ihre Spende bewirken wird und was tatsächlich mit dem Geld geschieht. Das hat enorme Konsequenzen. Jede Organisation muss heute sehr gut wissen, warum und wofür sie etwas tut. Und dann klar sagen, was sie tut, und schliesslich auch wirklich tun, was sie sagt. Läuft das nicht so, verliert sie ihre Glaubwürdigkeit und damit ihre Unterstützerinnen und Unterstützer. Durchmogeln geht nicht mehr. Was sich leider noch nicht nachhaltig verändert hat: Das ist die Nibelungentreue der Spenderinnen und Spender zu den gedruckten Direct Mailings. Was für eine ökologische Verschwendung … Aber diese Bastion wird auch noch fallen, und zwar sehr bald.
Wie hat sich da die praktische Arbeitsweise entwickelt?
Vor 40 Jahren habe ich mein Büro mit dem neuesten Schrei ausgerüstet: einer elektronischen Schreibmaschine mit einem kleinen Display, das gerade mal zehn Wörter umfasste. Das erleichterte immerhin die Textkorrekturen. Ich war sehr begeistert und meine Frau und ich fühlten uns sehr fortschrittlich. Heute ist gar die Rechtschreibung teilweise digitalisiert. Die Digitalisierung hat die Arbeitsprozesse und die Kommunikation komplett verändert. Eine Revolution wie damals bei der Erfindung des Buchdrucks. Die Digitalisierung ist ein absoluter Megatrend, der alles betrifft und unumkehrbar ist. Was sich – zum Glück – nicht geändert hat, ist das unermüdliche, vielseitige und unglaubliche Engagement der Menschen. Allein das Schweizerische Rote Kreuz zählt heute über 50’000 Freiwillige!
«Für operative Organisationen sind Transparenz und Dialog systemnotwendig.»
Peter Buss
Auch der Stiftungssektor wurde digitaler.
Ein klein wenig auch dank dem digitalen Ökosystem von stiftung-schweiz.ch …
Sicher, aber wohin wird die Digitalisierung den Sektor führen?
Zu einer völlig neuen Philanthropie. Zu einer effizienteren, transparenteren und vor allem auch zu einer dialogfähigeren Philanthropie. Wir beobachten das heute schon deutlich. Die Bereitschaft, sich auf digitale Hilfs- und Kommunikationsmittel einzulassen, ist in den letzten Jahren massiv gestiegen. Wir stehen da immer noch am Anfang einer grossen Entwicklung. Auch mit unserer Plattform.
Wo stehen da die Förderstiftungen?
Viele Förderstiftungen sind sehr zurückhaltend, das stimmt. Sie gehen davon aus, dass mehr Publizität sie in ihrer Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt und erst noch zu mehr unpassenden Gesuchen führen wird. Auch fürchtet man einen höheren Arbeitsaufwand und mehr Kosten. Der Trend ist eindeutig und geht in eine andere Richtung. Der Sektor wird sich meiner Meinung nach öffnen. Der gesellschaftliche Druck und die Digitalisierung werden diesen Prozess beschleunigen. Und die Digitalisierung stellt schon heute Instrumente zur Verfügung, die diese Öffnung für alle sehr einfach macht, ohne grosse Kosten und unter Wahrung der nötigen Diskretion, wo sie berechtigt ist. StiftungSchweiz ist das beste Beispiel dafür. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis unsere digitalen Services zum Standard werden. Allerdings müssen wir auf dem Weg dorthin den Mehrwert von mehr Transparenz und einem offenen Dialog kontinuierlich nachweisen. Digitalisierung ist kein Selbstzweck. Sie soll und wird die Stiftungsarbeit effizienter und effektiver machen, für alle verständlich, nachvollziehbar und in einem Dialog mit Respekt.
Und wie sieht es bei den Projektträgern aus?
Für operative Organisationen sind Transparenz und Dialog sozusagen systemnotwendig. Niemand finanziert eine obskure Charity, zumindest nicht freiwillig. Die Digitalisierung gibt den Organisationen die Möglichkeit, die geforderte Transparenz effizient sicherzustellen. Das ist keine Kostenfrage mehr. Höchstens eine Motivationsfrage.
Motivation gibt das Stichwort: Wo steht der gesamte NPO-Bereich in der Digitalisierung im Vergleich zur Privatwirtschaft?
Im Vergleich zum Profitbereich hinkt der Nonprofitsektor hinterher. Förderstiftungen bspw. schöpfen die vorhandenen digitalen Möglichkeiten bei den Gesuchen noch längst nicht aus. Diese könnten viel Erleichterung bringen. Auch das digitale Spendensammeln ist noch entwicklungsfähig; einfach ein Spendenformular auf die eigene Website zu setzen, ist zwar ein guter Anfang, wird alleine aber nicht genügen. Da braucht es noch mehr. Es mangelt noch an praktischem Umsetzungswissen, und an Vertrauen, dass dies auch klappt. Denn wie gesagt, zurzeit ist die Vorliebe der Spenderinnen und Spender für gedruckte Spendenbriefe noch gross. Die digitalen Alternativen zum gedruckten Spendenbrief sind schon da – sie werden immer cleverer und attraktiver – aber keine Organisation will und darf ihren Ertragsfluss aus den Direct Mailings gefährden. An der Lösung dieses Dilemmas arbeiten wir intensiv. Und zum Glück beginnt dieser Glaube an diese gedruckten Mailings langsam zu bröckeln.
Gleichzeitig werden die Finanzierungsmodelle mit Impact Investing oder Crowdfunding vielfältiger. Ist das eine Bedrohung oder eine Bereicherung für das Spendengeschäft?
Ganz klar eine Bereicherung. Denn auch das klassische Spendengeschäft, wie Sie es nennen, wird sich verändern. Das aus einem ganz einfachen Grund: Einerseits haben wir den gesellschaftlichen Megatrend zu mehr Eigenverantwortung in der Lösung gesellschaftlicher Probleme und andererseits den Megatrend der Digitalisierung. Diese machen auch nicht Halt vor dem Spendenwesen. Bereits heute warten Organisationen mit völlig neuen Spendentools auf, die auch die Spender selber einsetzen und nutzen können. Diese beiden Megatrends zusammengeführt bedeutet: Das traditionelle Verhalten der Spenderinnen und Spender wird sich in den kommenden Jahren zwangsläufig verändern, komplett in die digitale Richtung. Sie werden im Kommunikationsprozess den Spiess umdrehen und mit den Spenden sammelnden Organisationen die Rollen tauschen.
Das heisst?
Die Spenderinnen und Spender werden zu den eigentlichen «Drivern» im Spendengeschäft. Sie werden nicht mehr darauf warten, bis eine Organisation sie um Unterstützung für ein Projekt anfragen wird. Sie werden selbst für ein Projekt oder eine Organisation aktiv werden, und zwar dann, wann sie es wollen. Selber entscheiden und selber etwas tun, wird das Motto sein. Die Digitalisierung macht das möglich. Online verfügbare Peer-to-Peer-Services geben den Spendern mächtige Hebel in die Hände. Sie können von sich aus Organisationen und Projekte auswählen und für sie, zusammen mit anderen, spenden. Da werden sich die Projektträger anpassen müssen. Grass-Root-Initiativen und auch Initiativen von Firmen zusammen mit ihren Mitarbeitenden und Kunden werden zu einer ernsthaften Konkurrenz für die Projektträger und ihre traditionellen Sammlungsaufrufe werden – ein Paradigmenwechsel.
Betrifft das auch Grossspender, Förderstiftungen oder gar Firmen?
Ja, sicher. Ich halte das für eine realistische Entwicklung. Sie alle werden künftig selber vermehrt auf Projektsuche gehen, statt auf Gesuche zu warten. Und Firmen werden vermehrt ihre Mitarbeitenden und Kunden in das Spenden einbeziehen.
In vielen Branchen drängen ausländische Unternehmen aufgrund der hohen Kaufkraft in die Schweiz. Gibt es diese Entwicklung auch im Spendenmarkt?
Diese Entwicklung beobachten wir schon lange. Die Schweiz ist als Spendenmarkt sehr attraktiv. Eine Studie von StiftungSchweiz hat kürzlich zum Spendenmarkt Europa eine gute Übersicht geschaffen.
Grosse Herausforderungen wie der Klimawandel sind global. Fördert dies internationale Initiativen im gemeinnützigen Sektor?
Die modernen kommunikativen Instrumente lassen internationale Initiativen rasch entstehen. Vor allem dann, wenn der Handlungsbedarf besonders hoch respektive akut ist. Damit eine solche Crossborder-Initiative auch nachhaltig wirken kann, braucht es aber zusätzlich einen gewissen Organisationsgrad. Und daran scheitern dann viele internationale Aktionen und sie verschwinden wieder.
In den Medien wird immer wieder das philanthropische Engagement von sehr reichen Persönlichkeiten wie Bill Gates oder MacKenzie Scott diskutiert. Sind diese massgebend? Wohin entwickelt sich die internationale Philanthropieszene?
Solche Leute sind nicht unbedingt massgebend, aber auf jeden Fall motivierend. Viele vermögende Leute sagen sich: Toll, dass die das machen. Da kann ich auch etwas dazu beitragen. Vermögende Leute werden sich dadurch bewusst, dass gerade auch sie eine höhere Verantwortung für unsere Gesellschaft tragen. Und tatsächlich auch etwas tun können. Ich denke, in Zukunft wird es vermehrt auch internationale Förderpools von vermögenden Personen geben, die sich zusammentun, um eine noch grössere Hebelwirkung zu erzielen. Die Szene der Philanthropieberater wird mehr zu tun haben als früher.
Peter Buss
Wo steht denn die Schweiz im internationalen Vergleich?
Die Schweiz steht sehr stark da. Allerdings sind Unternehmen in der Schweiz noch etwas zurückhaltender in ihren Aktivitäten als bspw. solche in Deutschland. Dagegen sind die Förderstiftungen in der Schweiz sehr prägend, wie kaum in einem anderen Land. Eine weitere internationale Studie hat gezeigt, dass die Schweiz nach Liechtenstein die attraktivsten Rahmenbedingungen bietet, um Stiftungen zu gründen oder zu führen. Die Schweiz verfügt über eine hohe Standortattraktivität. Auch im Privatspendenmarkt ist die Schweiz spitze. Andere Länder sind dafür bei der Nutzung der digitalen Spendenmöglichkeiten weiter. Hingegen ist ein Register wie stiftungschweiz.ch, das transparent alle Stiftungen auflistet, für viele Länder reines Wunschdenken.
Gute Rahmenbedingungen sind für jede Branche zentral. Das Stiftungsrecht sollte modernisiert werden. Gleichzeitig hinterfragen politische Vorstösse wie etwa die Motion Noser die Rolle der Philanthropie. Wird deren Leistung in der Schweiz zu wenig wahrgenommen?
Hier braucht es eine Differenzierung. Ehrenamtliches Engagement wird von jeder einzelnen Person geleistet und auch breit wahrgenommen. Stellt jemand seine Freizeit dem Sportverein oder dem Pflegeheim zur Verfügung oder in der Nachbarschaftshilfe, ist das gelebte und erlebte Freiwilligenarbeit. Das nehmen wir wahr und wir sind dankbar dafür. Hinterfragt wird das kaum. Organisationen wie Benevol sind da ganz wichtige Katalysatoren. Die institutionelle Philanthropie hingegen blieb lange verborgen. Mehr Transparenz gibt es hier erst seit wenigen Jahren. Aber mit dieser kamen auch Fragen auf, legitime. Die Motion Noser war ein Ergebnis davon. Die Förderstiftungen in der Schweiz bewirken sehr viel und sehr viel Gutes. Sie verdienen in der Gesellschaft noch mehr Beachtung und positive Unterstützung. Aber hierfür sollte man sie besser kennenlernen können. Ich freue mich sehr drüber, dass stiftung-schweiz.ch dazu einen Beitrag leisten kann.