Warum braucht es eine «Proteinwende»?
Mit dem Begriff «Proteinwende» ist ein dringend notwendiger Übergang in unserem Ernährungssystem gemeint – weg vom übermässigen Konsum von tierischen zu mehr alternativen Proteinen. Er ist aus ökologischen, gesundheitlichen und ethischen Gründen unabdingbar. Der auch hierzulande noch immer hohe Fleischkonsum belastet massiv Klima und Umwelt, trägt wesentlich zum Verlust der Artenvielfalt bei und ist mit Tierleid in der Massentierhaltung verbunden. Zudem erhöht er verschiedene Gesundheitsrisiken. Kurzum: Um die Zukunft unseres Planeten und kommender Generationen zu sichern, müssen wir diese Proteinwende schnellstmöglich einleiten.
Um die Zukunft unseres Planeten und kommender Generationen zu sichern, müssen wir diese Proteinwende schnellstmöglich einleiten.
Silvano Lieger, Co-Geschäftsführer der gemeinnützigen Organisation sentience
Sie führen im September und Oktober das «Protein Lab» durch: Was muss man sich darunter vorstellen?
Beim Protein Lab handelt es sich um eine Workshop-Reihe, bestehend aus drei Modulen. Wir haben gezielt über 20 Expertinnen und Experten aus verschiedenen Bereichen eingeladen – von der Lebensmittelproduktion und ‑verarbeitung über die Investment-Branche, Wissenschaft und Zivilgesellschaft bis hin zur Politik. In diesem interdisziplinären Setting sollen ein gemeinsames Systemverständnis kultiviert, konkrete Hebelpunkte identifiziert und sektorübergreifende Massnahmen für eine nachhaltigere Proteinversorgung in der Schweiz erarbeitet werden. Wir glauben, dass die Schweiz in dieser Wende eine Vorreiterrolle einnehmen kann, und fragen uns: Wieso passiert das nicht? Die Workshops dienen dem Austausch, der gemeinsamen Analyse von Hindernissen und der Entwicklung eines Aktionsplans, um die Proteinwende zu beschleunigen.
Das Protein Lab folgt dem Modell der Social Innovation Laboratories – was ist damit gemeint?
Es handelt sich um partizipativen Formate, die sich dadurch auszeichnen, dass unterschiedliche Stakeholder gemeinsam komplexe gesellschaftliche Herausforderungen angehen. Im Gegensatz zu isolierten Lösungsansätzen können auf diese Weise verschiedene Perspektiven integriert und systemische Lösungen entwickelt werden. Für die komplexen Fragen rund um die Proteinwende erschien uns dieser kollaborative Ansatz besonders vielversprechend, um alle relevanten Akteure an einen Tisch zu bringen. Ausserdem wird bei diesem Ansatz der Fokus auf die grundlegenden Ursachen des Problems gelegt. Dieser Perspektivenwechsel hilft vielen Teilnehmenden, nicht an der Oberfläche nach den offensichtlichen Gründen zu suchen, sondern tiefer zu gehen.
Wer sind die Teilnehmenden?
Es war von Beginn weg unser Ziel, eine «Koalition der Willigen» zusammenzubringen – Menschen also, die in ihrem Bereich zumindest teilweise bereits in Richtung einer Proteinwende arbeiten oder denken. Dazu gehören Personen, die bei Start-ups wie Planted oder Fabas, bei Nonprofits wie dem WWF, Verbänden wie der Swiss Protein Association oder bei Behörden wie der Stadt Zürich oder dem Bundesamt für Landwirtschaft arbeiten. Weiter finden sich auch Menschen aus Landwirtschaft, Tierschutz, Wissenschaft, Detailhandel, der Investment-Branche und dem Stiftungswesen unter den Teilnehmenden.
Es war von Beginn weg unser Ziel, eine «Koalition der Willigen» zusammenzubringen
Silvano Lieger
Was erhoffen Sie sich vom Protein Lab?
Unser Ziel für die drei Module ist es, gemeinsam mit diesem diversen Kreis an Expertinnen und Experten ein gemeinsames Systemverständnis zu etablieren, unsere «Blind Spots» zu identifizieren, was Dynamiken und Machtverhältnisse angeht, die wichtigsten Hebelpunkte für Veränderung auszumachen, und, in einem nächsten Schritt, die Proteinwende in der Schweiz zu beschleunigen. Wie genau dieser Aktionsplan aussieht, wird sich zeigen. Wir hoffen auf alle Fälle, einen entscheidenden Anstoss für die dringend notwendige Transformation unseres Ernährungssystems zu geben.
Welche weiteren Schritte sind geplant?
Wir werden die Ergebnisse des Protein Labs analysieren und aufbereiten. Zudem wollen wir den Teilnehmern eine Plattform bieten, um die entwickelten Ansätze und Projekte auch öffentlich zur Sprache zu bringen und im Idealfall weiter zu bearbeiten. Für uns ist klar: Die Proteinwende kann nur gelingen, wenn wir sie gemeinsam vorantreiben.
Protein Lab
Silvano Lieger ist Co-Geschäftsführer der gemeinnützigen Organisation Sentience, die vor allem für die Lancierung der Initiative gegen Massentierhaltung bekannt ist und sich für eine stärkere Gewichtung der Tierwürde, eine zukunftsfähige Landwirtschaft und nachhaltige Ernährung einsetzt. Sentience hat das Protein Lab initiiert und in Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen wie collaboratio helvetica sowie der Berner Fachhochschule BFH das Konzept der Social Innovation Labs auf die Herausforderung einer nachhaltigeren Proteinversorgung angepasst. Die BFH begleitet den Prozess aus wissenschaftlicher Sicht. Ermöglicht wurde dieser Prozess durch die Unterstützung von Förderern wie der Minerva Stiftung, SDSN Switzerland und ProVeg International.