In der gesamten Gesellschaft wie auch in überschaubaren Gemeinschaften gewinnt das
Zusammenspiel der Generationen an Bedeutung. Die verlängerte gemeinsame Lebenszeit aufgrund des demografischen Wandels verlangt gegenseitiges Verständnis für die Bedürfnisse der jeweils anderen Generationen. So macht die Plattform Intergeneration übergeordnete Projekte sichtbar und die Stiftung Quinten lebt setzt sich für das gemeinsame Zusammenleben im Dorf ein.
Es ist einsam. Wenn das Kursschiff ausserhalb der Saison den Walensee quert und anlegt, hat es wenige Passagiere. Die Coronakrise zementiert diese Ruhe. Der Transport von Touristen ist eingestellt. Quinten: Das Dorf liegt am Nordufer des Walensees. Im Sommer lockt es mit südländischem Klima rund 200’000 Touristinnen und Touristen pro Jahr an. Ausserhalb der Saison bleiben die 38 Einwohnerinnen und Einwohner meist unter sich. Quinten ist nur über den See erreichbar. Im Jahr 1835 lebten noch 171 Menschen im idyllischen Dorf. Doch die Abwanderung prägt Quinten wie andere ländliche Dörfer. Der Nachwuchs fehlt. Doch das Dorf lebt. Es wehrt sich – für seine Lebensqualität. Als erste Massnahme wurde die IG Quinten lebt gegründet, als zweite die gleichnamige Stiftung. Um das Dorfleben zu fördern, braucht es junge Zuzüger.
Die gegenseitigen Bedürfnisse kennen
Was für ein Dorf herausfordernd ist, gilt für die gesamte Gesellschaft. Unsere Gesellschaft lebt von einem Miteinander der Generationen. Die Fragen der älteren Generation können nur zusammen mit der jüngeren gelöst werden. «Als wir anfingen, uns verstärkt mit Generationenbeziehungen zu befassen, war uns klar, den demografischen Wandel gibt es und er wird sich weiter akzentuieren», sagt Monika Blau, Programmleiterin von Intergeneration. Die Idee zur Online-plattform entstand 2010 zum 200-Jahr-Jubiläum der SGG, der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft. Diese trägt das Programm, das längst über die digitale Plattform hinausgewachsen ist. Die gewaltigen Veränderungen werden die Gesellschaft fordern. Die Verhältnisse verschieben sich. Die Jungen sind gegenüber alten und betagten Menschen in der Minderheit. «Das darf aber nicht bedeuten, dass man für die Jungen kein offenes Ohr mehr hat», sagt Ruedi Schneider, stellvertretender Programmleiter bei Intergeneration. «Es ist wichtig, dass man die Interessen und Bedürfnisse der anderen Altersgruppen kennt und anerkennt. Das gilt beidseitig.» Das ist das Ziel des Förderprogramms. Es will mit dem Bekanntmachen von Projekten die Beziehung zwischen den Generationen stärken. Generationenverbindende Projekte sollen sichtbar werden, Projektträgerinnen und ‑verantwortliche sich vernetzen.
Gesucht: Eine junge Familie
Die Beziehung zwischen den Generationen ist wichtig. Das gilt in der Familie zwischen Enkeln und Grosseltern. Das gilt in der Gesellschaft und ebenso in einem Dorf wie Quinten. «Die Idee für die Stiftung Quinten lebt stammt von meinem Nachbarn», sagt Joel Schmid, der Stiftungsratspräsident. Er hat mit seiner finanziellen Unterstützung auch die Grundlage für die Stiftung gelegt. Doch alleine könnte die Stiftung die geplanten Projekte nicht stemmen. Entsprechend betont Joel Schmid, dass die Hans und Hilde Schütze-Stiftung in Zürich die Projekte in Quinten unterstützt. «Die Stiftung hat erkannt, dass ihre Gelder bei uns direkt in einem nachhaltigen Projekt ankommen. Das ist eine gelungene Kooperation. Zwei Stiftungen haben zusammen etwas gerissen.» Auch die
Medien wurden auf das Quinten-Projekt aufmerksam. Speziell im Fokus stand das Projekt Dörfli 1370. In einem nicht fertiggestellten Haus hat die Stiftung zwei Wohnungen und ein Bed and Breakfast mit Bistro realisiert. Das Bistro soll ganzjährig offen sein. Für das Dorf. Medial Beachtung fand aber vor allem die Tatsache, dass die Stiftung Geld für eine junge Familie bot, wenn sie nach Quinten ziehen würde.
Mehr Zeit
Die Attraktivität der Stadt hat für alle Generationen wieder zugenommen. Die Menschen ziehen in die Städte. «Zudem ist auf dem Land wie in der Stadt die Alterssegregation, d. h. die Trennung im täglichen Leben gerade zwischen den jungen und den alten und betagten Menschen, sehr ausgeprägt», sagt Monika Blau. «So haben besonders Kinder bzw. Jugendliche und die ganz Alten kaum noch miteinander im Alltag zu tun.» Dabei gewinnt der Austausch zwischen den Generationen an Relevanz. Weil wir länger leben, ist die gemeinsame Lebensspanne der verschiedenen Generationen stetig gewachsen. Es braucht die Zusammenarbeit zwischen den Generationen. «Projekte sind erfolgreich, wenn alle beteiligten Generationen etwas Positives davon haben und nicht eine für die andere etwas leistet, der Nutzen zu einseitig verteilt ist oder sogar eine Altersgruppe instrumentalisiert wird», sagt Ruedi Schneider. 340 Projekte führt die Plattform. Alle basieren auf einer Zusammenarbeit, bei der verschiedene Generationen beteiligt sind. Auch in Quinten arbeiten die IG und die Stiftung an vielen Fronten, um die Lebensqualität für alle zu verbessern: die tägliche Postlieferung, die Anbindung an ein schnelles Internet oder die Verkehrsverbindung nach Zürich. Entscheidend ist, die Bedürfnisse der verschiedenen Generationen zu akzeptieren. Das ist insbesondere wichtig, weil generell die verfügbaren Ressourcen beschränkt sind. «Es gibt Verteilungsdiskussionen und ‑konflikte», sagt Monika Blau. Als Beispiele nennt sie Bildungsbudgets für Kinder und Jugendliche in Konkurrenz zu Ausgaben für Pflege- und Betreuungsleistungen für die älteren Generationen. «Diese profitieren auch von heute gut ausgebildeten jungen Menschen. Denn es ist zukünftig die jüngere Generation, die später für eine angemessene Altenpflege und ‑betreuung sorgen wird, und das wird ihnen mit einer guten Ausbildung leichter gelingen», gibt sie zu bedenken.
Traditionell handwerken, leben und sterben
In Quinten hat die Stiftung mit dem alten Wissen eine neue Einkommensquelle geschaffen. Das Raupenhotel nimmt die Tradition der Seidenraupenbewirtschaftung auf, so wie sie früher in Quinten betrieben wurde. Und ein ganz spezielles Projekt der Stiftung Quinten lebt beschäftigt zurzeit vor allem die ältere Generation, betrifft aber alle. Sie will einen eigenen Friedhof realisieren. «Es entspricht einem lokalen Bedürfnis. Die Quintener möchten hier begraben sein», sagt Joel Schmid. «Es ist auch wichtig für die Trauerarbeit.» Natürlich ist das kein Bedürfnis, das spontan bei einem Dorfspaziergang an einen herangetragen wird. «Aber wenn das Traktandum an den Sitzungen jeweils an der Reihe war, machte sich immer eine ganz spezielle Stimmung breit», erzählt Joel Schmid.