Bitcoin und Co. haben die Blockchain bekannt gemacht. Die Technologie würde sich gerade wegen der Transparenz für gemeinnützige Anwendungen eignen.
Vielleicht ist es die Aussicht auf das schnelle, einfache Geld gepaart mit Halbwissen, das den Reiz von Kryptowährungen ausmacht. Aber in jedem Fall geniesst die Blockchain-Technologie von Bitcoin, Ether und Co. grosse Aufmerksamkeit. Dabei hat die Technologie jenseits der Nutzung als Währung für nicht-gewinnorientierte Anwendungen Potenzial. Eine Blockchain zeichnet sich durch Verschlüsselung und dezentrale Speicherung aus: Jede neue Transaktion wird an einen bestehenden Datensatz angehängt. Und auf allen Computern im gewählten System wird eine verschlüsselte Kopie dieses neuen Datenblocks gespeichert. Damit sind die Informationen im System öffentlich. Auch wenn es private Blockchains gibt, in welchen die dort vorhandenen Daten nur für eine Handvoll Teilnehmende öffentlich sind, sieht Roger Wattenhofer die Blockchain als interessante Technologie für die Zivilgesellschaft und für gemeinnützige Anwendungen. Der ETH-Professor, der zu verteilten Systemen und Netzwerken forscht, sagt: «Blockchains speichern die Daten explizit öffentlich. Allerdings sind die Daten oft verschlüsselt und anonymisiert, damit Privates auch privat bleibt.» Einige Initiativen in Richtung gemeinnützige Anwendung gebe es bereits. Dabei nennt er Blockchain-basierte soziale Netzwerke. Zugleich weist er aber auf Hindernisse hin, die er in der Konkurrenz zu bestehenden Organisationen sieht. «Private Firmen werden ihre Datenmonopole nicht einfach so hergeben», gibt er zu bedenken. Und auch der Staat würde seine Daten nur ungern veröffentlichen. Wobei die technologische Entwicklung für den Staat natürlich eine Herausforderung ist. «Früher konnte der Staat nicht transparent arbeiten, weil es technisch nicht möglich war. Heute gibt es
dafür keinen Grund mehr», sagt er. Er sieht gerade bei den staatlichen Prozessen in einer Demokratie Möglichkeiten, um das Vertrauen in die öffentliche Hand neu aufzustellen. «Abstimmungen können mit einer Blockchain verifiziert und überwacht werden. Man müsste also nicht mehr Wahlzähler:innen und ‑organisator:innen vertrauen, dass sie schon alles richtig machen», sagt er. «Mehr Transparenz bei Wahlen und Abstimmungen wäre sogar in einer Vorzeigedemokratie wie der Schweiz wünschenswert – in Ländern, in denen Wahlbetrug vermutet wird, natürlich noch viel mehr.» Diese Rückverfolgbarkeit durch die in der Blockchain aufgeführten Daten macht diese für den Spendenbereich interessant: «Mit Blockchains könnte man allenfalls eine grössere Transparenz schaffen, zum Beispiel wie die Spendengelder tatsächlich ausgegeben werden», sagt der ETH-Professor.
« Private Firmen werden ihre Datenmonopole nicht einfach so hergeben.»
Roger Wattenhofer,
ETH-Professor
Ideale Form für unabhängige Entwicklung
Um ein Blockchain-Protokoll zu entwickeln und zu veröffentlichen, wird in der Schweiz oft die Stiftung als juristische Form gewählt. Dies ermöglicht insbesondere, dass die Technologie unabhängig von Partikularinteressen der Aktionär:innen oder den Mitgliedern eines Vereins entwickelt und genutzt werden können. «Sie bietet sich vor allem für nichtkommerzielle Projekte an», sagt Thomas Linder. Der auf Blockchain und FinTech spezialisierte Steuerexperte beim Beratungsunternehmen MME fügt an: «Die Stiftung ist insbesondere für die Finanzierung von Open-Source-Blockchain-Projekten ideal, wenn diese eine dezentrale Infrastruktur entwickeln und sie unentgeltlich der Allgemeinheit zur Verfügung stellen wollen.» Dabei sind die Anforderungen während der Entwicklungsphase und der späteren Nutzung der Blockchain unterschiedlich. In der Zweckbestimmung der Stiftung ist primär der Fokus auf die Forschung und Entwicklung wichtig. «Längerfristig sind dann aber auch die Aspekte der Dezentralität und die auf der Infrastruktur gebildeten Ökosysteme und Netzwerke relevant. Die Stiftung geht so von einer Entwicklungs- in eine Netzwerk-Governance-Funktion über», sagt er. Bei der Gründung sind diese unterschiedlichen Anforderungen, die die Stiftung auch später erfüllen muss, zu beachten. Thomas Linder sagt: «Die Nachteile der Stiftung sind die rigide Rechtsstruktur und die Unveränderbarkeit. Dies macht sie unflexibel.» Auch die Administrationskosten sind relativ hoch. Dennoch sieht er die Stiftung als die Rechtsform, die sich neben der Blockchain für weitere Digitalisierungsprojekte eignet. «Generell wird das Thema ‹Crowd-Forschung & Entwicklung› in Zukunft eine grosse Rolle spielen», ist er überzeugt. «Dabei ist das Vertrauen der Community in die gewählte Rechtsstruktur von zentraler Bedeutung.»
«Das Vertrauen der Community in die gewählte Rechtsstruktur ist von zentraler Bedeutung.»
Thomas Linder, Steuerexperte,
Beratungsunternehmen MME
Gefahr eines Technologie-Klassismus
Auch wenn die Stiftung eine grosse Unabhängigkeit von Partikularinteressen bringt und sich somit als Orchestratorin in einem dezentralen Ökosystem anbietet, bleibt sie am Ende ein zentrales Element. Roger Wattenhofer sagt deswegen: «Eine Stiftung stellt eine zentrale Organisation dar, die manche Krypto-Puristen wohl prinzipiell ablehnen würden.» Als Beispiel einer solchen Organisation nennt er das Bitcoin-Netzwerk, das «stiftungslos» organisiert ist. Dies führe allerdings dazu, dass Bitcoin derart dezentral sei, dass technologische Entwicklungen schwierig umzusetzen seien, weil niemand mehr dafür zuständig sei. Das zeigt: Die Frage, wie man Entwicklungen steuert, ist wichtig für viele moderne Krypto-Projekte. «Einige haben eine Governance fest eingebaut: Die Teilnehmenden einer solchen Decentralized Autonomous Organisation (DAO) können Änderungsvorschläge einbringen und dann auch darüber abstimmen», sagt Roger Wattenhofer. Damit die Blockchain für die Zivilgesellschaft eine relevante Rolle einnehmen kann, ist es aber entscheidend, dass die Menschen diese verstehen und anwenden können. Die Gefahr eines «Technologie-Klassismus» besteht. Das technologische Wissen und die Anwendungsfähigkeiten können die gesellschaftliche Stellung beeinflussen. Gerade wenn die Technologie etwa für demokratische Prozesse angewendet werden soll, ist die Fähigkeit im Umgang mit ihr entscheidend. «Entsprechend wäre es auch wichtig, dass die Volksschule die Grundlagen der Kryptographie unterrichtet», sagt Roger Wattenhofer. «Zwar steigen viele problemlos in ein Flugzeug, ohne die Technik der Luftfahrt zu verstehen. Aber wenn eine neue Technologie die Gesellschaft direkt beeinflusst, ist es wichtig, dass die breite Bevölkerung geschult und informiert ist.»