Der Übertritt in die Arbeitswelt ist für junge Menschen herausfordernd. Gelingt er nicht, kann dies ein Leben langfristig prägen. Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt engagiert sich mit Check Your Chance gegen Jugendarbeitslosigkeit.
Weshalb engagieren Sie sich gerade für das Thema Jugendarbeitslosigkeit?
Wir haben verschiedene ungenutzte Potenziale auf dem Schweizer Arbeitsmarkt: Die Älteren, die Frauen und die Jugendlichen. Dass wir diese nicht voll nutzen, ist schade. Es gibt einen ökonomischen, aber auch einen emotionalen Aspekt.
Und der ist bei Jugendlichen besonders?
Findet eine ältere Person den Weg zurück in den Arbeitsmarkt nicht, ist das dramatisch. Bei Jugendlichen ist es eine Katastrophe. Findet er oder sie den Einstieg nicht im Alter von 20 Jahren, bleibt die Person meist das ganze Arbeitsleben am Rande der Existenz und kann auch keine Altersvorsorge aufbauen. Damit ist oft der direkte Weg in die Ergänzungsleistungen vorgezeichnet.
Deswegen engagieren Sie sich gegen die Jugendarbeitslosigkeit.
Ja, es ist wirklich beeindruckend, wie wenig es in vielen Fällen braucht, um einen Jugendlichen wieder auf den Weg der Tugend zurückzubringen.
Was Sie mit Check Your Chance machen. Wie ist die Initiative entstanden?
Es gab bereits zahlreiche lokal operative Vereine und Stiftungen, die sich gegen Jugendarbeitslosigkeit engagierten. Die Credit Suisse hat 2008/09, als die Jugendarbeitslosigkeit in der Schweiz das letzte Mal sehr hoch war, eine Initiative ins Leben gerufen und diese Vereine und Stiftungen direkt unterstützt. Schnell zeigte sich aber; es fehlte ein Dach. Check Your Chance ist so als erster nationaler Dachverein gegen Jugendarbeitslosigkeit entstanden. 2014 hat mich die Credit Suisse angefragt, ob ich das Präsidium übernehmen würde. Spontan habe ich zugesagt. Der Verein Check Your Chance ist seit 2015 unabhängig, wird aber immer noch finanziell von der Credit Suisse unterstützt, was wir natürlich sehr schätzen.
Check Your Chance bildet das Dach. Die einzelnen Vereine wirken weiterhin autonom. Können Sie ein Beispiel nennen, wie diese arbeiten?
Die Stärke sind die unterschiedlichen Angebote. Ein Beispiel: Der Verein LIFT ermöglicht Jugendlichen, während der letzten Schuljahre an einem Nachmittag in einem Betrieb zu arbeiten. Es sind meist Jugendliche, die eher Schwierigkeiten hätten, eine Lehrstelle zu finden. Das Angebot gibt den Lehrbetrieben die Möglichkeit, die Person vor einem allfälligen Abschluss eines Lehrvertrags besser kennenzulernen.
Was ist dann die Aufgabe von Check Your Chance?
Wir machen alles, was für die einzelnen Vereine nicht möglich wäre, aber für die Prävention der Jugendarbeitslosigkeit und die Integration von arbeitslosen Jugendlichen wichtig ist. Zum Beispiel haben wir mit dem SECO einen Public Private Partnership Vertrag abgeschlossen. Für jeden Franken an privaten Mitteln, die wir und unsere Mitglieder sammeln, erhalten wir zusätzliche 50 Rappen vom SECO. Als Dachverein betreiben wir hingegen keine eigenen Betreuungsangebote.
Wie finanziert sich Check Your Chance?
Auf der Ebene des Dachvereins sammeln wir Geld über Spenden, Stiftungen und einen jährlichen Gönneranlass. Die verschiedenen angeschlossenen Vereine und Stiftungen betreiben ihr eigenes Fundraising. Beim Dachverein müssen wir 1,4 Stellen finanzieren. Unser Ziel ist aber klar, mehr Geld zu generieren, das wir an die angeschlossenen Organisationen weitergeben können.
Wie viele Organisationen sind angeschlossen?
Acht. Aber wir sind kein geschlossener Verein. Weitere gemeinnützige Organisationen, die sich mit unseren Ideen identifizieren können und bereit sind mitzuarbeiten, sind willkommen und nehmen wir, nach einer entsprechenden Prüfung, auf.
Sie schreiben 2019 gab es 81 Prozent erfolgreiche Austritte. Wie messen Sie den Erfolg?
Wir werten es als Erfolg, wenn sich ein Absolvent oder eine Absolventin ein Jahr nach Abschluss nicht bei der Arbeitslosenkasse gemeldet hat.
Dieses Jahr kommt mit Corona eine spezielle Herausforderung auch auf die jungen Menschen zu …
… Und wir hatten zu Beginn der Krise auch Befürchtungen, dass der Lehrstellenmarkt einbrechen könnte. Das ist nun nicht eingetroffen. Die Lehrbetriebe haben dieses Jahr gleichviele Lehrverträge abgeschlossen wie im vergangenen Jahr.
Corona hatte keine Auswirkungen?
Doch. Während des Lockdowns war der Kontakt zwischen den Lehrstellensuchenden und den Lehrbetrieben stark eingeschränkt. Aber unterdessen ist wieder einigermassen Normalität eingekehrt. Wir werden sehen, wie sich dies weiterentwickelt. Ich bin der Ansicht, dass wir das Ende des Tunnels noch nicht erreicht haben.
Das klingt wenig optimistisch.
Als Arbeitgeberpräsident habe ich
direkt und indirekt Einblick in viele dieser Unternehmen. Viele Unternehmen stellen mit Sorge fest, dass die Umsätze im Vergleich zum Vorjahr deutlich tiefer sind, zum Teil 30 bis 40 Prozent, in einzelnen Fällen sogar noch deutlich mehr. Einen solchen Einbruch hält kein Unternehmen ohne eine Restrukturierung lange durch. Die Betriebe werden reagieren müssen, sonst riskieren sie die Existenz des gesamten Unternehmens. Wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass wir mit Kurzarbeit und der Arbeitslosenversicherung auch eine solche Krise durchstehen können. Wir haben in der Schweiz Rahmenbedingungen, die den Unternehmen erlauben, Massnahmen zu ergreifen, ohne dass die betroffenen Mitarbeitenden in ihrer Existenz bedroht sind.
Was genau heisst das für die Jugendlichen?
Die Jugendlichen sind im Normalfall die ersten, die eine Krise zu spüren bekommen. Aber sie sind auch die ersten, die von der konjunkturellen Erholung profitieren. Bei den älteren Arbeitnehmenden ist es genau umgekehrt. Sie sind die letzten, die von den Folgen einer Krise betroffen sind. Aber sie sind es auch, die als Letzte vom Aufschwung erneut profitieren.
Wie haben Sie auf die Krise reagiert, um den Jugendlichen zu helfen?
Wir arbeiteten schon vor Corona an einem Notfallplan. Mit dem SECO hatten wir Szenarien besprochen, was zu tun wäre, wenn die Jugendarbeitslosigkeit in die Höhe schnellen würde. Genau dieser Fall ist mit Corona eingetreten. Nun erhalten die Mitglieder von Check Your Chance vom SECO zusätzliche Mittel. Diese sind auf 18 Monate limitiert. Mit den zusätzlichen Mitteln können wir weitere 3800 Jugendliche unterstützen und betreuen. Der Fokus liegt zurzeit vor allem bei den Übertritten von der Lehre in den Arbeitsmarkt. Zudem haben wir uns beim SECO dafür eingesetzt, dass Unternehmen, trotz Kurzarbeit, ihre Lehrabgängerinnen und Lehrabgänger einstellen dürfen und trotzdem weiterhin Kurzarbeitsentschädigung erhalten. Denn grundsätzlich dürfen Unternehmen, die in Kurzarbeit sind, keine neuen Mitarbeitenden einstellen. Für die jungen Menschen ist es gerade jetzt wichtig, dass sie nach ihrem Abschluss eine berufliche Anschlusslösung haben und nicht davon bedroht sind, arbeitslos zu werden.
«Die Jugendlichen sind in jeder Hinsicht unsere Zukunft.»
Valentin Vogt, Präsident des Dachvereins Check Your Chance
Unabhängig von Corona: Wie gelangen die jungen Menschen an Ihre Angebote?
Unsere Vereine sind regional verankert und bekannt. Es gibt zusätzlich eine nationale Helpline «GO4JOB».
Wie muss ich mir dies vorstellen?
Die Helpline nimmt eine Triage vor. Ziel ist es, die Nachfragenden an die richtigen Stellen zu verweisen. Das kann ein Check-Your-Chance-Verein sein, aber ebenso gut eine andere Stelle. Wichtig ist, dass Jugendliche rasch und unkompliziert Hilfe erhalten.
Hat sich diese Arbeit verändert?
Sie ist anspruchsvoller und die Fälle sind komplizierter geworden.
Von wie vielen jugendlichen Arbeitslosen sprechen wir überhaupt?
Die Arbeitslosigkeit wird durch die Statistiken der RAV erfasst. Im Juli 2020 waren es 17’895 Jugendliche, die beim RAV gemeldet waren. Die Erwerbslosigkeit dagegen wird über Telefoninterviews erhoben. Wir sprechen bspw. hier von jenen, die noch bei den Eltern wohnen und keine Arbeit haben. Diese sind beim RAV nicht gemeldet. In normalen Zeiten gehen wir von rund 50’000 erwerbslosen jungen Menschen aus. Aktuell dürften es rund 70’000 sein. Diese Zahl beinhaltet die rund 18’000 arbeitslosen Jugendlichen.
Es sind mehr junge Männer als Frauen von der Erwerbslosigkeit betroffen. Kennen Sie die Gründe?
Das ist eine grosse Herausforderung. Vor dreissig Jahren waren die Anzahl Maturanden und die sehr guten Schüler mehrheitlich männlich. Das hat sich stark gewandelt. Ein Grund dürfte sein, dass die Schule stark von einem weiblichen Wertemuster geprägt ist. Das hängt mit den Vorbildern zusammen. Mehr als 80 Prozent der Lehrkräfte in der Unter- und Mittelstufe sind weiblich. Hier ist eine bessere geschlechtliche Durchmischung der Lehrkräfte notwendig. Denn die männlichen Jugendlichen funktionieren einfach anders. Tendenziell geht bei ihnen der schulische und berufliche Entwicklungsknopf auch später auf.
Haben es junge Menschen speziell schwer auf dem Arbeitsmarkt?
Ich glaube nicht. Die Jugendlichen sind unerfahrener als ältere Arbeitnehmende. Sie haben auch andere Ansprüche, bringen aber auch andere Ideen mit, schon nur bezüglich
Digitalisierung. Check Your Chance unterstützt die Jugendlichen, damit sie ihren Weg in den Arbeitsmarkt finden.
Was bedeuten diese erwerbslosen Jugendlichen für unsere Gesellschaft?
Die Jugendlichen sind in jeder Hinsicht unsere Zukunft. Wenn wir das Potenzial nicht ausschöpfen, sind das verpasste Chancen für die Jugendlichen, aber auch für die Gesellschaft.
Weshalb ist das für die Gesellschaft so wichtig?
Bald gehen die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand. Jahrgänge mit deutlich über 100’000 Geburten, und es kommen Jahrgänge in den Arbeitsmarkt mit 70’000 Geburten. Das heisst, unsere Gesellschaft und Wirtschaft braucht die jungen Leute. Über die nächsten Jahre wird ohne zusätzliche Zuwanderung eine Lücke von rund einer halben Million Arbeitskräften auf dem Arbeitsmarkt entstehen.
Was wünschen Sie sich für Check Your Chance?
Ich wünsche mir, dass die Jugendlichen noch vermehrter den Wert der Arbeit erkennen. Viele Jugendliche sehen in der Arbeit primär die Möglichkeit, Geld zu verdienen, um ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Aber Arbeit ist viel mehr. Arbeit gibt Struktur. Arbeit gibt Befriedigung
und spornt an. Arbeit ermöglicht
60 Prozent der Bekanntschaften zwischen Mann und Frau. Ein Leben ohne Arbeit wäre sehr langweilig. Ich wünsche mir, dass die Jugendlichen das erkennen können. Und ich wünsche allen jungen Menschen, dass sie einen tollen Einstieg ins Berufsleben finden. Dazu wollen wir mit Check Your Chance beitragen.
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