Wo das Gute ist, gibt es auch die Kehrseite. Auch hier ist der Philanthropie-Sektor aktiv. Das zeigt ein Blick auf Organisationen, die sich für die Verlierer unserer Weltordnung einsetzen.
«Wo es Gewinner gibt, gibt es auch Verlierer», sagt Oliver Classen, Mediensprecher von Public Eye. Der Verein deckt seit 1968 Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörungen weltweit auf. Bedingung: Sie haben ihren Ursprung in der Schweiz. Er verfolgt das Ziel einer gerechteren und enkeltauglichen Welt. Vordergründig stehen die zwischen Genfer- und Bodensee domizilierten Konzerne im Fokus. Doch Public Eye zielt tiefer. Der Verein, vormals die Erklärung von Bern, will die manchem Missstand zugrunde liegenden Strukturen aufzeigen. Er will nicht Symptome bekämpfen, sondern die Ursachen offenlegen. Wie sind die globalen Finanzflüsse organisiert? Wie fliesst der Gewinn in die Schweiz? Wie bleiben die Kosten von Umweltzerstörungen vor Ort? «Es gibt Geschäftsmodelle, die nutzen und zementieren das Machtgefälle. Der grösste Skandal dabei ist häufig, dass es kein Skandal ist», sagt Oliver Classen. «Unsere Gesellschaft hat sich an diese offenkundigen Übel gewöhnt. Mit unserer Arbeit wollen wir diese Hornhaut aufweichen.» Wer sich mit solch unbequemen Fragen exponiert, riskiert unbequeme Antworten. Unsere Gesellschaft selbst rückt in die Kritik.
Rote Linien
Unangenehme Fragen stellt auch Amnesty International. Grundsätzliche Werte sind zentral für ihr Schaffen. Bewusst machen sie vor unpopulären Themen nicht halt. «Uns ist klar: Mit einigen unserer Kampagnen machen wir uns nicht nur Freunde», sagt Beat Gerber. «Sie entsprechen oft nicht der allgemeinen Meinung», ist sich der Mediensprecher von Amnesty Schweiz bewusst. Doch rote Linien zu respektieren ist für eine Gesellschaft fundamental: Das heisst z. B., dass die Grundrechte auch im Antiterrorkampf bewahrt werden müssen. «Wir engagieren uns immer mit der Vision, dass die Menschenrechte für alle gelten – jederzeit und überall», sagt er. Amnesty deckt Fehlverhalten von Behörden und Regierungen auf. Mit konsequenter Arbeit erreicht die Non-Profit-Organisation ein Umdenken. So ist es mitunter ihr Verdienst, dass 142 Länder die Todesstrafe heute verbannt haben. Auch dass die Folter weltweit verpönt ist, ist massgeblich der konsequenten Arbeit von Amnesty International zu verdanken. «Deutliches Zeichen für diesen Erfolg ist, wenn selbst Unrechtsregimes behaupten, dass es bei ihnen keine Folter gebe», sagt Beat Gerber. Zu den neueren Themen, bei welchen Amnesty auf Missstände aufmerksam macht, gehören sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen, Diskriminierung oder die Verletzung der Rechte von Menschen auf der Flucht. Auch der Klimawandel gehört dazu. Gesellschaft und Politik werden sich bewusst, dass existentielle Werte auf dem Spiel stehen. Diese Entwicklung stellt auch Oliver Classen fest. Ob Black Lives Matter, Frauenstreik oder Klimabewegung: Immer mehr Menschen gehen auf die Strasse. Was er für die Schweiz besonders erstaunlich findet. In der direkten Demokratie hätten die Menschen schliesslich regelmässig die Möglichkeit, ihre Meinung an der Urne kundzutun. Doch offenbar reicht dies nicht mehr. «Wir sind schon länger im Zeitalter multipler Krisen», stellt er fest. «Und die wiederum sind multifaktoriell. Was daraus wächst, ist ein neues Unrechtsbewusstsein.» Schon seit Jahren weist Public Eye auf grundlegende Globalisierungsprobleme hin. Spätestens mit der Konzernverantwortungsinitiative ist das Thema in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Ob es bereits mehrheitsfähig ist? Für Oliver Classen ist jedenfalls klar: «Es ist unsere Generation, die es richten muss. Wir müssen das Steuer herumreissen.» Wie sich die Akzeptanz und Relevanz ihrer arbeit verändert, erlebt er ganz direkt. «Wir haben heute Anfragen von Wirtschaftsanwälten, die sich für einen Job bei uns interessieren. Oder grosse Unternehmen erkundigen sich, ob wir ihre Nachhaltigkeitsberichte kommentieren», sagt Oliver Classen. Allerdings kommt eine Zusammenarbeit mit Firmen für Public Eye nicht in Frage. «Die absolute Unabhängigkeit ist unser höchstes Gut.»
Mediensprecher Oliver Classen von Public Eye, oben, und rechts Beat Gerber von Amnesty International. | Fotos: zVg
Unabhängig und glaubwürdig
Sowohl Public Eye als auch Amnesty Schweiz finanzieren sich hauptsächlich über Mitgliederbeiträge und Spenden. Die häufig projektbezogene Unterstützung von Stiftungen hilft ebenfalls, die Unabhängigkeit von Staaten und Unternehmen zu wahren. Das garantiert Glaubwürdigkeit. Sie ist essentiell. Unabhängige Informationen sind zentral. Damit die Botschaften wirken, zählen Fakten. «Wir investieren viel in die Recherche», sagt Beat Gerber. Das Dokumentieren zählt zu den zentralen Aufgaben. Mit Informationen gelingt es, verborgenes Unrecht an die Öffentlichkeit zu tragen und im Bewusstsein der Gesellschaft zu halten. So konnte Amnesty International seit ihrer Gründung 1961 schon Tausende Menschen befreien und retten. Damit so etwas funktioniert, muss Wissen und Kompetenz vermittelt werden. Beat Gerber: «Wir sind eine Organisation mit acht Millionen Mitgliedern. Wir arbeiten mit den Menschen vor Ort. Sie wollen wir befähigen, Druck aufzubauen.» Nicht selten müssen Menschenrechtsaktivisten Todesdrohungen aushalten. Doch diese Reaktionen sind auch ein Beleg, dass die Aktivitäten einen Nerv treffen.