The Philanthropist: Der WWF feiert Jubiläum. Was gab vor 60 Jahren den Anstoss zur Gründung?
Thomas Vellacott: Die Gründer beobachteten einen dramatischen Rückgang bei der Population wichtiger Wildtierarten wie etwa den Nashörnern in Afrika. Dagegen wollten sie etwas unternehmen. Mit der Gründung des WWFs setzten sie sich für den Schutz von Arten- und Lebensräumen und für die nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen ein.
TP: Haben sich Ziele und Mission geändert?
TV: Ziele und Mission sind auch heute dieselben. Verändert hat sich aber die Art, wie wir uns dafür engagieren. Wir sind vor Ort in der Natur präsent und gemeinsam mit der lokalen Bevölkerung schützen wir die Umwelt und gestalten eine lebenswerte Zukunft für nachkommende Generationen. Wir setzen aber auch bei den Treibern der Umweltzerstörung an, bei den politischen Rahmenbedingungen, der Wirtschaft und dem Finanzsektor.
Heute leben mehr Pandas, Tiger oder Grauwale in freier Wildbahn als vor zehn Jahren.
Thomas Vellacott, Geschäftsleiter WWF Schweiz
TP: Was war der grösste Erfolg?
TV: Dass wir zeigen konnten, wie wir die Abwärtsspirale bei bedrohten Tierarten aufhalten oder sogar umdrehen konnten, war ein Erfolg. Heute leben mehr Pandas, Tiger oder Grauwale in freier Wildbahn als vor zehn Jahren. Auch ist es gelungen, grosse Schutzgebiete zu errichten. Ein wichtiger Erfolg ist auch, dass es mit Partnern gelungen ist, Standards in der Wirtschaft zu etablieren, wie FSC für nachhaltige Waldwirtschaft.
TP: Und wo sehen Sie Nachholbedarf?
TV: In der Finanzbranche. Hier brauchen wir dringend Qualitätsstandards für Nachhaltigkeit. Und bei den Schutzgebieten braucht es nicht nur mehr Fläche, sondern es muss die Qualität des Schutzes gewährleistet sein. Die Ausbildung von Wildhüterinnen und Wildhütern und die nachhaltige Finanzierung von Naturschutzpärken müssen vielerorts noch verbessert werden.
TP: Was ist die Stärke des WWFs?
TV: Für uns ist ganz wichtig, dass wir die Mitarbeitenden «on the ground» in der Natur haben. Sie verstehen die ökologischen Prozesse vor Ort ebenso wie die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung und arbeiten eng mit ihnen zusammen. Gleichzeitig sind wir an internationalen Konferenzen vertreten und verhandeln mit Staaten und internationalen Unternehmen. Diese Kombination — die Verbindung von lokalem Arbeiten und globaler Vernetzung — ist eine grosse Stärke. Wir arbeiten immer in Koalitionen und mit Partnern. Auch das gehört zu unserer Stärke.
TP: Sie gehen auch Partnerschaften mit der Wirtschaft ein.
TV: Dies ist ein wichtiger Pfeiler unserer Arbeit. Die Wirtschaft gehört zu den Verursacherinnen von Umweltzerstörung. Deswegen muss sie Teil der Lösung sein. Immer mehr Unternehmen erkennen, dass sie nur erfolgreich wirtschaften können, wenn sie natürliche Ressourcen nachhaltig nutzen. Wir setzen aber nicht nur auf die Freiwilligkeit der Unternehmen. Genauso müssen die politischen Rahmenbedingungen stimmen. Wer die Umwelt verschmutzt soll auch dafür bezahlen müssen.
TP: Was verlangen Sie von einem Unternehmen, damit Sie mit diesem kooperieren?
TV: Wir arbeiten mit Firmen, die sich ambitionierte Ziele setzen: Wir helfen ihnen, diese umzusetzen. Für den WWF ist wichtig, dass sich Unternehmen wissenschaftsbasierte Ziele setzen, dass sie klare Meilensteine definieren und regelmässig über die Umsetzung Bericht erstatten. Wir publizieren Ziele und Fortschritt unserer Unternehmenspartner auf unserer Internetseite, so dass sich jede und jeder ein Bild davon machen kann.
TP: Sie fordern öffentlich Verbesserungen. Die Firmen, mit denen Sie zusammenarbeiten, sind vielleicht noch nicht soweit. Führt das zu Spannungen?
TV: Nein. Das wird in der Regel verstanden – nicht Zuletzt, weil wir in allen Verträgen mit Firmen eine Klausel haben, die uns das Recht auf Kritik einräumt. Wir sind immer bereit, öffentlich Unternehmen zu kritisieren, auch wenn wir mit diesen zusammenarbeiten. Die gemeinsamen Interessen überwiegen aber bei weitem: Unternehmen, die stark in den Umweltschutz investieren, haben kein Interesse daran, dass andere die Umwelt verschmutzen, ohne für die verursachten Schäden aufzukommen. Darum braucht es die richtigen politischen Rahmenbedingungen, die die Natur schützen und einen fairen Wettbewerb ermöglichen.
TP: Heute ist Nachhaltigkeit allgegenwärtig. Vereinfacht das Ihre Arbeit?
TV: Ja und nein. Wir müssen keine Grundsatzdebatten mehr führen, warum nachhaltiges Wirtschaften sinnvoll ist. Wenn aber alle auf diesen Zug aufspringen sind auch jene dabei, die «Greenwashing» betreiben, also nur vorgeben, nachhaltig zu sein. Es ist wichtig, dass die Konsumentinnen und Konsumenten wissen, wer nur von Nachhaltigkeit spricht und wer auch wirklich etwas macht. Deswegen bieten wir mit Ratings und Ratgebern Orientierung: Wir haben soeben ein Umwelt-Rating zu Schweizer Retailbanken publiziert. Eine andere Problematik ist, dass die grosse Präsenz des Themas Nachhaltigkeit einen falschen Eindruck vermittelt. Weil das Thema allgegenwärtig ist, kann das Gefühl aufkommen, dass wir bereits am Ziel seien. Viele schätzen den Zustand der Natur in der Schweiz viel zu positiv ein.
TP: Das heisst?
TV: Wir meinen beispielsweise , unseren Gewässern gehe es gut. Das trifft überhaupt nicht zu. Rund 60 Prozent der Fischarten in der Schweiz stehen auf der roten Liste der gefährdeten, bedrohten und ausgestorbenen Arten. Aber weil die Gewässer nicht stinken und man das Problem nicht offensichtlich sieht, wird es nicht wahrgenommen.
TP: Ist diese falsche Einschätzung zum Zustand unserer Natur ein Grund für das Scheitern des CO2-Gesetzes?
TV: Viele hielten das Gesetz für selbstverständlich und sind gar nicht erst an die Urne gegangen. Ausserdem betraf das Gesetz sehr viele Sektoren der Wirtschaft. Inhaltlich hat das Sinn gemacht. Es hat aber auch dazu geführt, dass jede und jeder etwas im Gesetz fand, das ihm oder ihr nicht passte. Das kumulierte die Reihen der Neinsager.
TP: Ist das Thema erledigt?
TV: Der Klimaschutz ist überhaupt nicht vom Tisch. Im Gegenteil! Er hat mit dem Entscheid noch an Dringlichkeit gewonnen. Wir müssen jetzt rasch andere Wege finden, um im Klimaschutz vorwärts zu kommen. Im Vorfeld der Abstimmung hat sich eine breite Koalition aufgebaut. Viele Mitglieder dieser Koalition sind der Ansicht, jetzt gelte es erst recht zu handeln. Wir können es uns nicht leisten nachzulassen.
TP: Wo steht denn die Schweiz beim Klimaschutz?
TV: Vergleichen wir unseren CO2-Fussabdruck pro Kopf mit dem anderer Staaten, sind wir alles andere als vorbildlich. Da gilt es, rasch zu handeln und auch Themen anzugehen wie die CO2-Emissionen, die der Finanzsektor mit seinen Investitionen verursacht. Diese machen geschätzt das 20-fache der Emissionen aus, die wir in der Schweiz verursachen.
Viele schätzen den Zustand der Natur in der Schweiz viel zu positiv ein.
Thomas Vellacott
TP: Die Schweiz ist Gründungsort des WWFs – ist dies heute noch von Bedeutung?
TV: Die globale Dachorganisation, der WWF International, ist eine Schweizer Stiftung mit Hauptsitz in Gland. Der WWF Schweiz gehört zu den WWF-Länderorganisationen mit dem grössten Rückhalt in der Bevölkerung. 300’000 Menschen entscheiden sich jedes Jahr, den WWF zu unterstützen.
TP: Was motiviert Sie zu dieser Arbeit?
TV: Mich motiviert stark, wenn ich mit Menschen zusammenarbeite, die sich gemeinsam für eine gute Sache einsetzen. Der WWF Schweiz hat Tausende von Freiwilligen. Mit ihnen an einem Samstag Hecken zu pflanzen, das motiviert. Diese Arbeit erachte ich als Privileg. Ebenso motiviert es mich, in der Natur zu sein. Diese Schönheit zu sehen und mir vorstellen zu müssen, dass unsere Kinder und Grosskinder diese so nicht mehr erleben könnten, das scheint mir zutiefst ungerecht. Mich für eine so wichtige Sache einzusetzen motiviert mich auch nach 20 Jahren noch.