Kein Applaus, kein Lacher und keine Träne – über Nacht wurde den Theatern das Publikum entzogen. Die Theatersäle blieben leer, die Scheinwerfer dunkel. Gemeinsam helfen Zuschauer, Staat aber auch Stiftungen mit, dass das Theatererlebnis nach der Krise wieder weitergeht.
«Alle Theaterhäuser machten dieselbe Erfahrung: Herunterfahren geht schnell», sagt Benedikt von Peter. Der neue Intendant startet am Theater Basel in einer speziellen Zeit. «Wie machen wir jetzt Theater?» fragt er. Denn so langsam sind sich alle bewusst, dass die Situation länger dauern wird. Trotz aller Unwegsamkeiten ist für Benedikt von Peter unbestritten: «Es ist richtig und wichtig, auch in dieser Zeit Theater zu machen. Theater ist ebenso wichtig wie Einkaufen», sagt er. Es sei heftig, was jetzt gerade mit der Gesamtgesellschaft geschehe. Tröstung tut not. Kunst und Theater sind gefragt. Entsprechend macht sich das Ensemble am Theater Basel Gedanken, wie jetzt überhaupt gespielt werden kann. Denn neben der künstlerischen Aufgabe gilt es, die wirtschaftliche Situation zu planen. Besonders herausfordernd ist, dass die Planung langfristig geschieht. Engagements geschehen drei Jahre im Voraus. «Das Geld ist eigentlich schon ausgegeben» sagt er. In verschiedenen Szenarien hat das Theater mit unterschiedlicher Belegung die neue Saison geplant, Ausfallszenarien inklusive. In jedem Fall, die Vorfreude auf den ersten Vorhang ist spürbar. Der Intendant: «Wenn wir mit Saint François d’Assisis starten, dann ist das ein Riesenstück. Das kann heilend wirken.»
Täglich anders
Noch vor der Sommerpause hat TOBS, Theater Orchester Biel Solothurn, beschränkt den Betrieb wieder aufgenommen. «Dank der Lockerungen von Anfang Juni konnten wir ein kleines, aber feines Alternativprogramm präsentieren, das auf grossen Anklang gestossen ist», sagt Verwaltungsdirektor Florian Schalit. TOBS durfte feststellen, dass das Publikum sie vermisste. Die Nachfrage war gross. Aber die Umstände waren fordernd. Täglich neue Pläne. Immer wieder angepasste Schutzkonzepte. Dafür gab es in der Kunst Raum für Neues: «So entstand zum Beispiel die Idee, unsere Musikerinnen und Musiker kleine Konzerte unter Einhaltung der Schutzmassnahmen in Gärten oder Altersheimen spielen zu lassen. Sie blieben so im Kontakt mit den Menschen.» Optimistischer für den Herbst, plant TOBS wieder regulär und hofft, dass sich die Situation normalisiert.
Auch Inszenierungen aus der abgelaufenen Saison werden wieder ins Programm aufgenommen. Dem Lockdown fielen etwa Romeo-und-Julia-Vorstellungen zum Opfer. Dabei schwärmt Florian Schalit von den authentischen Fechtszenen. Dass eine solche Produktion möglich wird, dazu braucht es Drittmittel. TOBS arbeitet dazu mit grossen wie kleinen Stiftungen. «Bei unseren häufig äusserst knappen Budgets sind wir auf jeden zusätzlichen Franken angewiesen», sagt er. Spenden wie auch Beiträge von Gönnerinnen und Gönnern machen einen wesentlichen Beitrag der Drittmittel aus. «Unsere sieben Freundeskreise ermöglichen uns dank Mitgliederbeiträgen und projektbezogenem Fundraising immer wieder Projekte, die sonst für uns nicht finanzierbar wären», sagt er. So sammelten beispielsweise die Freunde des Stadttheaters Solothurn für die Romeo-und-Julia-Produktion rund 60’000 Franken. Diese zusätzlichen Mittel ermöglichten die überdurchschnittlich grosse Besetzung – und einen speziellen Coach für die Fechtszenen.
Die vierte Sparte
Konsequenzen aus dem Erlebten zieht das kleinste Dreispartenhaus der Schweiz: Das Neumarkt Theater in Zürich erweitert das Angebot um eine vierte Sparte. «Die Sparte Digital steht für das Internet als Bühne für Prä- und Postperformances, als Raum für transmediales Erzählen, als grenzüberschreitendes Format», sagt Hayat Erdoğan, eine der drei Direktorinnen. Dazu wird der Webauftritt erneuert, leistungsfähiger gestaltet. Mit einem online abrufbaren Film wird nicht nur die vergangene Spielzeit inklusive Lockdown aufgegriffen. Er bietet ebenso einen Ausblick auf die kommende Spielzeit. Gestartet wird am 3. September mit einer Videoinstallation. «Im Stück, Protest 1980, treffen drei Generationen an Aktivistinnen und Aktivisten aufeinander, was produktionstechnisch eine Herausforderung ist», erklärt Hayat Erdoğan. «Es spielen auch Menschen aus der Risikogruppe mit», weist sie auf die zusätzlichen Herausforderungen der aktuellen Situation hin. Die klare Ansage für die kommende Spielzeit lautet: Masken auf, die Hüllen fallen! Es gibt kein Zurück in die Prä-Corona-Wirklichkeit. Dies gilt auch für die Sparte Digital. Sie wird ernst genommen. «Es soll nicht nur eine Corona-Überbrückung sein», sagt Hayat Erdoğan. Hier braucht es Investitionen. Aktuell gibt es kaum Empfang im Theater. Es ist eher ein Funkloch. Aufwendungen für die Technik sind zwingend. Know-how der Technik, genauso wie in die Bereiche Videokunst oder Podcast soll investiert werden. Hayat Erdoğan sagt: «Um dies zu realisieren, werden wir auf Stiftungen zugehen.»
Soziokulturelle Raumnutzung
Auch das Theater Basel ist auf Drittmittel angewiesen. «Wir gehen mit einer Vielzahl Stiftungen eine Partnerschaft ein», sagt Benedikt von Peter, als er von der Realisierung des Projekts Foyer Public erzählt. Seit dem Jahreswechsel wurden diese Partnerschaften aufgegleist. Am 20. November soll es starten. Das Foyer des Theaters wird öffentlich erlebbar. «Es ist eine soziokulturelle Raumnutzung», sagt er. Um die Mittel für das Projekt zu organisieren, hat er viele Stiftungsvertreterinnen und ‑vertreter persönlich getroffen. «Eine wirklich schöne Gelegenheit, um diese Menschen kennenzulernen», sagt er. Es gab viele Kontakte. Viele spannende Begegnungen, auch wenn nicht alle in einer Unterstützung mündeten. Es würde zu kurz greiffen, die Zusammenarbeit mit den Stiftungen auf den finanziellen Aspekt zu reduzieren. Das gebe den Mehrwert dieses Austausches nicht wieder. Auch Florian Schalit sieht diese mehrschichtige Wirkung: «Mit verschiedenen Repräsentanten von Stiftungen pflegen wir einen regelmässigen, fruchtbaren Austausch.» Als konkretes Beispiel nennt er die Förderung von jungen Talenten bei TOBS dank einer Stiftung. Häufig bestehen persönliche Beziehungen. «Unser Publikum wie auch unsere Freundeskreise wissen, dass wir auf die Unterstützung von Stiftungen angewiesen sind. Und da erhalten wir immer wieder wertvolle Hinweise», sagt er. Diese engagieren sich sowohl wiederkehrend, aber auch projektbezogen. Ein Vorteil für TOBS ist die eigene Stiftung als Dach für den Theater‑, Oper- und Konzertbetrieb. Als gemeinnützige Stiftung ist sie steuerbefreit. Spenden kann sie direkt entgegennehmen. In den letzten Monaten hat sich das besonders ausbezahlt. «Zahlreiche Karteninhaber und ‑inhaberinnen haben auf eine Rückerstattung aufgrund ausgefallener Vorstellungen verzichtet und uns den Betrag gespendet», sagt Florian Schalit.
Aufwand und Ertrag
Um Mittel für die Projekte zu generieren misst Benedikt von Peter in Basel dem persönlichen Kontakt grosse Bedeutung zu. Trotz des Aufwands nimmt er sich die Zeit, seine Projekte vorzustellen. «Irgendwann muss man den Menschen begegnen», sagt er. Es geht ums Kennenlernen. Nicht immer ist bei den Stiftungen sofort offensichtlich, was ihre Kriterien sind. Einen Antrag auszufüllen kann sehr aufwändig sein und ist abstrakt. Eine Begleitung während des Projektes, ein Austausch, regelmässige Gespräche zu führen hat dagegen den Vorteil, dass ein Verständnis aufgebaut wird. «Beide Seiten verstehen, wie gearbeitet wird.» Die Rolle der Drittmittel wird wichtiger. Wer wird das Theater künftig finanzieren? Eine wesentliche Rolle kommt der Ausdifferenzierung der Projekte zu. «Es reicht nicht mehr, einfach nur Theater zu produzieren», sagt Benedikt von Peter zu den komplexer gewordenen Anforderungen. Theater soll didaktische Vermittlungsarbeit für Schulen übernehmen. Es soll workshopartig sein. Partizipativ soll der Ansatz sein. Es geht um das Erlebnis. Eine Erlebnisgastronomie ist gefragt wie auch ein Erlebnisparcours für Zuschauer. Diese Ansprüche waren auch während der Coronakrise spürbar. Viele Theater haben Produktionen online angeboten. «Aus Neugier war das Interesse zu Beginn gross, sagt Benedikt Peter. Doch es schwand. «Das schaut sich niemand mehr an. Nach einem Monat sind die Klickzahlen in den Keller gerutscht. Der echte Körper fehlt», sagt er.