Mit ihrem Engagement in Umweltstiftungen hat Maya Graf, Ständerätin der Grünen (BL), einen fundierten Blick auf den aktuellen Stand diverser Arbeiten. Sie nimmt im Stiftungsrat von Biovision, Pro Specie Rara und der Greina Stiftung-Einsitz.
Was sind die Chancen der Stiftungen und welche Verantwortung tragen sie im Umweltbereich?
Stiftungen leisten einen grossen Beitrag zur gesellschaftlichen Entwicklung in der Schweiz. Sie nehmen wichtige Anliegen auf, fördern und unterstützen gemeinnützige Initiativen und Projekte, gerade im Umweltbereich. Sie gehören zur Schweizer Kultur und zeigen auf, wie viele Menschen sich privat irgendwo engagieren. Das zeigt allein schon
ihre grosse Anzahl.
Woher kommt das?
Einerseits haben viele Menschen in der Schweiz viel Geld und möchten dies für einen guten Zweck einsetzen. Andererseits haben wir ein Milizsystem und ein sehr reges gesellschaftliches Leben. Das ist wirklich einmalig – gerade im Vergleich mit anderen Ländern.
Und wo kommt die Politik ins Spiel?
Politik umfasst für mich alles, was die Gesellschaft gestaltet, organisiert und weiterentwickelt: Sie setzt die Rahmenbedingungen für ein gutes Zusammenleben. Für heute und morgen. Im engeren Sinne sind die demokratisch gewählten Politikerinnen und Politiker für die Regeln und deren Vollzug zuständig – immer im Auftrag der Bevölkerung. Auch die Stiftungen haben im weiteren Sinne diese Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft und wollen zu ihrem Wohl beitragen. Stiftungen und Vereine haben in der Schweiz eine grosse Bedeutung. Ich denke, es gibt kein Land mit so vielen Vereinen. Mittels Vereinsleben eignen wir uns praktisches, demokratisches Wissen an. Jeder und jede Jugendliche lernt schon an der Mitgliederversammlung im Turnverein, wie man wählt und abstimmt und wie der demokratische Prozess abläuft. Bei Stiftungen ist es anders.
Weshalb?
Sie kontrollieren sich intern gewissermassen selbst und durch den Gesetzgeber mit der Stiftungsaufsicht bezüglich der Einhaltung des Zwecks. Der Stiftungsrat wählt neue Stiftungsräte und Stiftungsrätinnen selbst. Es gibt keine Mitgliederversammlung, die Anträge stellen kann, Wahlvorschläge macht oder eine Finanzkontrolle ausübt.
Das sehen Sie kritisch?
Stiftungen haben eine spezielle Stellung, weil sie nur dem Stiftungszweck verpflichtet sind. Doch ihre Aufgaben sind auch besonders. Ihr Handeln ist philanthropisch, der Gesellschaft verpflichtet. Aber es entscheidet eine Person oder eine Personengruppe. Da stellen sich künftig folgende Fragen: Wie können Stiftungen etwas demokratischer werden? Wie können sie die Transparenz erhöhen? Viele zeigen ihr Portfolio nicht eindeutig. Auch müssen sie bspw. ihre Jahresabschlüsse nicht offenlegen. Es geht um sehr viel Geld, welches in Stiftungen gebunden ist.
100 Milliarden Franken, steigend.
Genau. Deswegen nehmen sie eine wichtige Rolle ein und nahmen schon immer bedeutende Aufgaben wahr. Aufgrund des jeweiligen Stiftungszwecks haben sie auch die Möglichkeit, politische Anliegen zu unterstützen. Oder wie bei Pro Specie Rara: Dort setzen wir uns bspw. für die Erhaltung von alten Kulturpflanzen und Nutztierrassen ein, um diese genetische und historische Vielfalt für künftige Generationen zu sichern. Frei zugängliches, vielfältiges Saatgut ist die Grundlage unserer Ernährung. Diese Aufgabe ist für unsere Gesellschaft und für die Zukunft enorm wichtig. Der Staat kann sie nicht übernehmen.
Mit einer Motion stellt Ständerat Ruedi Noser das politische Engagement von steuerbefreiten Organisationen in Frage. Wie stehen Sie zu diesem Anliegen?
Wir müssen zeigen, wie wichtig gemeinnützige Organisationen sind, um die Schweiz und ihre nachhaltige Entwicklung vorwärtszubringen. Wir haben eine mächtige und auch eine reiche Wirtschaft. Sie kann auf beachtliche Mittel in einem Abstimmungskampf zurückgreifen. Es braucht ein Gleichgewicht. Diese gemeinnützigen Organisationen wollen sich für wichtige Anliegen der Gesellschaft und ihrer Zukunft einsetzen und stellen auch Geld zur Verfügung. Wo ist das Problem? Es ist doch erstaunlich und wenig demokratisch, wenn nun versucht wird, dies zu unterbinden.
Was erwarten Sie?
Wir dürfen uns nicht defensiv verhalten. Die Bevölkerung steht hinter den Stiftungen und Organisationen. Viele Menschen engagieren sich lieber direkt für die Sache in Stiftungen und NGO, als direkt in der Politik. Auch in den operativen Stiftungen gibt es oft Sektionen, die bis ins hinterste Schweizer Tal aktiv sind und die Menschen für ein Anliegen begeistern. Bei der Konzernverantwortungsinitiative waren die Regionalgruppen seit Jahren aktiv und haben bis zuletzt gekämpft. Diese knappe Abstimmungsniederlage war bitter für all diese ehrenamtlich engagierten Menschen vor Ort. Trotzdem ist es gut zu sehen, dass unsere Demokratie lebt.
«Das Lokale muss nachhaltig gestärkt werden.»
Maya Graf, Ständerätin BL
Nun stehen zwei Initiativen zur Abstimmung, die eine Abkehr von synthetischen Pestiziden fordern. Biovision hat klar Stellung bezogen.
Die Bevölkerung macht Druck mit diesen beiden Initiativen, damit sich die Politik bewegt und die Pestizidproblematik mit ihren Folgen auf Mensch, Tier und Umwelt endlich konsequent angegangen wird. Ebenso wichtig für unsere Zukunft, für unser Klima und für unsere Lebensgrundlagen ist ein Ja zum CO2-Gesetz am 13. Juni 2021. Wir müssen nun das Klimaabkommen von Paris schnellstmöglich mit griffigen Massnahmen umsetzen. Die Klimakrise wartet nicht, sie ist schon da und stellt uns und vor allem kommende Generationen vor riesige Herausforderungen. Auch hier gilt: auf allen Ebenen gemeinsam handeln.
Wie kam Ihr Engagement bei Biovision zustande?
Vor 20 Jahren, als ich ins Parlament kam, wurde ich auch Präsidentin der Schweizer Allianz Gentechfrei (SAG). Die Frage, wie gentechnisch veränderte Nutzpflanzen geregelt werden sollten, damit es keine Risiken für unsere Land- und Ernährungswirtschaft gibt, dominierte damals. Das Gentechnikgesetz wurde ausgearbeitet und wir verlangten ein Moratorium für die kommerzielle Freisetzung. Es gelang uns, mit der SAG eine erfolgreiche Allianz aufzubauen und das Gentechmoratorium zu gewinnen: gemeinsam mit allen Bauern‑, Konsumenten- und Entwicklungsorganisationen, mit Umweltverbänden sowie mit der Gentechfrei-Initiative. Das Moratorium hält bis heute an. An einer europäischen Gentechfrei-Konferenz lernte ich 2008 Hans Rudolf Herren kennen, den bekannten Insektenforscher, alternativen Nobelpreisträger und Gründer von Biovision. Er erzählte begeistert, wie er als Co-Autor soeben den umfassenden Weltagrarbericht der Uno und der Weltbank beendet und ihn erste Staaten unterzeichnet hätten. 400 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, vor allem aus den Südländern, nahmen eine Bestandesaufnahme der Weltlandwirtschaft vor und schlugen Massnahmen für eine agrarökologische Wende vor.
Was waren die Ergebnisse?
Der Bericht kam zum Schluss, dass die industrielle Landwirtschaft in eine Sackgasse führt. Sie wird den noch heute weltweit über 500 Millionen kleinbäuerlichen Betrieben in keiner Weise gerecht. Dabei produzierten diese 70 Prozent sämtlicher Nahrungsmittel. Im Norden produziert die industrielle Landwirtschaft Überschüsse und zerstört Boden und Umwelt. Der Bericht fordert eine ökologische Entwicklung in der Landwirtschaft und viel Innovation vor Ort. Das heisst, es braucht mehr Ausbildung, mehr Technik für die Bauernfamilien, die Stärkung der Stellung der Bäuerinnen, standortgerechtes, frei verfügbares Saatgut, Mischkulturen und den Einbezug des traditionellen Wissens. Das Lokale muss nachhaltig gestärkt werden. Hans Rudolf Herren hat mit Biovision, die er vor 30 Jahren gründete, diesen agrarökologischen Ansatz bereits erfolgreich praktiziert. Genau diesen Ansatz wollte ich in der Schweiz in unsere eigene Ernährungs- und Agrarpolitik einbringen. Mit parlamentarischen Vorstössen habe ich erreicht, dass die Schweiz diese Ansätze in ihre Agrarpolitik integriert. Und nun darf ich auch als Stiftungsrätin von Biovision an diesen Zielen weiterarbeiten.
Wie können sich Stiftungen in Politik und Gesellschaft einbringen?
Am Beispiel der Greina-Stiftung lässt sich gut zeigen, was eine Stiftung bewirken kann. Sie wurde 1986 gegründet und sie war und ist politisch sehr erfolgreich. Ihr Zweck ist der umfassende Schutz der Greina-Hochebene sowie der Erhalt von Naturlandschaften und alpinen Fliessgewässern. Vor allem der letzte Punkt ist unweigerlich mit der Energiepolitik verknüpft. Und mit der Frage, in welche erneuerbaren Energien wir wie weit investieren, damit die Umwelt keinen Schaden nimmt. Denn bspw. beim Ausbau der Wasserkraft soll es nicht auf Kosten der letzten Fliessgewässer oder Naturlandschaften geschehen. Wir dürfen diese Kostbarkeiten nicht zerstören. Deswegen müssen wir Alternativen aufzeigen. Genau dies tut die Greina-Stiftung mit der Förderung der Solarenergie und PlusEnergieBauten. Basierend auf ihrem Zweck ist sie eine wichtige Stiftung geworden. Sie hat geholfen, die Energiewende voranzutreiben.
Wie ist ihr das gelungen?
Vor allem mit hartnäckiger Lobbyarbeit, breiter Vernetzung und viel persönlichem Einsatz. Ihr Geschäftsführer, Gallus Cadonau, ist seit vielen Jahren eine Persönlichkeit im Bundeshaus. Kaum war ich als neue Nationalrätin angekommen, hat er mich auch schon für die Mitarbeit im Stiftungsrat angefragt. Gallus Cadonau hat ein unglaubliches Know-how und kennt im komplizierten Energiedschungel jedes Detail. Er zeigt auf, wie Stiftungen agieren können, um glaubhaft und nachhaltig auf die Politik einzuwirken.