In den vergangenen Monaten haben Medien negativ über verschiedene gemeinnützige Organisationen berichtet. In Ihrer Analyse stellen Sie aber fest, dass die Reputation der Hilfswerk-Branche insgesamt intakt ist. Weshalb leidet die Reputation der Branche nicht unter diesen negativen Berichten über zum Teil bedeutende Organisationen?
Tatsächlich verfügt die Branche der Hilfswerke und NPOs über eine intakte Reputation, d.h., sie verfügt über eine insgesamt leicht positive öffentliche Wahrnehmung, die über die Zeit zudem relativ wenig Volatilitäten aufweist. Die Krise beim SRK im Frühjahr 2023 – als Beispiel für eine jüngst stark in der Kritik stehende Organisation – beeinflusste diese Wahrnehmung zwar negativ, es fanden aber keine grösseren «Spillover-Effekte» auf die Hilfswerkbranche statt. Die Verfehlungen wurden als Handeln einer einzelnen Organisation und nicht als generelles Problem der Branche wahrgenommen.
Diese positive Einstellung der Branche gegenüber bleibt aber nur so lange bestehen, als grössere Hilfswerke nicht regelhaft öffentlichkeitswirksamen Skandalisierungen ausgesetzt sind. Dies zeigen die Reputationsdynamiken anderer Branchen. So wurde auch die lange Zeit intakte Reputation des Finanzplatzes Schweiz mit der Zeit durch die Skandale von grossen Akteuren wie Credit Suisse und UBS negativ überformt.
Was sind die wichtigsten Reputationstreiber für Hilfswerke?
Die Reputation der Hilfswerkbranche fusst auf einer intakten funktionalen Wahrnehmung, die vor allem im Einsatz für Menschenrechte ihre positive Wirkung entfaltet. Das heisst, die Branche wird als grundsätzlich kompetent gemäss ihrem zugrundeliegenden Organisationszweck wahrgenommen.
Die Verfehlungen wurden als Handeln einer einzelnen Organisation und nicht als generelles Problem der Branche wahrgenommen.
Daniel Künstle, Geschäftsinhaber commslab
Insgesamt ist die Vielfalt der Issues, welche die Hilfswerkbranche öffentlich sichtbar machen, aber gross. Nachhaltige Resonanz in der Öffentlichkeit generieren indes nur ausgewählte Themen. In der jüngeren Vergangenheit waren dies etwa die Humanitäre Hilfe in Afghanistan und das Frauenverbot für NGOs sowie die wieder anziehende Debatte über Mittelmeer-Flüchtlinge. Daneben waren auch die Ukraine-Hilfe, die Menschenrechtslage im Iran sowie die Erdbebenhilfe für die Türkei und Syrien zentrale Reputationstreiber.
Unterscheiden sich diese von anderen Branchen?
Thematisch bestehen natürlich grosse Unterschiede etwa zu wirtschaftlichen Unternehmen. Was die Wirkung der verschiedenen Reputationsdimensionen angeht, gelten indes die gleichen Mechanismen. Das heisst, die funktionale Reputation muss, wie eben beschrieben, intakt sein. Gleichzeitig gilt es, den sozialen Erwartungen zu entsprechen, also ein rechtlich und moralisch korrektes Verhalten an den Tag zu legen. Und schliesslich möchte man sich natürlich auch von seinen Mitbewerbern unterscheiden, also über ein attraktives und wiedererkennbares Profil verfügen.
Wenn es doch zu einem Reputationsverlust der Branche kommt: Wie kann sich eine einzelne Organisation schützen, um nicht darunter zu leiden?
Meine Empfehlung für einen wirkungsvollen Reputationsschutz mag zwar abgedroschen klingen, bleibt aber von zeitloser Gültigkeit: «Sagen, was man tut, und tun, was man sagt».
Hilfswerke stehen speziell im Fokus: Müssen sie besser sein, als andere Organisationen und Unternehmen? Ist ihre Reputation anfälliger?
Unter Reputation versteht man ja gemeinhin den Ruf, den eine Organisation oder auch eine Branche bei seinen zentralen Stakeholdern geniesst. Reputation ist deshalb folgerichtig ein Indikator für den Grad des Vertrauens, der einem Akteur von seinen Stakeholdern entgegengebracht wird.
Reputation ist also ein immaterieller Wert, der aber zentral zur Wertschöpfung einer Organisation beiträgt. Dies gilt nicht nur für den Wertschöpfungsprozess von klassischen wirtschaftlichen Unternehmen, sondern gleichermassen auch für NPO. Da Hilfswerke vor allem auf den gesellschaftlichen Goodwill angewiesen sind, ist eine intakte Reputation – noch stärker als bei anderen Branchen – unabdingbare Voraussetzung für den Handlungserfolg.
Eine regelmässige öffentliche Präsenz in den für die Branche zentralen Fragestellungen und Themen ist von immenser Bedeutung für eine langfristig intakte Reputation.
Daniel Künstle
So beeinflusst eine gute Reputation der Hilfswerke politische Entscheidfindungen in der gewünschten Weise und erhöht die Spendenbereitschaft in der Bevölkerung. Dagegen hat eine angeschlagene Reputation, insbesondere aufgrund eines rechtlich und moralisch fragwürdigen Verhaltens, negative Auswirkungen auf die Handlungsfähigkeit des betroffenen Hilfswerkes.
Wie wichtig ist es für eine stabile Reputation, dass eine Organisation oder eine Branche regelmässig mit relevanten Beiträgen präsent ist?
Eine regelmässige öffentliche Präsenz in den für die Branche zentralen Fragestellungen und Themen ist von immenser Bedeutung für eine langfristig intakte Reputation. Überlässt man dieses Feld nämlich zu lange in der Sache allenfalls unkundigen Dritten, darf man sich später nicht über den Verlust der eigenen Deutungsmacht beklagen.
Der Reputationsmonitor ist ein Kapitel im Spendenreport 2023.