Sie pflegen ein Angebot für alle Generationen. Ist das Herausforderung oder mehr Bereicherung?
Herausfordernd ist, dass wir es mit diversen Bedürfnissen, Zielgruppen und Direktionen zu tun haben, was das Ganze sehr komplex macht. Vielmehr ist es aber eine unserer grössten Privilegien und Stärken, da wir so die Interaktion und das Verständnis unter den Generationen fördern können. Und das in einer Zeit, in der sich die Einsamkeit der Menschen pandemisch zu verbreiten scheint. Ein Angebot für alle Generationen anzubieten, steckt in der DNA der Quellenhof-Stiftung, es entspricht der Vision des Gründers. Jetzt, nach 33 Jahren ist diese Vision weitgehend umgesetzt.
Ihr Gesamtangebot ist breit. Hilft dies, das passende Angebot für eine Person abzustimmen?
Absolut. Das ist die grosse Chance, damit ein passendes Angebot gemacht werden kann, das individuell auf die betroffene Person abgestimmt ist. Ich denke, dass dies jetzt und in Zukunft besonders wichtig sein wird, dass wir diesem Wunsch nach Individualität gerecht werden können und dennoch eine tiefe und heilsame Verbundenheit leben und anbieten können. Das klingt paradox, aber ich glaube, dass es wirklich beides braucht, Selbstbestimmung und Verbundenheit. Trotzdem gibt es immer wieder Menschen, denen wir kein Angebot unterbreiten können. Uns ist es wichtig, dass wir trotz diesem breiten Angebot nicht unter einer «Glasglocke» leben, sondern mit dem ganzen Netzwerk in unserer Region zusammenarbeiten, sei dies mit anderen Professionellen, aber auch mit Vereinen, Kirchgemeinden etc.
Das klingt paradox, aber ich glaube, dass es wirklich beides braucht, Selbstbestimmung und Verbundenheit.
Marcel Spiess, Co-Geschäftsführer Quellenhof-Stiftung
Aktuell herrscht ein Fachkräftemangel. Ist das für Sie ein Vorteil, weil Sie eher Aufträge erhalten oder haben auch Sie Mühe, Fachpersonen zu finden?
Auch wir spüren den Mangel an Fachpersonen. Der Mangel an Fachpersonen ist das eine, das andere ist der Mangel an resilienten und tragfähigen Persönlichkeiten. Neben der Fachlichkeit sehe ich die Persönlichkeit und den Charakter der Mitarbeitenden als elementar an. Letztendlich sind wir als Menschen das Werkzeug … es scheint eine Art «Berufung» zu sein, damit man für diese Arbeit bereit ist.
Unsere Zeit ist geprägt von zahlreichen Krisen. Wirkt sich diese Belastung auf die Nachfrage nach Ihrem Angebot aus?
Unsere niederschwelligen Angebote für junge Menschen im Wohnen und in der Bildung sind leider sehr ausgelastet bis überlastet. Im sozialpädagogischen Wohnen müssen wir eine Warteliste führen, was mich betroffen macht. Wir kommen in Kontakt mit sehr vielen verletzten Menschen und Familiensysteme, die dringend Hilfe brauchen. In dieser Zeit der Krisen sind wir gefordert, eine andere Sichtweise auf die Welt und unser Leben zu eröffnen. Eine Sicht, die Hoffnung, Freude und Zuversicht ermöglicht. Auch ist es Zeit, um in einen ehrlichen und verletzlichen Dialog zu treten, wie es uns wirklich geht und wir aus diesem Einzelkämpfertum aussteigen können.
Welche Rolle spielt der christliche Glaube für die Quellenhof-Stiftung?
Der christliche Glaube spielte bei der Gründung eine wesentliche Rolle. Ohne dies gäbe es die Stiftung heute vermutlich nicht, denn diese praktisch gelebte «Nächstenliebe» war der massgebliche Antreiber, dass diese Stiftung damals entstand. Bis heute ist es uns wichtig, dass wir den Glauben nicht auf eine dogmatische Art und Weise leben. In erster Linie ist der Glaube eine «gute Nachricht», was im Begriff «Evangelium» beschrieben ist. Alle unsere Mitarbeitenden sind im christlichen Glauben verankert, jedoch aus unterschiedlichsten Denominationen. Trotz dieser Ausgangslage ist es uns enorm wichtig, dass für unsere Klienten kein Druck entsteht und die Religionsfreiheit gewährleistet ist.
Wir leben in einer komplexen Welt, mit komplexen Fragestellungen. Hier ist eine grosse Ambiguitätstoleranz gefragt.
Marcel Spiess
In Ihrem Leitbild verweisen Sie auf den christlichen Glauben. Hilft dies, eine gemeinsame Wertebasis zu formulieren?
Das ist auf jeden Fall eine grosse, verbindende Kraft. Die gemeinsame Basis im Glauben und die gegenseitige Stärkung im Team gibt uns enorme Energie. In unseren Werten und Haltungen finden wir viele Gemeinsamkeiten. Trotz dem gemeinsamen Glauben sind Werte auszuhandeln und miteinander abzugleichen. Auch bei uns ist es ist ein Ringen um diese Einheit. Wir leben in einer komplexen Welt, mit komplexen Fragestellungen. Hier ist eine grosse Ambiguitätstoleranz gefragt.
Die Mitgliederzahlen der Kirchen nimmt ab. Spüren Sie die Abkehr?
Ich würde es als «Abkehr» von der «Institution Kirche» bezeichnen und eine «Hinwendung» zur persönlichen Spiritualität. Daher sehe ich dies eher als Chance, uns auf den Kern des Glaubens zu fokussieren. Die Kirche ist aus meiner Sicht kein Gebäude, sondern sie baut sich auf lebendige Menschen auf und ist quasi wie ein «Körper» aufgebaut. Alle Glieder brauchen sich gegenseitig und funktionieren nur gemeinsam. Gott ist somit nicht von der «Institution» Kirche abhängig. So wünsche ich mir, dass der Glaube sich in diversen, unterschiedlichsten Gemeinschaften ausdrucken kann.