Patrick Odier ist Senior Managing Partner der Privatbank Lombard Odier und Präsident der Unternehmensstiftung Fondation Lombard Odier. Als Vertreter der sechsten Generation steht er für die Tradition des 1796 gegründeten Hauses und die Werte der Familie.
Gehört das philanthropische Engagement zur Verantwortung, die ein Unternehmen gegenüber der Gesellschaft hat?
Philanthropisches Engagement und Verantwortung sind verbunden. Aber sie sollten nicht verwechselt werden. Unsere Bank muss ein Betriebsergebnis erzielen, das es ihr erlaubt, sich und ihre Dienstleistungen zu entwickeln. Sie hat ein Profitabilitätsziel. Als Unternehmen tragen wir die Verantwortung, Arbeitsplätze zu erhalten. Für den philanthropischen Bereich haben wir eine Berufung, die nicht unbedingt in einer finanziellen Rendite mündet. Wir ermöglichen die Umsetzung von Projekten, die sonst ohne den philanthropischen Beitrag oft nicht realisiert werden könnten.
Die Philanthropie gehört zu den Werten von Lombard Odier?
Sie gehört zu unserer DNA in dem Sinn, dass wir den Willen haben, uns einzubringen und einen Impact zu erzielen.
Das prägt das gesamte Unternehmen?
Als ein Unternehmen, das von seinen geschäftsführenden Gesellschaftern geleitet wird und sich vollständig in deren Besitz befindet, ist unser Haus stark am menschlichen Faktor orientiert. Die Verantwortung gegenüber unserer Gemeinschaft und dem Ökosystem, in dem wir uns bewegen, ist uns wichtig. Wahrscheinlich ist dies in einem privat gehaltenen, von den Gesellschaftern geführten Unternehmen stärker ausgeprägt als in einem, das an der Börse kotiert ist. Verantwortung gehört zu unserer Philosophie. Wir haben dies konkretisiert, indem wir unser Angebot beispielsweise im Bereich der nachhaltigen Finanzwirtschaft ausgebaut haben und ein B‑Corp-zertifiziertes Unternehmen geworden sind. Der philanthropische Gedanke zieht sich durch das ganze Unternehmen. Das ist wichtig für die Kundenberatung. Und unsere Philanthropie ist für die Mitarbeitenden von Bedeutung, damit sie sich ganz mit diesen Werten identifizieren können.
Wie schaffen Sie das?
Wir haben Instrumente entwickelt, die es uns erlauben, die Ressourcen des Unternehmens zu mobilisieren. Dadurch fühlen sich die Mitarbeitenden ermutigt, philanthropische Projekte zu fördern. Sie wissen, dass unser Unternehmen die Fähigkeiten und Mittel hat, diese umzusetzen.
Welche Bedeutung hat Ihre Familie?
In unserer wie in jeder Gründerfamilie gibt es verschiedene Schwerpunkte, die von der Geisteshaltung und oder der Kompetenz der jeweiligen Familienmitglieder abhängen. Gewisse sind sehr vom humanitären Engagement angetan, andere fokussieren sich auf die Wissenschaft oder sind im sozialen Bereich aktiv. Diese Schwerpunkte findet man in der ganzen Familie in allen Generationen. Jede hatte ihre eigenen Anliegen, geprägt vom eigenen Umfeld und der Sensibilität.
«Philanthropie
ist ein Zurück-
geben an die Gesellschaft.»
Patrick Odier
Was dominiert heute?
Wir haben bei der Fondation Lombard Odier ein zweijähriges Programm geschaffen, um zu helfen, den Kulturbereich durch die COVID-Pandemie zu bringen. Der Fokus liegt auf Kulturinstitutionen in der Schweiz, und zwar an Orten, an denen wir mit Geschäftsstellen der Gruppe präsent sind. Auch im Migrationsbereich sind wir aktiv. Hier waren die Herausforderungen schon immer da. Sie sind aber in letzter Zeit stark gewachsen. Neben der humanitären Hilfe betätigt sich unsere Unternehmensstiftung im Bildungsbereich. Wir können regelmässig Gutes tun und leben diese Werte. Wir ermutigen die Mitarbeitenden mit unserer Einstellung.
Ist dies in einem Familienunternehmen einfacher?
Ich denke ja. Wir sind vier Gründerfamilien. Wir haben eine erhöhte Sensibilität für unsere Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft. Natürlich ist es einfacher, dass wir direkt in der Verantwortung stehen. Wir sind Eigentümer und Management. Das ist sehr effektiv, um die Werte zu vermitteln.
Weil Sie diese verkörpern?
Ja. Bei uns stehen Partner oder Mitarbeitende am Ursprung. Sie haben die Möglichkeit, ein Projekt einzubringen. Ebenso haben wir eine Plattform, welche die Mitarbeitenden ermutigt, die Initiative zu ergreifen, und die den Austausch fördert. Ein gutes Beispiel für spontane Aktionen ist unser Engagement infolge Covid.
Was haben Sie gemacht?
Mit der Covid-19 Relief Initiative haben wir mit unserer Stiftung weltweit Projekte, bspw. von Médecins Sans Frontières in Südafrika, unterstützt. Oder mit der Fundación «La Caixa» in Spanien haben wir während der Schulschliessungen bedürftige Kinder mit Mahlzeiten versorgt. Wir haben uns auch engagiert, um Schutzmittel wie Masken zu verteilen. Herausfordernd war, diese überhaupt in einer Zeit zu beschaffen, als sie kaum verfügbar waren. Wir haben uns mit einer Gruppe Industrieller zusammengeschlossen. Wir konnten Masken über eine Stiftung, die in China aktiv ist, organisieren. Der Warenprüfkonzern SGS hat die Qualität für uns getestet und die Swiss hat uns ein Flugzeug für den Transport bereitgestellt. Das ist Unternehmensphilanthropie, von Menschen gemacht. Wir haben die Fähigkeiten, Gleichgesinnte zu ermutigen – und wir nutzen sie.
Und mit dem Corporate Walk of Hope mobilisieren Sie auch andere Unternehmen?
Die Fondation Lombard Odier hat das Projekt von Terre des Hommes Suisse mit einer Anschubfinanzierung und Inkubationssupport unterstützt. Das Projekt basiert auf dem seit drei Jahrzehnten bestehenden Walk of Hope. An diesem laufen Kinder in Genf, um Spenden für die Kinderrechte zu sammeln. Die Covid-19-Krise unterbrach diese Tradition und versetzte den Ressourcen von Terres des Hommes einen schweren Schlag. 2021 wurde der Corporate Walk of Hope lanciert. Mitarbeitende lassen sich von ihren Unternehmen für diesen Zweck sponsern.
Arbeiten Sie oft im Netzwerk?
Wir arbeiten mit einem Netz von Stiftungen. Wir wollen das Rad nicht neu erfinden. Bei gewissen Themen sind wir nicht die Experten. Für diese ziehen wir die Spezialisten bei.
Was ist der Vorteil einer eigenen Stiftung?
Manchmal reicht es nicht, einfach Geld zu spenden. Wir pflegen eine langjährige Beziehung zum Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) und sind Gründungsmitglied von dessen Corporate Support Group. Bei einem Austausch mit dem IKRK-Präsidenten haben wir gemeinsam überlegt, wie wir unser Finanz-Know-how mit den Kenntnissen in humanitärer Hilfe des IKRK verbinden können. Das Ergebnis war ein neues Finanzinstrument, das Programm für humanitäre Wirkungsinvestition (PHII), auch bekannt als «Humanitarian Impact Bond». Es ermöglicht aktuellen Generationden Bau und den Betrieb von Zentren zur physischen Rehabilitation in der Demokratischen Republik Kongo, in Nigeria und Mali. Die Fondation Lombard Odier übernahm die Anschubfinanzierung und den Inkubationssupport für das Projekt. Private Investoren finanzierten es. Solch innovative Finanzierungslösungen wollen wir weiter vorantreiben. So wollen wir neue Mittel für humanitäre oder Gesundheitsprojekte generieren.
Macht es Ihre Arbeit einfacher, dass in Genf so viele Organisationen vertreten sind?
Sicher. Man kennt sich. Wir können mit dem Tram innerhalb von zehn Minuten direkt zu den internationalen Organisationen vor Ort fahren. Dieses Schweizer Konzept des internationalen Genf, also die Internationalität der humanitären Sache und des multilateralen Dialogs, ist sehr wichtig, um in diesem Bereich wirksam sein zu können. Diese Konzentration hilft enorm.
Deswegen ist Genf auch als Standort für Stiftungen von Bedeutung?
Nicht nur die grosse Anzahl dieser Organisationen, sondern auch deren Qualität ist entscheidend. Für ganz viele Anliegen hat es Expertinnen und Experten in Genf. Das ist aussergewöhnlich. Es gibt wenig Themen, die wir hier nicht abhandeln können.
Sie unterstützen auch das Centre for Philanthropy der Universität Genf.
Ja, mit Stolz und Begeisterung.
Weshalb engagieren Sie sich in der Philanthropie-forschung?
Wir sind mit unserer Stiftung Gründungspartner. Schon immer waren wir der Meinung, dass die wissenschaftliche Forschung gerade im Finanzbereich hilfreich ist. Sie bietet die notwendige wissenschaftliche Akkreditierung, die auch im philanthropischen Bereich, bei Investitionen mit sozialer Wirkung oder im Bereich der nachhaltigen Finanzen hilfreich ist. Im Bereich der Philanthropie stellen sich viele Fragen: Wie vergibt man beispielsweise effizient und sicher Mittel an Projekte, die sehr komplex sind? Die Beantwortung dieser Frage verlangt nach Instrumenten, die in der Praxis allein – ohne Input durch angewandte und theoretische Forschung – nicht entwickelt werden können. Es gibt auch keine einheitliche richtige Governance für eine philanthropische Organisation. Es existieren verschiedene Modelle. Diese zu erforschen, zu entwickeln und auszutesten, Schritt für Schritt, das ist die Aufgabe der Forschung. Und dann ist da beispielsweise noch die Frage der Steuerbefreiung.
Das heisst?
In Amerika ist das ein Thema mit sehr grosser Hebelwirkung. In anderen Regionen weniger. In gewissen Milieus wird die Steuerbefreiung in Frage gestellt. Die Überlegung dahinter lautet, dass nur jene, die viel besitzen, spenden würden. Für diese gebe es keinen Grund, ihnen Abzugsfähigkeit der Spenden von ihrem zu versteuernden Einkommen zu gewähren. Das sind Gedanken zwischen Philosophie und Wissenschaft, zwischen finanziellen und steuerlichen Argumenten. Eine neutrale, kompetente Stelle sollte diese Überlegungen erforschen. Das kann das Centre leisten. Aber natürlich darf man das Thema nicht «überintellektualisieren».
Ist die Rolle der Philanthropie umstritten?
Es ist wichtig, über die Rolle der Philanthropie zu debattieren. Philanthropie ist notwendig. Nur weil es vermeintlich eine Minderheit ist, die spenden kann, heisst das nicht, dass man sich vor ihr fürchten muss. Im Gegenteil. Ich denke, fast alle haben die Mittel, um Philanthropin oder Philanthrop zu sein. Es ist nicht nur eine Frage des Geldes. Oft zählen die Kompetenzen. Viele Medizinerinnen und Mediziner setzen sich mit ihren Kompetenzen in Katastrophengebieten ein, ohne sich dafür bezahlen zu lassen. Man kann Menschen für eine gute Sache mobilisieren. Philanthropie ist ein Zurückgeben an die Gesellschaft von Zeit, Energie, Kompetenz oder Geld. Aber diese Diskussion muss geführt werden. In welchem Verhältnis stehen Philanthropie und Staat? Sie sollten nicht getrennt, sondern zusammen betrachtet werden – und dabei sollte vielleicht auch die Rolle der nachhaltigen Finanzen mit einbezogen werden.
Wie sehen Sie die Entwicklung des Sektors? Sehen Sie durch eine neue Generation eine Verschiebung bei den Werten und Schwerpunkten?
Nein. Die gesellschaftliche Sensibilität hat sich sehr wohl entwickelt. Aber ich sehe dies nicht als Frage der Generationen. Es gibt Themen, die in einer Generation von besonderer Bedeutung sind, insbesondere beispielsweise der Klimaschutz und die Ressourcenverschwendung. Bei der kommenden Generation haben sie grosses Gewicht. Aber sie sind auch in der aktuellen Generation vorhanden. Ich sehe weniger eine Spaltung zwischen den Generationen in diesem Thema. Vielleicht gibt es sie eher im Bereich der Kultur oder der Technologie.
Wie entwickelt sich die Rolle der Unternehmen in der Philanthropie?
Unternehmen werden eine bedeutendere Rolle einnehmen. Es ist eine Form des Teilens von wirtschaftlichem Erfolg. Und sie werden dies zunehmend mit dafür angepassten Werkzeugen machen. Dies wird zu einem Ausgleich führen. So wird eine Ausgewogenheit zwischen dem Modell der rein wirtschaftlich profitablen Ausrichtung und einem Modell, das wirtschaftliche und soziale Aspekte berücksichtigt, geschaffen. Wir befinden uns mitten in diesem Übergang. Auch Unternehmen, die kurzfristig auf einen Teil ihrer Marge verzichten, um nachhaltigere Prozesse umzusetzen, tragen damit zu einer Umverteilung der Ressourcen bei, die ihnen langfristig zugutekommt. Das erachte ich als sehr wünschenswert. Und auch die Philanthropie wird sich in diese Richtung entwickeln. Tätigkeitsfelder werden bleiben, die nicht investierbar sind, weil sie schwierig anzusprechen sind oder zu spezifisch, auch wenn sie interessant sein mögen. Diese Anliegen bleiben für das philanthropische Engagement. Eine Herausforderung wird sein, wie dieses Engagement effizient verwaltet werden kann. Es gibt viele Stiftungen, die sich bspw. der Krebsforschung widmen. Aber wie lassen sich diese Ressourcen besser bündeln?
«Manchmal reicht es nicht, einfach Geld zu spenden.»
Patrick Odier
Gewinnen Kooperationen an Bedeutung?
Ja. Aber man darf auch nicht überorganisieren. Man muss pragmatisch, effizient und agil bleiben. Nicht zu viel in die Organisation investieren, sondern so, dass alle von den Informationen profitieren.
Neue Bewegungen aus der Zivilgesellschaft setzen sich für ihre Anliegen ein. Mit
dem Crowdfunding gibt es neue Finanzierungsmodelle. Entsteht der traditionellen Philanthropie eine Konkurrenz?
Von Konkurrenz zu sprechen, wenn es um das Spenden für die gute Sache geht, ist ein schlechter Start. Vielmehr muss man diese anspornen. Gutes tun kennt keine Grenzen. Was zählt ist, wie gut wir Gutes tun. Für verschiedene Kreise sind andere Modelle besser adaptiert. Diese sollte man nicht gegenüberstellen. Es gibt keine schlechten Beispiele der philanthropischen Grosszügigkeit. Aber die Professionalisierung muss gefördert werden. Es braucht Standards. Gleichzeitig gilt es, die Spontaneität dieser Bewegungen zu bewahren. Sie ist die Kraft für ganz viele Dinge. Sie hat vieles realisiert, das sonst nie möglich gewesen wäre. Ich habe schon mit meinen Kindern ein Crowdsourcing für ein kleines Infrastrukturprojekt der öffentlichen Gesundheit lanciert. Die Möglichkeit, dass die Informationen zu einem Projekt an eine grosse Öffentlichkeit kommuniziert werden können, ist ein grosser Vorteil. Wir haben eine Verantwortung, diese neuen Technologien zu nutzen. Wir müssen diese fördern. Auch bei uns intern. Auch karitative Organisationen brauchen diese Kompetenzen, damit sie selbst den Reflex haben, diese zu nutzen.