Bild: Mark Fletcher-Brown, unsplash

Was für eine Föde­r­stif­tung sollen wir sein?

Die Rollensuche von Stiftungen am Beispiel der Kresge Foundation.

Die Arbeit einer Förder­stif­tung war 1990 noch ziem­lich klar: Da haben wir unsere Mittel, dort ist unser Stif­tungs­zweck. Nun suchen wir jene Orga­ni­sa­tio­nen, die dieses Ziel für uns errei­chen können und unter­stüt­zen sie finan­zi­ell, so dass sie das auch tun können. Man sprach vom Förderdreieck:

Doch schon die Frage nach der zeit­li­chen Länge der Unter­stüt­zung zeigt die Proble­ma­tik dieser Förde­rung auf, denn die meis­ten Probleme lassen sich mit einem Projekt über zwei bis drei Jahre nicht lösen. Doch kaum eine Stif­tung wollte sich lange binden. Ein Dilemma, das unge­löst blieb.

Zwischen 2000 und 2010 ging eine weitere Ernüch­te­rung durch die Förder­land­schaft, denn die breite Förde­rung, die man damals betrieb, ermög­lichte vieles, doch kaum ein Ange­bot blieb lang­fris­tig bestehen. Eine «Projek­ti­tis» griff um sich, die alle Seiten unzu­frie­den zurück­liess. Die erste Reak­tion war nun, dass die Förder­stif­tun­gen ihren allge­mei­nen Zweck noch einmal präzi­sier­ten. «Förder­schwer­punkte» wurden geschaf­fen, die die Mittel­ver­gabe auf ein klar umgrenz­tes Teil­thema fokus­sier­ten, in der Hoff­nung, nun in einem klar abge­steck­ten gesell­schaft­li­chen Bereich mehr zu bewe­gen. Hatte es im engen Förder­be­reich zu wenig Projekte, moti­vierte man NPO gezielt, in diesem Förder­be­reich Projekte zu entwickeln.

Von dort war es nur noch ein klei­ner Schritt zu dem, was nun immer stär­ker die Förder­tä­tig­keit als nach­hal­tige Idee prägt: Syste­mi­sche Förde­rung. Doch so sehr ein syste­mi­scher Ansatz in einer Welt mit viel­sei­ti­gen Zusam­men­hän­gen einleuch­tet, so hat es für das Selbst­ver­ständ­nis der Förder­or­ga­ni­sa­tio­nen weit­rei­chende Folgen, denn die tradi­tio­nelle Rolle als reine*r Mittelgeber*in wird diesem Ansatz nicht gerecht.

Neue Rollen für Stiftungen

Ging es bei der Ausar­bei­tung einer Förder­stra­te­gie ursprüng­lich um die Defi­ni­tion der Förder­the­men, so kann dies heute nicht mehr die erste Frage sein, die sich eine Stif­tung stellt. Die Stra­te­gie­ar­beit beginnt mit der Frage, welche Rollen der Förde­rer in einem bestimm­ten Themen­be­reich einneh­men will. In der Publi­ka­tion «Advo­ca­cy­ar­beit von Förder­stif­tun­gen und NPO» (2022) wird dies sehr schön an den verschie­de­nen Rollen der Jacobs Foun­da­tion darge­stellt, die erst Forschung initi­ierte, dann opera­tive Projekte umsetzte, als Vernet­ze­rin auftrat, um schluss­end­lich auch eine Rolle als Infor­ma­ti­ons­zen­trum und Initi­an­tin poli­ti­scher Entwick­lun­gen zu spielen.

Wir möch­ten hier aber ein ande­res Beispiel zeigen, in dem eine moderne Förder­stif­tung über die Jahre immer neue Rollen spielt, weil sie sich syste­misch einem Thema ange­nom­men hat: die ameri­ka­ni­sche Kresge Foun­da­tion.

Wir sind zum ersten Mal etwa 2015 auf ihre Arbeit gestos­sen, als wir den Bereich Phil­an­thro­pie und Urba­nis­mus erforscht haben. Die Kresge Foun­da­tion hatte sich zum Ziel gesetzt, für Detroit – der einst reichs­ten Stadt der USA mit ihren Auto­kon­zer­nen, die inner­halb von 20 Jahren verarmt war – neue Perspek­ti­ven zu schaf­fen. Die Stif­tung begann damit, Nach­bar­schafts­pro­jekte in der teil­weise menschen­lee­ren Stadt mit Finan­zen zu unter­stüt­zen. Doch schnell wurde klar, dass sie die Bewoh­ner und ihr Leben in der leeren Stadt nicht isoliert betrach­ten konnte. Poli­tik und Wirt­schaft waren entschei­dende Fakto­ren, und so wech­selte die Stif­tung vom Finan­zie­ren zum Vermitt­ler und zum Orga­ni­sa­tor runder Tische. Doch dort begann es nur. Rolle um Rolle kam hinzu, so dass die Kresge Foun­da­tion in einem Bericht zu ihrer Arbeit im städ­ti­schen Umfeld zehn Rollen aufzeich­nete, die sie mit ihrer Stif­tung aktiv und bewusst spie­len, ja spie­len müssen, wenn sie im urba­nen Umfeld etwas bewe­gen wollen.

Hier ihre Rollen in der Reihen­folge, wie die Kresge Foun­da­tion sie heute beschreibt:

1. Orga­ni­sa­torEine zuver­läs­sige Einbe­ru­fung von Inter­es­sen­ver­tre­tern ist eine entschei­dende Rolle bei der Gestal­tung und Stär­kung von Syste­men. Wir als Förder­stif­tung, die enge Bezie­hun­gen zu einem Ort haben, können als vertrau­ens­wür­dige und neutrale Vermitt­ler fungie­ren und die rele­van­ten Stake­hol­der an den Tisch holen.
2. Entwick­le­rin von FähigkeitenDas Förder‑, Fund­rai­sing- und Wissens­aus­tausch-Know-How unse­rer Stif­tung soll genutzt werden, um Kompe­ten­zen bei den betei­lig­ten Orga­ni­sa­tio­nen zu schaf­fen. Es können auch Part­ner­schaf­ten oder Insti­tu­tio­nen unter­stützt oder Perso­nal zur Verfü­gung gestellt werden.
3. Bezie­hungs­ver­mitt­lerDurch die aktive Verknüp­fung von Akteu­ren aus dem gesam­ten System­um­feld können wir als Förder­stif­tung Lücken im Ökosys­tem schliessen.
4. Daten­lie­fe­ran­tinGemein­schaft benö­tigt für die lang­fris­tige Entwick­lungs­ar­beit solide Infor­ma­tio­nen, um effek­tiv zu funk­tio­nie­ren. Durch die Finan­zie­rung der Samm­lung, Analyse und Verb­grei­tung von Daten wollen wir hier­für die Basis schaffen.
5. Inves­to­rinMit Stif­tungs­gel­dern können gesell­schaft­lich wert­volle Inves­ti­tio­nen getä­tigt und damit einem brei­te­ren Markt soziale Glaub­wür­dig­keit und finan­zi­elle Trag­fä­hig­keit signa­li­siert werden. (Anm. Die Kresge‑F. hat 2021 110 Millio­nen Dollar in Detroit umge­setzt. Im Ganzen hat sie Programme mit 336 Millione Dollar gefördert.)
6. Deal-MakerWir als Förder­stif­tung leis­ten Hilfe bei der Struk­tu­rie­rung inno­va­ti­ver Inves­ti­ti­ons­pro­dukte, die spezi­fi­schen sozia­len Bedürf­nis­sen dienen.
7. Akti­ver KommunikatorDurch die Darstel­lung von Erfolgs­ge­schich­ten können wir ein brei­te­res Spek­trum von Unter­stüt­zern, Finanz­ge­bern, Entschei­dungs­trä­gern und Befür­wor­tern ansprechen.
8. Ermög­li­che­rin poli­ti­scher ArbeitWir finan­zie­ren die Inter­es­sen­ver­tre­tungs­ar­beit von gemein­nüt­zi­gen Orga­ni­sa­tio­nen in Berei­chen von beson­de­rem Interesse.
9. Verwal­ter der MissionWenn soziale Inves­ti­tio­nen auf unver­meid­li­che Hinder­nisse stos­sen, können wir als Förder­stif­tung lang­fris­tig denken und die Inter­es­sen von unter­ver­sorg­ten Bevöl­ke­rungs­grup­pen und Gemein­schaf­ten vertreten.
10. System­ar­chi­tek­tinIn der Regel enga­giert sich eine infor­melle Ansamm­lung von Akteu­ren. Keiner fühlt sich für das reibungs­lose Funk­tio­nie­ren des Systems als Ganzes verant­wort­lich. Wir betrach­ten das System ganz­heit­lich und instal­lie­ren Gefässe, die seine Funk­ti­ons­weise verbessern.
Quelle: What Can Foun­da­ti­ons Do to Foster Commu­nity Invest­ment? 10 Roles for Phil­an­thropy, Kresge Foun­da­tion 202

Aus den Notwen­dig­kei­ten einer konkre­ten Problem­stel­lung hat die Kresge Foun­da­tion ein ganz neues Selbst­ver­ständ­nis als Akteur im System entwi­ckelt, der nicht nur Gelder bereit­stellt, sondern viel­fäl­tige Rollen einnimmt. Als Förder­stif­tung ist sie dazu präde­sti­niert, da der Verdacht eines finan­zi­el­len Eigen­in­ter­es­ses von vorn­her­ein ausge­schlos­sen werden kann. Dies schafft Vertrauen in alle Rich­tun­gen und bringt Chan­cen für das ganze System.

Auch die finan­zi­elle Förder­macht der Stif­tung ist inter­es­sant, weil sie damit die Akteure an den Tisch bringt, die alle sich die Chance einer Zusam­men­ar­beit und Unter­stüt­zung durch die Stif­tung nicht verge­ben wollen.

Anti­zi­pie­ren von Rollen

Die Analyse der Rollen­ent­wick­lung von Förder­stif­tun­gen, wie dies nun die Jacobs Foun­da­tion in Zürich, Kresge in Detroit oder andere, die eben­falls neue Rollen auspro­bie­ren, zeigt klar, dass sich diese Rollen logisch aus den Anfor­de­run­gen der Arbeit erge­ben. Die Heraus­for­de­run­gen liegen offen da; Förder­stif­tun­gen können sich nur entschei­den, ob sie sie erfül­len wollen oder bei ihrer tradi­tio­nel­len Rolle als Mittelgeber*in bleiben.

Wich­tig aus theo­re­ti­scher Sicht ist die Erkennt­nis, dass sich neue Rollen logisch aus dem voraus­ge­hen­den Rollen entwi­ckeln. Dies bedeu­tet auch, dass sich kommende Rollen-Notwen­dig­kei­ten aus der aktu­el­len Arbeit ablei­ten lassen, die Rollen-Entwick­lung der kommen­den Jahre sich also voraus­sa­gen lässt. Dies gibt der Förder­stif­tung die Zeit, sich auch fach­lich auf die neue Aufgabe vorzu­be­rei­ten und die dazu nöti­gen Mittel einzuplanen.

Hier einige Beispiele anti­zi­pier­ba­rer Rollenentwicklungen:

Heutige RollenMittel­fris­tigLang­fris­tig
Förde­rer für inno­va­tive Projekte in einem gesell­schaft­lich neuen ProblemfeldBei erfolg­rei­cher Inno­va­tion:
- Kommu­ni­ka­tor des Erfolgs
- Fürspre­cher für die Problem­stel­lung

Bei Miss­erfolg der Inver­ven­tion:
- Auswer­ter und Kommu­ni­ka­tor der Erkennt­nisse aus dem Scheitern
- Teil­fi­nan­zie­rer der Multi­pli­ka­tion
- Türöff­ner zu ande­ren rele­van­ten Förde­rern
- Agenda-Setter für die Akzep­tanz des gesell­schaft­li­chen Problemfeldes
Syste­mi­scher Förder­an­satz in einem ganzen Themengebiet- Orga­ni­sa­tor des Austauschs zwischen Akteu­ren
- Akteur in Verhand­lun­gen mit unter­schied­li­chen Akteu­ren
- Fürspre­cher für den syste­mi­schen Ansatz
- Archi­tekt der Zusam­men­ar­beit im System
- Absi­che­rer von Ange­bo­ten, die wich­tig sind, aber noch nicht gesi­chert werden können
Forschungs­för­de­rung- Förde­rung der Publi­ka­tion
- Kommunikator/Advokat der Erkennt­nisse
- Wissens­samm­ler und Verwal­ter
- Umset­zungs-Förde­rer der Erkennt­nisse, wenn dies nicht jemand ande­rer leistet
- Orga­ni­sa­tor der Vernet­zung mögli­cher Umset­zer
- Multi­pli­ka­tor des Lösungs­an­sat­zes (falls er sich bewährt)
- Daten­lie­fe­rant

Erkennt­nis 1

Förder­stif­tung sollen sich heute bei der Wahl bestimm­ter Förder­stra­te­gien bewusst sein, welche Rollen in ein paar Jahren auf sie zukom­men werden. Sie sind keine Über­ra­schung, sondern die logi­sche Fort­set­zung eines enga­gier­ten Vorge­hens. Berei­ten sie sich auf Ebene Stif­tungs­rat und im opera­ti­ven Team fachlich/inhaltlich auf die bevor­ste­hen­den Rollen vor bspw. mit geziel­ter Weiter­bil­dung auf stra­te­gi­scher und opera­ti­ver Ebene oder der entspre­chen­den Personalwahl.

Erkennt­nis 2

Die Rolle einer Förder­stif­tung ist nichts Stabi­les oder Fixier­tes, sondern sollte sich entwi­ckeln dürfen je nach dem, was für die Errei­chung der Wirkungs­ziele der Stif­tung notwen­dig ist. Dies braucht eine agile Kultur, die nicht auf die Bewah­rung des Bishe­ri­gen ausge­rich­tet ist. 4‑Jah­res-Pläne sind mögli­cher­weise schon zu starr.

Inter­es­sante Literatur 

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