Als Meeresschutzorganisatison setzen Sie sich auch für die Gesundheit der Menschen ein und führen eine Kampagne zur Reduktion des Plastikverbrauchs in der Schweiz. Wo ist der Bezug zum Ozean?
Fabienne McLellan: Die Schweiz ist als «Wasserschloss Europas» über Rhone, Rhein und andere Flüsse mit dem Meer verbunden. So gelangen aus dem Binnenland Schweiz jedes Jahr rund 20 Tonnen Mikroplastik in die Meere.
Littering in der Schweiz verschmutzt die Meere?
Der Wasserkreislauf verbindet uns alle mit dem Meer. Wir setzen uns daher für ein globales verbindliches Plastikabkommen auf UNO-Ebene ein, denn die Plastikverschmutzung ist ein grenzüberschreitendes Problem. Gleichzeitig engagieren wir uns aber auch für eine Verbesserung im eigenen Land. Denn auch die Schweiz hat einen «Plastik-Fussabdruck» – was den Plastikverbrauch angeht, im weltweiten Vergleich sogar einen der grössten.
Wo sehen Sie Handlungsmöglichkeiten?
Plastik ist eigentlich ein geniales und vielfältig einsetzbares Material. Aber es ist viel zu billig. Viele Einwegverpackungen werden aus Kunststoffen hergestellt. Ein Plastiksack wird durchschnittlich nach nur 20 Minuten zu Müll. Wir stellen also Wegwerfprodukte aus Rohöl und Erdgas her, aus nicht erneuerbaren Ressourcen, die kaum abbaubar sind. Das ist absurd. Der Preis bezahlt die Natur und letztendlich auch wir mit unserer Gesundheit. Problematisch sind nämlich auch die chemischen Zusatzstoffe wie Weichmacher oder Flammschutzmittel, die bei der Herstellung von Kunststoffen verwendet werden.
Über unseren Fischkonsum landen Plastik und Schadstoffe wieder auf unseren Tellern.
Fabienne McLellan, Geschäftsführerin OceanCare
Weshalb ist Plastik gefährlich?
In der Herstellung von Lebensmittelverpackungen werden bis zu 12’000 Chemikalien verwendet. Davon gelten rund 600 als gesundheitsgefährdend, andere als umweltschädlich. Diese chemischen Zusatzstoffe können aus der Verpackung in die Lebensmittel gelangen. Das ist bedenklich. In gewissen Mengen sind sie nervenschädigend, beeinflussen das Hormonsystem des Menschen und bringen unseren Stoffwechsel durcheinander. Auch für die Verschmutzung der Meere ist das problematisch. Für Meerestiere werden bspw. Fischernetze aus Nylon zur tödlichen Falle oder grössere Kunststoffe verstopfen ihren Verdauungstrakt. Plastikabfälle im Wasser zerfallen ausserdem in immer kleinere Teile, sogenanntes Mikroplastik, und werden von den Meereslebewesen aufgenommen, bspw. von filtrierenden Meeressäugern wie Bartenwale oder auch von Muscheln oder Fischen.
Sie sehen also eine doppelte Gefährdung für die menschliche Gesundheit. Einerseits direkt über Verpackungen von Lebensmitteln, andererseits über den Nahrungsmittelkreislauf?
Genau. Es gibt eine Gefahr, die von Lebensmitteln ausgeht, die in Plastik verpackt sind. Auch für das Leben im Meer ist dies belastend. Plastikabfälle zerfallen in immer kleinere Teile und auch die chemischen Zusatzstoffe gelangen ins Wasser. Beides wird von Meerestieren aufgenommen. Über unseren Fischkonsum landen Plastik und Schadstoffe wieder auf unseren Tellern. Solche Zusammenhänge zeigen wir in unserer Arbeit auf.
Wie machen Sie das beim Thema Plastik?
Um tragfähige Lösungen zu finden, um das Problem an der Wurzel zu packen und nicht nur die Symptome zu bekämpfen, betrachten wir den ganzen Lebenszyklus, von der Gewinnung von Erdöl und ‑gas als Rohmaterial bis zur Entsorgung. Die Suche nach dem Rohstoff verursacht bspw. Lärm unter Wasser. Dieser ist für uns Menschen nicht hörbar, aber für das Leben im Meer sehr belastend oder gar tödlich. Der Plastikmüll in den Meeren bedroht nicht nur mehr als 800 Tierarten. Er verursacht auch immense Kosten. Allein die Tourismus-Industrie muss jährlich hunderte Millionen Dollar aufwenden, um Plastikmüll zu entfernen. Dazu kommen Umwelt- und Gesundheitskosten, die allerdings schwer zu beziffern sind.
Deswegen zeigen Sie, dass das Plastik auch hier in der Schweiz ein Problem ist?
Mit einem jährlichen Verbrauch von 127 Kilogramm pro Kopf gehört die Schweiz zu den unrühmlichen Spitzenreiterinnen in Sachen Plastik. Im vergangenen Jahr haben wir mit gfs in Bern eine Umfrage durchgeführt. Sie hat gezeigt, dass sich die Menschen in der Schweiz des weltweiten Plastik-Problems bewusst sind. Die Mehrheit wünscht sich sogar rechtliche Massnahmen. Vielen Menschen ist aber nicht bewusst, dass nicht nur die Meere, sondern auch unsere Gewässer und Böden durch Plastik verschmutzt sind. Die Schweizer Regierung weiss: Plastik-Abfall ist gesundheitsgefährdend. Dennoch will der Bundesrat bislang nicht handeln, obwohl die Gesetze zur Reduktion von Einwegplastik da sind.
Das heisst?
Wir haben festgestellt, dass die Schweizer Regierung bei diesem Thema im Vergleich zur EU wenig ambitioniert ist. Ein Bundesamt für Umwelt (BAFU)-Bericht im vergangenen Herbst anerkennt zwar das Plastikproblem und die damit verbundene Gesundheitsgefährdung. Nur ist die Schlussfolgerung, dass es weiterhin keine verbindlichen gesetzlichen Vorgaben in der Schweiz brauche. Die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage zeigen aber, dass die Mehrheit in der Schweiz eine rechtlich verbindliche Regelung wünscht. In dem der Bundesrat bisher bei der Regulierung von Einwegplastik bremst, entspricht er nicht dem Willen des Volkes.
In dem der Bundesrat bisher bei der Regulierung von Einwegplastik bremst, entspricht er nicht dem Willen des Volkes.
Fabienne McLellan, Geschäftsführerin OceanCare
Sie zeigen die Vielschichtigkeit der Fragestellung. Wie arbeiten Sie mit anderen Organisationen zusammen?
Wir sind eine kleine und agile Organisation, die auf Advocacy Arbeit spezialisiert ist. Bei all unseren politischen Forderungen setzen wir auf Fakten und wissenschaftliche Erkenntnisse. Das Nutzen von Synergien, um Kräfte zu bündeln, liegt in unserer DNA. Deswegen nutzen wir beim Thema Plastik und Gesundheit bspw. die wissenschaftlichen Erkenntnisse des Food Packaging Forums. Die Stiftung aus Zürich gilt weltweit als Topexpertin in Sachen Lebensmittelverpackung und Gesundheitsgefährdung.
Ist der Fokus auf Plastik gerechtfertigt oder gibt es noch grössere Gefahren für das Meer?
Wir befinden uns in drei planetarischen Krisen: die Klimakrise, der Verlust der biologischen Vielfalt und Umweltverschmutzung. Das hat auch das UNO-Umweltprogramm in Nairobi anerkannt. Natürlich hat der Klimawandel noch eine ganz andere Dimension. Er bedroht das ganze Ökosystem Meer und damit unser Lebenserhaltungsgrundlage. Zusätzlich sehen wir uns mit einer Biodiversitätskrise konfrontiert. Wir verlieren Arten, die wir noch gar nicht erforscht haben. Es ist die Summe der Gefahren, welche die Situation zusätzlich verschärft.
Können wir das Steuer noch herumreissen?
Ich bin eine Optimistin. Es ist zum Beispiel äusserst positiv, dass die Schweiz international sehr engagiert ist und sich für ein effektives Plastikabkommen einsetzt, das Plastikverschmutzung entlang des gesamten Lebenszyklus reguliert. Dieses Momentum muss nun auch auf die Schweiz überschwappen, damit die Schweiz in Sachen Einwegplastik vom Schlusslicht zum Champion wird. Eine einwegplastikfreie Zukunft ist unser Ziel. Auf dem Weg dorthin braucht es alle: die Regierung, die Wissenschaft, die Privatwirtschaft, Gönnerinnen, NGOs und jeden/Einzelnen.