Die Direktion Gesellschaft & Kultur des Migros-Genossenschafts-Bundes MGB erweitert seine Förderung Soziales: Was gab den Anlass, die Förderung auszubauen?
Es handelt sich nicht um einen Ausbau unseres Förderprogramms. Wir überprüfen regelmässig unsere Förderstrategie hinsichtlich verschiedener Kriterien: Ist unsere Förderung noch zeitgemäss? Wie hat sich die Förderlandschaft verändert? Wo ist der gesellschaftliche Bedarf und wo können wir Lücken schliessen?
Handelt es sich um eine Umverteilung der Mittel oder eine Aufstockung des Budgets?
Es handelt sich um eine Umverteilung der Mittel. Um in etwas Neues zu investieren, mussten wir jedoch zuerst Bestehendes beenden. Wir haben 2022 eine neue Strategie definiert: Bestandteil davon war, unsere langjährigen Projekte wie bspw. die Fachstelle für Vereine, Vitamin B, die Tischgemeinschaften für Senioren Tavolata, das Netzwerk Erzählcafé, das Netzwerk Caring Communities sowie die nationale Initiative Lapurla – Kinder folgen ihrer Neugier in die Eigenständigkeit zu überführen. Dabei war uns eine sorgsame Begleitung sehr wichtig, weshalb wir die die Projekte in den ersten zwei bis drei Jahren in ihrer Selbständigkeit auch noch weiterhin substanziell finanziell unterstützt haben.
Wir kommunizieren im Sozialen erstmals öffentlich, wie hoch unsere Förderleistungen sind.
Jessica Schnelle, Leiterin Soziales in der Direktion Gesellschaft & Kultur beim Migros-Genossenschafts-Bund
Und worin besteht konkret die Neuerung in der Förderung?
Die Neuerung besteht aus drei verschiedenen Punkten: Erstens haben wir neue Schwerpunkte in der finanziellen Förderung: wir fördern lokal, wir fördern Organisationsentwicklungen für gemeinnützige Organisationen und wir führen programmatische und zeitlich begrenzte Ausschreibungen durch. Zweitens haben wir neue begleitende Angebote geschaffen, die über die Kernleistung der Finanzierung hinausgehen wie bspw. unser Coaching-Angebot, das sozialen Initiativen offen steht. Und drittens haben wir neue inhaltliche Schwerpunkte, die wir bearbeiten und relevante Akteur:innen phasenweise finanzieren und begleiten, um einen Beitrag zur zukunftsfähigen Gesellschaft zu leisten.
Wie sieht der finanzielle Rahmen aus, der für eine einzelne Förderung möglich ist?
Wir kommunizieren im Sozialen erstmals öffentlich, wie hoch unsere Förderleistungen sind, damit unsere Förderpartner:innen klar wissen, was sie von uns erwarten können. Für die Förderung von Projekten und Initiativen sind Beiträge von 2000 bis 10’000 Franken vorgesehen, für die Organisationsentwicklung liegen die Beiträge zwischen 5000 und 30’000 Franken und für unsere Ausschreibungen, die wir zeitlich befristet zu einem bestimmten Schwerpunkt durchführen, können Beiträge in der Höhe von 5000 bis zu 50’000 Franken beantragt werden.
Ein neuer Förderschwerpunkt betrifft die Organisationsentwicklung bestehender Organisationen. Weshalb dieses Thema?
Im aktuellen Diskurs von Förderorganisationen wird der Frage nachgegangen, ob ausschliesslich Projekte oder auch Strukturen im Sinne von fixen Betriebsbeiträgen, wie Personalkosten oder Miete, bezahlt werden sollten. Verbunden mit dem Innovationsanspruch von Seiten der Förderer sind es grossmehrheitlich neue Projekte, die gefördert werden. Das hat zur Folge, dass gemeinnützige Trägerschaften ihren Mittelbedarf bspw. für administrative Kosten, über Projektfundraising querfinanzieren müssen. Es entstehen dadurch immer wieder neue Projekte, die um Fördermittel in Konkurrenz treten. Dazu kommt, dass die gemeinnützigen Organisationen kaum Gelegenheit haben, das eigene Wirken zu reflektieren und strategisch an neue Entwicklungen in ihrem Umfeld anzupassen.
Die Überzeugung, dass die Investition in die strategische Entwicklung einen Beitrag zur Wirksamkeit von gemeinnützigen Organisationen leistet, treibt uns an.
Jessica Schnelle
Wir erachten diese Reflexion jedoch als sehr relevant für eine nachhaltige Entwicklung: vielleicht müssen laufende Aktivitäten beendet, der Fokus neu ausgerichtet oder das Team für zukünftige Aufgaben neu aufgestellt werden. Die Überzeugung, dass die Investition in die strategische Entwicklung einen Beitrag zur Wirksamkeit von gemeinnützigen Organisationen leistet, treibt uns an.
Mit welcher Problemstellung kann ich Förderung beantragen?
Wir unterstützen Förderpartner:innen beim Eruieren von Lösungen, mit denen der gesellschaftliche Zusammenhalt gestärkt wird. Dabei unterstützen wir insbesondere gesellschaftliches Engagement und konstruktive Dialog- und Begegnungsformate. Häufig finden Aktivitäten dazu in der unmittelbaren Lebenswelt von Engagierten statt. Es geht zum Beispiel darum, Begegnungen zu ermöglichen, indem gemeinsam etwas unternommen wird wie bspw. das Bewirtschaften von Gemeinschaftsgärten, Mentoring Angebote oder die Organisation von Treffpunkten oder man unterstützt sich gegenseitig wie bspw. bei Repaircafés.
Wir unterstützen jedoch auch dialogische Formate, die sich mit aktuellen, gesellschaftlichen Fragen auseinanderzusetzen wie bspw. der gesellschaftliche Umgang mit dem Lebensende, bspw. über Workshops oder Festivals. Dabei ist uns wichtig, dass ein breites Publikum so angesprochen wird, dass es attraktiv ist, sich zu beteiligen. Unsere inhaltlichen Themen sind divers, bspw. Migration/Integration, Inklusion, Nachbarschaft, Care, Chancengerechtigkeit, Jugend, Generationen, Klima und Ressourcen und weitere.
Wer kann sich melden, Vereine, Stiftungen – ist Gemeinnützigkeit vorausgesetzt?
Unsere Förderung kommt ausschliesslich gemeinnützigen Organisationen, d.h. Vereinen oder gemeinnützigen Stiftungen zugute. Gemeinnützigkeit ist ein formales Kriterium.
Wie sieht die Förderung aus?
Förderpartner:innen können jederzeit, d.h. während des ganzen Jahres, auf unserer Website einen Förderantrag einreichen. Die Kommission, bestehend aus Teammitgliedern Soziales, die diverse fachliche Hintergründe wie bspw. Projektmanagement, Kommunikation, Community Building, Netzwerkarbeit oder Verbandsmanagement aufweisen, berät alle zwei Monate über die Gesuche. Im Falle eines positiven Entscheids, wird das Geld zeitnah ausgezahlt. Bis spätestens drei Monate nach Abschluss der geförderten Aktivitäten müssen die Förderpartner:innen einen kurzen Bericht erstellen. Zudem versuchen wir, den Förderpartner:innen und ihren geförderten Projekten auch eine kommunikative Visibilität auf den Kommunikationskanälen der Migros zu ermöglichen.
Sie fördern zudem neu lokal. Wie unterscheidet sich diese Fördertätigkeit zur bisherigen?
Bisher haben wir im Bereich Soziales des Migros-Genossenschafts-Bundes national und überregional gefördert. In den zehn Genossenschaften der Migros wurden soziale Projekte vereinzelt auch lokal gefördert. Mit unserem neuen Fokus auf «gesellschaftliches Engagement» haben wir unsere Förderung lokal ausgerichtet. Denn Engagement findet in der Regel lokal statt. Damit ergänzen wir die Förderung der Migros Genossenschaften.
Wer in einem ähnlichen Gebiet arbeitet, erhält durch die Ausschreibung Impulse, neues zu Kreieren und einzureichen.
Jessica Schnelle
Als dritte Neuerung werden Sie regelmässig thematische Ausschreibungen lancieren. Was ist der Vorteil von Ausschreibungen?
Mit Ausschreibungen legen wir ein Förderschwerpunkt thematisch fest und rufen zeitlich begrenzt dazu auf, Förderanträge zu diesem Thema einzureichen. Das bietet folgende Vorteile: Wir können in überschaubarer Zeit Akteur:innen zu einem Thema ausfindig machen und miteinander vernetzen. Wer in einem ähnlichen Gebiet arbeitet, erhält durch die Ausschreibung Impulse, Neues zu Kreieren und einzureichen. Und mit den geförderten Akteur:innen erhalten wir Ideen für konkrete Lösungsansätze, die eine neue Perspektive aufzeigen
Die 1. Ausschreibung anfangs April hat das Thema Kulturelle Vielfalt. Wer kann sich bewerben?
Die sogenannten Mini-Grants «Kulturelle Vielfalt» werden – als Pilot – von April bis Ende 2024 im Rahmen des Förderprogramms «ici. gemeinsam hier» ausgeschrieben. Mit kleinen Beträgen zwischen 500 und 2500 Franken unterstützen wir Ideen und Projekte, die das Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen in der Schweiz fördern.
Im Rahmen der sozialen Nachhaltigkeit ist es uns wichtig, unsere Förderpartner:innen immer wieder in den laufenden Prozess miteinzubeziehen. Ende 2023 haben wir die von «ici. gemeinsam hier»-Geförderten befragt, was sie zusätzlich als hilfreich für ihr Engagement erachten. Oftmals fehlen kleine Beträge, um mal eine erste Idee auszuprobieren, laufende Projektkosten wie bspw. die Miete eines Lokals oder Kommunikationsmittel zu decken.
Deshalb gehen wir davon aus, dass wir mit dieser Ausschreibung viele kleine Vereine erreichen, die grosse Ideen, jedoch wenig Geld haben.