Jessica Schnelle ist Leiterin Soziales in der Direktion Gesellschaft & Kultur beim Migros-Genossenschafts-Bund. Mit ihrem Team verantwortet die promovierte Motivationspsychologin die Förderaktivitäten zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts.

Migros-Kultur­pro­zent: Förde­rung Sozia­les neu ausgerichtet

Das Migros-Kulturprozent richtet seine Förderung Soziales neu aus. Leiterin Soziales Jessica Schnelle sagt, worin die Neuerung besteht, dass Gemeinnützigkeit eine formale Voraussetzung ist, um Fördergelder zu erhalten und dass für die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts die Themen Engagement, Dialog und Begegnung im Zentrum stehen.

Die Direk­tion Gesell­schaft & Kultur des Migros-Genos­sen­schafts-Bundes MGB erwei­tert seine Förde­rung Sozia­les: Was gab den Anlass, die Förde­rung auszubauen?

Es handelt sich nicht um einen Ausbau unse­res Förder­pro­gramms. Wir über­prü­fen regel­mäs­sig unsere Förder­stra­te­gie hinsicht­lich verschie­de­ner Krite­rien: Ist unsere Förde­rung noch zeit­ge­mäss? Wie hat sich die Förder­land­schaft verän­dert? Wo ist der gesell­schaft­li­che Bedarf und wo können wir Lücken schliessen? 

Handelt es sich um eine Umver­tei­lung der Mittel oder eine Aufsto­ckung des Budgets?

Es handelt sich um eine Umver­tei­lung der Mittel. Um in etwas Neues zu inves­tie­ren, muss­ten wir jedoch zuerst Bestehen­des been­den. Wir haben 2022 eine neue Stra­te­gie defi­niert: Bestand­teil davon war, unsere lang­jäh­ri­gen Projekte wie bspw. die Fach­stelle für Vereine, Vitamin B, die Tisch­ge­mein­schaf­ten für Senio­ren Tavo­lata, das Netz­werk Erzähl­café, das Netz­werk Caring Commu­ni­ties sowie die natio­nale Initia­tive Lapurla – Kinder folgen ihrer Neugier in die Eigen­stän­dig­keit zu über­füh­ren. Dabei war uns eine sorg­same Beglei­tung sehr wich­tig, weshalb wir die die Projekte in den ersten zwei bis drei Jahren in ihrer Selb­stän­dig­keit auch noch weiter­hin substan­zi­ell finan­zi­ell unter­stützt haben.

Wir kommu­ni­zie­ren im Sozia­len erst­mals öffent­lich, wie hoch unsere Förder­leis­tun­gen sind.

Jessica Schnelle, Leite­rin Sozia­les in der Direk­tion Gesell­schaft & Kultur beim Migros-Genossenschafts-Bund

Und worin besteht konkret die Neue­rung in der Förderung?

Die Neue­rung besteht aus drei verschie­de­nen Punk­ten: Erstens haben wir neue Schwer­punkte in der finan­zi­el­len Förde­rung: wir fördern lokal, wir fördern Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lun­gen für gemein­nüt­zige Orga­ni­sa­tio­nen und wir führen program­ma­ti­sche und zeit­lich begrenzte Ausschrei­bun­gen durch. Zwei­tens haben wir neue beglei­tende Ange­bote geschaf­fen, die über die Kern­leis­tung der Finan­zie­rung hinaus­ge­hen wie bspw. unser Coaching-Ange­bot, das sozia­len Initia­ti­ven offen steht. Und drit­tens haben wir neue inhalt­li­che Schwer­punkte, die wir bear­bei­ten und rele­vante Akteur:innen phasen­weise finan­zie­ren und beglei­ten, um einen Beitrag zur zukunfts­fä­hi­gen Gesell­schaft zu leisten.

Wie sieht der finan­zi­elle Rahmen aus, der für eine einzelne Förde­rung möglich ist?

Wir kommu­ni­zie­ren im Sozia­len erst­mals öffent­lich, wie hoch unsere Förder­leis­tun­gen sind, damit unsere Förderpartner:innen klar wissen, was sie von uns erwar­ten können. Für die Förde­rung von Projek­ten und Initia­ti­ven sind Beiträge von 2000 bis 10’000 Fran­ken vorge­se­hen, für die Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lung liegen die Beiträge zwischen 5000 und 30’000 Fran­ken und für unsere Ausschrei­bun­gen, die wir zeit­lich befris­tet zu einem bestimm­ten Schwer­punkt durch­füh­ren, können Beiträge in der Höhe von 5000 bis zu 50’000 Fran­ken bean­tragt werden.

Ein neuer Förder­schwer­punkt betrifft die Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lung bestehen­der Orga­ni­sa­tio­nen. Weshalb dieses Thema?

Im aktu­el­len Diskurs von Förder­or­ga­ni­sa­tio­nen wird der Frage nach­ge­gan­gen, ob ausschliess­lich Projekte oder auch Struk­tu­ren im Sinne von fixen Betriebs­bei­trä­gen, wie Perso­nal­kos­ten oder Miete, bezahlt werden soll­ten. Verbun­den mit dem Inno­va­ti­ons­an­spruch von Seiten der Förde­rer sind es gross­mehr­heit­lich neue Projekte, die geför­dert werden. Das hat zur Folge, dass gemein­nüt­zige Träger­schaf­ten ihren Mittel­be­darf bspw. für admi­nis­tra­tive Kosten, über Projekt­fund­rai­sing quer­fi­nan­zie­ren müssen. Es entste­hen dadurch immer wieder neue Projekte, die um Förder­mit­tel in Konkur­renz treten. Dazu kommt, dass die gemein­nüt­zi­gen Orga­ni­sa­tio­nen kaum Gele­gen­heit haben, das eigene Wirken zu reflek­tie­ren und stra­te­gisch an neue Entwick­lun­gen in ihrem Umfeld anzupassen.

Die Über­zeu­gung, dass die Inves­ti­tion in die stra­te­gi­sche Entwick­lung einen Beitrag zur Wirk­sam­keit von gemein­nüt­zi­gen Orga­ni­sa­tio­nen leis­tet, treibt uns an.

Jessica Schnelle

Wir erach­ten diese Refle­xion jedoch als sehr rele­vant für eine nach­hal­tige Entwick­lung: viel­leicht müssen laufende Akti­vi­tä­ten been­det, der Fokus neu ausge­rich­tet oder das Team für zukünf­tige Aufga­ben neu aufge­stellt werden. Die Über­zeu­gung, dass die Inves­ti­tion in die stra­te­gi­sche Entwick­lung einen Beitrag zur Wirk­sam­keit von gemein­nüt­zi­gen Orga­ni­sa­tio­nen leis­tet, treibt uns an.

Mit welcher Problem­stel­lung kann ich Förde­rung beantragen?

Wir unter­stüt­zen Förderpartner:innen beim Eruie­ren von Lösun­gen, mit denen der gesell­schaft­li­che Zusam­men­halt gestärkt wird. Dabei unter­stüt­zen wir insbe­son­dere gesell­schaft­li­ches Enga­ge­ment und konstruk­tive Dialog- und Begeg­nungs­for­mate. Häufig finden Akti­vi­tä­ten dazu in der unmit­tel­ba­ren Lebens­welt von Enga­gier­ten statt. Es geht zum Beispiel darum, Begeg­nun­gen zu ermög­li­chen, indem gemein­sam etwas unter­nom­men wird wie bspw. das Bewirt­schaf­ten von Gemein­schafts­gär­ten, Mento­ring Ange­bote oder die Orga­ni­sa­tion von Treff­punk­ten oder man unter­stützt sich gegen­sei­tig wie bspw. bei Repair­ca­fés.
Wir unter­stüt­zen jedoch auch dialo­gi­sche Formate, die sich mit aktu­el­len, gesell­schaft­li­chen Fragen ausein­an­der­zu­set­zen wie bspw. der gesell­schaft­li­che Umgang mit dem Lebens­ende, bspw. über Work­shops oder Festi­vals. Dabei ist uns wich­tig, dass ein brei­tes Publi­kum so ange­spro­chen wird, dass es attrak­tiv ist, sich zu betei­li­gen. Unsere inhalt­li­chen Themen sind divers, bspw. Migration/Integration, Inklu­sion, Nach­bar­schaft, Care, Chan­cen­ge­rech­tig­keit, Jugend, Gene­ra­tio­nen, Klima und Ressour­cen und weitere.

Wer kann sich melden, Vereine, Stif­tun­gen – ist Gemein­nüt­zig­keit vorausgesetzt?

Unsere Förde­rung kommt ausschliess­lich gemein­nüt­zi­gen Orga­ni­sa­tio­nen, d.h. Verei­nen oder gemein­nüt­zi­gen Stif­tun­gen zugute. Gemein­nüt­zig­keit ist ein forma­les Kriterium.

Wie sieht die Förde­rung aus?

Förderpartner:innen können jeder­zeit, d.h. während des ganzen Jahres, auf unse­rer Website einen Förder­an­trag einrei­chen. Die Kommis­sion, bestehend aus Team­mit­glie­dern Sozia­les, die diverse fach­li­che Hinter­gründe wie bspw. Projekt­ma­nage­ment, Kommu­ni­ka­tion, Commu­nity Buil­ding, Netz­werk­ar­beit oder Verbands­ma­nage­ment aufwei­sen, berät alle zwei Monate über die Gesu­che. Im Falle eines posi­ti­ven Entscheids, wird das Geld zeit­nah ausge­zahlt. Bis spätes­tens drei Monate nach Abschluss der geför­der­ten Akti­vi­tä­ten müssen die Förderpartner:innen einen kurzen Bericht erstel­len. Zudem versu­chen wir, den Förderpartner:innen und ihren geför­der­ten Projek­ten auch eine kommu­ni­ka­tive Visi­bi­li­tät auf den Kommu­ni­ka­ti­ons­ka­nä­len der Migros zu ermöglichen.

Sie fördern zudem neu lokal. Wie unter­schei­det sich diese Förder­tä­tig­keit zur bisherigen?

Bisher haben wir im Bereich Sozia­les des Migros-Genos­sen­schafts-Bundes natio­nal und über­re­gio­nal geför­dert. In den zehn Genos­sen­schaf­ten der Migros wurden soziale Projekte verein­zelt auch lokal geför­dert. Mit unse­rem neuen Fokus auf «gesell­schaft­li­ches Enga­ge­ment» haben wir unsere Förde­rung lokal ausge­rich­tet. Denn Enga­ge­ment findet in der Regel lokal statt. Damit ergän­zen wir die Förde­rung der Migros Genossenschaften.

Wer in einem ähnli­chen Gebiet arbei­tet, erhält durch die Ausschrei­bung Impulse, neues zu Kreieren und einzureichen. 

Jessica Schnelle

Als dritte Neue­rung werden Sie regel­mäs­sig thema­ti­sche Ausschrei­bun­gen lancie­ren. Was ist der Vorteil von Ausschreibungen?

Mit Ausschrei­bun­gen legen wir ein Förder­schwer­punkt thema­tisch fest und rufen zeit­lich begrenzt dazu auf, Förder­an­träge zu diesem Thema einzu­rei­chen. Das bietet folgende Vorteile: Wir können in über­schau­ba­rer Zeit Akteur:innen zu einem Thema ausfin­dig machen und mitein­an­der vernet­zen. Wer in einem ähnli­chen Gebiet arbei­tet, erhält durch die Ausschrei­bung Impulse, Neues zu Kreieren und einzu­rei­chen. Und mit den geför­der­ten Akteur:innen erhal­ten wir Ideen für konkrete Lösungs­an­sätze, die eine neue Perspek­tive aufzeigen

Die 1. Ausschrei­bung anfangs April hat das Thema Kultu­relle Viel­falt. Wer kann sich bewerben?

Die soge­nann­ten Mini-Grants «Kultu­relle Viel­falt» werden – als Pilot – von April bis Ende 2024 im Rahmen des Förder­pro­gramms «ici. gemein­sam hier» ausge­schrie­ben. Mit klei­nen Beträ­gen zwischen 500 und 2500 Fran­ken unter­stüt­zen wir Ideen und Projekte, die das Zusam­men­le­ben unter­schied­li­cher Kultu­ren in der Schweiz fördern.

Im Rahmen der sozia­len Nach­hal­tig­keit ist es uns wich­tig, unsere Förderpartner:innen immer wieder in den laufen­den Prozess mitein­zu­be­zie­hen. Ende 2023 haben wir die von «ici. gemein­sam hier»-Geförderten befragt, was sie zusätz­lich als hilf­reich für ihr Enga­ge­ment erach­ten. Oftmals fehlen kleine Beträge, um mal eine erste Idee auszu­pro­bie­ren, laufende Projekt­kos­ten wie bspw. die Miete eines Lokals oder Kommu­ni­ka­ti­ons­mit­tel zu decken.

Deshalb gehen wir davon aus, dass wir mit dieser Ausschrei­bung viele kleine Vereine errei­chen, die grosse Ideen, jedoch wenig Geld haben.


Weiter­füh­rende Infor­ma­tio­nen zur Förde­rung Sozia­les

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