Manuela Stier, Gründerin und Geschäftsführerin Förderverein für Kinder mit seltenen Krankheiten. KMSK, Bild: KMSK

KMSK: Es liegt an der Poli­tik, dieses Gesetz anzupassen

Die 2022 in Kraft getretene Verordnung zur Invalidenversicherung IV hatte dazu geführt, dass die IV gewisse Leistungen für Kinder mit Geburtsgebrechen nicht mehr übernahm. Das Bundesamt für Sozialversicherungen hat auf die Kritik reagiert und will die Verordnung nun möglichst schnell anpassen. Eine Übergangslösung wurde beschlossen. Manuela Stier, Gründerin und Geschäftsführerin des Fördervereins für Kinder mit seltenen Krankheiten KMSK sagt, was das für betroffene Familien bedeutet.

Mitte April hat die NZZ am Sonn­tag berich­tet, dass die IV Leis­tun­gen für schwer kranke Kinder gestri­chen hat. Nun hat das Bundes­amt für Sozi­al­ver­si­che­run­gen reagiert und will die Verord­nung möglichst schnell anpas­sen. Hatten Sie bereits Anfra­gen von betrof­fe­nen Fami­lien erhalten? 

Das Entset­zen und das Unver­ständ­nis waren enorm gross. Die Reak­tio­nen waren: «Mein Gott das darf doch nicht wahr sein. Haben wir nicht schon genug andere Probleme» oder «Am 10. März postete der Bundes­rat auf dem offi­zi­el­len Insta­gram Kanal ein Video von Alain Berset, wie er sich für die Rechte von Menschen mit Behin­de­rung einsetzt! Das ist doch blan­ker Hohn!»

Wie gehen Sie nun mit diesen Anfra­gen um?

Wir pfle­gen mit unse­ren rund 765 KMSK Fami­lien einen regen Austausch und konn­ten diesen zum Glück schnell mittei­len, dass es nun eine Über­gangs­lö­sung gibt. Aber eben: Dies ist nur eine Übergangslösung.

Ansons­ten sind die Fami­lien auf Good­will ange­wie­sen und müssen stän­dig für Unter­stüt­zung kämpfen.

Manuela Stier, Grün­de­rin und Geschäfts­füh­re­rin KMSK

Das Bundes­amt hat schnell reagiert. Dennoch, was bedeu­tet ein solcher Entscheid für die betrof­fe­nen Familien?

Der Aufschrei war laut: «Wir haben das Geld nicht, um dies selber zu bezah­len!» Uns ist schon lange bewusst, dass nur Aufklä­rung hilft und so gene­rie­ren wir seit 2018 die KMSK Wissens­bü­cher über Seltene Krank­hei­ten. In diesen kommen jeweils 17 betrof­fene Fami­lien und Fach­per­so­nen zu Wort. Die Sensi­bi­li­sie­rung und Infor­ma­tion ist enorm wich­tig und hilft den Fami­lien, dies konnte man bei diesem Entscheid Eins zu Eins erleben. 

Was sind die Möglich­kei­ten für betrof­fene Fami­lien, wenn die IV eine Leis­tung nicht übernimmt?

In solchen Fällen helfen oft Ange­hö­rige, aber auch Stif­tun­gen und der Förder­ver­ein für Kinder mit selte­nen Krank­hei­ten. Zudem empfeh­len wir betrof­fe­nen Fami­lien, sich bei Procap Schweiz anzu­mel­den. Sie hilft bei einem Rechts­streit mit der IV oder der Krankenkasse.

Kennen Sie ähnli­che Fälle, in welchen eine Verord­nungs- oder Geset­zes­än­de­rung zu einem Strei­chen von Leis­tun­gen geführt hat, viel­leicht auch unbeabsichtigt?

Leider ja, die IV hat bei einem unse­rer betrof­fe­nen Kindern, das keine Diagnose hat, die Kosten für die Hilfs­mit­tel nach dem zwei­ten Lebens­jahr nicht mehr über­nom­men. Dies ist übri­gens so im Gesetzt fest­ge­legt und darauf beruft sich die IV Stelle.

Sehen Sie Möglich­kei­ten, wie zukünf­tig Strei­chun­gen notwen­di­ger Leis­tun­gen verhin­dert werden können?

Es liegt an der Poli­tik, dieses Gesetz so anzu­pas­sen, dass betrof­fene Fami­lien unter­stützt und nicht noch weiter belas­tet werden. Ansons­ten sind die Fami­lien auf Good­will ange­wie­sen und müssen stän­dig für Unter­stüt­zung kämpfen.

Podi­ums­dis­kus­sion am KMSK Wissensforum.

Wie kann sich der Förder­ver­ein für Kinder mit selte­nen Krank­hei­ten auch poli­tisch für die Anlie­gen der Betrof­fe­nen einsetzen?

Wir sind seit eini­gen Jahren Mitglied der IG für seltene Krank­hei­ten, welche sich auf poli­ti­scher Ebene erfolg­reich für die Betrof­fe­nen einsetzt. Zudem verfol­gen wir seit der Grün­dung 2014 das Ziel, die betrof­fe­nen Fami­lien und deren Bedürf­nisse und Lebens­si­tua­tion sicht­bar zu machen. Wir sind das Sprach­rohr für die Fami­lien, gemein­sam konn­ten wir schon sehr viel bewe­gen und die breite Öffent­lich­keit und die Poli­ti­ker sensibilisieren.

Arbei­ten Sie mit ande­ren Orga­ni­sa­tio­nen zusammen?

Ja, wir arbei­ten sehr eng mit diver­sen Akteu­ren aus dem Gesund­heits- und Ausbil­dungs­be­reich zusam­men. So entstand in nur zwei Jahren auch die schweiz­weit erste KMSK Wissens­platt­form Seltene Krank­hei­ten für betrof­fene Fami­lien und Fach­per­so­nen in vier Spra­chen. Im Fokus steht der Wissens­trans­fer und dieser ist nicht nur für betrof­fene Fami­lien rele­vant, sondern auch für Fach­per­so­nen, Ange­hö­rige, Kinder­spi­tä­ler, Kinder­spi­tex, Pfle­ge­per­so­nen, Auszu­bil­dende, Forschung und nicht zuletzt für die Politiker.

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