Stiftungen sind Teil der Gesellschaft. Fotos: Ferdinando Codenzi

«Jede Gene­ra­tion hat ihre eigene Arbeitsweise»

Mit dem Generationenwechsel wird die Digitalisierung sich auch in der Stiftungswelt durchsetzen, sagt Professor Georg von Schnurbein. Gleichzeitig bringt dieser Wechsel dem Sektor auch die grösste Herausforderung – und dabei geht es nicht ums Geld.

The Philanthropist: Wie digi­tal ist der Stif­tungs­sek­tor in der Schweiz?

Georg von Schnur­bein: Stif­tun­gen sind Teil der Gesell­schaft und weisen eine ähnli­che Entwick­lung auf. Wir haben unheim­lich viel Know-how in der Schweiz und auch Stif­tun­gen wie die Botnar Foun­da­tion, die das unter­stüt­zen. Die Grund­la­gen sind gege­ben. Man kann sehr weit sein. Aber die grosse Masse beschäf­tigt sich noch nicht mit dem Thema.

Das klingt sehr statisch. Sie leiten seit der Grün­dung 2008 das Center for Phil­an­thropy Studies (CEPS) der Univer­si­tät Basel. Hat sich der Stif­tungs­sek­tor seit­her denn über­haupt gewandelt?

Wenn man so nah dran ist, nimmt man Verän­de­run­gen zuerst gar nicht so wahr. Aber es hat sich sehr viel getan. Schon seit 2003 beschäf­tige ich mich mit Stif­tun­gen. Die Hälfte der heute exis­tie­ren­den Stif­tun­gen sind in dieser Zeit über­haupt erst entstan­den. Neue Formen wie die Dach­stif­tung oder die Verbrauchs­stif­tung haben sich etabliert. Das heisst, wir haben heute einen ganz ande­ren Sektor als noch vor 15 Jahren. Es gibt neue Akteure, Platt­for­men und Magazine.

Weshalb gab es diese zahl­rei­chen Neugründungen?

Geld spielt natür­lich eine Rolle. Hoch­pha­sen der Phil­an­thro­pie fallen immer in Hochkonjunkturphasen.

Und dann werden Stif­tun­gen gegründet?

Ja. Das war von 1890 bis 1914 der Fall genauso wie jetzt seit 1990. Wir haben die Anzahl Stif­tungs-Neugrün­dun­gen mit der Entwick­lung des SMI vergli­chen. Die Entwick­lung verläuft ziem­lich paral­lel. Heute sehen wir eine Abschwä­chung der Konjunk­tur und ebenso einen Rück­gang bei den Neugründungen.

Die Gesamt­heit der phil­an­thro­pi­schen Leis­tun­gen ist noch zu wenig sichtbar.

Georg von Schnurbein

Sind also die Finan­zen das grosse Thema?

Die Frage, wie ich mein Geld anlege, ist gerade für kleine Stif­tun­gen heute eine grosse Heraus­for­de­rung. Diese haben keine grosse Risi­ko­fä­hig­keit. Sie stecken Verluste nicht einfach weg. In den Medien dage­gen ist meist von den gros­sen Stif­tun­gen die Rede. Dies erweckt den Eindruck, dass Stif­tun­gen viel Geld haben. Doch 80 Prozent der Stif­tun­gen besit­zen weni­ger als drei Millio­nen Fran­ken. Beden­ken Sie, dass diese oft nur mit dem Ertrag arbei­ten. Ziehen Sie noch alle Verwal­tungs­kos­ten ab, dann bleibt nicht viel Geld für die Projekte. Doch es gibt ein wesent­lich grös­se­res Problem. Der Nach­wuchs an Stif­tungs­rä­tin­nen und ‑räten. In der Boom­phase zwischen 1995 und 2010 sind viele Stif­tun­gen entstan­den. Diese kommen jetzt in die Phase, in der die Grün­de­rin­nen und Grün­der sowie ihre Freunde in ein Alter kommen, in dem sie zurück­tre­ten wollen. Wir brau­chen Ersatz.

Wie viele?

Wir haben in der Schweiz rund 70’000 Stif­tungs­rats­pos­ten. Rund 63’000 Perso­nen beset­zen diese. Das heisst, dass nur selten eine Person mehr als ein Stif­tungs­rats­man­dat hat. Um ausschei­dende Stif­tungs­räte zu erset­zen, braucht es rund 5000 neue Stif­tungs­räte pro Jahr. Die 300 Stif­tungs­neu­grün­dun­gen schaf­fen eben­falls noch­mals 1500 Stif­tungs­rats­po­si­tio­nen. Die Suche nach dem frei­wil­li­gen Enga­ge­ment, das es hier braucht, lässt sich nicht mone­tär lösen.

Könnte die Digi­ta­li­sie­rung helfen?

Natür­lich. Schon nur beim Matching. Es gibt viele Menschen, die sich gerne enga­gie­ren würden, aber nicht wissen wo oder wie.

Gleich­zei­tig kann sie auch ein Hinder­nis sein. Junge Kandi­da­tin­nen und Kandi­da­ten sind sich digi­tale Arbeits­wei­sen gewohnt, wie sie in tradi­tio­nel­len Stif­tun­gen viel­leicht noch nicht Einzug gehal­ten haben.

Das ist keine Frage der Digi­ta­li­sie­rung. Jede Gene­ra­tion hat ihre eigene Arbeits­weise. Das war schon früher so. Der Gene­ra­tio­nen­wech­sel wird die Digi­ta­li­sie­rung bringen.

Aber es gibt sie noch, die Stif­tung, deren Abla­ge­sys­tem in Kisten funktioniert?

Die gibt es. Und wir sehen auch, wie diese an ihr natür­li­ches Ende gelan­gen. Und dies nicht, weil der Stif­tungs­zweck erfüllt ist, sondern weil sie orga­ni­sa­to­risch nicht mehr über­le­bens­fä­hig sind.

Die Digi­ta­li­sie­rung könnte ihnen helfen, effi­zi­en­ter zu werden.

Das kann sie. Aller­dings muss man auch beach­ten, dass die Stif­tungs­füh­rung heute nicht dieselbe ist wie vor 20 Jahren. Die Anfor­de­run­gen der Aufsicht sind viel höher. Das frisst Effi­zi­enz­ge­winne wieder weg. Die Stif­tungs­füh­run­gen brau­chen deswe­gen zwin­gend neue Lösun­gen – und bei der Digi­ta­li­sie­rung stehen wir noch am Anfang. Aller­dings muss man auch berück­sich­ti­gen, die Stif­tung gibt es nicht. Es gibt Stif­tun­gen, die schon sehr digi­tal unter­wegs sind, gerade junge Stif­tun­gen. Ich kenne eine, die hat die Geschäfts­stelle aufge­löst und arbei­tet nur noch mit Online-Tools.

Braucht es even­tu­ell gewisse Stif­tun­gen auch nicht mehr? Mit Crowd­fun­ding beispiels­weise stehen alter­na­tive Finan­zie­rungs­for­men zur Verfügung.

Neue Formen sind keine Konkur­renz. Das ist über­haupt kein Problem, wenn gewisse Gesu­che nicht mehr zu Stif­tun­gen gelan­gen. Im Gegen­teil. Es ist gut, wenn mehr Geld zur Verfü­gung steht.

Könn­ten Stif­tun­gen Crowd­fun­ding selbst nutzen?

Es gab schon Versu­che, dass eine Stif­tung sagte, wenn ihr 15’000 Fran­ken sammelt, verdop­peln wir den Betrag. Das ist eine Win-win-Situa­tion. Oder sie machen eine Anschluss­fi­nan­zie­rung, nach­dem die Crowd den Start finan­ziert hat. Stif­tun­gen sind offen. Aller­dings über­steigt gerade bei gros­sen Stif­tun­gen die Anzahl Gesu­che die vorhan­de­nen Mittel. Deswe­gen sind sie zurück­hal­tend, sich in zusätz­li­che Entschei­dungs­pro­zesse einzubinden.

Aber die Crowd könnte helfen, die Projekt­aus­wahl breit abzustützen.

Die Demo­kra­ti­sie­rung der Phil­an­thro­pie ist ein span­nen­des Thema. Sie kann eine Möglich­keit sein. Proble­ma­tisch wird es aller­dings bei der Frage der Verant­wor­tung. Hier sind Gren­zen gesetzt. Der Stif­tungs­rat bleibt am Ende für alle Entscheide verant­wort­lich – ob die Crowd mitbe­stimmt oder nicht. Er muss das letzte Wort haben. Aber es gibt Stif­tun­gen, die schon sehr offen sind und beispiels­weise über Beiräte öffent­lich mitbe­stim­men lassen.

Aber müss­ten Stif­tun­gen nicht sowieso nach Trans­pa­renz streben?

Bevor Trans­pa­renz als Selbst­zweck propa­giert wird, sollte geklärt werden, was der Stan­dard ist. Dass sie so trans­pa­rent sein sollen wie ein börsen­ko­tier­tes Unter­neh­men, halte ich für über­zo­gen. Im Vergleich zu mittel­stän­di­schen Unter­neh­men stehen sie dage­gen gar nicht so schlecht da. Gewiss, aufgrund der Gemein­nüt­zig­keit hat ihre Arbeit einen öffent­li­chen Bezug. Aber deswe­gen unter­ste­hen sie auch der Stif­tungs­auf­sicht. Trans­pa­renz ist wich­tig für die Entwick­lung des Sektors, und dazu tragen wir mit unse­rer Forschung bei.

Trans­pa­renz hätte zumin­dest einen posi­ti­ven Effekt auf das Image?

Legi­ti­ma­tion und Repu­ta­tion sind in der Tat grosse Heraus­for­de­run­gen. Wir sehen das aktu­ell in Frank­reich mit den Gross­spen­den nach dem Brand der Notre-Dame. Gegen­über diesen Mega­s­pen­dern gab es schon immer eine kriti­sche Haltung. In Frank­reich war es auch bis 1983 verbo­ten, Stif­tun­gen zu grün­den, aus dem Gedan­ken heraus: Es wider­spricht dem Prin­zip der Gleich­heit, wenn jemand mit viel Geld damit das Leben ande­rer beeinflusst.

Und doch will man ja einfach Gutes tun?

Aber was das heisst, welchen Nutzen die Phil­an­thro­pie bringt, diese Frage wird heute meist anek­do­tisch beant­wor­tet, etwa im Sinn, das war ein schö­nes Projekt. Aber die Gesamt­heit der phil­an­thro­pi­schen Leis­tun­gen ist noch zu wenig sicht­bar. Das sehe ich als Forschungs­auf­gabe. Wir müssen durch Daten, durch Aufzei­gen von Finan­zie­rungs­strö­men bele­gen, was der Sektor über­haupt leis­tet, was Erfolg ist. Und dann müssen wir natür­lich lernen, über Miss­erfolge zu reden. Die Wirkungs­mes­sung wird dazu führen, dass wir nicht alles als Erfolg darstel­len können, nur weil wir Gutes tun. Doch genau das ist heute Usus. In Jahres­be­rich­ten von Stif­tun­gen ist immer alles gut. Die Probleme liegen in der Gesell­schaft. Aber selten sagt eine Stif­tung, das hat nicht funktioniert.

Sollen sich Stif­tun­gen denn über­haupt in den gesell­schaft­li­chen Diskurs einmischen?

Stif­tun­gen sind wie jede andere Insti­tu­tion Teil dieser Gesell­schaft. Weshalb soll­ten ausge­rech­net sie sich nicht einmi­schen dürfen? Bisher hat man sich zwar wirk­lich eher zurück­ge­hal­ten. Aber es gibt heute eine akti­vere Form. Stif­tun­gen wollen nicht mehr nur Mittel zur Verfü­gung stel­len, sie wollen auch selbst am Diskurs betei­ligt sein. Ich denke, das ist legitim.


Prof. Dr. Georg von Schnur­bein ist Asso­ciate Profes­sor für Stif­tungs­ma­nage­ment und Direk­tor des Center for Phil­an­thropy Studies (CEPS) der Univer­si­tät Basel, das er aufge­baut hat und seit 2008 leitet. Initi­iert wurde das CEPS von Swiss­Foun­da­ti­ons, dem Verband der Schwei­zer Förder­stif­tun­gen. Von Schnur­bein publi­ziert zu den Themen Stif­tungs­we­sen, Gover­nance, Nonpro­fit-Manage­ment, Marke­ting und Phil­an­thro­pie. Studiert hat er an den Univer­si­tä­ten Bamberg, Fribourg und Bern Betriebs­wirt­schafts­lehre mit Neben­fach Poli­tik­wis­sen­schaf­ten. Von 2011 bis 2017 war er Vorstands­mit­glied des Euro­pean Rese­arch Networks on Phil­an­thropy (ERNOP).

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