Zu Weihnachten wirkt unsere Gesellschaft, als wäre alles in bester Ordnung. Die vielen Lichter, die Geschenke, die Spendenaktionen und die Feste – das alles kehrt Jahr für Jahr wieder und erzeugt den Anschein von Normalität. Es ist das Bild einer sozialen, guten Gesellschaft, in der man fürsorglich zueinander schauen und das Leid mindern möchte. Vielleicht verbunden mit etwas Hoffnung, die wie ein guter Vorsatz den Jahreswechsel kaum übersteht.
Geteilte Werte unter Beschuss
Hoffnung war einst das beste Hausmittel für die individuelle Resilienz. Die Hoffnung ist, dass es am Ende gut kommt. Und je grösser diese Hoffnung, umso standfester liess sich eine Krise ertragen. Auch die Religion spielte hier eine entscheidende Rolle: Noch immer beruft sich die Präambel der aktuellen Bundesverfassung auf Gott den Allmächtigen – und offenbart genau damit die Herausforderungen einer säkularen Welt. Denn heute fehlt diese «gottgegebene» gemeinsame Grundlage.
Im Alltag lässt sich dies kaschieren. Dank genügender individueller Freiheit wird das gemeinsame Fundament kaum gefordert. Anders in der Krise. Da gewinnt das Trennende an Bedeutung. Das gemeinsame Verständnis ist gefordert und geteilte Werte durchlaufen eine Belastungsprobe.
Verlorenes Vertrauen
Solidarität hat viele Facetten. Wenn es darauf ankommt, sind wir wählerisch: Mit wem sind wir solidarisch und welche eigenen Einschränkungen nehmen wir dabei in Kauf? Hinzu kommt: Fehl- und Falschinformationen torpedieren das gemeinsame Verständnis und fordern damit auch das Selbstverständnis heraus. Gerade die gemeinsame Wertebasis ist aber Voraussetzung für die Debatte, die aus der Krise führt.
In der Pandemie haben wir das alle eindrücklich erlebt. Die Krise liess das Alltägliche plötzlich unsicher erscheinen. Wer die ersten Tage des Lockdowns nicht vergessen hat, erinnert sich an leere Regale in der Migros, an fehlendes Toilettenpapier im Coop. Auch die Resilienz der Schweizer Gesellschaft ist wohl nicht gottgegeben, auch wenn Demokratie und Wohlstand hier eine solide Grundlage bilden. Schon die Aussicht auf einen Lockdown hat genügt – und das Toilettenpapier war leergekauft. Die Welt hat sich seit 2020 verändert. Die Resilienz der Weltordnung steht auf dem Prüfstand.
Anspruchsvolle Zukunft
Die Flüchtlingsströme über das Mittelmeer fordern täglich Menschenleben. Die unmenschliche Frage, wie wir damit umgehen, polarisiert die Gesellschaften in Europa. In der Ukraine herrscht Krieg. Im Nahen Osten eskalieren Konflikte mit unerwarteter Brutalität und lösen eine erschreckende Welle von Antisemitismus aus. Das zeigt vor allem eines: In einer globalisierten Welt ist die Stabilität keine nationale Angelegenheit mehr.
Wer Gefahren ignoriert oder relativiert, fördert sie. Hier greift das Konzept der Resilienz: Es akzeptiert die Gefahr und die Tatsache, dass nicht jede Gefahr eliminiert werden kann. Im Gegenteil. Es wäre falsch zu denken, dass wir in eine gefahrenlose Zukunft schreiten könnten. Klimawandel, steigende soziale Ungleichheit oder politische Polarisierung werden die Gesellschaft künftig auf die Probe stellen. Damit wir mit diesen Gefahren umgehen können, gilt es, an «normalen» Tagen jene Werte zu finden und zu pflegen, die den Zusammenhalt in der Gesellschaft stärken. Wir müssen uns heute mit den Gefahren von morgen auseinandersetzen, um die zukunftsfähige Gesellschaft zu schaffen.
Normalität stärken
Stiftungen und Nonprofits nehmen dabei eine wichtige Rolle ein. Sie unterstützen jene, die in der Krise durch alle Maschen fallen, und stärken damit die Resilienz der Gesellschaft. Rasch und unkompliziert und gerade dort, wo alle anderen Akteur:innen versagen.
Stiftungen haben auch das Potenzial, Resilienz gezielt zu stärken. Die Maya-Klawa-Morf-Stiftung fördert demokratische Grundwerte. Pro Mente Sana setzt sich für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen ein: Sie unterstützt diese nicht nur in der persönlichen Krise, sondern gibt ihnen eine Stimme. Damit hilft sie, ihre Situation generell zu verbessern und die Gesellschaft resilienter zu machen, weil sie auf eine verborgene Gefahr hinweist.
Für den gesellschaftlichen Zusammenhalt relevant ist auch eine starke und unabhängige Medienlandschaft. Journalismus deckt auf, ordnet ein und bietet Geschichten und Werten der Gesellschaft einen Raum, die über die Grenzen der persönlichen Community hinaus geteilt und diskutiert werden. Die Gefahr eines Zerfalls unseres Mediensystems und der folgenden Destabilisierung der Gesellschaft ist im Philanthropiesektor noch nicht angekommen. Stiftungen, die sich dieser Entwicklung annehmen, können fast an einer Hand abgezählt werden. Dass sie Erfolg haben, darauf können wir alle hoffen. Und wir sollten sicherstellen, dass sich die Gesellschaft ihrer Schwachstellen auch im Alltag annimmt. Resilienter werden heisst, diese Normalität zu stärken.