Im vergangenen August haben Sie die #nachbarschaftsinitiative lanciert. Nun steht das Projekt kurz vor dem Abschluss. Können Sie ein erstes Fazit ziehen?
Wir haben zwar den Abschluss noch vor uns, doch die bisherige Resonanz stimmt uns sehr zufrieden. Wir haben das Pilotprojekt bei Null gestartet, ohne Erfahrungswerte. Umso erfreulicher also, dass es uns gelungen ist, so viele Menschen zu motivieren, sich aktiv für ihre Nachbarschaft einzusetzen.
Was sind Ihre Learnings?
Dank der verschiedenen Teilprojekte konnten wir unterschiedliche Ziele verfolgen und unterschiedliche Zielgruppen ansprechen. Es hat sich gezeigt, dass wir Menschen sehr niederschwellig ansprechen können und sie sich engagieren. Mit den Nachbarschaftsheld:innen haben wir 500 kleinere Nachbarschaftsprojekte mit je 500 Franken Migros Gutscheinen unterstützt. Fast 5000 Teilnehmende haben Projekte vorgeschlagen.
Zum ersten Mal konnte die Bevölkerung also mitbestimmen, wie die Fördergelder des Migros-Kulturprozents vergeben werden.
Esther Unternährer
Mit dem nachgelagerten Ideenwettbewerb haben Sie nach grösseren Projekten gesucht, die Sie mit bis zu je 50’000 Franken unterstützt haben.
Hier haben wir insgesamt 64 Eingaben erhalten, die von einer Jury vorselektioniert wurden. 14 Projekte gelangten in ein öffentliches Voting. Zum ersten Mal konnte die Bevölkerung also mitbestimmen, wie die Fördergelder des Migros-Kulturprozents vergeben werden. Das ist etwas, das wir bestimmt wieder machen werden.
Sie stehen vor dem Abschluss der #nachbarschaftsinitiative . Wie nachhaltig wirken die die kleinen und grossen Vorhaben über das Ende Ihrer Unterstützung hinaus?
Bei den Nachbarschaftsheld:innen war die Absicht, einen Impuls für gesellschaftliches Engagement zu geben. Die nachhaltige Wirkung war nicht erstes Ziel, auch wenn es verschiedene Projekte gab, die dies erfüllten. Beim Ideenwettbewerb haben wir gezielt nach Projekten gesucht, die nachhaltig wirken, wobei wir hier von einem Zeithorizont von mindestens zwei Jahren ausgegangen sind. Viele Projekte sind jedoch so konzipiert, dass sie noch weiterlaufen.
Zum Beispiel?
Beim Ideenwettbewerb gab es ein Projekt im Tessin: Ein Dorftreffpunkt wird wetterfest gemacht.
Das Tessin war auch bei den Gewinnerprojekten des Ideenwettbewerbs stark vertreten. Zeichnete sich dies bereits bei den Eingaben ab?
Ja. Es hat mich sehr gefreut, dass sowohl bei den Nachbarschaftsheld:innen als auch beim Ideenwettbewerb alle Landesteile stark vertreten waren.
Gibt es nochmal eine Mitmachinitiative?
Im August startet unsere nächste Initiative zu einem gesellschaftlichen Thema.
Wird es eine Fortsetzung der #nachbarschaftsinitiative sein?
Nein. Wir werden ein neues Thema bespielen. Aber was das genau ist, verraten wir noch nicht. Auch dieses Mal ist es etwas, das uns alle betrifft. Lassen Sie sich überraschen.
Jede zwischenmenschliche Beziehung bedarf der Pflege – genau hier haben wir mit unserer Initiative angesetzt.
Esther Unternährer
Aufgrund Ihrer Erfahrung mit der #nachbarschaftsinitiative – funktioniert die Hilfe unter Nachbarn in der Schweiz?
Besser, als man denkt! Wir haben die Initiative mit einer Studie des Gottlieb Duttweiler Instituts GDI zum Thema lanciert. Die erste grosse Studie, die die Nachbarschaft in der Schweiz untersucht hat. Diese zeigt, dass die meisten mit ihrer Nachbarschaft zufrieden sind, aber auch eine gewisse Distanz schätzen. Gleichzeitig hat die Pandemie gezeigt, dass wir in Krisenzeiten auf die Hilfe der Nachbar:innen zählen können. Da wir immer dichter wohnen, ist es auch in unserem Interesse, dass wir mit unseren Nachbar:innen auskommen. Und jede zwischenmenschliche Beziehung bedarf der Pflege – genau hier haben wir mit unserer Initiative angesetzt.
Nachbarschaftsprojekte: Saraoo a Beride im Tessin und in Basel
Gab es einen Austausch unter den Projektinitiant:innen?
Beim Ideenwettbewerb gab es das. Das war von uns so geplant und wurde auch von den Projektinitiat:innen direkt angefragt. Die Projekte der Nachbarschaftsheld:innen waren eher individuelle und kleiner angelegt. In dem wir diese auf unseren Kommunikationskanälen vorgestellt haben, konnten wir zeigen, was es gibt und so die Menschen motivieren und inspirieren, sich für ihre Nachbarschaft zu engagieren.
Hat Sie etwas besonders beeindruckt?
Bei den Nachbarschaftsheld:innen hat mich die Vielfalt der zahlreichen Eingaben beeindruckt. Vom Abschiedsfest für einen Nachbarn, der kurzfristig in Altersheim musste, über einen gemeinsam angelegten Kräutergarten bis hin zu saisonalen Dekorationen im Eingang eines Mehrfamilienhauses. Beim Ideenwettbewerb waren es die unterschiedlichen Formen, wie man den Dialog in der Nachbarschaft stärken kann, wie bspw. mit der Erweiterung des Stadtgartens am Allschwilerplatz in Basel, einem Nachbarschaftsradio in einem Quartier in Neuenburg, das von einer stark befahrenen Durchgangsstrasse getrennt wird oder einem Gemeinschaftsgarten in Worb.
Esther Unternährer ist seit 2022 Projektleiterin Gesellschaft bei der Direktion Gesellschaft & Kultur, beim Migros-Genossenschafts-Bund. Von 2012 bis 2022 war sie Co-Festivalleiterin der Stanser Musiktage. Zuvor war sie Ressortleiterin Freizeitangebote bei der Stadt und Luzern.