Andrea Bignasca, Direktor Antikenmuseum Basel und Sammlung Ludwig

Anti­ken­mu­seum Basel: «Das Opfer­tier musste sich einver­stan­den erklären»

Das Antikenmuseum widmet, in Kooperation mit drei weiteren Basler Museen, die aktuelle Ausstellung dem Tier: «tierisch! Tiere und Mischwesen in der Antike». Andrea Bignasca, Direktor des Antikenmuseums erklärt, was über die Rolle der Tiere in der Antike bekannt ist und wie die Ausstellung möglich wurde.

The Philanthropist: Wie sind Sie auf die Idee der Ausstel­lung gekom­men?
Andrea Bignasca: Die Ausstel­lung ist eine grosse Koope­ra­tion unter vier Basler Museen (Anti­ken­mu­seum Basel, Museum der Kultu­ren Basel, Histo­ri­sches Museum Basel, Phar­ma­zie­his­to­ri­sches Museum der Univer­si­tät Basel), die vier Ausstel­lun­gen zum selben Thema mit den eige­nen Samm­lun­gen und mit unter­schied­li­chen Schwer­punk­ten paral­lel zeigen. Die Idee ist im Gremium der vier Direk­tio­nen entstan­den. Wir haben ein Thema gewählt, das wir dank unse­ren diver­si­fi­zier­ten Samm­lun­gen voll­um­fas­send haben aufrol­len können.

Tiere waren in der Antike «Lebens­grund­lage». Gab es auch eine Form von Tier­schutz, welche den Umgang mit dieser Lebens­grund­lage regelte?
Tier­schutz im heuti­gen Sinne gab es in anti­ken Kultu­ren nicht. Aller­dings war der Umgang mit dieser Lebens­grund­lage sehr bewusst, respekt­voll und reli­giös gere­gelt. Das Tier­op­fer wurde sorg­fäl­tig ausge­wählt, feier­lich geschmückt und im Rahmen eines Ritu­als zum Fleisch­ver­zehr getö­tet. Dabei musste sich das Opfer­tier «einver­stan­den erklä­ren», man erwar­tete beispiels­weise ein entspre­chen­des Zeichen vom Tier während des Ritu­als – ein Kopf­ni­cken o.ä. Für dieses Opfer zuguns­ten der mensch­li­chen Gesell­schaft war die Dank­bar­keit der Menschen spürbar.

War auch die Haltung der Tiere respekt­voll?
Eine Massen­tier­hal­tung wie heute gab es damals nicht. Soweit man rekon­stru­ie­ren kann, hatten die Tiere auch keine Angst vor der Schlach­tung. Sie lebten im Stall und im Freien, in direk­ter Nähe der Ortschaf­ten und sie wurden lang­sam und feier­lich im Rahmen eines bestimm­ten Ritu­als zum Tempel geführt, wo sie schliess­lich geop­fert wurden. Bis zum Totschlag hat das Tier nichts gemerkt. Es gab einen gegen­sei­ti­gen Respekt – jeden­falls viel mehr als heute.

Es gab einen gegen­sei­ti­gen Respekt – jeden­falls viel mehr als heute.

Andrea Bignasca, Direk­tor Anti­ken­mu­seum Basel

Gleich­zei­tig stan­den fremde wilde Tiere für Gefah­ren. Was bedeu­tete dies für den Umgang mit diesen Tieren? War es mehr Ehrfurcht vor der unbe­kann­ten Stärke oder sah man in wilden Tieren eine Bedro­hung, die es zu besei­ti­gen galt?
Wilde Tiere stell­ten in der Antike – in der Zeit der Grün­dung von Dörfern, Städ­ten und Kolo­nien – die Welt ausser­halb der struk­tu­rier­ten Zivi­li­sa­tion der Menschen dar. Sie beleg­ten einen noch unbe­wohn­ten oder unge­nutz­ten Raum in Wäldern oder im Gebirge und sie bedroh­ten mit ihren Angrif­fen Reisende, Hirten, Acker­bauer oder sie verwüs­te­ten ihre Felder. Die Gefahr war also sehr real. Aller­dings wurde diese Situa­tion auch symbo­lisch gedeu­tet: hier die Menschen mit ihren Struk­tu­ren und ordnen­den Prin­zi­pien, dort die Wild­nis ohne Gesetze – sozu­sa­gen das Reich des Chaos. Gleich­zei­tig faszi­nier­ten die wilden Tiere wegen ihrer Stärke, ihrer Schnel­lig­keit, ihrer über­mensch­li­chen Kraft und Mut. Nicht zufäl­lig verzie­ren Löwen, Stiere, Eber, Widder oder Schlan­gen die Macht­in­si­gnen von Köni­gen und Herr­schern, sei es Waffen, den Thron oder das Zepter.

Finden sich Anzei­chen, welchen Wert ein Tier­le­ben hatte?
Soweit man ein Tier­le­ben rekon­stru­ie­ren kann, hatten gezähmte Tiere einen hohen Wert, sie wurden respekt­voll gezüch­tet und schliess­lich dank­bar geop­fert. Bei den wilden Tieren domi­nierte hinge­gen die Ambi­va­lenz zwischen Angst und Faszi­na­tion, jedoch galten sie vor allem als eine Gefahr, die gebannt werden musste.

Wenn sie eine Gefahr darstell­ten: Wurden die Tiere auch einfach getö­tet, um getö­tet zu werden?
Es fällt auf, dass in der Kunst die gezähm­ten Tiere kaum darge­stellt werden. Viel­mehr zeigen die Szenen auf Reli­efs oder in der Male­rei die mäch­ti­gen wilden Tiere, die im Wald leben und die Welt der Menschen bedro­hen. Wahr­schein­lich ist diese Faszi­na­tion in den über­na­tür­li­chen Fähig­kei­ten der Tiere begrün­det, Fähig­kei­ten, welche die Menschen nicht hatten, wie die Schnel­lig­keit, die Angriffs­lust, den Spür­sinn oder die Muskel­stärke. Der Mensch, allein und nackt in der Natur ist dieser völlig ausgeliefert.

Als Vertre­ter der Antike reprä­sen­tie­ren wir heute eine Nische im kultu­rel­len Gesamt­an­ge­bot, und das Fund­rai­sing gestal­tet sich dementspre­chend schwierig.

Andrea Bignasca, Direk­tor Anti­ken­mu­seum Basel

Heute disku­tiert unsere Gesell­schaft über Grund­rechte für Tiere. In der Antike gab es Misch­we­sen wie Kentau­ren oder Sphinx. Waren die Gren­zen zwischen Mensch und Tier, ev. auch Gott, damals durch­läs­si­ger?
Misch­we­sen sind eine span­nende Erfin­dung der Menschen, sie setzen sich aus Teilen von verschie­de­nen wilden Tieren zusam­men und häufig haben sie einen Menschen­kopf. In der Regel stell­ten sie faszi­nie­rende, ferne Länder dar, die man nur vom Hören­sa­gen oder von unge­prüf­ten Reise­be­rich­ten kannte. Sie waren sozu­sa­gen tieri­sche Perso­ni­fi­ka­tio­nen dieser frem­den Gegen­den. In der Tat bedroh­ten sie die Entwick­lung der mensch­li­chen Zivi­li­sa­tion und zeig­ten deren Gren­zen auf. Psycho­lo­gisch können sie auch als Projek­tio­nen von mensch­li­chen Urängs­ten erklärt werden: der Angst vom Unbe­kann­ten (Medusa), der Unab­weg­bar­keit vom Leben (Sphinx) oder der Furcht vor der grau­sa­men Macht­aus­übung (Mino­tau­ros). Die Gren­zen zwischen Mensch und Tier sind tatsäch­lich durch­läs­si­ger gewe­sen: Tiere gehör­ten im alten Grie­chen­land oder in Rom zu den gewöhn­li­chen Attri­bu­ten von Göttern und im alten Ägyp­ten waren sie sogar selber Gottheiten.

Zahl­rei­che Stif­tun­gen haben diese Ausstel­lung ermög­licht. Arbei­ten Sie immer mit densel­ben Stif­tun­gen zusam­men?
Unser Museum ist für jede Ausstel­lung auf Dritt­mit­tel ange­wie­sen, die einge­wor­ben werden müssen, um die Projekte umzu­set­zen. Wir dürfen glück­li­cher­weise in Basel auf einige treuen und leiden­schaft­li­chen Mäze­n­in­nen und Mäzene zählen. Darüber hinaus werden wir von unzäh­li­gen Stif­tun­gen immer wieder gross­zü­gig unter­stützt. Einige dieser Stif­tun­gen können uns regel­mäs­sig helfen, wobei die Pande­mie die Unter­stüt­zungs­an­träge wohl vervier­facht hat, und dementspre­chend wurden die gespro­che­nen Beiträge halbiert, oder die Anträge abge­lehnt. Seit eini­gen Jahren suchen wir nach finan­zi­el­ler Unter­stüt­zung auch ausser­halb des Kantons Basel-Stadt natio­nal wie inter­na­tio­nal. Die Stif­tung «In memo­riam Adolf und Margreth Im Hof-Schoch» ist ein Sonder­fall und sie hat uns einma­lig unter­stützt: Grund dafür war die länger­fris­tige Leih­gabe an das Museum von unzäh­li­gen Tier­fi­gu­ren aus der ehema­li­gen Samm­lung von Eva Maxi­mi­liane Pollak-Im Hof, die gleich­zei­tig auch die Stif­tungs­grün­de­rin war.

Ist das Thema der Ausstel­lung eines, mit dem sich einfach Förder­gel­der gene­rie­ren liess?
Nicht unbe­dingt. Als Vertre­ter der Antike reprä­sen­tie­ren wir heute eine Nische im kultu­rel­len Gesamt­an­ge­bot, und das Fund­rai­sing gestal­tet sich dementspre­chend schwie­rig. Es ist wahr­schein­lich reiz­vol­ler, ein Musik­fes­ti­val oder eine Picasso-Ausstel­lung zu unter­stüt­zen. Demnach sind wir sehr dank­bar, wenn wir immer noch Leute oder Stif­tun­gen finden, die an uns glau­ben, und die – ähnlich wie wir – die Wich­tig­keit von Geschichte, Archäo­lo­gie und Tradi­tio­nen als Funda­ment unse­rer heuti­gen Zeit anerkennen.

Dennoch ist der Link zur heuti­gen Proble­ma­tik für tier­spe­zi­fi­sche Stif­tun­gen zu weit entfernt.

Andrea Bignasca, Direk­tor Anti­ken­mu­seum Basel

In Bezug auf das Thema «Tiere» gilt dasselbe: Als Anti­ken­mu­seum bespie­len und deuten wir die anti­ken Kultu­ren sowie ihre mate­ri­elle Hinter­las­sen­schaft. Wir können nicht behaup­ten, dass wir aktiv in einem Tier­schutz­ver­ein wirken. Mit der Ausstel­lung wollen wir auf das Thema «Tiere» voll­um­fas­send, jedoch mit dem Blick auf die Antike aufmerk­sam machen. Auch so gene­riert man sicher eine gewisse Sensi­bi­li­tät in Bezug auf Tiere, dennoch ist der Link zur heuti­gen Proble­ma­tik für tier­spe­zi­fi­sche Stif­tun­gen zu weit entfernt, um daraus eine finan­zi­elle Unter­stüt­zung zu generieren.

Bei Antike könnte man schnell an verstaubte Statuen denken. Wie gelingt es Ihnen, eine Ausstel­lung zu schaf­fen, die den Gewohn­hei­ten eines heuti­gen – gerade auch eines jünge­ren – Publi­kums gerecht wird?
Ja die Antike ist fern, sie ist vergan­gen und dazu ist sie nur bruch­stück­haft erhal­ten geblie­ben. In der Vermitt­lung ist demnach eine mühsame und gleich­zei­tig sehr span­nende Rekon­struk­ti­ons­ar­beit nötig. Unsere Ausstel­lun­gen sind daher stets immersiv und parti­zi­pa­tiv gestal­tet. Die Insze­nie­rung ist sehr aufwän­dig, wir setzen audio­vi­su­elle Mittel und emotio­nale Instal­la­tio­nen ein, die eine beson­dere Stim­mung wie auf einer Thea­ter­bühne evozie­ren. Die Expo­nate blei­ben zentral, jedoch das Erleb­nis steht genauso wie die Werke stark im Vorder­grund. Neben einem nieder­schwel­lig erzähl­ten Audio­guide in mehre­ren Spra­chen bieten wir einen Rund­gang für Kinder an – mit tiefe­ren Vitri­nen und mit einer stufen­ge­rech­ten, emotio­na­len Gestal­tung, die auch das jüngere Publi­kum faszi­nie­ren kann.

So gese­hen sind unsere Ausstel­lun­gen eher künst­le­ri­sche Installationen.

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