Von links: Carlos Alvarez Pereira, Vizepräsident Club of Rome, Cintia Jamie, Gründerin und Geschäftsführerin der Stiftung Es Vicis, Mamphela Ramphele, Co-Präsidentin Club of Rome, Daniel Winzenried, Gründer und Stiftungsratspräsident der Stiftung Es Vicis.

Club of Rome: Weisst du, dass die Glet­scher in der Schweiz schmelzen?

Ramphele Mamphela, Co-Präsidentin des Club of Rome und Vizepräsident Carlos Alvarez Pereira, sprechen über die Publikation von «die Grenzen des Wachstums» vor 50 Jahren, goldene Ketten und weshalb sie kein Wiener Kaffeehaus sein wollen.

The Philanthropist: Vor 50 Jahren hat der Club of Rome die viel disku­tierte Schrift «die Gren­zen des Wachs­tums» publi­ziert. Was hat sich seit­her verändert?

Carlos Alva­rez Pereira: Zum Jubi­läum haben wir das Buch «Limits and beyond» heraus­ge­ge­ben. Die Publi­ka­tion behan­delt den riesi­gen Impact von «die Gren­zen des Wachs­tums» vor 50 Jahren. Sie blickt aber auch in die Zukunft. Und sie stellt die Frage, was sich nicht verän­dert hat? Wir haben den Sinn von Verän­de­rung nicht gelernt. Oder anders gesagt, was wir schon seit 50 Jahren wissen, aber nicht geän­dert haben?

Was moti­viert Sie heute noch?

Mamphela Ramphele: Die Sehn­sucht und der Glaube, dass das Leben besser sein kann und soll. Und dass die Menschen die Fähig­keit haben, auch das zu lernen, was sie nicht lernen wollen.

Was heisst das?

MR: Es ist bequem, nicht zu lernen. Denn sonst müss­ten wir handeln aufgrund dessen, was wir gelernt haben. Wir haben Angst vor den Konse­quen­zen, vor den Aktio­nen, die wir ergrei­fen müssten.

Das klingt wenig hoffnungsvoll.

MR: Ich glaube, der Fakt, dass die Menschen Wider­stand gegen den Wandel leis­ten, ist das letzte Hinder­nis vor dem Durch­bruch. Die Menschen sind kein hoff­nungs­lo­ser Fall. Die junge Gene­ra­tion von heute wird nicht damit zufrie­den sein, dass es noch zehn Jahre dauert, bis etwas passiert. Sie wollen den Wandel im Jetzt.

Es ist bequem, nicht zu lernen. Denn sonst müss­ten wir handeln aufgrund dessen, was wir gelernt haben.

Mamphela Ramphele, Co-Präsi­den­tin Club of Rome.

Das bestärkt sie, weiterzumachen?

MR: Das Wissen, dass Wandel möglich ist, ist schon hier. Es zeigt sich über­all in klei­nen Funken. Menschen, die kommu­ni­zie­ren, zeigen, wo Erfolge passie­ren, und sie inspi­rie­ren andere Menschen. Wir dürfen nicht nur Gefah­ren und Krisen sehen. Der Club of Rome sollte noch verstärkt als Kata­ly­sa­tor wirken, um einen umfas­sen­de­ren und tief­grei­fen­de­ren Wandel zu fördern.

Wo steht der Club of Rome heute?

CAP: 2018 haben wir eine neue Stra­te­gie erar­bei­tet. Wir haben uns über­legt, was wir die nächs­ten 50 Jahre errei­chen wollen. Was können wir besser machen, wie bekom­men wir mehr Einfluss und wie werden wir wieder rele­van­ter? Und uns war klar, was wir nicht wollen: Dass wir riskie­ren, ein Wiener Kaffee­haus zu werden.

Das heisst?

CAP: Wir dürfen nicht wie in einem Wiener Kaffee­haus dasit­zen, warten bis jemand vorbei­kommt, um einfach gute Diskus­sio­nen haben. Deswe­gen wollen wir proak­ti­ver werden und verstärkt mit ande­ren Orga­ni­sa­tio­nen zusam­men­ar­bei­ten. Hierzu haben wir die neue Stra­te­gie defi­niert, die verschie­dene Dimen­sio­nen integriert.

Wie sieht die neue Stra­te­gie aus?

CAP: Wir haben unsere Akti­vi­tä­ten in thema­ti­sche Berei­che geglie­dert, die wir als Hubs bezeich­nen und die von der Dring­lich­keit des Auftau­chens aus den zahl­rei­chen plane­ta­ri­schen Notla­gen der Mensch­heit ange­trie­ben werden. Die fünf Hubs sind: Plane­tary Emer­gency; Reframing Econo­mics; Rethin­king Finance; Emer­ging New Civi­liza­ti­ons Initia­tive und Youth Leader­ship and Inter­ge­ne­ra­tio­nal Dialo­gues. Der thema­ti­sche Ansatz erleich­tert uns die Mobi­li­sie­rung, da sich vor allem bestehende Mitglie­der für ein bestimm­tes Thema, bspw. Finan­zen, enga­gie­ren können. So können wir einfa­cher mit ande­ren Orga­ni­sa­tio­nen Koope­ra­tio­nen einge­hen und für Themen gezielt Agen­den erar­bei­ten. Und wir wollen mehr aus unse­rer Präsenz in der Schweiz machen.

Der Club auf Rome ist in der Schweiz?

CAP: Seit 2008 ist unser Sitz in Winterthur.

MR: In der Schweiz gibt es viele Oppor­tu­ni­tä­ten, weil sie neutral ist. Ausser­dem sind in Genf viele inter­na­tio­nale Orga­ni­sa­tio­nen vertre­ten. Und schliess­lich erle­ben wir global eine Krise der Gover­nance. Die Schweiz offe­riert ein Modell der parti­zi­pa­ti­ven Demo­kra­tie als Beispiel.

Welt­weit aktiv aus der Schweiz heraus.

MR: Es ist wich­tig, über­all vor Ort zu sein, um die ange­mes­se­nen Lehren zu ziehen – das hat uns die Pande­mie gezeigt. Die ganze Welt war betrof­fen, aber der Impact war von Ort zu Ort unterschiedlich.

Unsere Mass­nah­men liefern nicht die Resul­tate, die wir erwarten. 

Carlos Alva­rez Pereira, Vize­prä­si­dent Club of Rome.

Was heisst das für den Club of Rome?

MR: Als Club of Rome ist es wich­tig, was wir aus der Pande­mie gelernt haben. Das Versa­gen der Länder mit hohem Einkom­men, Impf­stoffe zu teilen, statt sie zu horten und verfal­len zu lassen, zeigt, wie drin­gend es ist, neu zu lernen, wie man in einer vernetz­ten und vonein­an­der abhän­gi­gen Welt Mensch sein kann. Die Viel­falt der Erfah­run­gen birgt auch eine große Weis­heit, aus der wir lernen können.

CAP: Wir müssen diese Weis­heit nutzen. Es ist Zeit, aufzu­hö­ren, so zu tun, als ob wir glau­ben würden, dass unsere Mass­nah­men funk­tio­nie­ren, dass eine Agenda 2030 reicht. Unser Planet ist kaputt. Wir bege­hen Selbst­mord. Unsere Mass­nah­men liefern nicht die Resul­tate, die wir erwar­ten. Das Problem ist, die Mass­nah­men sind von dersel­ben Denke geschaf­fen, welche die ganzen Probleme erst erschaf­fen haben. Die Lösungs­an­sätze basie­ren auf dersel­ben kolo­nia­lis­ti­schen Denk­weise, die vom Komman­die­ren und Kontrol­lie­ren der Natur ausgeht und die Menschen zum Konsu­mie­ren antreibt. Und es ist der Versuch, dieses Konsu­mie­ren zu retten.

Was sollte man statt­des­sen tun?

CAP: Es ist die Mission des Club of Rome zu hinter­fra­gen, wo sind wir und weshalb funk­tio­niert es nicht? Wie hängt dies mit unse­rer Kultur und Geis­tes­hal­tung zusam­men und was können wir tun. Und jetzt können wir diese Fragen auf die Schweiz herunterbrechen.

Was bedeu­tet dies für die Schweiz?

CAP: Auf den ersten Blick ist die Schweiz das Para­dies auf Erden, schöne Natur, Wohl­stand, pünkt­li­che Züge.

Aber …

CAP: … wenn wir etwas tiefer graben erken­nen wir, dass das Modell gebrech­li­cher ist, weil sich die Welt so schnell verän­dert und es so viele Span­nun­gen gibt. Das erste Mal, dass mich der Klima­wan­del übri­gens emotio­nal berührt hat, war, als mich ein Kollege fragte: Du weisst, dass die Glet­scher in der Schweiz schmelzen?

Aber welche Denk­weise braucht es denn?

CAP: Bei der Ener­gie­wende gibt es die Haltung, wir müssen von fossi­len Ener­gie­trä­gern auf erneu­er­bare umstel­len. Der Rest ist okay. Unsere Lebens­weise funk­tio­niert. Das ist die domi­nie­rende Ansicht. Wir brau­chen nur tech­ni­sche Lösun­gen und ökono­mi­sche Anreize.

Das funk­tio­niert aus Ihrer Sicht nicht?

CAP: Diese Ansicht miss­ach­tet, dass wir auf einem Plane­ten mit endli­chen Ressour­cen leben. Wenn wir immer mehr konsu­mie­ren wollen, sind wir verdammt. Also müssen wir die Frage ändern.

Wie heisst die Frage?

CAP: Wir müssen fragen, was war zuerst? Was prägt den mensch­li­chen Wohl­stand, unser Wohl­be­fin­den? Sind wir hier, um Ener­gie zu konsu­mie­ren? Wir müssen den Raum der Frage ändern. Und die Antwort kennen wir seit Ewig­kei­ten. Was unse­ren Wohl­stand und unser Wohl­be­fin­den ausmacht ist die Quali­tät unse­rer Bezie­hun­gen zu ande­ren Menschen, das Leben und die Zeit, und wie wir mit den vergan­ge­nen und zukünf­ti­gen Gene­ra­tio­nen umgehen.

Die Viel­falt der Erfah­run­gen birgt eine große Weisheit.

Mamphela Ramphele, Co-Präsi­den­tin Club of Rome.

MR: Wir müssen unsere Messung von Wohl­stand und Entwick­lung hinter­fra­gen. Ist die Schweiz höher entwi­ckelt als Südafrika? Auf welcher Basis urtei­len wir? Wie defi­nie­ren wir, was ein gutes Leben ist? Als ich bei der Welt­bank war verfolg­ten wir das Ziel, Afrika zu elek­tri­fi­zie­ren. Wenn man nachts über Afrika flog, war alles dunkel. Wenn man in Europa erreichte, war alles Licht. Aber es waren leer­ste­hende Büro­ge­bäude, beleuch­tet in der Nacht – eine Ener­gie­ver­schwen­dung. Es ging nur darum, Grösse zu zeigen, indem man Ener­gie-Ressour­cen verbrennt und die Lich­ter bren­nen lässt. Diese Menta­li­tät brachte der Kolo­nia­lis­mus nach Afrika. Und wir verfol­gen sie trotz Ener­gie­knapp­heit. Wir soll­ten zum Start­punkt zurück­keh­ren – worauf es im Leben ankommt, ist das Leben selbst und die Quali­tät unse­rer Beziehungen.

Wie errei­chen wir das?

CAP: Die schlimms­ten Ketten sind unsere Gedan­ken – vor allem wenn sie golden sind. Wir leben in privi­le­gier­ten Situa­tio­nen. Wir haben uns gemüt­lich instal­liert. Wenn wir über­le­gen, wir müssen weni­ger konsu­mie­ren, inter­pre­tie­ren wir das als Verlust. Aber wir müssen es als Gewinn verste­hen, wenn wir uns von mate­ri­el­len Dingen befreien. Der Club of Rome will als Kata­ly­sa­tor wirken. Er will zeigen, was bereits passiert und dass es schon Menschen gibt, die sich von ihren geis­ti­gen Ketten befreien.

MR: Wir müssen uns insbe­son­dere vom Begriff Best Prac­tice lösen. Best Prac­tice für wen? Und der phil­an­thro­pi­sche Sektor sollte selbst die Frage stel­len, wie können wir als Teil der Mensch­heit uns in lebens­be­droh­li­chen Situa­tio­nen enga­gie­ren, um die Zukunft unse­rer eige­nen Kinder zu sichern und die Quali­tät des Lebens verbessern.

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