Jonas Staub, Bild: Tom Hiller

Blind­s­pot: «Wir wollen den Arbeits­markt revolutionieren»

Mit der Non-Profit Organisation Blindspot in Bern setzt sich Gründer und Social-Entrepreneur Jonas Staub für eine inklusive Gesellschaft ein, die Menschen mit Beeinträchtigung selbstbestimmt am Leben teilhaben lässt. Die Erfahrungen zeigen die Vorteile dieses Ansatzes – für Menschen mit und ohne Beeinträchtigung.

Was waren die Ursprünge von Blindspot? 

Das Ziel war und ist es, ein inklu­si­ves gesell­schaft­li­ches und wirt­schaft­li­ches System zu verwirk­li­chen. In diesem kann jeder Mensch, egal mit welchen Fähig­kei­ten, selbst­be­stimmt teil­ha­ben. Wir brau­chen heute eine viel­fäl­tige und diverse Gesell­schaft, um die Probleme zu lösen. Mit unter­schied­li­chen Menschen können wir Probleme zu Chan­cen wandeln und Schwä­chen mit gegen­sei­ti­gen Stär­ken elimi­nie­ren. Kurz gesagt: Ich habe Blind­s­pot gegrün­det, weil Sepa­ra­tion eine Sack­gasse ist und Inklu­sion der Weg, der aus dieser führt.

Wie haben sich die Ziele im Laufe der Zeit entwickelt?

Das oberste Ziel hat sich nicht verän­dert. Ich wollte etwas bewe­gen, verän­dern und zeigen, dass es auch anders geht. Damals fehl­ten die Beweise noch. Es gab noch keine UNO-Behin­der­ten­kon­ven­tion. Heute können wir mit Best-Prac­tice-Beispie­len zeigen, dass ein inklu­si­ver Ansatz funktioniert.

Wir stel­len die Menschen ins Zentrum und nicht die Institutionen. 

Jonas Staub, Social-Entre­pre­neur und Grün­der Blindspot

Was bewirkt Ihr Stre­ben nach Veränderung?

Wir kämp­fen gegen ein profes­sio­na­li­sier­tes und gesell­schaft­lich veran­ker­tes Förde­rungs- und Unter­stüt­zungs­sys­tem an. Dieses setzt auf Tren­nung. Wir dage­gen stel­len die Menschen ins Zentrum und nicht die Insti­tu­tio­nen. Mit unse­ren Beispie­len können wir heute zeigen, wie es funk­tio­niert. Damit stel­len wir uns aber auch in den Gegen­wind: Denn verän­dert sich das System, werden Insti­tu­tio­nen an Einfluss und finan­zi­el­len Mitteln verlieren.

Wie kann Blind­s­pot den gröss­ten Beitrag zur Umset­zung der UNO-Behin­der­ten­rechts­kon­ven­tion leisten?

Am wich­tigs­ten ist, dass wir etli­che Menschen mit und ohne Beein­träch­ti­gung sensi­bi­li­siert haben. Wir zeigen den Mehr­wert für alle auf. Und weil wir mit Arbeit, Wohnen, Frei­zeit und Bildung in den wich­tigs­ten Lebens­be­rei­chen tätig sind, können wir hier mit Best-Prac­tice-Beispie­len zeigen: es funk­tio­niert. Um dies lang­fris­tig zu veran­kern, nutzen wir den Motor der Wirt­schaft, und nicht die Poli­tik. Wir bieten alles auf dem freien Arbeits‑, Wohn- und Frei­zeit­markt an und über­zeu­gen mit Quali­tät. Denn die UNO-Behin­der­ten­rechts­kon­ven­tion ist ein Menschen­recht, und keine Alternative.

Mit Behin­der­ten­gleich­stel­lungs­ge­setz und rati­fi­zier­ter UNO-Behin­der­ten­rechts­kon­ven­tion: Wo hat die Schweiz den gröss­ten Nach­hol­be­darf bei der Gleichstellung?

In der Poli­tik. Die Poli­tik könnte die Finanz­ströme ändern. Anstatt der Objekt­fi­nan­zie­rung an die Insti­tu­tio­nen setzen wir uns für einen Wech­sel zur Subjekt­fi­nan­zie­rung zu den Menschen ein. Wir müssen ein System entwi­ckeln, in dem Menschen mit Beein­träch­ti­gung unter Beizug ihres engs­ten Umfel­des – Fami­lie, Beistand­schaft, Berater:innen – selbst entschei­den können, wie sie ihr Geld einsetz­ten: Wo sie wohnen und arbei­ten wollen, wie sie reisen möch­ten und welche Ausbil­dung sie machen möch­ten etc. Dazu braucht es ein Bera­tungs­an­ge­bot. Aktu­ell ist es eher ein Entschei­dungs­an­ge­bot: Es wird für die Menschen mit Beein­träch­ti­gung entschie­den, wo sie wohnen und arbei­ten sollen.

Inklu­sion ist etwas Natür­li­ches. Nur braucht es dazu die Möglichkeiten.

Jonas Staub

Weshalb wird das heute nicht geändert?

Es fehlt an jegli­cher natio­na­ler Stra­te­gie auf der poli­ti­schen Ebene, um die UNO-Behin­der­ten­rechts­kon­ven­tion umzusetzen.

Blind­s­pot zeigt bereits heute, wie Inklu­sion geht. Wie funk­tio­niert das inklu­sive Wohnprojekt? 

Es ist deinsti­tu­tio­na­li­sier­tes Wohnen. Menschen mit und ohne Beein­träch­ti­gung leben normal in einer Wohnung. Die Menschen, die dort wohnen, erhal­ten einen norma­len Unter­miet­ver­trag und verwal­ten die Wohnung selbst. Sie buchen sich zudem das Coaching, das sie brau­chen. Es ist also auf ihre Bedürf­nisse zuge­schnit­ten. Sie bestim­men, was sie brau­chen und was nicht. Um eine gewisse Nach­hal­tig­keit gegen­über den Immo­bi­li­en­ge­sell­schaf­ten zu garan­tie­ren, mietet Blind­s­pot die Wohnungen.

Welche Auswir­kun­gen hat es auf die Selbst­be­stim­mung von Menschen mit Beeinträchtigungen?

Es hat eine sehr grosse Auswir­kung. Sie lernen Verant­wor­tung für sich selbst und ihr Umfeld zu über­neh­men. Unsere Gesell­schaft spricht dies Menschen mit Beein­träch­ti­gung kaum bis gar nicht zu.

Wo konn­ten Sie Wohnun­gen finden?

Es handelt sich um Wohnun­gen in belieb­ten und beleb­ten Stadt­tei­len von Bern. So lernen die Menschen mit Beein­träch­ti­gung ihr Umfeld kennen und inklu­die­ren sich ganz natür­lich. Inklu­sion ist etwas Natür­li­ches. Nur braucht es dazu die Möglichkeiten.

Welches waren die gröss­ten Heraus­for­de­run­gen bei der Umset­zung des inklu­si­ven Wohnprojekts?

Am Anfang war die grösste Heraus­for­de­rung, über­haupt an Wohnun­gen zu kommen. Wohn­ge­mein­schaf­ten sind bei Liegen­schafts­ver­wal­tun­gen nicht gerade beliebt. Daher war die Bezie­hungs­ar­beit unglaub­lich wich­tig. Wir muss­ten die Immo­bi­li­en­ge­sell­schaf­ten und Verwal­tun­gen mit unse­rem Konzept über­zeu­gen. Wir konn­ten auch eine private grös­sere Liegen­schaft und die Stadt Bern selbst mit an Bord holen für unser inklu­si­ves Wohnprojekt.

Wie vernetzt sich Blind­s­pot mit ande­ren Orga­ni­sa­tio­nen und Gleich­ge­sinn­ten, um die Inklu­sion zu fördern?

Seit der Grün­dung setzen wir auf Netz­werk­ar­beit mit Orga­ni­sa­tio­nen inner­halb der «Behin­de­rungs­bran­che» und eben auch ausser­halb wie Verbände und Behör­den, Poli­tik und Wirt­schafts­kreise. Jene ausser­halb sind entschei­dend, weil diese die Inklu­sion in unse­rer Gesell­schaft tragen müssen.

Wir möch­ten zeigen, wie einfach es ist, Menschen mit Beein­träch­ti­gung im ersten Arbeits­markt zu inkludieren.

Jonas Staub

Welche Rolle spielt das Projekt «Arbeits­markt inklu­siv» bei der Sensi­bi­li­sie­rung von Arbeit­ge­bern für die Inklu­sion von Menschen mit Beeinträchtigungen?

Das Projekt Arbeits­markt inklu­siv ist der Schau­platz für unsere Best-Prac­tice Beispiele in der Wirt­schaft. Wir möch­ten zeigen, wie einfach es ist, Menschen mit Beein­träch­ti­gung im ersten Arbeits­markt zu inklu­die­ren und ihre Stär­ken und ihre Produk­ti­vi­tät zu nutzen.

Unter­stützt Blind­s­pot andere Arbeitgeber:innen bei der Schaf­fung inklu­si­ver Arbeitsstrukturen?

Ja. Mit unse­rem Ausbil­dungs­pro­jekt. Wir beglei­ten Menschen mit Beein­träch­ti­gung und ihre Arbeit­ge­ber in ihrer Ausbil­dung im ersten Arbeits­markt in unter­schied­li­chen Bran­chen. Diese wird auch meist von der IV finanziert.

Welche lang­fris­ti­gen Ziele verfolgt Blind­s­pot im Hinblick auf eine nach­hal­tige Inklu­sion von Menschen mit Beein­träch­ti­gun­gen im Arbeitsmarkt?

Wir wollen den Arbeits­markt revo­lu­tio­nie­ren. Nach dem Motto: Jedes Prozent an Leis­tung ist ein Prozent mehr Leis­tung in der Wirt­schaft. Im Moment ist unsere Wirt­schaft so ausge­rich­tet, dass jeder Mensch mindes­tens 70 bis 80 Prozent Leis­tungs­fä­hig­keit braucht, um im ersten Arbeits­markt arbei­ten zu dürfen bzw. als Mehr­wert ange­se­hen zu werden. Wir sehen es so: Jeder Mensch kann einen Mehr­wert brin­gen und ein diver­ses Team ist produk­ti­ver als ein homo­ge­nes. Womit wir bei meiner ersten Antwort sind: Wir können mit unse­ren Best-Prac­tice Beispie­len – wie auch mit verschie­de­nen Studien – bewei­sen, dass inklu­sive Teams produk­ti­ver und sozial kompe­ten­ter werden, dass es weni­ger Burn­outs und sons­tige psychi­sche Erkran­kun­gen gibt, dass die Mitar­bei­ten­den länger im Unter­neh­men blei­ben und vieles mehr.

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