In einer komplexeren Welt sind neue Lösungsansätze gefragt. Stiftungen positionieren sich mit neuen Zusammenarbeitsformen und angepasster Fördertätigkeit, um ihre Rolle in der Gesellschaft wirkungsvoll zu erfüllen.
Gesellschaftliche Herausforderungen wie Klimawandel und Chancenungerechtigkeit müssen gemeinsam angegangen werden», sagt Judith Schläpfer, Geschäftsführerin der Volkart Stiftung. «Nur so lassen sich wirksame Lösungen entwickeln und umsetzen.» Deshalb fördert die Stiftung vermehrt Initiativen, die Mitwirkende aus der Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Verwaltung vernetzen. In einem sich schnell verändernden Umfeld ist dieser multidisziplinäre Ansatz wesentlich. Eine verstärkte Zusammenarbeit hat im Stiftungsfeld zugenommen, könnte laut Judith Schläpfer jedoch noch intensiviert werden.
In Arbeitsgruppen tauschen sich die Vertreterinnen und Vertreter des Sektors aus, um voneinander zu lernen. Sie probieren gemeinsame Projektpartnerschaften aus, um die Effizienz zu erhöhen. «Es macht zweifellos Sinn, dass nicht nur Projektorganisationen ihre Ziele partnerschaftlich verwirklichen, sondern auch wir Stiftungen offen sind für erneuerte, gewinnbringendere Formen der Zusammenarbeit», sagt sie.
Respekt für den anderen
Dass der Stiftungssektor nach neuen Zusammenarbeitsformen sucht, nimmt auch Nora Wilhelm, Co-Founder & Catalyst von collaboratio helvetica, wahr. Neue Formen der Zusammenarbeit sind die DNA von collaboratio helvetica. «Unser Ursprung liegt in der Einsicht, dass wir lernen müssen, anders zusammenzuarbeiten, wenn wir den heutigen gesellschaftlichen Herausforderungen gerecht werden wollen», sagt sie. Nur so sei ein Wandel auf Systemebene zu erreichen. Um Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, sei es zwingend, bottom-up zu handeln.
«Eine nachhaltige, gerechte Zukunft kann nur partizipativ gestaltet werden. Bei einem reinen Top-down-Ansatz werden immer gewisse Kreise benachteiligt.» Damit dies gelingt, braucht es ein Verständnis für das Ökosystem. Jeder und jede soll seine oder ihre Rolle kennen und die des anderen verstehen und auch wertschätzen. Nora Wilhelm vergleicht dies mit einem Körper: «Wenn ich die Lunge bin, erfülle ich meine Aufgabe und soll nicht gleichzeitig noch die Aufgabe des Herzes erfüllen wollen.» Dieser Ansatz kann herausfordernd sein. Ein neuer Akteur kann schnell als Bedrohung wahrgenommen werden statt als Potenzial. «Damit sich ein solcher Ansatz durchsetzt, braucht es einen Paradigmenwechsel – auch in den Schulen oder in unserem Wirtschaftssystem», sagt sie.
Partizipative Geldvergabe
Trotz Wunsch nach neuen Zusammenarbeitsformen ist die Umsetzung auch im gemeinnützigen Sektor herausfordernd. «Projektträgerinnen und Projektträger wissen, dass sie für die nächsten Gelder immer in Konkurrenz stehen mit den anderen», sagt Nora Wilhelm. Das erschwere den Austausch massiv. Um neue Ansätze zu finden, hat collaboratio helvetica Versuche mit partizipativer Geldvergabe durchgespielt. Die Teilnehmenden mussten selbst Projekte bewerten. Im Versuch haben einige diese zusammengelegt und die eigenen zugunsten von anderen zurückgezogen. Gemeinsam haben sie die besten Projekte zur Förderung ausgewählt. «Doch um diesen Ansatz in der Stiftungswelt zu implementieren, braucht es eine neue Denkweise», hält Nora Wilhelm fest. «Es braucht Vertrauen. Es braucht einen Strukturwandel.» Grosses Potenzial durch mehr Zusammenarbeit sieht sie auch in Bewerbungsprozessen. Diese sind zum Teil sehr aufwändig und unterschiedlich. Statt voneinander zu lernen, schottet man sich ab. Dabei würde generell Transparenz helfen – und eine bessere Fehlerkultur. Auch Misserfolge sollten in Ordnung sein und sogar anerkannt werden. «Hier können wir extrem viel voneinander lernen. Der Fokus sollte auf dem Lernen sein und nicht auf kurzfristigen Erfolgen, vordefinierten Messgrössen und Output», sagt sie. «Gerade bei sozialen Innovationen muss Versagen möglich sein. Experimente, die ergebnisoffen angelegt sind, bringen uns weiter. Aber diese Haltung ist für viele noch Neuland.»
Offene Kommunikation
Stiftungen agieren nicht isoliert unter sich. Der Gemeinnützigkeitsgedanke gibt ihrer Arbeit eine Relevanz für die Gesellschaft. Mit dieser müssen sie sich auseinandersetzen. Der Leiter des Geneva Centre for Philanthropy of the University of Geneva, Henry Peter, sieht die Forderung nach Transparenz nicht alleinig zwischen den Partnerorganisationen. Auch die Gesellschaft habe Ansprüche. «Geber haben manchmal den legitimen Wunsch, für das Gemeinwohl zu spenden, ohne dabei in Erscheinung zu treten», hält er dagegen, «was schliesslich der ultimative Ausdruck von echtem Altruismus ist.»
Während die Herkunft der Mittel eindeutig «sauber» sein müsse, bedeute dies nicht, dass sie öffentlich bekannt gegeben werden müsse. Gleichwohl beobachtet er eine Entwicklung zu einer offeneren Kommunikation im Stiftungssektor. Mit Blick auf die internationale Situation gewinnt diese Entwicklung an Bedeutung. Während die Bedürfnisse eindeutig steigen, steigen auch die Mittel, die zur Unterstützung des Gemeinwohls zur Verfügung stehen, teilweise exponentiell, sagt Henry Peter. Vor allem in den USA ist bekannt, dass in kürzester Zeit ein immenser Reichtum entstanden ist, der oft zur Gründung von Stiftungen mit bisher unvorstellbarem Vermögen oder Einkommen führt. Er sagt, dass die Frage nach der Legitimität einiger dieser neuen Entwicklungen stehe. «In den letzten Jahren sind kritische Stimmen laut geworden, die auf Eigennutz, Ungleichheit und undemokratische Machtausübung hinweisen, die einige dieser philanthropischen Initiativen hervorrufen», hält er fest. «Obwohl Philanthropie nicht immer perfekt ist, trägt sie in den meisten Fällen Werte, die geschützt und gefördert werden müssen.» Dies ist Teil der Forschung und Lehre des Geneva Centre for Philanthropy, dessen Mission es ist, Akademikerinnen und Praktiker entsprechend auszurüsten, um weiter zu studieren und sich den sich entwickelnden Herausforderungen der Philanthropie zu stellen.
Neuer Ansatz
Auch die Stiftungen passen sich in der Schweiz den gesellschaftlichen Veränderungen und neuen Erwartungen der Bevölkerung an.
Peter Brey, Direktor der Fondation Leenaards, die in den Bereichen «Kultur, Alter & Gesellschaft und Wissenschaft» tätig ist, ist dies nur allzu bewusst: «Die Stiftungen sind zunehmend gefordert zu erklären, wer sie sind, was sie tun und wie sie geführt werden. Gleichzeitig müssen sie den konkreten Nutzen ihrer Leistungen für die gesamte Bevölkerung beziffern.» Und er fügt hinzu: «Immer mehr Stiftungen betten ihre Tätigkeit in einen offenen Dialog mit Begünstigten und Partnern und in einem weiteren Rahmen mit der Gesellschaft ein.»
Angesichts dieser Entwicklungen hat auch die Fondation Leenaards ihre Strategie angepasst. Zusätzlich zu ihren traditionellen Förderinstrumenten hat sie mithilfe von Initiativen einen neuen Ansatz entwickelt. «In einer Gesellschaft mit zunehmend komplexen Herausforderungen erscheint es uns unerlässlich, unsere Logik der projektbezogenen Unterstützung durch einen allgemeineren Ansatz zu ergänzen, der eine Gesamtdynamik auslöst.» Dies gilt vor allem für den wissenschaftlichen Bereich. Parallel zu ihrer traditionellen Förderung der Biomedizin hat die Fondation Leenaards 2021 die Initiative «Integrative Gesundheit und Gesellschaft» (santeintegra.ch) lanciert, deren Zielsetzungen anlässlich von Workshops mit Experten aus den verschiedensten Bereichen bestimmt worden waren. Sie gingen dabei von zwei Feststellungen aus: Mehr als ein Drittel der Schweizer nutzen die sogenannte Komplementärmedizin. Zudem sind gut die Hälfte der im Gesundheitsbereich Beschäftigten nicht konventionelle Therapeuten. «Dennoch steht fest, dass diese beiden Welten – die konventionelle und die komplementäre Medizin – einander nicht ausreichend vertraut sind, was eine integrative Patientenbehandlung erschwert», erklärt Peter Brey. Ziel der Initiative ist es, diese beiden Welten zusammenzuführen und dabei die Bedeutung des Patienten als Protagonist des Behandlungsprozesses aufzuwerten. Um diese Entwicklung zu fördern, konzen-triert sich die Finanzierung der Stiftung auf mehrere Schwerpunkte: Aktionsforschungsprojekte mit methodischer Unterstützung der Projektträger; ein Thinktank, der Therapeutinnen und Therapeuten verschiedener Behandlungsansätze und Patienten zusammenbringt, und eine Austausch- und Informationsplattform. Zu den Schlüsselelementen der Initiative gehört auch eine Bevölkerungsbefragung, deren Ergebnisse im Frühling vorliegen werden. Gemeinsam mit dem ColLaboratoire der Universität Lausanne wurde im Besonderen ein partizipativer Ansatz eingeführt, der sowohl Patienten als auch Bürgerinnen einbezieht, um in Partnerschaft mit dem Schweizer Kompetenzzentrum Sozialwissenschaften (FORS) 3000 Westschweizerinnen und Westschweizer zu befragen. Dieser Ansatz wird von Bürgerlaboren angewandt, die konkrete Wege zur Weiterentwicklung der Gesundheitsfragen auf individueller und systemischer Ebene identifizieren wollen.
Sektorübergreifend
Kollaborationen können weiter gehen, mehr und unterschiedlichere Akteure involvieren: Staat, Privatwirtschaft, Zivilgesellschaft und Stiftungen zusammenzubringen, Change Maker zu fördern und besser zu vernetzen, ist die Mission von collaboratio helvetica. Dazu agiert sie sektorenübergreifend. «Aber wir sind nicht wertfrei. Wir haben ethische und nachhaltige Ziele und Prinzipien, an denen wir uns orientieren», sagt Nora Wilhelm. Aber sie polarisieren nicht, suchen das Gemeinsame und wollen verbinden, statt weiter spalten. Wenn eine Grossbank zu einem Thema einladen würde, könnte dies Aktivistinnen oder Aktivisten von einer Teilnahme abhalten – und umgekehrt. Collaboratio helvetica kann dagegen beide zusammenbringen.
Übergeordnete Fragen
Für Andrew Holland, Geschäftsführer der Stiftung Mercator Schweiz, ist klar, dass es angesichts der Dringlichkeit von Themen wie Klimawandel und gesellschaftlicher Polarisierung ein gemeinsames Handeln von Stiftungen braucht. In der Diskussion schwingen die Fragen stark mit: «Wie sieht die Philanthropie der Zukunft aus? Geht jeder ein Problem für sich an oder können wir gemeinsam mehr Wirkung erzielen?»
Dies verändert die Fördertätigkeit. Neben kollaborativen Fördermodellen und systemischen Ansätzen ist auch der Wandel von der punktuellen Projektförderung hin zu vermehrter Strukturförderung ein wichtiges Thema für Stiftungen wie Mercator Schweiz. Dazu gehört für Andrew Holland auch die gezielte Förderung von Organisationsentwicklung. «Wer ein Projekt fördert, hat ein grosses Interesse daran, eine resiliente Organisation zu unterstützen, die wirkungsvoll und nachhaltig arbeitet», sagt er. Im Rahmen ihrer Projektförderungen hat die Stiftung Mercator Schweiz ihre Partnerinnen schon länger auch in der Entwicklung unterstützt. «Das hat gut funktioniert», sagt Andrew Holland, «aber wir haben realisiert, dass es darüber hinaus auch gezielte Förderungen von reinen Organisationsentwicklungsprojekten und von individuellen Kompetenzen braucht.» Für Letzteres hat die Stiftung Angebote für NGOs entwickelt – darunter Workshops zu Agilität, Social Media und Design Thinking, die den Teilnehmenden praktische Methoden mit auf den Weg geben und die Vernetzung sowie den Erfahrungsaustausch fördern. Gerade bei Themen wie Agilität und anderen neuen Arbeitsmethoden stellt sich für viele Organisationen die Frage: Welche sind für mich relevant? «Unsere Weiterbildungsangebote helfen den Organisationen auch dabei, herauszufinden, ob sie ein Thema weiter vertiefen möchten», erklärt Andrew Holland. Um NGOs noch gezielter zu stärken, damit sie ihre wichtige Rolle als zivilgesellschaftliche Akteurinnen wahrnehmen können, ist die Stiftung daran, ihre Prozesse und Instrumente zur Organisationsentwicklung weiterzuentwickeln. Um herauszufinden, wo Non-Profit-Organisationen in ihrer Entwicklung stehen, was sie brauchen und wie Stiftungen sie wirkungsvoll unterstützen können, plant die Stiftung Mercator Schweiz eine Befragung. Diese möchte sie in Kollaboration mit weiteren interessierten Förderstiftungen konzipieren und realisieren.
Abbau von Hierarchien
Henry Peter sieht den Stiftungssektor gut gewappnet für die neuen Arbeitsmodelle. Stiftungen sind oft getrieben von einer wachsenden Aufmerksamkeit für Werte, die zur DNA des gemeinnützigen Sektors gehören. «Auch lässt sich wahrscheinlich sagen, dass sich die Ziele der meisten Stiftungen mit dem Konzept der Sustainable Development Goals überschneiden, nämlich nachhaltige und sozial verantwortliche Verhaltensweisen und Ziele», sagt er. Ein Vorteil erkennt er tendenziell auch bei kleinen Organisationen mit einer offenen Kultur. Sie können neue Zusammenarbeitsformen leichter schnell annehmen. Allerdings ist Struktur nicht alles. «Es sind vor allem die Menschen, die über die Fähigkeiten und die Überzeugung verfügen, dass neue Formen der Zusammenarbeit zu einer effizienteren Philanthropie beitragen können oder nicht», sagt er. Das zeigt sich im Führungsverständnis. Wo die Entscheidungsbefugnis verteilt ist, erfolgt die Zusammenarbeit effizienter und die Qualität der Leistung ist besser. «Zudem können das Wissen und Soft Skills der Mitarbeitenden besser genutzt werden als in einer hierarchischen Struktur», sagt er. Eine solche Umstellung und die Aufhebung der Hierarchien hat die Stiftung IdéeSport vor zwei Jahren angestossen. Eine agile, lernende Organisation ist das Ziel.
Die ersten Erfahrungen fallen positiv aus: «Es ist eine Zusammenarbeitsform, die zu uns passt, den Mitarbeitenden gerecht wird und sie gleichzeitig sehr fordert», sagt Sandro Antonello, Organisationsentwickler bei IdéeSport. Gerade auch während der Corona-Pandemie hat sie sich bewährt.
Aber Sandro Antonello gibt auch zu bedenken: «Gleichzeitig ist es eine sehr anspruchsvolle Zusammenarbeitsform, die viele Herausforderungen mit sich bringt. Einzelne Mitarbeitende oder Teams müssen Verantwortung übernehmen, Entscheidungen fällen und auch mit Konfliktsituationen umgehen können. Dies ist nicht immer einfach.» Doch die Mitarbeitenden gingen mit Elan ans Werk: «Sie waren dermassen stark motiviert, dass man sie bremsen musste, damit das System nicht überfordert wird. Das war eindrücklich», sagt er. Dass IdéeSport eine gemeinnützige Organisation ist, hat geholfen, denn auch eine agile Organisation stellt den Menschen und die Sinnhaftigkeit ins Zentrum. Der Zweck steht im Zentrum. Sandro Antonello: «Eine solche Ausgangslage wünschen sich viele Firmen, um eine agile Transformation anzustossen.» Doch der Vorteil ist Herausforderung zugleich. Weil die Mitarbeitenden dem Wieso grosse Bedeutung beimessen, ist ein gemeinsames Verständnis ebenso zentral. Darum haben die Mitarbeitenden von IdéeSport diese Themen gemeinsam erarbeitet. «Aber: Es ist auch wichtig, dass alle Mitarbeitenden ihr persönliches Wieso finden können», sagt Sandro Antonello. Ihm ist es ein grosses Anliegen, dass Mitarbeitende dieses haben und das Gesamte auch regelmässig hinterfragen. Diese kritische Auseinandersetzung fördert den Dialog und die Weiterentwicklung. «Aber klar, zu stark sollten die Wiesos schon nicht auseinandergehen.» Zudem stellt er klar, dass eine agile Organisation nicht mit einer Basisdemokratie gleichzusetzen ist. Es gibt zugewiesene Verantwortlichkeiten. «Das Projekt ist abgeschlossen, die Transformation und die Weiterentwicklung laufen weiter», sagt Sandro Antonello. Fast schon positiv klingt es, wenn Sandro Antonello sagt, dass Massnahmen auch nicht funktioniert haben. Denn das gehört dazu. Ein iterativer Prozess mit Feedbackschlaufen führt zu einer ständigen Überprüfung und zu Anpassungen. «So haben wir gewisse Rollen oder Austauschgefässe wieder abgeschafft.»
Die Grenzen
Auch Mercator Schweiz setzt auf strategischer Ebene auf einen iterativen
Prozess bestehend aus Monitoring, Evaluation, Lernen und Adaption (MELA). Um flexibel und zeitnah auf gesellschaftliche Entwicklungen reagieren zu können, hat sie agile Methoden eingeführt. «Agilität bedeutet mehr als Flexibilität. Es geht auch um vorausschauendes und proaktives Handeln», sagt Andrew Holland. Deshalb hat Mercator Schweiz eine Stelle für Zukunftsfragen und interne Arbeitskreise für die Weiterentwicklung der Stiftungsarbeit geschaffen. Mercator Schweiz hat gute Erfahrungen mit dieser «hybriden» Arbeitsweise – einer Kombination aus agilen und klassischen Methoden – gemacht. Allerdings gibt es für neue Arbeitsmodelle auch Grenzen. Henry Peter weist darauf hin: Die aktuelle Gesetzgebung ist für einen traditionellen hierarchischen Ansatz geschaffen und eignet sich für moderne Modelle immer weniger. So ist auch die Governance gefordert. Die Herausforderung ist, das passende Modell zum jeweiligen Zeitpunkt zu finden. Die Trägheit der Anpassungen hindert die Entwicklung. Henry Peter sagt: «Eine gute und effiziente Governance ist nach wie vor ein Schlüsselelement in jeder Organisation.»
Zusammen – wo sinnvoll
Innovative Zusammenarbeitsmodelle mit anderen Förderorganisationen verfolgen sowohl der Migros-Pionierfonds als auch das Migros-Kulturprozent.
Stefan Schöbi ist Leiter Gesellschaft der Direktion Gesellschaft & Kultur beim Migros-Genossenschafts-Bund und verantwortet in seiner Funktion den Migros-Pionierfonds und die nationalen sozialen Projekte des Migros-Kulturprozents. Er hält fest: «Durch unseren Auftrag haben wir traditionellerweise eine enge Zusammenarbeit mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren.»
Viele der Projekte im Bereich Gesellschaft werden sogar kooperativ und nach dem Subsidiaritätsprinzip entwickelt und finanziert. Nationale soziale Projekte haben dabei in der Regel mindestens eine weitere Partnerin, sei es eine Stiftung oder eine Fachhochschule. Doch die Zusammenarbeit muss nicht parallel erfolgen. Zum Teil übernimmt der Pionierfonds Projekte, die andere Förderer zum Start finanziert haben. Der Pionierfonds skaliert sie dann schweizweit. Förderpartnerschaften funktionieren so nacheinander. Als Beispiel nennt Stefan Schöbi die Startup Academy, für die sich zuerst die Gebert Rüf Stiftung stark engagiert hatte, bevor der Pionierfonds das Projekt gross machte. Stefan Schöbi sieht hier noch Potenzial: «Abstimmung und Kompatibilität sind von zentraler Bedeutung. Hier gibt es im Stiftungs- und Fördersektor noch Luft nach oben.» Umgekehrt nennt er als besonders interessantes und inspirierendes Projekt das Modell von Co-Impact, eine Form kollaborativer Philanthropie. «Verschiedene Stiftungen poolen hier ihre Mittel und öffnen ihr Portfolio gleichzeitig für weitere Co-Investoren», sagt Stefan Schöbi. «Die Basis hierfür sind ein gemeinsamer thematischer und regionaler Fokus – in diesem Fall Armutsbekämpfung im globalen Süden – und geteilte Grundsätze bei der Umsetzung, eine Art methodischer Werkzeugkasten.» Dieses Modell ist transparent dokumentiert, deshalb lassen sich auch einfach einzelne Elemente daraus umsetzen. Die gemeinsame Zusammenarbeit der Förderer macht deren Arbeit zielgerichtet, effizient und nachhaltig. Der gemeinsame Ansatz verschiebt den Fokus von einem Einzelprojekt auf die langfristige Perspektive. Trotz all der positiven Effekte, die Stefan Schöbi in gemeinsamen Projekten sieht, hält er fest: Nicht jedes Projekt braucht zum Erfolg ein kollaboratives Modell. «Das Bonmot ist schon gültig: Wer schnell sein will, geht am besten allein, wer aber weit kommen will, geht am besten zusammen.» Er sieht kollaborative Modelle vor allem dort als sinnvoll, wo Projekte ihre Wirkungsweise unter Beweis gestellt haben und nun nachhaltig verankert werden sollen.
Ein Finanzierungspool
«Nach einer erfolgreichen Pilotphase ist es wichtig, Projekte zu skalieren, um eine grössere Reichweite zu erlangen», sagt Judith Schläpfer. «Es braucht Pilotprojekte, bei denen mutig neue Ansätze ausprobiert, unkonventionelle Partnerschaften geknüpft werden. So wird Wissen dazugewonnen, komplexe Sachlagen werden vertieft verstanden und dadurch kann glaubwürdig Position bezogen werden.» Um mehr Reichweite bei positiven Veränderungen zu erlangen, fokussiert sich die Volkart Stiftung bei ihrer Fördertätigkeit verstärkt darauf, systemische Veränderungen zu ermöglichen, anstatt projektbasiert Symptome zu bekämpfen. Eine Langzeitvision und die Ursachenbekämpfung bleiben ebenfalls unabdingbar für positive systemische Veränderungen. Deswegen spricht die 70-jährige Stiftung fast nur noch allgemeine Betriebsbeiträge statt einzelne Projektbeiträge. Dies erlaubt es den geförderten Organisationen, ihre Aktivitäten rasch zu skalieren und agil Opportunitäten zu nutzen. Die wichtigsten Erfolgsfaktoren, um eine systemische Veränderung erfolgreich anzustossen, sind Advocacy-Arbeit, Organisationsentwicklung, Kompetenzaufbau und Partnerschaftsbildung. Als erfolgreiches Projekt nennt sie ChagALL – ein Förderprogramm zur Verbesserung der Bildungschancengerechtigkeit im Jugendalter. Verschiedene Stiftungen, darunter auch die Volkart Stiftung, unterstützen dieses gemeinsam für mehrere Jahre. «Das Fördermodell wurde so überarbeitet, dass ChagALL durch die gewonnene Erfahrung und Expertise ähnliche Initiativen beim Aufbau massgeblich unterstützen konnte», sagt Judith Schläpfer. Hierfür wurde ein von mehreren Stiftungen finanzierter Fonds errichtet, der auch die finanzielle Unterstützung dieser neuen Projekte sicherte. 2021 haben sich diese Förderprogramme und die damit verbundenen Institutionen zur Allianz Chance+ zusammengeschlossen. Gemeinsam mit anderen Stiftungen hat die Volkart Stiftung die Anschubfinanzierung für den Verein Allianz Chance+ gesprochen. Dieser verbindet Praxiswissen aus den Förderprojekten mit Erkenntnissen aus der soziologischen und erziehungswissenschaftlichen Forschung. Die daraus entstehenden Handlungsempfehlungen für die Schulpraxis und Bildungspolitik werden von den Mitgliedern der Allianz in die Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit getragen. Dieser Ansatz ermöglicht eine Veränderung auf systemischer Ebene.