Ludwig van Beethoven – Ode an die Freude – 1824

Bereit für morgen

Gemeinsam Lösungen finden

In einer komple­xe­ren Welt sind neue Lösungs­an­sätze gefragt. Stif­tun­gen posi­tio­nie­ren sich mit neuen Zusam­men­ar­beits­for­men und ange­pass­ter Förder­tä­tig­keit, um ihre Rolle in der Gesell­schaft wirkungs­voll zu erfüllen.

Gesell­schaft­li­che Heraus­for­de­run­gen wie Klima­wan­del und Chan­cen­un­ge­rech­tig­keit müssen gemein­sam ange­gan­gen werden», sagt Judith Schl­äp­fer, Geschäfts­füh­re­rin der Volkart Stif­tung. «Nur so lassen sich wirk­same Lösun­gen entwi­ckeln und umset­zen.» Deshalb fördert die Stif­tung vermehrt Initia­ti­ven, die Mitwir­kende aus der Zivil­ge­sell­schaft, Wissen­schaft, Wirt­schaft, Poli­tik und Verwal­tung vernet­zen. In einem sich schnell verän­dern­den Umfeld ist dieser multi­dis­zi­pli­näre Ansatz wesent­lich. Eine verstärkte Zusam­men­ar­beit hat im Stif­tungs­feld zuge­nom­men, könnte laut Judith Schl­äp­fer jedoch noch inten­si­viert werden.

In Arbeits­grup­pen tauschen sich die Vertre­te­rin­nen und Vertre­ter des Sektors aus, um vonein­an­der zu lernen. Sie probie­ren gemein­same Projekt­part­ner­schaf­ten aus, um die Effi­zi­enz zu erhö­hen. «Es macht zwei­fel­los Sinn, dass nicht nur Projekt­orga­ni­sa­tio­nen ihre Ziele part­ner­schaft­lich verwirk­li­chen, sondern auch wir Stif­tun­gen offen sind für erneu­erte, gewinn­brin­gen­dere Formen der Zusam­men­ar­beit», sagt sie.

Respekt für den anderen

Dass der Stif­tungs­sek­tor nach neuen Zusam­men­ar­beits­for­men sucht, nimmt auch Nora Wilhelm, Co-Foun­der & Cata­lyst von colla­bo­ra­tio helve­tica, wahr. Neue Formen der Zusam­men­ar­beit sind die DNA von colla­bo­ra­tio helve­tica. «Unser Ursprung liegt in der Einsicht, dass wir lernen müssen, anders zusam­men­zu­ar­bei­ten, wenn wir den heuti­gen gesell­schaft­li­chen Heraus­for­de­run­gen gerecht werden wollen», sagt sie. Nur so sei ein Wandel auf System­ebene zu errei­chen. Um Nach­hal­tig­keits­ziele zu errei­chen, sei es zwin­gend, bottom-up zu handeln.

«Eine nach­hal­tige, gerechte Zukunft kann nur parti­zi­pa­tiv gestal­tet werden. Bei einem reinen Top-down-Ansatz werden immer gewisse Kreise benach­tei­ligt.» Damit dies gelingt, braucht es ein Verständ­nis für das Ökosys­tem. Jeder und jede soll seine oder ihre Rolle kennen und die des ande­ren verste­hen und auch wert­schät­zen. Nora Wilhelm vergleicht dies mit einem Körper: «Wenn ich die Lunge bin, erfülle ich meine Aufgabe und soll nicht gleich­zei­tig noch die Aufgabe des Herzes erfül­len wollen.» Dieser Ansatz kann heraus­for­dernd sein. Ein neuer Akteur kann schnell als Bedro­hung wahr­ge­nom­men werden statt als Poten­zial. «Damit sich ein solcher Ansatz durch­setzt, braucht es einen Para­dig­men­wech­sel – auch in den Schu­len oder in unse­rem Wirt­schafts­sys­tem», sagt sie.

Parti­zi­pa­tive Geldvergabe

Trotz Wunsch nach neuen Zusam­men­ar­beits­for­men ist die Umset­zung auch im gemein­nüt­zi­gen Sektor heraus­for­dernd. «Projekt­trä­ge­rin­nen und Projekt­trä­ger wissen, dass sie für die nächs­ten Gelder immer in Konkur­renz stehen mit den ande­ren», sagt Nora Wilhelm. Das erschwere den Austausch massiv. Um neue Ansätze zu finden, hat colla­bo­ra­tio helve­tica Versu­che mit parti­zi­pa­ti­ver Geld­ver­gabe durch­ge­spielt. Die Teil­neh­men­den muss­ten selbst Projekte bewer­ten. Im Versuch haben einige diese zusam­men­ge­legt und die eige­nen zuguns­ten von ande­ren zurück­ge­zo­gen. Gemein­sam haben sie die besten Projekte zur Förde­rung ausge­wählt. «Doch um diesen Ansatz in der Stif­tungs­welt zu imple­men­tie­ren, braucht es eine neue Denk­weise», hält Nora Wilhelm fest. «Es braucht Vertrauen. Es braucht einen Struk­tur­wan­del.» Gros­ses Poten­zial durch mehr Zusam­men­ar­beit sieht sie auch in Bewer­bungs­pro­zes­sen. Diese sind zum Teil sehr aufwän­dig und unter­schied­lich. Statt vonein­an­der zu lernen, schot­tet man sich ab. Dabei würde gene­rell Trans­pa­renz helfen – und eine bessere Fehler­kul­tur. Auch Miss­erfolge soll­ten in Ordnung sein und sogar aner­kannt werden. «Hier können wir extrem viel vonein­an­der lernen. Der Fokus sollte auf dem Lernen sein und nicht auf kurz­fris­ti­gen Erfol­gen, vorde­fi­nier­ten Mess­grös­sen und Output», sagt sie. «Gerade bei sozia­len Inno­va­tio­nen muss Versa­gen möglich sein. Expe­ri­mente, die ergeb­nis­of­fen ange­legt sind, brin­gen uns weiter. Aber diese Haltung ist für viele noch Neuland.»

Offene Kommu­ni­ka­tion

Stif­tun­gen agie­ren nicht isoliert unter sich. Der Gemein­nüt­zig­keits­ge­danke gibt ihrer Arbeit eine Rele­vanz für die Gesell­schaft. Mit dieser müssen sie sich ausein­an­der­set­zen. Der Leiter des Geneva Centre for Phil­an­thropy of the Univer­sity of Geneva, Henry Peter, sieht die Forde­rung nach Trans­pa­renz nicht allei­nig zwischen den Part­ner­or­ga­ni­sa­tio­nen. Auch die Gesell­schaft habe Ansprü­che. «Geber haben manch­mal den legi­ti­men Wunsch, für das Gemein­wohl zu spen­den, ohne dabei in Erschei­nung zu treten», hält er dage­gen, «was schliess­lich der ulti­ma­tive Ausdruck von echtem Altru­is­mus ist.»

Während die Herkunft der Mittel eindeu­tig «sauber» sein müsse, bedeute dies nicht, dass sie öffent­lich bekannt gege­ben werden müsse. Gleich­wohl beob­ach­tet er eine Entwick­lung zu einer offe­ne­ren Kommu­ni­ka­tion im Stif­tungs­sek­tor. Mit Blick auf die inter­na­tio­nale Situa­tion gewinnt diese Entwick­lung an Bedeu­tung. Während die Bedürf­nisse eindeu­tig stei­gen, stei­gen auch die Mittel, die zur Unter­stüt­zung des Gemein­wohls zur Verfü­gung stehen, teil­weise expo­nen­ti­ell, sagt Henry Peter. Vor allem in den USA ist bekannt, dass in kürzes­ter Zeit ein immenser Reich­tum entstan­den ist, der oft zur Grün­dung von Stif­tun­gen mit bisher unvor­stell­ba­rem Vermö­gen oder Einkom­men führt. Er sagt, dass die Frage nach der Legi­ti­mi­tät eini­ger dieser neuen Entwick­lun­gen stehe. «In den letz­ten Jahren sind kriti­sche Stim­men laut gewor­den, die auf Eigen­nutz, Ungleich­heit und unde­mo­kra­ti­sche Macht­aus­übung hinwei­sen, die einige dieser phil­an­thro­pi­schen Initia­ti­ven hervor­ru­fen», hält er fest. «Obwohl Phil­an­thro­pie nicht immer perfekt ist, trägt sie in den meis­ten Fällen Werte, die geschützt und geför­dert werden müssen.» Dies ist Teil der Forschung und Lehre des Geneva Centre for Phil­an­thropy, dessen Mission es ist, Akade­mi­ke­rin­nen und Prak­ti­ker entspre­chend auszu­rüs­ten, um weiter zu studie­ren und sich den sich entwi­ckeln­den Heraus­for­de­run­gen der Phil­an­thro­pie zu stellen. 

Neuer Ansatz

Auch die Stif­tun­gen passen sich in der Schweiz den gesell­schaft­li­chen Verän­de­run­gen und neuen Erwar­tun­gen der Bevöl­ke­rung an. 

Peter Brey, Direk­tor der Fonda­tion Leen­aards, die in den Berei­chen «Kultur, Alter & Gesell­schaft und Wissen­schaft» tätig ist, ist dies nur allzu bewusst: «Die Stif­tun­gen sind zuneh­mend gefor­dert zu erklä­ren, wer sie sind, was sie tun und wie sie geführt werden. Gleich­zei­tig müssen sie den konkre­ten Nutzen ihrer Leis­tun­gen für die gesamte Bevöl­ke­rung bezif­fern.» Und er fügt hinzu: «Immer mehr Stif­tun­gen betten ihre Tätig­keit in einen offe­nen Dialog mit Begüns­tig­ten und Part­nern und in einem weite­ren Rahmen mit der Gesell­schaft ein.»

Ange­sichts dieser Entwick­lun­gen hat auch die Fonda­tion Leen­aards ihre Stra­te­gie ange­passt. Zusätz­lich zu ihren tradi­tio­nel­len Förder­instru­men­ten hat sie mithilfe von Initia­ti­ven einen neuen Ansatz entwi­ckelt. «In einer Gesell­schaft mit zuneh­mend komple­xen Heraus­for­de­run­gen erscheint es uns uner­läss­lich, unsere Logik der projekt­be­zo­ge­nen Unter­stüt­zung durch einen allge­mei­ne­ren Ansatz zu ergän­zen, der eine Gesamt­dy­na­mik auslöst.» Dies gilt vor allem für den wissen­schaft­li­chen Bereich. Paral­lel zu ihrer tradi­tio­nel­len Förde­rung der Biome­di­zin hat die Fonda­tion Leen­aards 2021 die Initia­tive «Inte­gra­tive Gesund­heit und Gesell­schaft» (santeintegra.ch) lanciert, deren Ziel­set­zun­gen anläss­lich von Work­shops mit Exper­ten aus den verschie­dens­ten Berei­chen bestimmt worden waren. Sie gingen dabei von zwei Fest­stel­lun­gen aus: Mehr als ein Drit­tel der Schwei­zer nutzen die soge­nannte Komple­men­tär­me­di­zin. Zudem sind gut die Hälfte der im Gesund­heits­be­reich Beschäf­tig­ten nicht konven­tio­nelle Thera­peu­ten. «Dennoch steht fest, dass diese beiden Welten – die konven­tio­nelle und die komple­men­täre Medi­zin – einan­der nicht ausrei­chend vertraut sind, was eine inte­gra­tive Pati­en­ten­be­hand­lung erschwert», erklärt Peter Brey. Ziel der Initia­tive ist es, diese beiden Welten zusam­men­zu­füh­ren und dabei die Bedeu­tung des Pati­en­ten als Prot­ago­nist des Behand­lungs­pro­zes­ses aufzu­wer­ten. Um diese Entwick­lung zu fördern, konzen-triert sich die Finan­zie­rung der Stif­tung auf mehrere Schwer­punkte: Akti­ons­for­schungs­pro­jekte mit metho­di­scher Unter­stüt­zung der Projekt­trä­ger; ein Thinktank, der Thera­peu­tin­nen und Thera­peu­ten verschie­de­ner Behand­lungs­an­sätze und Pati­en­ten zusam­men­bringt, und eine Austausch- und Infor­ma­ti­ons­platt­form. Zu den Schlüs­sel­ele­men­ten der Initia­tive gehört auch eine Bevöl­ke­rungs­be­fra­gung, deren Ergeb­nisse im Früh­ling vorlie­gen werden. Gemein­sam mit dem ColLa­bo­ra­toire der Univer­si­tät Lausanne wurde im Beson­de­ren ein parti­zi­pa­ti­ver Ansatz einge­führt, der sowohl Pati­en­ten als auch Bürge­rin­nen einbe­zieht, um in Part­ner­schaft mit dem Schwei­zer Kompe­tenz­zen­trum Sozi­al­wis­sen­schaf­ten (FORS) 3000 West­schwei­ze­rin­nen und West­schwei­zer zu befra­gen. Dieser Ansatz wird von Bürger­la­bo­ren ange­wandt, die konkrete Wege zur Weiter­ent­wick­lung der Gesund­heits­fra­gen auf indi­vi­du­el­ler und syste­mi­scher Ebene iden­ti­fi­zie­ren wollen. 

Sektor­über­grei­fend

Kolla­bo­ra­tio­nen können weiter gehen, mehr und unter­schied­li­chere Akteure invol­vie­ren: Staat, Privat­wirt­schaft, Zivil­ge­sell­schaft und Stif­tun­gen zusam­men­zu­brin­gen, Change Maker zu fördern und besser zu vernet­zen, ist die Mission von colla­bo­ra­tio helve­tica. Dazu agiert sie sektoren­über­grei­fend. «Aber wir sind nicht wert­frei. Wir haben ethi­sche und nach­hal­tige Ziele und Prin­zi­pien, an denen wir uns orien­tie­ren», sagt Nora Wilhelm. Aber sie pola­ri­sie­ren nicht, suchen das Gemein­same und wollen verbin­den, statt weiter spal­ten. Wenn eine Gross­bank zu einem Thema einla­den würde, könnte dies Akti­vis­tin­nen oder Akti­vis­ten von einer Teil­nahme abhal­ten – und umge­kehrt. Colla­bo­ra­tio helve­tica kann dage­gen beide zusammenbringen. 

Über­ge­ord­nete Fragen

Für Andrew Holland, Geschäfts­füh­rer der Stif­tung Merca­tor Schweiz, ist klar, dass es ange­sichts der Dring­lich­keit von Themen wie Klima­wan­del und gesell­schaft­li­cher Pola­ri­sie­rung ein gemein­sa­mes Handeln von Stif­tun­gen braucht. In der Diskus­sion schwin­gen die Fragen stark mit: «Wie sieht die Phil­an­thro­pie der Zukunft aus? Geht jeder ein Problem für sich an oder können wir gemein­sam mehr Wirkung erzielen?»

Dies verän­dert die Förder­tä­tig­keit. Neben kolla­bo­ra­ti­ven Förder­mo­del­len und syste­mi­schen Ansät­zen ist auch der Wandel von der punk­tu­el­len Projekt­för­de­rung hin zu vermehr­ter Struk­tur­för­de­rung ein wich­ti­ges Thema für Stif­tun­gen wie Merca­tor Schweiz. Dazu gehört für Andrew Holland auch die gezielte Förde­rung von Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lung. «Wer ein Projekt fördert, hat ein gros­ses Inter­esse daran, eine resi­li­ente Orga­ni­sa­tion zu unter­stüt­zen, die wirkungs­voll und nach­hal­tig arbei­tet», sagt er. Im Rahmen ihrer Projekt­för­de­run­gen hat die Stif­tung Merca­tor Schweiz ihre Part­ne­rin­nen schon länger auch in der Entwick­lung unter­stützt. «Das hat gut funk­tio­niert», sagt Andrew Holland, «aber wir haben reali­siert, dass es darüber hinaus auch gezielte Förde­run­gen von reinen Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lungs­pro­jek­ten und von indi­vi­du­el­len Kompe­ten­zen braucht.» Für Letz­te­res hat die Stif­tung Ange­bote für NGOs entwi­ckelt – darun­ter Work­shops zu Agili­tät, Social Media und Design Thin­king, die den Teil­neh­men­den prak­ti­sche Metho­den mit auf den Weg geben und die Vernet­zung sowie den Erfah­rungs­aus­tausch fördern. Gerade bei Themen wie Agili­tät und ande­ren neuen Arbeits­me­tho­den stellt sich für viele Orga­ni­sa­tio­nen die Frage: Welche sind für mich rele­vant? «Unsere Weiter­bil­dungs­an­ge­bote helfen den Orga­ni­sa­tio­nen auch dabei, heraus­zu­fin­den, ob sie ein Thema weiter vertie­fen möch­ten», erklärt Andrew Holland. Um NGOs noch geziel­ter zu stär­ken, damit sie ihre wich­tige Rolle als zivil­ge­sell­schaft­li­che Akteu­rin­nen wahr­neh­men können, ist die Stif­tung daran, ihre Prozesse und Instru­mente zur Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lung weiter­zu­ent­wi­ckeln. Um heraus­zu­fin­den, wo Non-Profit-Orga­ni­sa­tio­nen in ihrer Entwick­lung stehen, was sie brau­chen und wie Stif­tun­gen sie wirkungs­voll unter­stüt­zen können, plant die Stif­tung Merca­tor Schweiz eine Befra­gung. Diese möchte sie in Kolla­bo­ra­tion mit weite­ren inter­es­sier­ten Förder­stif­tun­gen konzi­pie­ren und realisieren.

Abbau von Hierarchien

Henry Peter sieht den Stif­tungs­sek­tor gut gewapp­net für die neuen Arbeits­mo­delle. Stif­tun­gen sind oft getrie­ben von einer wach­sen­den Aufmerk­sam­keit für Werte, die zur DNA des gemein­nüt­zi­gen Sektors gehö­ren. «Auch lässt sich wahr­schein­lich sagen, dass sich die Ziele der meis­ten Stif­tun­gen mit dem Konzept der Sustainable Deve­lo­p­ment Goals über­schnei­den, nämlich nach­hal­tige und sozial verant­wort­li­che Verhal­tens­wei­sen und Ziele», sagt er. Ein Vorteil erkennt er tenden­zi­ell auch bei klei­nen Orga­ni­sa­tio­nen mit einer offe­nen Kultur. Sie können neue Zusam­men­ar­beits­for­men leich­ter schnell anneh­men. Aller­dings ist Struk­tur nicht alles. «Es sind vor allem die Menschen, die über die Fähig­kei­ten und die Über­zeu­gung verfü­gen, dass neue Formen der Zusam­men­ar­beit zu einer effi­zi­en­te­ren Phil­an­thro­pie beitra­gen können oder nicht», sagt er. Das zeigt sich im Führungs­ver­ständ­nis. Wo die Entschei­dungs­be­fug­nis verteilt ist, erfolgt die Zusam­men­ar­beit effi­zi­en­ter und die Quali­tät der Leis­tung ist besser. «Zudem können das Wissen und Soft Skills der Mitar­bei­ten­den besser genutzt werden als in einer hier­ar­chi­schen Struk­tur», sagt er. Eine solche Umstel­lung und die Aufhe­bung der Hier­ar­chien hat die Stif­tung Idée­S­port vor zwei Jahren ange­stos­sen. Eine agile, lernende Orga­ni­sa­tion ist das Ziel. 

Die ersten Erfah­run­gen fallen posi­tiv aus: «Es ist eine Zusam­men­ar­beits­form, die zu uns passt, den Mitar­bei­ten­den gerecht wird und sie gleich­zei­tig sehr fordert», sagt Sandro Anto­nello, Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­ler bei Idée­S­port. Gerade auch während der Corona-Pande­mie hat sie sich bewährt.

Aber Sandro Anto­nello gibt auch zu beden­ken: «Gleich­zei­tig ist es eine sehr anspruchs­volle Zusam­men­ar­beits­form, die viele Heraus­for­de­run­gen mit sich bringt. Einzelne Mitar­bei­tende oder Teams müssen Verant­wor­tung über­neh­men, Entschei­dun­gen fällen und auch mit Konflikt­si­tua­tio­nen umge­hen können. Dies ist nicht immer einfach.» Doch die Mitar­bei­ten­den gingen mit Elan ans Werk: «Sie waren dermas­sen stark moti­viert, dass man sie brem­sen musste, damit das System nicht über­for­dert wird. Das war eindrück­lich», sagt er. Dass Idée­S­port eine gemein­nüt­zige Orga­ni­sa­tion ist, hat gehol­fen, denn auch eine agile Orga­ni­sa­tion stellt den Menschen und die Sinn­haf­tig­keit ins Zentrum. Der Zweck steht im Zentrum. Sandro Anto­nello: «Eine solche Ausgangs­lage wünschen sich viele Firmen, um eine agile Trans­for­ma­tion anzu­stos­sen.» Doch der Vorteil ist Heraus­for­de­rung zugleich. Weil die Mitar­bei­ten­den dem Wieso grosse Bedeu­tung beimes­sen, ist ein gemein­sa­mes Verständ­nis ebenso zentral. Darum haben die Mitar­bei­ten­den von Idée­S­port diese Themen gemein­sam erar­bei­tet. «Aber: Es ist auch wich­tig, dass alle Mitar­bei­ten­den ihr persön­li­ches Wieso finden können», sagt Sandro Anto­nello. Ihm ist es ein gros­ses Anlie­gen, dass Mitar­bei­tende dieses haben und das Gesamte auch regel­mäs­sig hinter­fra­gen. Diese kriti­sche Ausein­an­der­set­zung fördert den Dialog und die Weiter­ent­wick­lung. «Aber klar, zu stark soll­ten die Wiesos schon nicht ausein­an­der­ge­hen.» Zudem stellt er klar, dass eine agile Orga­ni­sa­tion nicht mit einer Basis­de­mo­kra­tie gleich­zu­set­zen ist. Es gibt zuge­wie­sene Verant­wort­lich­kei­ten. «Das Projekt ist abge­schlos­sen, die Trans­for­ma­tion und die Weiter­ent­wick­lung laufen weiter», sagt Sandro Anto­nello. Fast schon posi­tiv klingt es, wenn Sandro Anto­nello sagt, dass Mass­nah­men auch nicht funk­tio­niert haben. Denn das gehört dazu. Ein itera­ti­ver Prozess mit Feed­back­schlau­fen führt zu einer stän­di­gen Über­prü­fung und zu Anpas­sun­gen. «So haben wir gewisse Rollen oder Austausch­ge­fässe wieder abgeschafft.»

Die Gren­zen

Auch Merca­tor Schweiz setzt auf stra­te­gi­scher Ebene auf einen itera­ti­ven
Prozess bestehend aus Moni­to­ring, Evalua­tion, Lernen und Adap­tion (MELA). Um flexi­bel und zeit­nah auf gesell­schaft­li­che Entwick­lun­gen reagie­ren zu können, hat sie agile Metho­den einge­führt. «Agili­tät bedeu­tet mehr als Flexi­bi­li­tät. Es geht auch um voraus­schau­en­des und proak­ti­ves Handeln», sagt Andrew Holland. Deshalb hat Merca­tor Schweiz eine Stelle für Zukunfts­fra­gen und interne Arbeits­kreise für die Weiter­ent­wick­lung der Stif­tungs­ar­beit geschaf­fen. Merca­tor Schweiz hat gute Erfah­run­gen mit dieser «hybri­den» Arbeits­weise – einer Kombi­na­tion aus agilen und klas­si­schen Metho­den – gemacht. Aller­dings gibt es für neue Arbeits­mo­delle auch Gren­zen. Henry Peter weist darauf hin: Die aktu­elle Gesetz­ge­bung ist für einen tradi­tio­nel­len hier­ar­chi­schen Ansatz geschaf­fen und eignet sich für moderne Modelle immer weni­ger. So ist auch die Gover­nance gefor­dert. Die Heraus­for­de­rung ist, das passende Modell zum jewei­li­gen Zeit­punkt zu finden. Die Träg­heit der Anpas­sun­gen hindert die Entwick­lung. Henry Peter sagt: «Eine gute und effi­zi­ente Gover­nance ist nach wie vor ein Schlüs­sel­ele­ment in jeder Organisation.» 

Zusam­men – wo sinnvoll

Inno­va­tive Zusam­men­ar­beits­mo­delle mit ande­ren Förder­or­ga­ni­sa­tio­nen verfol­gen sowohl der Migros-Pionier­fonds als auch das Migros-Kulturprozent. 

Stefan Schöbi ist Leiter Gesell­schaft der Direk­tion Gesell­schaft & Kultur beim Migros-Genos­sen­schafts-Bund und verant­wor­tet in seiner Funk­tion den Migros-Pionier­fonds und die natio­na­len sozia­len Projekte des Migros-Kultur­pro­zents. Er hält fest: «Durch unse­ren Auftrag haben wir tradi­tio­nel­ler­weise eine enge Zusam­men­ar­beit mit ande­ren zivil­ge­sell­schaft­li­chen Akteu­rin­nen und Akteuren.»

Viele der Projekte im Bereich Gesell­schaft werden sogar koope­ra­tiv und nach dem Subsi­dia­ri­täts­prin­zip entwi­ckelt und finan­ziert. Natio­nale soziale Projekte haben dabei in der Regel mindes­tens eine weitere Part­ne­rin, sei es eine Stif­tung oder eine Fach­hoch­schule. Doch die Zusam­men­ar­beit muss nicht paral­lel erfol­gen. Zum Teil über­nimmt der Pionier­fonds Projekte, die andere Förde­rer zum Start finan­ziert haben. Der Pionier­fonds skaliert sie dann schweiz­weit. Förder­part­ner­schaf­ten funk­tio­nie­ren so nach­ein­an­der. Als Beispiel nennt Stefan Schöbi die Startup Academy, für die sich zuerst die Gebert Rüf Stif­tung stark enga­giert hatte, bevor der Pionier­fonds das Projekt gross machte. Stefan Schöbi sieht hier noch Poten­zial: «Abstim­mung und Kompa­ti­bi­li­tät sind von zentra­ler Bedeu­tung. Hier gibt es im Stif­tungs- und Förder­sek­tor noch Luft nach oben.» Umge­kehrt nennt er als beson­ders inter­es­san­tes und inspi­rie­ren­des Projekt das Modell von Co-Impact, eine Form kolla­bo­ra­ti­ver Phil­an­thro­pie. «Verschie­dene Stif­tun­gen poolen hier ihre Mittel und öffnen ihr Port­fo­lio gleich­zei­tig für weitere Co-Inves­to­ren», sagt Stefan Schöbi. «Die Basis hier­für sind ein gemein­sa­mer thema­ti­scher und regio­na­ler Fokus – in diesem Fall Armuts­be­kämp­fung im globa­len Süden – und geteilte Grund­sätze bei der Umset­zung, eine Art metho­di­scher Werk­zeug­kas­ten.» Dieses Modell ist trans­pa­rent doku­men­tiert, deshalb lassen sich auch einfach einzelne Elemente daraus umset­zen. Die gemein­same Zusam­men­ar­beit der Förde­rer macht deren Arbeit ziel­ge­rich­tet, effi­zi­ent und nach­hal­tig. Der gemein­same Ansatz verschiebt den Fokus von einem Einzel­pro­jekt auf die lang­fris­tige Perspek­tive. Trotz all der posi­ti­ven Effekte, die Stefan Schöbi in gemein­sa­men Projek­ten sieht, hält er fest: Nicht jedes Projekt braucht zum Erfolg ein kolla­bo­ra­ti­ves Modell. «Das Bonmot ist schon gültig: Wer schnell sein will, geht am besten allein, wer aber weit kommen will, geht am besten zusam­men.» Er sieht kolla­bo­ra­tive Modelle vor allem dort als sinn­voll, wo Projekte ihre Wirkungs­weise unter Beweis gestellt haben und nun nach­hal­tig veran­kert werden sollen.

Ein Finan­zie­rungs­pool

«Nach einer erfolg­rei­chen Pilot­phase ist es wich­tig, Projekte zu skalie­ren, um eine grös­sere Reich­weite zu erlan­gen», sagt Judith Schl­äp­fer. «Es braucht Pilot­pro­jekte, bei denen mutig neue Ansätze auspro­biert, unkon­ven­tio­nelle Part­ner­schaf­ten geknüpft werden. So wird Wissen dazu­ge­won­nen, komplexe Sach­la­gen werden vertieft verstan­den und dadurch kann glaub­wür­dig Posi­tion bezo­gen werden.» Um mehr Reich­weite bei posi­ti­ven Verän­de­run­gen zu erlan­gen, fokus­siert sich die Volkart Stif­tung bei ihrer Förder­tä­tig­keit verstärkt darauf, syste­mi­sche Verän­de­run­gen zu ermög­li­chen, anstatt projekt­ba­siert Symptome zu bekämp­fen. Eine Lang­zeit­vi­sion und die Ursa­chen­be­kämp­fung blei­ben eben­falls unab­ding­bar für posi­tive syste­mi­sche Verän­de­run­gen. Deswe­gen spricht die 70-jährige Stif­tung fast nur noch allge­meine Betriebs­bei­träge statt einzelne Projekt­bei­träge. Dies erlaubt es den geför­der­ten Orga­ni­sa­tio­nen, ihre Akti­vi­tä­ten rasch zu skalie­ren und agil Oppor­tu­ni­tä­ten zu nutzen. Die wich­tigs­ten Erfolgs­fak­to­ren, um eine syste­mi­sche Verän­de­rung erfolg­reich anzu­stos­sen, sind Advo­cacy-Arbeit, Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lung, Kompe­tenz­auf­bau und Part­ner­schafts­bil­dung. Als erfolg­rei­ches Projekt nennt sie ChagALL – ein Förder­pro­gramm zur Verbes­se­rung der Bildungs­chan­cen­ge­rech­tig­keit im Jugend­al­ter. Verschie­dene Stif­tun­gen, darun­ter auch die Volkart Stif­tung, unter­stüt­zen dieses gemein­sam für mehrere Jahre. «Das Förder­mo­dell wurde so über­ar­bei­tet, dass ChagALL durch die gewon­nene Erfah­rung und Exper­tise ähnli­che Initia­ti­ven beim Aufbau mass­geb­lich unter­stüt­zen konnte», sagt Judith Schl­äp­fer. Hier­für wurde ein von mehre­ren Stif­tun­gen finan­zier­ter Fonds errich­tet, der auch die finan­zi­elle Unter­stüt­zung dieser neuen Projekte sicherte. 2021 haben sich diese Förder­pro­gramme und die damit verbun­de­nen Insti­tu­tio­nen zur Alli­anz Chance+ zusam­men­ge­schlos­sen. Gemein­sam mit ande­ren Stif­tun­gen hat die Volkart Stif­tung die Anschub­fi­nan­zie­rung für den Verein Alli­anz Chance+ gespro­chen. Dieser verbin­det Praxis­wis­sen aus den Förder­pro­jek­ten mit Erkennt­nis­sen aus der sozio­lo­gi­schen und erzie­hungs­wis­sen­schaft­li­chen Forschung. Die daraus entste­hen­den Hand­lungs­emp­feh­lun­gen für die Schul­pra­xis und Bildungs­po­li­tik werden von den Mitglie­dern der Alli­anz in die Poli­tik, Verwal­tung und Öffent­lich­keit getra­gen. Dieser Ansatz ermög­licht eine Verän­de­rung auf syste­mi­scher Ebene. 

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