Am Stiftungsrechtstag werden Sie sich mit den Neuerungen durch das Reformgesetz und dessen Auswirkungen befassen. Was erwartet die Besucher:innen?
Der Zürcher Stiftungsrechtstag hat das Ziel, verschiedene Interessengruppen und Sektorteilnehmende in einem ansprechenden Rahmen zusammenzubringen und die drängenden Themen des Stiftungswesens gemeinsam weiterzuentwickeln. Es treffen sich Stifter:innen, Stiftungen, Beratungspraxis, Aufsichts- und Steuerbehörden sowie Politik. Dieses Jahr wird es besonders spannend, weil Reformen im Stiftungsrecht verabschiedet wurden, die bisher noch kaum eine öffentliche Diskussion im Sektor erfahren haben.
Welches sind die wichtigsten Neuerungen?
Geschaffen wurde zum einen ein neues Recht für Stifter:innen, sich neben Änderungen im Stiftungszweck auch Änderungen in der Organisation der Stiftungen vorzubehalten (etwa betreffend Organbesetzung oder Vermögensbewirtschaftung). Dieses neue Stifterrecht schafft Flexibilität für Stifter:innen, hat aber zugleich das Potenzial, das Verhältnis von Stifter:innen und Stiftungsräten und damit die Statik eine Stiftung zu verändern. Zudem wurde die Stiftungsaufsichtsbeschwerde, also das Recht für Stakeholder, mit einer Beschwerde an die Aufsichtsbehörde heranzutreten, erstmals im Gesetz kodifiziert. Auch diese Änderung wird grossen Einfluss auf die Governance von Stiftungen haben.
Es gibt in der Tat zahlreiche aktuelle Gesetzesänderungen, die eigentlich nicht auf Stiftungen zielen, aber das Stiftungswesen gleichwohl stark betreffen.
Professor Dominique Jakob
Gibt es noch weitere anstehende Gesetzesreformen, die für den Stiftungssektor relevant sind?
Es gibt in der Tat zahlreiche aktuelle Gesetzesänderungen, die eigentlich nicht auf Stiftungen zielen, aber das Stiftungswesen gleichwohl stark betreffen. Zu nennen sind etwa die Reform des Erbrechts, welche grössere Freiheiten zum Stiften schafft, und die Reform des Aktienrechts, welche wie frühere Reformen im Gesellschaftsrecht eher zu Kollateralschäden führt. Aber auch die Reform im Datenschutzrecht und die Entwicklungen in punkto Informationsaustausches und Transparenz sind für Stiftungen relevant.
Vor gut einem Jahr haben Sie einen viel beachteten Gastkommentar in der NZZ verfasst. Auslöser war die Ablehnung des Ständerats der von Experten vorgeschlagenen Massnahmen zur Stärkung des Stiftungsstandorts. Sie schreiben im Artikel über Argwohn gegenüber dem Stiftungssektor. Woher kommt die Skepsis und wie könnte man dieser entgegenwirken?
Woher die Skepsis kommt, ist schwer zu sagen. Grundsätzlich werden Stiftungen in der öffentlichen Meinung immer noch zu sehr als Vehikel zu Missbrauch und Steuerhinterziehung wahrgenommen. Zudem haben die Reformdebatten gerade in den parlamentarischen Kommissionen und Kammern gezeigt, dass das Stiftungswesen dort kein bedeutsames Geschäft ist, mit dem man sich intensiv auseinandersetzen würde. Die Priorität erschien niedrig und damit die Unkenntnis entsprechend hoch. Die Ergebnisse der Diskussionen haben gezeigt, dass die Parlamentarier:innen zahlreichen Fehleinschätzungen unterlagen und letztlich wohl nicht immer genau verstanden haben, worüber sie abgestimmt haben.
Die Ablehnung einer Regelung für angemessene Stiftungsratshonorare, ohne die Steuerbefreiung zu verlieren, bezeichneten Sie als Schaden für den Stiftungsplatz Schweiz. Was genau sind die Auswirkungen?
Die gesetzliche Klarstellung, dass angemessene Honorare für Stiftungsräte nicht die Steuerbefreiung der Stiftung gefährden dürfen, wäre vielleicht das wichtigste Anliegen der Reform gewesen. Einerseits erwartet man stetig wachsende Professionalität der Stiftungsräte, andererseits wird ohne Rechtsgrundlage gerade denen, die die Verantwortung tragen, Ehrenamtlichkeit aufgezwungen. Das Schlimmste jedoch ist, dass heute aufgrund der unterschiedlichen Massstäbe der kantonalen Steuerbehörden extreme Ungleichheit und Rechtsunsicherheit herrschen. Dieser Zustand hätte, im Zusammenspiel mit dem Kriterium der Angemessenheit und der zum 1. Januar 2023 in Kraft getretenen aktienrechtlichen Offenlegungspflicht, zum Wohle des Sektors verbessert werden sollen. Die Ablehnung ist ein sehr unglückliches Zeichen gegenüber der Professionalität und dem nötigen Generationenwechsel im Stiftungssektor. Dass diese Ablehnung knapp war und das Parlament von falschen Parametern ausging (die auch nicht von den Vernehmlassungsergebnissen gedeckt waren), interessiert am Ende niemanden. Vielmehr werden sich die restriktiven Steuerbehörden nun auf dieses Votum berufen können.
Neu ist zudem, dass die Musterstatuten der ESA eine neue Klausel enthalten, die angemessene Vergütungen ausdrücklich zulässt – ein starkes Zeichen, dass Vergütungen stiftungsrechtlich zulässig sind.
Professor Dominique Jakob
Der Sektor ist sich eigentlich einig. Es braucht mehr Diversität in den Stiftungsräten. Oft können sich junge Menschen ein Engagement aber nicht leisten. Ist in der Zwischenzeit etwas gegangen, gibt es Bestrebungen für neue Vorstösse?
Ohne die genannte Regelung bleibt die Frage im Ermessen der kantonalen Steuerbehörden. Eine Möglichkeit, ohne Gesetz etwas zu erreichen, wäre entweder eine Überarbeitung des (freilich ohnehin unverbindlichen) Kreisschreibens Nr. 12 aus dem Jahre 1994, oder die Thematik auf die Schweizerische Steuerkonferenz zu bringen, welche zwar letztlich eine informelle Zusammenkunft der kantonalen Steuerämter ist, auf der im besten Fall aber einheitliche Trends festgelegt werden können. Neu ist zudem, dass die Musterstatuten der ESA eine neue Klausel enthalten, die angemessene Vergütungen ausdrücklich zulässt – ein starkes Zeichen, dass Vergütungen stiftungsrechtlich zulässig sind. Werden diese von den Aufsichtsbehörden als angemessen eingestuft, sollten sie in Zukunft auch von den Steuerbehörden akzeptiert werden.
Wie Recherchen von The Philanthropist zeigen, gibt es in Sachen Interessenvertretung in den nationalen Parlamenten Potential nach oben. Wie kann sich der Sektor mehr Gehör verschaffen?
Ich finde die von Ihnen erhobenen Zahlen der Stiftungsratsmandate eigentlich hoch. Im Verhältnis dazu, dass es eine deutlich höheren Gesamtzahl an Vereinen und anderen Gesellschaftsformen als Stiftungen gibt, sind Stiftungsratsmandate durchaus ein wichtiger Faktor. Allein: Dafür, dass jeder Schweizer Parlamentarier im Durchschnitt mehr als ein Stiftungsratsmandat hat und Engagement in der Sache bringen möchte, scheinen sie sich erstaunlich wenig dafür zu interessieren, dass der Sektor auch einen funktionierenden Rahmen hat. Wichtig erscheint mir daher zum einen, die Kenntnis über das Stiftungswesen und seine facettenreiche Wirkung zu erhöhen. Und zum anderen besteht noch Spielraum für Advocacy zugunsten von Stiftungen und des dritten Sektors: Stimmen zusammenzubringen, sich gegenseitig Gehör zu verschaffen und die Botschaften auch an die Politik zu bringen. Genau hier kommen wir wieder auf den Zürcher Stiftungsrechtstag, der die Plattform für eine solche Zusammenkunft bieten möchte. Ich würde mich über eine rege Teilnahme des Sektors sehr freuen.