The Philanthropist: Sie haben 2019 die Dachstiftung Kyria gegründet und in den Statuten das Genderbewusstsein festgeschrieben. Weshalb ist Ihnen das Thema wichtig?
Tanja Bootz: Wir sind überzeugt, dass das ein wichtiger Aspekt ist, wir wollen eine nachhaltige gesellschaftliche Veränderung bewirken und sensibilisieren. Diversität bringt viel Gutes und Wertvolles, sie ist wichtig für unsere Gesellschaft und die Wirtschaft.
Brigitt Küttel: Wir haben uns statutarisch verpflichtet, mit Genderfragen sorgsam umzugehen, insbesondere bei der Besetzung der Verantwortung tragenden Positionen. Kyria wird strategisch und operativ von Frauen geprägt, zeigt die weiblichen Werte auf und lebt sie. Wir sehen dies als Ergänzung zu den anderen Dachstiftungen.
TB: Es ist aber nicht so, dass wir nur Frauen ansprechen. Wir vertreten Werte, die uns wichtig sind, und wollen nicht auf das Genderthema reduziert werden. Der erste Fonds unter dem Dach der Kyria Stiftung wurde z.B. von einem Mann errichtet und hat nichts mit Gender zu tun: Miracle Feet Schweiz unterstützt Kinder mit angeborenem Klumpfuss auf der ganzen Welt. Er ermöglicht ihnen eine wirksame und kostengünstige Behandlung.
TP: Was war der Auslöser, eine Dachstiftung zu gründen?
BK: Wir sind beide schon seit Jahren im Stiftungsbereich unterwegs, seit elf Jahren gemeinsam. Wir haben eine grosse Nachfrage nach Dachstiftungen festgestellt und sind überzeugt, dass dies ein Modell für die Zukunft ist. Eine selbständige Förderstiftung macht nach übereinstimmender Meinung von Fachleuten erst ab einem Kapital von ca. fünf Millionen Franken Sinn. Kyria bietet auch Menschen, die nicht gerade eine so grosse Summe aufwenden können, die Möglichkeit, sich mit einem Fonds oder einer Zustiftung gemeinnützig zu engagieren.
TB: Wirken statt verwalten, das ist unsere Devise. Auch kleine Vermögen sollen etwas bewirken können. Zudem ist uns sehr wichtig, dass der Wille der Stifterin oder des Stifters möglichst genau umgesetzt wird. Wir hören genau hin, was jemand will, und ob dies zu unserer Dachstiftung passt. Wir haben auch schon Interessenten an andere Dachstiftungen verwiesen, weil wir den Eindruck hatten, dass der Match dort besser ist. Ausserdem ist uns Transparenz wichtig: wir zeigen z.B. alle Kosten auf unserer Webseite transparent auf.
TP: Transparenz, Genderthematik: Sind Sie mit Ihrer Art der Dachstiftung auch angeeckt?
TB: Wir erleben keine Widerstände, weil wir nicht extrem sind, sondern eine offene Haltung haben. Wir sehen das Potential im Gemeinsamen.
BK: Bis jetzt haben wir nur positive Rückmeldungen erhalten. Wenn jemand ein Problem mit der Genderthematik oder der Transparenz hat, nehmen wir die Diskussion aber gerne auf. Transparenz schadet dem Stiftungssektor nicht, im Gegenteil.
TP: Hat der Stiftungssektor bei der Genderfrage Nachholbedarf?
BK: In der operativen und strategischen Führung von Stiftungen sind Männer viel häufiger vertreten als Frauen. Das ist historisch bedingt. Hier hat die Stiftungswelt genauso Nachholbedarf wie die Gesellschaft allgemein.
TP: Gibt es zu wenig Frauen?
TB: Wir erfahren in unserer täglichen Arbeit immer wieder, wie schwierig es ist, eine gute Frau für eine interessante Position zu gewinnen. Frauen überlegen sich häufig sehr genau, ob sie Einsitz in einen Stiftungsrat nehmen, ob sie die Verantwortung übernehmen wollen. Wahrscheinlich sind sie selbstkritischer. Wir sehen die Zukunft nicht ausschliesslich weiblich, aber mindestens zuversichtlich und mit möglichst gleichen Bedingungen.
BK: Frauen zweifeln vielleicht eher, ob sie den Anforderungen genügen. Nur weil sich drei Männer anbieten, die sagen, sie bringen dieses Mandat auch noch unter einen Hut, sollte man aber nicht gleich aufgeben. Wir werden uns wirklich um Frauen und Frauenthemen bemühen. Konstruktiv und zusammen mit Männern, denn miteinander kommen wir viel weiter.
Zu den Personen:
Tanja Bootz ist Präsidentin des Kyria Stiftungsrats. Sie ist Juristin, Mediatorin und Beraterin im Stiftungssektor. Ausserdem arbeitet sie als Geschäftsführerin einer operativen Stiftung.
Brigitt Küttel ist Geschäftsführerin der Kyria Dachstiftung. Sie ist ursprünglich Rechtsanwältin und seit 25 Jahren im Stiftungssektor tätig.
Aktueller Beitrag, lesen Sie mehr zu Kyria und weiteren Stiftungen, die sich mit der Genderthematik befassen: «Ist viel erreicht genug?»