Cristina Davies, Geschäftsleiterin von Switzerland for UNHCR

Switz­er­land for UNHCR: Hoff­nung in der Flüchtlingskrise

114 Millionen Menschen sind weltweit aus ihrer Heimat vertrieben. Die Geschäftsleiterin der Stiftung Switzerland for UNHCR Cristina Davies sagt, was ihr dennoch Hoffnung macht und wie sie mit anderen Organisationen zusammenarbeiten.

Wie hat sich die Flücht­lings­si­tua­tion im vergan­ge­nen Jahr welt­weit entwickelt?

Ich arbeite seit mehr als zehn Jahren im huma­ni­tä­ren Bereich, und jedes Mal, wenn UNHCR seinen globa­len Bericht mit den Vertrei­bungs­zah­len für das vergan­gene Jahr veröf­fent­licht, werden neue Rekorde aufge­stellt. Immer mehr Konflikte brechen aus, wie vor einem Jahr im Sudan oder im Gaza­strei­fen – obwohl letz­te­rer unter das Mandat von UNRWA* und nicht UNHCR* fällt. Stän­dig entste­hen neue Notsi­tua­tio­nen, und für alte scheint keine Lösung in Sicht zu sein. Ende 2023 verzeich­nete UNHCR welt­weit 114 Millio­nen gewalt­sam vertrie­bene Menschen – sechs Millio­nen mehr als noch ein halbes Jahr zuvor. Diese Zahlen spie­geln nur den Zustand der Welt wider und lassen nicht mal erah­nen, was jede und jeder einzelne, der und die zur Flucht gezwun­gen ist, durch­ma­chen muss. 

[*UNRWA: UN-Orga­ni­sa­tion für Paläs­tina-Flücht­linge (United Nati­ons Relief and Works Agency for Pales­tine Refugees)

* UNHCR: UN-Flüchtlingsorganisation]

Die Öffent­lich­keit konzen­triert sich auf aktu­elle Konflikte wie im Gaza­strei­fen oder in der Ukraine: Wie schwie­rig ist es, die öffent­li­che Aufmerk­sam­keit auf andere Krisen wie in der DR Kongo, im Sudan, in Syrien oder Afgha­ni­stan zu lenken?

Um es einfach auszu­drü­cken: Es ist sehr schwie­rig. Aber wir glau­ben auch, dass Inter­views wie dieses dazu beitra­gen können, die Notsi­tua­tio­nen zu beleuch­ten, von denen niemand sonst niemand etwas wahr­nimmt. Viele Menschen denken, dass  UNHCR nur von Regie­run­gen finan­ziert wird, die jedes Jahr einen festen Betrag zahlen, da wir unser Mandat von der UN-Gene­ral­ver­samm­lung erhal­ten haben. In Wirk­lich­keit sind jedoch zuneh­mend Beiträge von Einzel­per­so­nen und aus dem priva­ten Sektor erfor­der­lich, da die staat­li­chen Beiträge nicht im glei­chen Masse stei­gen wie der Bedarf. 

In Wirk­lich­keit sind jedoch zuneh­mend Beiträge von Einzel­per­so­nen und aus dem priva­ten Sektor erfor­der­lich, da die staat­li­chen Beiträge nicht im glei­chen Masse stei­gen wie der Bedarf. 

Cris­tina Davies, Geschäfts­füh­re­rin Switz­er­land for UNHCR

Darüber hinaus gibt es frei­wil­lige Beiträge, die an einen bestimm­ten Zweck gebun­den sind und somit UNHCR weni­ger Spiel­raum lassen. Als der Krieg in der Ukraine im Jahr 2022 ausbrach, zeigte sich die Schwei­zer Bevöl­ke­rung sehr soli­da­risch und war sehr gross­zü­gig. Doch leider ist der Krieg zwei Jahre später immer noch nicht vorbei, und wir spüren lang­sam eine gewisse Müdig­keit. Ich möchte alle daran erin­nern: Jede Spende kann einen Unter­schied machen. Ganz gleich, wie klein sie ist. Aber ange­sichts der Infla­tion und der Stagna­tion der Real­löhne scheint diese Botschaft manch­mal nicht stark genug zu sein. Neben der Ukraine sind auch viele andere Notsi­tua­tio­nen unter­fi­nan­ziert, und die Mitar­bei­ten­den von UNHCR können den Vertrie­be­nen nicht alle nötige Hilfe zukom­men lassen. Bei Switz­er­land for UNHCR infor­mie­ren wir immer wieder über  aktu­elle Konflikte auf der ganzen Welt und nutzen alle Kanäle und Mittel, die uns zur Verfü­gung stehen: Website, soziale Medien, News­let­ter, Veran­stal­tun­gen. Die meis­ten Menschen wissen nichts von den Konflik­ten im Sudan oder in der Demo­kra­ti­schen Repu­blik Kongo. Manch­mal verges­sen sie auch den Krieg in Syrien, da er bereits seit 13 Jahren andau­ert. Unser Ziel ist es also, das Bewusst­sein für die Bedürf­nisse der Menschen zu schär­fen, die in diesen Ländern zur Flucht gezwun­gen sind.

Wie kann die Schwei­zer Gesell­schaft einen grös­se­ren Beitrag für Flücht­linge leisten?

Die Schwei­zer Bevöl­ke­rung ist bereits sehr hilfs­be­reit. Aber da die Zahl der Konflikte in der Welt zunimmt, bleibt die Zahl der Flücht­linge und Binnen­ver­trie­be­nen unglaub­lich hoch. Sie brau­chen unsere Hilfe.

Die Inte­gra­tion von Flücht­lin­gen zu fördern, ist ein Weg, um zu helfen: Wir können sie dabei unter­stüt­zen, ihren Platz in den Gast­ge­mein­den zu finden, sie will­kom­men zu heis­sen, ihnen Arbeit zu geben. Letzt­lich ist das auch gut für unser Land, denn wir können viel von ihrem Wissen und ihrer Erfah­rung profi­tie­ren. Wir haben in der Schweiz einen Fach­kräf­te­man­gel, und hier kommt auch die Inte­gra­tion von Flücht­lin­gen ins Spiel. Ausser­dem ist es eine Möglich­keit für jeden und jede in diesem Land, der oder die das Gefühl hat, dass das, was um uns herum geschieht nicht in Ordnung ist, zu handeln. Vielen machen diese vielen Krisen auf der Welt Sorgen, und sie wollen sich nicht hilf­los fühlen. Sie können aktiv etwas verän­dern, indem sie in der Schweiz für UNHCR spen­den und die Vertrie­be­nen auf der ganzen Welt unter­stüt­zen, indem sie ihnen neue Perspek­ti­ven für die Zukunft geben. Jeder Fran­ken hilft! 

Sie arbei­ten nicht nur mit Einzel­per­so­nen zusam­men, sondern auch mit Unter­neh­men oder Stiftungen.

Ja, der Privat­sek­tor ist ein wesent­li­cher Bestand­teil unse­rer Arbeit. Die Schwei­zer Öffent­lich­keit, aber auch grosse und kleine Unter­neh­men, Stif­tun­gen und Phil­an­thro­pen unter­stüt­zen die Arbeit von UNHCR gross­zü­gig. Dabei geht es oft nicht nur um finan­zi­elle Spen­den, sondern auch um Sach­spen­den oder Dienst­leis­tun­gen. Dabei kann es sich zum Beispiel um logis­ti­sche Hilfe handeln, wie im Fall der MSC-Stif­tung, die mehrere Tonnen Hilfs­gü­ter an Tausende von Flücht­lin­gen in der Ukraine gelie­fert hat – und kürz­lich auch an die Betrof­fe­nen nach den Erdbe­ben in Syrien und Türkei. Und mit der Z Zurich Foun­da­tion haben wir vor kurzem eine Zusam­men­ar­beit im Bereich der Nothilfe gestar­tet. Die Ideen für Part­ner­schaf­ten kommen oft von Unter­neh­men aus der Privat­wirt­schaft selbst. Sie kommen auf uns zu und bieten ihre Dienste und Unter­stüt­zung an. Und dafür sind wir sehr dankbar. 

Wie arbei­ten Sie als Schwei­zer Stif­tung mit UNHCR, der UN-Flücht­lings­or­ga­ni­sa­tion, zusammen?

Wir sind der natio­nale Part­ner von UNHCR in der Schweiz und Liech­ten­stein. Wir mobi­li­sie­ren in diesen beiden Ländern Ressour­cen für die Mission von UNHCR und sensi­bi­li­sie­ren die Bevöl­ke­rung für die Flücht­lings­the­ma­tik und die Arbeit von UNHCR. Switz­er­land for UNHCR ist zwar eine Stif­tung unter Schwei­zer Recht, aber wir sind Teil des grös­se­ren Ökosys­tems rund um UNHCR. Wir arbei­ten tagtäg­lich mit der UN-Flücht­lings­hilfs­or­ga­ni­sa­tion und ihrem Büro in der Schweiz und Liech­ten­stein zusam­men und zwar für dieselbe Sache. Einer der Haupt­un­ter­schiede ist, dass wir eben eine Schwei­zer Stif­tung sind und Spen­den somit steu­er­lich absetz­bar sind. 

Gibt es Entwick­lun­gen, die derzeit Hoff­nung machen, dass sich die Situa­tion der Flücht­linge in bestimm­ten Regio­nen nach­hal­tig verbes­sern könnte?

Wir sehen, dass die Mission von UNHCR an vielen Orten funk­tio­niert. Eines meiner Lieb­lings­bei­spiele ist eine von UNHCR ins Leben geru­fene Hoch­schul­kam­pa­gne mit dem Namen «Aiming Higher», die das Flücht­lings­sti­pen­di­en­pro­gramm von UNHCR unter­stützt. Bisher wurden 21,5 Millio­nen Dollar gesam­melt, die es 1680 Stipen­dia­ten ermög­li­chen, vier volle Jahre Hoch­schul­bil­dung zu absol­vie­ren. Bildung ist bei weitem die beste Inves­ti­tion, die eine Gesell­schaft täti­gen kann, da die Flücht­linge so einen wirt­schaft­li­chen und gesell­schaft­li­chen Beitrag in ihrer Aufnah­me­ge­sell­schaft oder in ihrem Heimat­land leis­ten können. 

Bildung ist bei weitem die beste Inves­ti­tion, die eine Gesell­schaft täti­gen kann, da die Flücht­linge so einen wirt­schaft­li­chen und gesell­schaft­li­chen Beitrag in ihrer Aufnah­me­ge­sell­schaft oder in ihrem Heimat­land leis­ten können. 

Cris­tina Davies

Wenn Flücht­linge nicht zur Schule gehen oder eine beruf­li­che Lauf­bahn einschla­gen können, gehen ganze Gene­ra­tio­nen verlo­ren. Sie werden nicht in der Lage sein, ihren Lebens­un­ter­halt zu bestrei­ten und ihre Träume zu verfol­gen. Abhän­gig zu sein von ande­ren ist in der Tat sehr frus­trie­rend, denn jeder Mensch möchte in Würde leben und seinen Lebens­un­ter­halt selbst bestrei­ten können. Dies ist eine gute Möglich­keit, daran zu erin­nern, dass UNHCR nicht nur erste Hilfe leis­tet, sondern dass es auch seine Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass sich Flücht­linge ein neues, unab­hän­gi­ges Leben in Würde aufbauen können.

Sehen Sie Entwick­lungs­po­ten­zial, in welche Rich­tung die Flücht­lings­ar­beit gehen kann, um effek­ti­ver zu werden? 

Ich glaube, dass es wich­tig ist, in die Zukunft der Flücht­linge zu inves­tie­ren. Wie ich bereits erwähnt habe, ist es das oberste Ziel von UNHCR, dauer­hafte Lösun­gen für die Vertrie­be­nen zu finden. Ganz gleich, ob sie in einer neuen Gemeinde oder in ihrem eige­nen Land ein neues Zuhause finden: Die Inte­gra­tion in den Arbeits­markt verrin­gert die finan­zi­elle Belas­tung für das Aufnah­me­land und die inter­na­tio­nale Gemein­schaft und hilft den Flücht­lin­gen, sich ein neues Leben in Würde aufzu­bauen. Wir dürfen nicht verges­sen, dass niemand frei­wil­lig ein Flücht­ling ist. Diese Menschen wollen nicht von huma­ni­tä­rer Hilfe abhän­gig sein, sie wollen ihr Leben zurück­ge­win­nen, ihren Beitrag in der Gesell­schaft leis­ten, ihre Fähig­kei­ten einset­zen und wie jeder andere Bürger, jede andere Bürge­rin behan­delt werden. 


Weitere Infor­ma­tio­nen über die Arbeit von Switz­er­land for UNHCR und darüber, wie man als Schwei­zer Bürger:in Flücht­linge unter­stüt­zen kann.

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