SRK-Präsidentin Barbara Schmid-Federer.

SRK: Hohe Spen­den- und Hilfsbereitschaft

Über eine Millionen Franken konnte das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) am vergangenen Samstag am 20. Rotkreuz-Ball sammeln. Im Interview erläutert die SRK-Präsidentin Barbara Schmid-Federer, wie das SRK die Gelder einsetzen wird, was die Abfolge an Krisen für die Organisation bedeutet und wie sie ihre ersten 100 Tage als SRK-Präsidentin erlebt hat.

Am Sams­tag fand der Rotkreuz-Ball zum 20. Mal statt. Welche Bedeu­tung hat er für das Schwei­ze­ri­sche Rote Kreuz (SRK)?

Der Genfer Rotkreuz­ball ist eine der wich­tigs­ten Wohl­tä­tig­keits­ver­an­stal­tun­gen des Jahres. Wir sind stolz darauf, dass wir ihn so viele Jahre lang mit immer grös­se­rem Erfolg durch­füh­ren konn­ten. Tatsäch­lich sind die Spen­den schritt­weise auf eine Million Schwei­zer Fran­ken ange­stie­gen. Durch diesen Ball können wir ein bestimm­tes Publi­kum sensi­bi­li­sie­ren, das über die Mittel und Kontakte verfügt, um für huma­ni­täre Zwecke zu handeln.

Durch zwei Auktio­nen kamen 1‘035’000 Fran­ken zusam­men. Wofür haben Sie gesammelt?

Diese Gelder sind für unsere Projekte im Liba­non bestimmt, wo wir Hand in Hand mit dem Liba­ne­si­schen Roten Kreuz arbei­ten, sowie für lokale Projekte des Genfer Roten Kreuzes.

Das Rote Kreuz des Kantons Genf sieht vor, die Gelder für drei spezi­fi­sche Projekte einzu­set­zen: die indi­vi­du­elle und bedürf­nis­ori­en­tierte Unter­stüt­zung von Geflüch­te­ten und Opfern des Konflikts in der Ukraine; die Beglei­tung von kran­ken oder leiden­den Menschen in Spitä­lern oder zu Hause und den Zugang zu Zahn­pflege für «Working Poors».

Im Liba­non können wir die Versor­gung mit saube­rem Trink­was­ser, Blut­trans­fu­sio­nen und den Zugang zu medi­zi­ni­schen Not- und Basis­diens­ten unterstützen.

Liba­ne­si­sche und syri­sche Flücht­lings­fa­mi­lien können so in ihrer Nähe saube­res Trink­was­ser erhal­ten, was ihrer Gesund­heit zugute kommt.

Barbara Schmid-Fede­rer, Präsi­den­tin Schwei­ze­ri­sches Rotes Kreuz

Das Rote Kreuz baut im Liba­non die Infra­struk­tur für die Trink­was­ser­ver­sor­gung in öffent­li­chen Schu­len, Gesund­heits­zen­tren und Gemein­den wieder auf. In Flücht­lings­la­gern testet und imple­men­tiert das Rote Kreuz neue Lösun­gen für die Wasser­ver­sor­gung, die mit Solar­ener­gie betrie­ben werden. Diese Systeme sind ökolo­gisch nach­hal­tig, nicht auf das insta­bile öffent­li­che Strom­netz ange­wie­sen und werden nicht von den Treib­stoff­prei­sen beein­flusst. Liba­ne­si­sche und syri­sche Flücht­lings­fa­mi­lien können so in ihrer Nähe saube­res Trink­was­ser erhal­ten, was ihrer Gesund­heit zugute kommt.

Wir unter­stüt­zen das Liba­ne­si­sche Rote Kreuz auch im Bereich der medi­zi­ni­schen Notfall­ver­sor­gung und der primä­ren Gesund­heits­ver­sor­gung. Mehr als 300 Kran­ken­wa­gen und Teams, 36 perso­nell besetzte Zentren für medi­zi­ni­sche Grund­ver­sor­gung und 9 mobile medi­zi­ni­sche Einhei­ten sind bereits aktiv. Das Rote Kreuz baut eine Versor­gungs­kette mit wich­ti­gen medi­zi­ni­schen Hilfs­gü­tern auf, damit die Klini­ken über die notwen­di­gen Geräte und Medi­ka­mente zur Behand­lung von Pati­en­ten verfü­gen. Mit den mobi­len medi­zi­ni­schen Einhei­ten erreicht das Rote Kreuz die Menschen auch in abge­le­ge­nen Gebieten.

Ein weite­rer wich­ti­ger Aspekt sind die Blut­trans­fu­si­ons­dienste. Das Liba­ne­si­sche Rote Kreuz betreibt 13 Blut­spen­de­zen­tren und mobi­li­siert mithilfe seiner Frei­wil­li­gen die Bevöl­ke­rung zu frei­wil­li­gen, unbe­zahl­ten Blut­spen­den. Es stellt etwa 40 Prozent der jähr­lich im Land benö­tig­ten Blut­kon­ser­ven bereit. Um zu gewähr­leis­ten, dass siche­res Blut für die Pati­en­ten, die es benö­ti­gen, zur Verfü­gung steht, wird das Liba­ne­si­sche Rote Kreuz die bestehen­den Blut­spen­de­zen­tren reno­vie­ren und ein neues zentra­les Blut­spen­de­zen­trum einrich­ten, in Blut getes­tet und verar­bei­tet wird.

Der Krieg in der Ukraine dauert schon über sieben Monate. Wie hat sich die Arbeit des SRK verändert?

Seit Februar 2022 arbei­ten wir mit Hoch­druck daran, den Menschen, die in der Ukraine vertrie­ben wurden oder in die Nach­bar­län­der geflo­hen sind, zu helfen. Wir sind in der Inter­na­tio­na­len Rotkreuz­be­we­gung aktiv und haben gleich zu Beginn des Konflikts fünf Nothilfe-Spezia­lis­ten nach Molda­wien, Polen, Ungarn und in die Slowa­kei entsandt.

In der Ukraine unter­stüt­zen wir die Nothilfe des Ukrai­ni­schen Roten Kreu­zes in den Oblas­ten Iwano-Fran­kiwsk und Terno­pil im Westen des Landes. Vorran­gig geht es um die Unter­brin­gung von Binnen­ver­trie­be­nen und deren medi­zi­ni­sche Versorgung.

20. Rotkreuz-Ball in Genf am 8. Okto­ber 2022, Fotos: TeamReporters

Auch in der Schweiz hatten wir viel zu tun und haben immer noch viel zu tun. Das Schwei­ze­ri­sche Rote Kreuz und seine Kanto­nal­ver­bände haben viel Erfah­rung mit der Aufnahme und Betreu­ung von Flücht­lin­gen. Dennoch muss­ten die Leis­tun­gen ange­passt und erwei­tert sowie auf natio­na­ler Ebene koor­di­niert werden. Wir koor­di­nier­ten rasch die Frei­wil­li­gen­ar­beit auf natio­na­ler Ebene, rich­te­ten eine Online-Platt­form namens Helpful ein, auf der wich­tige Infor­ma­tio­nen für Ukrai­ne­rin­nen und Ukrai­ner in der Schweiz zusam­men­ge­fasst sind. Im Kanton Uri, den ich letzte Woche besuchte, ist das Schwei­ze­ri­sche Rote Kreuz für die Aufnahme von Flücht­lin­gen zustän­dig. Es musste Perso­nal einge­stellt, Infra­struk­tu­ren für die Erst­auf­nahme aufge­baut, Wohnun­gen für Fami­lien orga­ni­siert und viele weitere Heraus­for­de­run­gen bewäl­tigt werden. Die Situa­tion ist sehr hart für die Flücht­linge hier, die von Tag zu Tag mit der Unge­wiss­heit leben, ob sie bald zurück­keh­ren können oder nicht. Sie haben noch Fami­lie, Freunde und Nach­barn in der Heimat, Kinder, die sich an ihre neue Umge­bung gewöh­nen müssen. Die psychi­sche Belas­tung ist sehr hoch. Auch im Bereich der psycho­so­zia­len Unter­stüt­zung konn­ten wir unsere lang­jäh­rige Erfah­rung einbringen.

Ein Teil des Erlö­ses kommt auch den Working Poor zu Gute. Wie hilft das SRK gerade auch mit Blick auf die kommen­den Monate konkret?

Das Genfer Rote Kreuz leis­tet ganz konkrete Hilfe für Menschen, die sich in einer prekä­ren Lage befin­den. Oft handelt es sich dabei um allein­er­zie­hende Mütter oder Väter, die zwar arbei­ten, aber trotz­dem nicht über die Runden kommen. Oder Fami­lien, in denen beide Eltern­teile arbei­ten, aber zu wenig verdie­nen, um alle Rech­nun­gen decken zu können. Aufgrund der Infla­tion, stei­gen­der Kran­ken­kas­sen­prä­mien und Strom­rech­nun­gen wird die Situa­tion für immer mehr Menschen, die keinen Anspruch auf Sozi­al­hilfe haben, kritisch werden. In diesem Jahr wird das Genfer Rote Kreuz aufgrund der deut­li­chen Zunahme von Migran­tin­nen und Migran­ten in Not in der Schweiz und in Genf, darun­ter auch aus der Ukraine, einen beträcht­li­chen Teil der Einnah­men des Balls für die konkrete Unter­stüt­zung dieser Menschen verwen­den (mate­ri­elle Nothilfe, Infor­ma­tio­nen, Fran­zö­sisch­kurse, Bereit­stel­lung von Dolmet­schern, Akti­vi­tä­ten für Kinder usw.).

Aufgrund der Infla­tion, stei­gen­der Kran­ken­kas­sen­prä­mien und Strom­rech­nun­gen wird die Situa­tion für immer mehr Menschen, die keinen Anspruch auf Sozi­al­hilfe haben, kritisch werden.

Barbara Schmid-Fede­rer, Präsi­den­tin Schwei­ze­ri­sches Rotes Kreuz

Dank der Eröff­nung einer Zahn­arzt­pra­xis kann das Genfer Rote Kreuz armuts­be­trof­fene Arbeit­neh­mende – die zu viel verdie­nen, um Sozi­al­hilfe zu bezie­hen, aber zu wenig, um die Kosten selbst zu tragen — profes­sio­nell und zu einem ermäs­sig­ten Preis – 40 Fran­ken für eine zahn­ärzt­li­che Behand­lung und 20 Fran­ken für eine Dental­hy­giene – behan­deln lassen und so konkret auf ein Problem der öffent­li­chen Gesund­heit reagie­ren. Im Rahmen dieses Programms wird ein Teil der Einnah­men des Balls dazu verwen­det, die Kosten für umfang­rei­chere Zahn­be­hand­lun­gen zu decken.

Pande­mie, Krieg in der Ukraine, drohende Ener­gie­eng­pässe, was bedeu­tet diese Abfolge von Krisen für Ihre Organisation?

Diese aufein­an­der­fol­gen­den Krisen erfor­dern eine hohe Agili­tät unse­rer Orga­ni­sa­tion, die sich in Echt­zeit an die Bedürf­nisse der Hilfs­be­dürf­ti­gen anpas­sen muss. Wir müssen auch auf die Finan­zie­rung unse­rer Hilfe für die Verletz­lichs­ten achten und beim Fund­rai­sing aktiv blei­ben. Wir haben das Glück, dass wir in der Schweiz auf eine sehr grosse Soli­da­ri­tät der Bevöl­ke­rung und der Unter­neh­men zählen können.

Wie hat sich die Stim­mung bei den Spendern:innen verän­dert? Spüren Sie, dass im Gegen­satz zu Krisen in der Ferne die Menschen in der Schweiz jetzt ganz direkt die Unsi­cher­heit selbst erleben?

Nach wie vor verzeich­nen wir eine hohe Spen­den- und Hilfs­be­reit­schaft. Gerade unsere treuen Spen­de­rin­nen und Spen­der zeigen eine hohe Soli­da­ri­tät. Ein kürz­lich versand­tes Spen­den­mai­ling zuguns­ten der Ukraine war sehr erfolgreich.

Dass Spen­den für Kata­stro­phen-/Kri­sen­fälle nach ca. sechs Wochen absin­ken ist nichts Unge­wöhn­li­ches. Im Fall der Ukraine hält die Spen­den- und Hilfs­be­reit­schaft nun seit bald einem halben Jahr an. Aber auch im Syrien-Konflikt hielt sich die Soli­da­ri­tät über Jahre.

Nach­dem Sie zuvor Vize­prä­si­den­tin waren, haben Sie das Amt der Präsi­den­tin des SRK erst diesen Sommer ange­tre­ten. Wie waren Ihre ersten 100 Tage?

Ich enga­giere mich seit mehr als zehn Jahren für das SRK. Als ehema­lige Präsi­den­tin des SRK Kanton Zürich bin ich fest im Schwei­ze­ri­schen Roten Kreuz verwur­zelt. Ich kenne die viel­schich­tige Struk­tur des SRK bestens. Mir war immer wich­tig engen Kontakt zur Basis und zum Wirken des SRK vor Ort zu haben. Diese Nähe konnte ich auch in den ersten 100 Tagen als Präsi­den­tin aufrecht­erhal­ten. So konnte ich mir in Uri ein Bild der Situa­tion von Geflüch­te­ten aus der Ukraine und aus ande­ren Ländern hier bei uns in der Schweiz machen und habe die Rotkreuz­fe­rien in Schaff­hau­sen besucht. Noch dieses Jahr ist eine Reise nach Laos geplant, wo ich die Projekte des SRK vor Ort kennen lernen möchte.

Was braucht das SRK, damit es in den kommen­den Mona­ten noch effek­ti­ver helfen kann?

Das Rote Kreuz hat eine lange, sehr erfolg­rei­che Geschichte und ist in der Gesell­schaft und der inter­na­tio­na­len Gemein­schaft veran­kert. Das ist eine hervor­ra­gende Ausgangs­lage. Leider nehmen die Krisen und Konflikte, der Hunger und die Armut nicht so ab, wie ich mir das gewünscht habe. Die Aufgabe des SRK ist es deshalb, diese Heraus­for­de­run­gen gemein­sam zu lösen, die Menschen, Orga­ni­sa­tio­nen und Staa­ten zu sensi­bi­li­sie­ren und zu moti­vie­ren sowie offen und inno­va­tiv zu blei­ben, das heisst auch auf neue Tech­no­lo­gien zu setzen. Drei Beispiele hierzu.

Nach wie vor verzeich­nen wir eine hohe Spen­den- und Hilfsbereitschaft.

Barbara Schmid-Fede­rer, Präsi­den­tin Schwei­ze­ri­sches Rotes Kreuz

Erstens. Das SRK soll gerüs­tet sein für die enor­men Heraus­for­de­run­gen der Zukunft, die Folgen des Klima­wan­dels. 80 Prozent aller Kata­stro­phen sind heut­zu­tage wetter­be­dingt. Und das wird zuneh­men. 3,3 Milli­ar­den Menschen auf der Welt, knapp die Hälfte der Welt­be­völ­ke­rung, bekom­men exis­ten­ti­elle Probleme wegen des Klima­wan­dels oder haben sie bereits. Zum Beispiel sind wir in Äthio­pien oder in Bangla­desch in diesem Bereich sehr aktiv. In Äthio­pien leis­ten wir Nothilfe in entle­ge­nen Gebie­ten, die von einer akuten Ernäh­rungs­krise betrof­fen sind. Wir stel­len die Wasser­ver­sor­gung sicher und geben den Menschen Bargeld-Beiträge, damit sie auf den loka­len Märk­ten das Nötigste kaufen können. Ausser­dem fördern wir die Konflikt­prä­ven­tion. In Bangla­desch helfen wir Dorf­ge­mein­schaf­ten, die immer wieder von Monsun-Fluten betrof­fen sind. Dazu gehört die Entwick­lung von Evaku­ie­rungs­plä­nen, aber auch bauli­che Mass­nah­men, damit Gesund­heits­zen­tren und die Wasser­ver­sor­gung auch bei Fluten weiter funktionieren.

Zwei­tens. Wir erle­ben wegen des Ukrai­ne­kriegs aktu­ell den gröss­ten Flücht­lings­strom seit dem Zwei­ten Welt­krieg. Zugleich wird ein Teil der Infra­struk­tur zerstört, inklu­sive Schu­len. Wir arbei­ten in der Ukraine eng mit dem Ukrai­ni­schen Roten Kreuz zusam­men, unter­stüt­zen unsere Schwes­ter­ge­sell­schaft bei ihren Projek­ten mit Know­how und Ressourcen.

Drit­tens. Das Rote Kreuz arbei­tet welt­weit vernetzt Hand in Hand: Meine Aufgabe ist es, das SRK noch stär­ker mit IKRK, Inter­na­tio­na­ler Föde­ra­tion, Kanto­nal- und Rettungs­or­ga­ni­sa­tio­nen zu vernet­zen, die Zusam­men­ar­beit zu stär­ken und die gemein­sa­men Erfolge und Errun­gen­schaf­ten sicht­bar zu machen.

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