Menschen demonstrieren. Bild: Kajetan Sumila, unsplash

Sind wir auf dem rich­ti­gen Weg?

Zum 175-Jahre-Jubiläum der Schweizer Bundesverfassung hat «Pro Futuris» in Kooperation mit gfs.bern mit dem «Demokratiemonitor 2023 eine Lagebeurteilung vorgenommen. Die Resultate zeigen ein zwiespältiges Bild der Nation.

Im Jahr 2023 jährt sich in der Schweiz das Revo­lu­ti­ons­jahr 1848 zum 175. Mal. Und der Schwei­ze­ri­sche Bundes­staat feiert entspre­chend im laufen­den Jahr seinen 175. Geburts­tag. Bei dieser Gele­gen­heit lohnt es sich, über das heute erlangte zu reflek­tie­ren – quasi einen Gesund­heits-Check-up der Schwei­zer Demo­kra­tie vorzu­neh­men. Der «Think + Do Tank» Pro Futu­ris hat in Zusam­men­ar­beit mit gfs.bern kürz­lich einen Bericht auf der Grund­lage von gross­flä­chi­gen Umfra­gen zur Thema­tik veröf­fent­licht. Der Bericht erfasst nicht nur das Empfin­den der Wahl­be­völ­ke­rung möglichst reprä­sen­ta­tiv, sondern er bildet auch Ansich­ten von Grup­pen ab, die in gängi­gen Umfra­gen nicht aufge­nom­men wurden.  Dazu betrach­tet der Bericht auch Schweizer:innen ab 14 Jahren und über 18-Jährige, die zwar in der Schweiz gebo­ren sind, mindes­tens eine Landes­spra­che beherr­schen, aber keine Schwei­zer Staats­bür­ger­schaft haben. Der Bericht legt auch ein Augen­merk auf zwei weitere margi­na­li­sierte Grup­pen: Menschen, die mit dem poli­ti­schen System unzu­frie­den sind und Menschen mit nied­ri­ger forma­ler Bildung. Insge­samt 6238 Perso­nen wurden befragt. Davon 1211 junge Menschen (zwischen 14 und 35 Jahre), 182 sprach­as­si­mi­lierte Ausländer:innen, 4156 Menschen, die mit der Schweiz eher oder sehr unzu­frie­den sind und 239 mit nied­ri­ger forma­ler Bildung.

Zufrie­den, aber nicht nur

«Sind wir auf dem rich­ti­gen Weg zum 200-Jahre-Jubi­läum?» ist die selbst­ge­stellte Über­frage. Die Antwort darauf ist ein deut­li­ches «Jein.» Die Befrag­ten sind grund­sätz­lich zufrie­den mit den syste­mi­schen Rahmen­be­din­gun­gen der Schwei­zer Poli­tik. So ist mit 85 Prozent eine klare Mehr­heit der Befrag­ten zufrie­den mit den Teil­ha­be­mög­lich­kei­ten in der  Schweizer:innen direk­ten Demo­kra­tie und 71 Prozent sagen, dass sie den Föde­ra­lis­mus schät­zen. Rund 77 Prozent sind zufrie­den mit den Regeln der Schwei­zer Poli­tik. Auch die Unter­grup­pen der jungen Menschen, dieje­ni­gen mit tiefer forma­ler Bildung und die sprach­as­si­mi­lier­ten Ausländer:innen weisen eine ähnlich hohe Zufrie­den­heit auf. Bloss die mit der Poli­tik Unzu­frie­de­nen verzeich­nen einen Wert von nur 59 Prozent Zufrie­den­heit. Die höchs­ten Zufrie­den­heits­werte lassen sich bei den Regeln über das System, das alle rele­van­ten poli­ti­schen Parteien ins Parla­ment und die Regie­rung einbin­det, ein stark föde­ral gepräg­tes System, sowie ein Check-and-Balan­ces-System finden. Die tiefs­ten Zufrie­den­heits­werte finden sich hinge­gen bei der Trans­pa­renz von Poli­tik und Verwal­tung (57 Prozent eher/sehr zufrieden).

Hohe Aner­ken­nung für poli­ti­sche Mitbestimmung

81 Prozent der Befrag­ten empfin­den die Einbin­dung von Minder­hei­ten als zufrie­den­stel­lend. Rund 91 Prozent inter­es­sie­ren sich für die Schwei­zer Poli­tik. 89 Prozent der Befrag­ten denken, dass die Schweiz dadurch erfolg­reich wurde. Dies, weil keine Partei oder Inter­es­sens­gruppe allein Entschei­dun­gen tref­fen kann und die Entschei­dun­gen auf Basis von Kompro­mis­sen gefällt werden. Im Umkehr­schluss denkt nur eine Minder­heit von 29 Prozent, dass es der Schweiz viel besser ginge, wenn die eigene bevor­zugte Partei eine klare Mehr­heit hätte und allein regie­ren könnte. Die Unter­gruppe der jungen Menschen schätzt die Mitbe­stim­mungs­mög­lich­kei­ten in der Schwei­zer Poli­tik mit 86 Prozent am meis­ten. Der tiefste Wert ist mit 56 Prozent bei den sprach­as­si­mi­lier­ten Auslän­de­rin­nen zu finden. Sogar bei der Unter­gruppe der Unzu­frie­de­nen sind 73 Prozent zufrie­den mit den Mitbestimmungsmöglichkeiten.

Miss­trauen gegen­über der Politik

Eine klare Mehr­heit der Schwei­zer Wohn­be­völ­ke­rung unter­stützt die 1848 geleg­ten Grund­steine des moder­nen Schwei­zer Staa­tes. Die Zufrie­den­heit mit dem poli­ti­schen System spie­gelt sich aber nicht bei der Zufrie­den­heit mit den poli­ti­schen Resul­ta­ten. Viele Befragte äussern ein Miss­trauen gegen­über der Poli­tik. Viele orten struk­tu­relle Bedro­hun­gen für die Demo­kra­tie. Sie sind der Meinung, der wach­sende Popu­lis­mus behin­dere poli­ti­sche Lösun­gen und verstärke die Pola­ri­sie­rung in Poli­tik und Gesell­schaft. Er erschwere das Errei­chen von Kompro­mis­sen und Mehr­hei­ten. Die Befrag­ten sind auch der Ansicht, dass Wirt­schaft, Wohl­ha­bende und Lobby­grup­pen einen über­mäs­si­gen Einfluss auf poli­ti­sche Entschei­dun­gen hätten und die Medien nicht völlig unab­hän­gig seien. Darüber hinaus sorgen sich viele über die wach­sende Kluft zwischen Arm und Reich und sie wünschen sich eine inklu­si­vere Demo­kra­tie, die schwer erreich­bare Bevöl­ke­rungs­grup­pen besser einbin­det. Über alle Kate­go­rien sind 46 Prozent der Befrag­ten mit der Schwei­zer Poli­tik unzu­frie­den. SVP-Ange­hö­rige und Partei­unge­bun­dene sind zu 66 Prozent bezie­hungs­weise 74 Prozent unzu­frie­den mit der Schwei­zer Politik.

Die gröss­ten Sorgen

Als die fünf wich­tigs­ten Probleme, vor welchen die Schweiz steht, sehen 70 Prozent der Befrag­ten Gesund­heits­fra­gen, einschliess­lich Kran­ken­kas­sen­prä­mien, 63 Prozent die AHV und 53 Prozent die Versor­gungs­si­cher­heit. Umwelt­schutz und Klima­wan­del mit 50 Prozent sowie die Zuwan­de­rung mit 49 Prozent folgen erst danach. 71 Prozent der Befrag­ten glau­ben, dass der Popu­lis­mus zukünf­tige Lösun­gen verhin­dern wird. Das ist bemer­kens­wert, denn gleich­zei­tig denkt eine Mehr­heit von 58 Prozent, dass Lobbyist:innen, Reiche und die Wirt­schaft – und nicht die einfa­chen Bürger:innen – das poli­ti­sche Gesche­hen domi­nie­ren. Ebenso bleibt die Rolle der Medien zu gros­sen Teilen umstrit­ten: 62 Prozent der Befrag­ten sind der Meinung, dass die Medien in der Schweiz nicht objek­tiv und unab­hän­gig genug berichten.

Wie es zu dieser Diskre­panz zwischen dem Vertrauen in die Grund­la­gen der Poli­tik und der allge­mei­nen Unzu­frie­den­heit mit deren Resul­ta­ten gekom­men, ist beant­wor­tet der Bericht nicht. Statt­des­sen gibt er den poli­ti­schen Entscheidungsträger:innen einen Einblick, wo die Bürger:innen Defi­zite in der aktu­el­len demo­kra­ti­schen Praxis sehen.

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