Woher kommt Ihr gemeinnütziges Engagement?
Zusammen mit meinen Eltern hatte ich als Kind Länder wie Kambodscha bereist. Schon mit 14 Jahren sah ich extreme Armut. Und ich habe erlebt, was passiert, wenn man mit den Menschen vor Ort spricht und hört, was sie beschäftigt. Wenn Kommunikation stattfindet, dann passiert etwas. Sie ist der Schlüssel für positive Veränderung.
Deswegen wollten Sie in einer NPO arbeiten?
Mit Kommunikation Positives zu bewegen ist eine Idee, die mich mein ganzes Leben begleitet hat. Direkt nach meinem Studium habe ich die Gelegenheit ergriffen, bei einem aufstrebenden Marketing-Start-up einzusteigen. Unsere Aufgabe bestand darin, attraktive Rabatte für verschiedene Unternehmen zu bewerben. Diese Erfahrung brachte mir wertvolles Wissen und ich würde sie jederzeit wieder machen wollen. Doch irgendwann stellte ich mir die Frage: Trage ich wirklich das weiter, was ich den Menschen mitteilen möchte? In dieser Phase habe ich nach einer Idee gesucht, wie ich mit meiner Leidenschaft zum Schreiben und Erzählen die Menschen zu einer Veränderung bringen kann. Und als ich dann einen Instagram-Beitrag von Khalil, Mitgründer von Buy Food with Plastic, über seinen ersten Community-Event in Nicaragua gesehen habe, wusste ich, dass ich genau so eine Geschichte erzählen möchte.
Sein Event steht am Ursprung von Buy Food with Plastic?
Genau. Angefangen hat es damit, dass sich Khalil seinen Lebenstraum verwirklichte und für drei Monate in Nicaragua in einem einfachen Bungalow am Strand lebte, wo er jeden Tag surfte. Dort lernte er die grossen Hungerprobleme der nicaraguanischen Bevölkerung kennen und erlebte, was Plastikmüll bewirkt. Alles landete in der Natur oder wurde verbrannt – teils haben Mütter mit Plastik Feuer zum Kochen gemacht.
Daraus ist die Idee zum Event entstanden?
Ja, Khalil wollte einen Event mit warmem Essen und Musik organisieren. Statt mit Geld sollten die Menschen mit Plastik bezahlen. Einem Mitarbeiter der Bungalows erzählte er die Idee und dieser war begeistert: Zusammen mit weiteren lokalen Mitarbeitenden haben sie den ersten Event organisiert. Über 100 Menschen kamen. Viele Kinder standen schon Stunden vor dem Event mit Plastikflaschen an, wegen der Aussicht auf eine warme Mahlzeit.
Drei starke Teammitglieder aus Ghana transportieren die gesammelten Plastikflaschen zur Upcycling-Manufaktur in Elmina.
Stand der Nachhaltigkeitsgedanke oder der soziale Aspekt im Vordergrund?
Entstanden ist die Idee aus einem sozialen Antrieb. Die extreme Armut war der Auslöser. Dies mit dem Plastikproblem zu verbinden war ein perfekter Match.
Sie haben über Social Media vom Event erfahren?
Ich habe auf Khalils Instagram-Profil ein Video des ersten Events gesehen.
Sie kannten Khalil?
Wir gingen zusammen in die Schule. Aber über Jahre hatten wir keinen Kontakt.
Das Video hat Sie zum Mitmachen bewegt?
Es hat mich komplett begeistert: Eine einfache Idee löst zwei Probleme. Aber ich war nicht die Einzige. Es hatten noch weitere auf das Video reagiert. Wir haben uns als kleines Team zusammengetan, die Kommunikation aufgegleist und geholfen, drei weitere Events zu organisieren. Nach Khalils Rückkehr in die Schweiz bestand zunächst Skepsis darüber, wie das Projekt von hier aus erfolgreich vorangebracht werden könnte. Schliesslich waren wir alle in Jobs oder in einem Studium involviert.
Was hat Sie zum Weitermachen bewegt?
Nach zwei Wochen hat sich Jaffet, unser Mitarbeiter vor Ort, gemeldet: Die Kinder würden an seine Tür klopfen und fragen, wann der nächste Event sei. Das war der Wendepunkt. Denn vor Ort gab es ein lokales Team, das von der Idee überzeugt war und diese umsetzen konnte. Und wir halfen von hier aus mit.
«Die Idee: lokales Material lokal verarbeiten und lokal verkaufen.»
Anna Herbst, Mitgründerin und Geschäftsleiterin, Kommunikation & HR
Sie haben zwei Communities, in der Schweiz und in Nicaragua?
Genau. Wobei wir ziemlich früh auch in Indien und Ghana aktiv waren.
Weshalb in diesen beiden Ländern?
Das ist die positive Macht der Social Media. Wir haben diese Standorte nicht gesucht. Sie haben uns gefunden. Unser heutiger Local Manager in Indien, Shakti Yadav, hat das Konzept auf Social Media gesehen. Er war überzeugt, dass dieses ideal für die Situation der Menschen in den Slums von Bhandup in Mumbai passt. Er hat uns kontaktiert.
Die Menschen kamen auf Sie zu?
Ohne die intrinsische Motivation der Kinder und der lokalen Bevölkerung in Nicaragua gäbe es das Projekt heute wohl nicht mehr. Dasselbe gilt für Indien und Ghana. Ohne die Menschen vor Ort, die Buy Food with Plastic
mit uns partnerschaftlich umsetzen, würde das Projekt nicht funktionieren.
Besteht Ihre Community aus jüngeren Menschen?
Das ist unterschiedlich. Shakti Yadav in Indien ist etwas über 25 Jahre alt. Frank Sarria, Countrymanager in Nicaragua, ist über 30 Jahre alt. Die meisten Helfer:innen sind zwischen 20 und 35 Jahre alt – aber es gibt immer Ausreisser. Das Projekt begeistert so viele Menschen, Jung und Alt.
Mit ihnen kommunizieren Sie über Social Media?
Ja, aber ebenso über unsere Website, und wir haben jeden zweiten Monat einen physischen Event bei uns in der Charity Gallery – unser Büro ist gleichzeitig eine Galerie. In der Mitte stehen unsere Arbeitsplätze, an den Wänden hängen Bilder unserer Projekte.
Das lokale Team von Buy Food with Plastic verarbeitet die Verschlüsse der PET-Flaschen zu neuen Produkten, wie beispielsweise dem Surfkamm, um diese in den Wertstoffkreislauf zurückzuführen. Auf diese Weise verfolgen sie das Ziel der wirtschaftlichen Eigenständigkeit.
Weshalb haben Sie einen gemeinnützigen Verein gegründet?
Da die Initiative ursprünglich von Khalil privat gestartet wurde, landeten die anfänglichen Spenden auf seinem persönlichen Konto. Das war jedoch keine langfristige Lösung. Daher haben wir bereits im Oktober 2018 den Verein gegründet, ein eigenes Konto eröffnet und die Steuerbefreiung beantragt. Somit konnten wir von Anfang an auch Spendenbestätigungen für die eingegangenen Gelder ausstellen.
Zu Beginn arbeiteten Sie ehrenamtlich?
Wir bauten am Anfang in Nicaragua, Indien und Ghana Teams auf, während in der Schweiz alle ehrenamtlich arbeiteten – über Mittag oder abends. Vor 2,5 Jahren haben Khalil und ich entschieden, unsere Jobs zu kündigen. Und wir haben angefangen, die anderen Mitarbeitenden einzustellen. Allerdings wäre auch heute Buy Food with Plastic nicht möglich ohne die vielen ehrenamtlichen Freiwilligen.
Wie wichtig sind Spenden für Sie?
Aktuell sind wir zu 95 Prozent von Spenden finanziert.
Werden Sie auch von grösseren Spender:innen unterstützt?
Wir erhalten grössere Spenden von Stiftungen, aber auch von Firmen und Privatpersonen. Die Herausforderung ist, dass die meisten Grossspender:innen einmal spenden und nicht über mehrere Jahre. Das erschwert die Planbarkeit. Deswegen suchen wir vermehrt Partnerschaften mit einem Zeithorizont von drei Jahren.
Soll das Projekt immer auf Unterstützung angewiesen sein oder besteht ein Geschäftsmodell?
Vor Ort verfolgen wir das Ziel, eine Kreislaufwirtschaft zu etablieren. In drei bis fünf Jahren sollen sich die lokalen Aktivitäten selbst tragen können. Events, Sammelstellen und weitere Konzepte versorgen uns mit Plastik, den wir in lokalen Manufakturen zu neuen Produkten verarbeiten und verkaufen.
Eines dieser Produkte ist ein Surfkamm.
Genau. Es war unser allererstes Produkt, das wir in Nicaragua hergestellt haben. Es macht Sinn, da Einheimische und Touristen solche Kämme dort verwenden. Das ist unsere Idee: Lokales Material lokal verarbeiten und lokal verkaufen. Heute haben wir die Produktpalette erweitert. In Nicaragua produzieren wir ein Jenga-Spiel und in Indien Pflanzentöpfe.
Hatten Sie nie Angst, dass die Idee nicht funktioniert?
Ich habe nie gezweifelt, dass es funktioniert. Ich habe immer an das Projekt geglaubt. Was mich besonders überzeugt: Wir haben immer einen direkten Impact. Wir müssen nicht zehn Jahre planen, um zu sehen, ob etwas funktioniert. Wir erhalten die Bestätigung in Nicaragua, Indien oder Ghana und sehen direkt, was mit den Spendengeldern passiert.
Aber es gab Herausforderungen und Rückschläge?
Es gab sehr viele Herausforderungen. Die rechtlichen Konstrukte in diesen Ländern aufzubauen war anspruchsvoll. Ein weiteres Beispiel ist unser Hausprojekt aus PET-Flaschen und Zement. Zunächst schienen die Ergebnisse vielversprechend, und wir waren überzeugt, dass dies unser Weg sein könnte. Doch im Nachhinein erkannten wir, dass die Trennung von Plastik und Zement problematisch war. Damit hätten wir die Plastikproblematik lediglich auf die kommende Generation übertragen. Daher haben wir das Konzept verändert, um eine Kreislaufwirtschaft zu schliessen.
Was sehen Sie als die grösste Herausforderung für Ihre Generation?
Mir fällt auf, dass bei einigen Menschen die Verbindung zur Natur verloren gegangen ist. Hätten wir diese Verbindung bewahrt, würde weniger Plastik in der Umwelt enden. Jedoch bemerke ich, dass auch erfreuliche Veränderungen im Gange sind. Ich empfinde nicht, dass wir machtlos sind, sondern vielmehr, dass wir aktiv etwas bewirken können.
Was Sie mit dem Verein zeigen …
Die Idee hat nicht nur uns fünf Mitgründer:innen überzeugt. Schnell haben sich weitere Menschen beworben, die für uns arbeiten oder Mitglied werden wollten.
Ihre Mitgliederkategorien sind nach Tieren benannt. Was ist der Hintergrund?
Kennen Sie die Geschichte des Kolibris? Sie begleitet uns schon lange.
Nein, erzählen Sie.
Ein grosser Dschungelbrand vertrieb alle Tiere. Sie flüchteten aus dem Wald und suchten Schutz bei einem kleinen Teich. Nur der kleine Kolibri nahm mit seinem feinen Schnabel einen Tropfen Wasser aus dem Teich, flog zurück zum Brand und warf das Wasser über das Feuer. Die grossen Tiere lachten ihn aus und sagten dem Kolibri, dass er das Feuer nicht löschen könne. Der Kolibri antwortete, dass er das wisse. Es sei einfach der Beitrag, den er leisten könne. Und wenn alle ihren Beitrag zusammen leisteten, könnten sie den Waldbrand löschen.
Der Kolibri ist Ihr Vorbild?
Wir sind uns bewusst, dass es nicht allein an uns liegt, die Welt zu retten. Dennoch haben wir das Projekt ins Leben gerufen und tragen unseren Teil dazu bei. Jetzt benötigen wir auch die Unterstützung von Löwen, Elefanten und Giraffen. In meinen Augen ist es eine inspirierende Erzählung, die verdeutlicht: Alle können einen Beitrag leisten.