Blick vom Capitol auf die riesige «Trump Statue», dem das Washington Monument weichen musste. Zum Glück nicht real. Mit KI generiert und im Bildbearbeitungsprogramm zusammengesetzt. Fotomontage: Peter Kruppa; Fotos: Midjourney generiert; Jacob Creswick / unsplash; zVg

Medi­en­kom­pe­tenz: ein Schlüs­sel zur gesell­schaft­li­chen Resilienz

Die zunehmende Medienkonzentration und die Veränderung in der Mediennutzung stellen unsere Gesellschaft vor die Herausforderung, eine zuverlässige Informationsbasis zu bieten. In Zeiten von Desinformation und dem Einzug von KI in der Medienarbeit wird deutlich, wie wichtig Medienkompetenz für eine resiliente Gesellschaft ist.

Die wirt­schaft­li­che Lage der seriö­sen Schwei­zer Medien ist ange­spannt. Kaum eine Woche vergeht ohne Meldun­gen von Verlags­häu­sern, die Stel­len redu­zie­ren. Gleich­zei­tig ist der Zugang zu zahl­rei­chen und viel­fäl­ti­gen Online-Infor­ma­ti­ons­quel­len so leicht wie noch nie. Längst ist bekannt, dass sich die Medi­en­nut­zung stark gewan­delt hat. Immer mehr Menschen bezie­hen ihre Infor­ma­tio­nen über soziale Medien, Websites oder Strea­ming-Dienste. In dieser Dyna­mik stellt sich die Frage, ob gezielte Desin­for­ma­ti­ons­kam­pa­gnen eine Wirkung auf die Gesell­schaft haben. 

«Ja, auf jeden Fall», sagt Mari­anne Läder­ach, Leite­rin Medi­en­in­sti­tut Verle­ger­ver­band SCHWEIZER MEDIEN, «solche Kampa­gnen haben ja immer auch das über­ge­ord­nete Ziel, das Vertrauen in die Struk­tu­ren und Insti­tu­tio­nen unse­rer Gesell­schaft zu zerstö­ren.» Desin­for­ma­tion und Fake News können eine Gesell­schaft ernst­haft destabilisieren. 

Eine Desin­for­ma­tion könne eine Form der  Kriegs­füh­rung sein, so Jere­mias Schul­t­hess, Geschäfts­füh­rer von Fairm­edia. Spätes­tens die Big Lie, Trumps Mythos der gestoh­le­nen Wahlen, hat die Kraft und das Poten­zial von Fehl­in­for­ma­tion gezeigt. Die Verletz­lich­keit einer tradi­tio­nel­len west­li­chen Demo­kra­tie hat sich im Kapi­tol­sturm manifestiert. 

Solchen Entwick­lun­gen will Fairm­edia vorbeu­gen. Mit Fairm­edia­WATCH will der Verein für Jour­na­lis­mus und Demo­kra­tie die Mecha­nis­men von Fehl­in­for­ma­tio­nen aufzei­gen. Er zeigt, wie auch in der Schweiz mani­pu­lierte Bilder oder Fake News verbrei­tet werden und mit welchen Metho­den aus Infor­ma­tio­nen Desin­for­ma­tio­nen werden. 

Dennoch erach­tet Guido Keel, Leiter Insti­tut für Ange­wandte Medi­en­wis­sen­schaft an der ZHAW, die Gefahr in der Schweiz noch immer als weni­ger ausge­prägt als in ande­ren Ländern. Dazu trage vor allem bei, dass die Schweiz von mehre­ren klei­nen Medi­en­sys­te­men geprägt und der Jour­na­lis­mus noch rela­tiv stark sei. Auch die Pola­ri­sie­rung beur­teilt Guido Keel als weni­ger weit fort­ge­schrit­ten als in ande­ren Ländern. 

Dennoch: Die Heraus­for­de­run­gen für die Leser:innen wach­sen. Mani­pu­la­tio­nen sind heute einfa­cher. Der tech­no­lo­gi­sche Fort­schritt mit KI macht vieles realis­tisch einfach.

Was KI kann

Noch sind die Gefah­ren durch Fehl­in­for­ma­tion dank KI schwer abzu­schät­zen. Die Erfah­run­gen sind noch gering. Guido Keel warnt aber: «KI ist eine Gefahr, weil sie das an sich schon schwie­rige Geschäfts­mo­dell von Medi­en­häu­sern weiter gefähr­det und Umwäl­zun­gen mit sich bringt, die funda­men­tale – disrup­tive – Verän­de­run­gen verlan­gen.» Und er sieht Paral­le­len zum Eindrin­gen von Google und Face­book vor 20 und 10 Jahren, als diese den Medi­en­kon­sum verän­dert, und die Medi­en­häu­ser damit heraus­ge­for­dert haben. «Man heisst es will­kom­men, weil man sich Vorteile erhofft, holt sich damit aber gleich­zei­tig ganz viele Heraus­for­de­run­gen ins Haus», sagt er. «Mit KI wieder­holt sich diese Geschichte, aber in einem viel grös­se­ren Umfang.» Die klas­si­schen Medi­en­häu­ser soll­ten sich dem rich­ti­gen Umgang mit der Tech­no­lo­gie fundiert widmen. Die KI ist da. Sie wird genutzt werden. Das Wie lässt sich beein­flus­sen. Denn KI bringt sehr wohl auch Chan­cen, gerade auch für Journalist:innen, wenn es ihre jour­na­lis­ti­sche Arbeit ergänzt – und nicht verdrängt. 

Diese Gefahr sieht Andrew Holland von der Stif­tung Merca­tor Schweiz weni­ger. «KI kann Aspekte der Medi­en­pro­duk­tion auto­ma­ti­sie­ren und effi­zi­en­ter machen, die jour­na­lis­ti­sche Recher­che und Analyse wird sie aber nicht erset­zen», ist er über­zeugt. «Quali­täts­jour­na­lis­mus erfor­dert eine Viel­zahl an Fähig­kei­ten, etwa Kontext­wis­sen, emotio­nale Intel­li­genz und ethi­sches Bewusst­sein. Hier ist weiter­hin der Mensch gefragt.» Ausser­dem sieht er – zumin­dest aktu­ell noch – ein Glaub­wür­dig­keits­pro­blem bei KI-getrie­be­nen Sprachmodellen.


Zumin­dest teil­weise beur­teilt er den Wahr­heits­ge­halt heute noch als zwei­fel­haft. Der
Medi­en­kon­sum hat sich insbe­son­dere durch die zahl­rei­chen neuen Kanäle gewan­delt. Die Absender:innen hinter den Infor­ma­tio­nen sind dabei unter­schied­lich trans­pa­rent. Die verschie­de­nen Kanäle haben die Hürde gesenkt, Infor­ma­tio­nen und Desin­for­ma­tio­nen zu verbreiten. 

Wich­tige Kompetenz

«Das Veröf­fent­li­chen von Inhal­ten ist einfa­cher gewor­den», sagt Andrew Holland. «Medien haben weni­ger Gewicht hinsicht­lich der Verbrei­tung von Infor­ma­tio­nen und Inhal­ten, was an ihrer Deutungs­ho­heit rüttelt.» Darin sieht er zugleich Chance und Gefahr. Der gesell­schaft­li­che Diskurs werde freier und viel­fäl­ti­ger, wenn nicht einige wenige Medi­en­häu­ser entschei­den, was veröf­fent­licht wird und was nicht. «Zugleich sorgt die neue Viel­falt der Stim­men und die Erosion jour­na­lis­ti­scher Regeln für Orien­tie­rungs­lo­sig­keit», sagt er. Wie mit diesen Anfor­de­run­gen umge­gan­gen wird, ist je nach Alters­schicht unter­schied­lich. Jede Gene­ra­tion hat einen ande­ren Zugang zu Infor­ma­tio­nen und andere Hinder­nisse, die sie davon abhal­ten kann. So sind für ältere Menschen die neuen Tech­no­lo­gien nicht immer einfach zu hand­ha­ben. Jünge­ren Menschen fehlt dage­gen der Zugang zu klas­si­schen Infor­ma­ti­ons­me­dien. «Man trifft in der Regel kaum junge Menschen, die ein NZZ-Abo kaufen oder beim Früh­stück das Regio­nal­jour­nal hören», sagt Jere­mias Schul­t­hess. Diese Entwick­lung berei­tet ihm Sorgen. Er erach­tet es als bedenk­lich, wenn der Grad an Infor­miert­heit über das poli­ti­sche und gesell­schaft­li­che Gesche­hen abnimmt. Dies würde Tür und Tor für Falsch­in­for­ma­tio­nen öffnen. Umso wich­ti­ger sei es, die Medi­en­kom­pe­tenz zu schu­len. Auch Mari­anne Läder­ach erach­tet dies als rele­vante Aufgabe für eine Gesell­schaft: «Das Ange­bot an Nach­rich­ten und Infor­ma­tio­nen unter­schied­li­cher Quel­len ist immens, insbe­son­dere auch auf den sozia­len Platt­for­men. Wie mit dieser unab­läs­si­gen Infor­ma­ti­ons­flut umzu­ge­hen ist und wie die Infor­ma­tio­nen kritisch hinter­fragt werden soll­ten, um sich eine eigene Meinung zu bilden, erfor­dert Übung und Reflexion.»

«The world is getting more complex» ist der Titel der Illus­tra­tion von Fran­çois Chalet.

Vertrau­ens­wür­dig

Das Schu­len von Medi­en­kom­pe­tenz ist eine viel­schich­tige Heraus­for­de­rung. Der Schul­stoff kann sich nicht nur auf tech­no­lo­gi­sche Fähig­kei­ten und das Wissen um vertrau­ens­wür­dige Medi­en­ti­tel beschrän­ken. Es brau­che die rich­tige Haltung, ist Guido Keel über­zeugt. «Junge mögen heute zwar viel besser wissen, was Fake News sind und wie Infor­ma­tio­nen auf Social-Media-Platt­for­men zu beur­tei­len sind. Dieses Wissen hält sie aber nicht davon ab, sich trotz­dem unkri­tisch zu infor­mie­ren bzw. ihre Medi­en­nut­zung auf gesell­schaft­lich weni­ger rele­vante Themen auszu­rich­ten.» Wer sich fragt, wie es um die eigene Medi­en­kom­pe­tenz steht, für den haben Merca­tor, SRG, das Medi­en­in­sti­tut und der Verein Polit­tools in diesem Jahr den newstest.ch lanciert. So kann jede und jeder sich selbst testen. In jedem Fall soll­ten die Medi­en­häu­ser Medi­en­kom­pe­tenz genü­gend Aufmerk­sam­keit schen­ken. Denn die Gefah­ren liegen nicht nur im Verlust von Leser­schaft und des eige­nen wirt­schaft­li­chen Erfolgs. Verlust von Medi­en­kom­pe­tenz gefähr­det die Auto­ri­tät der Medi­en­häu­ser. Die Glaub­wür­dig­keit ihrer Infor­ma­tio­nen ist in Frage gestellt. Damit fehlt einer demo­kra­ti­schen Gesell­schaft eine verläss­li­che gemein­same Basis. «Die Verletz­lich­keit nimmt zu und dies ist eine grosse Gefahr für eine funk­tio­nie­rende, demo­kra­ti­sche Gesell­schaft», sagt Mari­anne Läder­ach. Der Verlust an Auto­ri­tät der klas­si­schen Medien erleich­tert die Verbrei­tung und die Akzep­tanz von Desin­for­ma­tion. Jere­mias Schul­t­hess fügt an: «Wenn die Auto­ri­tät der Medien schwin­det, kann jeder und jede Deutungs­ho­heit für sich bean­spru­chen. Das verein­facht die Verbrei­tung von mani­pu­la­ti­ven Inhal­ten.» Grund­sätz­lich soll­ten Medien im tradi­tio­nel­len Sinn – dabei schliesse er Online- und Print-Medien expli­zit mit ein – im besten Fall die gesell­schaft­li­che Resi­li­enz stär­ken. «Unter gesell­schaft­li­cher Resi­li­enz verstehe ich in diesem Zusam­men­hang die Fähig­keit, sich in einer Gesell­schaft exter­nen Störun­gen zu wider­set­zen. Im demo­kra­ti­schen Kontext kann eine externe Störung zum Beispiel das Aufkom­men von extre­men, auto­ri­tä­ren Strö­mun­gen sein. Um solche möglichst zu verhin­dern, braucht es Medien, die einen konstruk­ti­ven Dialog inner­halb der Mehr­heits­ge­sell­schaft ermöglichen.» 

«Eine gut infor­mierte Bevöl­ke­rung wider­steht Mani­pu­la­ti­ons­ver­su­chen und Panik­ma­che leichter.»

Andrew Holland, Geschäfts­füh­rer Stif­tung Merca­tor Schweiz

Der Verlust der Auto­ri­tät ist für eine demo­kra­ti­sche Gesell­schaft umso folgen­schwe­rer, weil, wie Guido Keel betont, es nicht nur die Auto­ri­tät der Medien trifft, sondern verschie­de­ner gesell­schaft­li­cher Insti­tu­tio­nen. «Es findet eine Frag­men­tie­rung statt, wo der Dialog zwischen den unter­schied­li­chen Grup­pen gefähr­det ist oder sehr verhär­tet geführt wird, insbe­son­dere im Kontext von geziel­ter Desin­for­ma­tion und Hass­rede.» Das Problem dieser Frag­men­tie­rung mag in norma­len Zeiten noch wenig offen­sicht­lich sein. Doch in Krisen zeigen sich die Risi­ken für eine Gesell­schaft. «Gerade in gesell­schaft­li­chen Notla­gen ist der offene gesell­schaft­li­che Diskurs eine Voraus­set­zung für die Über­win­dung solcher Notla­gen oder Krisen», sagt Guido Keel. «Wenn der gesell­schaft­li­che Diskurs, der möglichst alle einbe­zieht, nicht mehr möglich ist, sondern der Austausch nur noch pola­ri­siert in klar abge­grenz­ten Blasen statt­fin­det, ist keine gesell­schaft­li­che Verstän­di­gung mehr möglich. Diese ist aber Voraus­set­zung für die Stär­kung der gesell­schaft­li­chen Resi­li­enz.» Die Medien sind gefor­dert. Die Herstel­lung des gesell­schaft­li­chen Dialogs ist ihre Kern­auf­gabe. Medien haben die Mittel, von allen rele­van­ten gesell­schaft­li­chen Grup­pen, deren Ideen und Perspek­ti­ven zu erfah­ren sowie diese in Bezie­hung zuein­an­der zu stel­len. «Diese Forums-Funk­tion der Medien ist meines Erach­tens zentral für die soziale Kohä­sion», sagt er. 

Gemein­same Wissensbasis

Eine Gesell­schaft hat also ein Inter­esse daran, dass ihre Mitglie­der ein gewis­ses Mass an Infor­ma­tio­nen aufneh­men. Sie braucht eine gemein­same Wissens­ba­sis, die den Diskurs, den Dialog und auch den Disput erst möglich macht. Das ist die Basis für eine resi­li­ente Gesell­schaft. «Eine gut infor­mierte Bevöl­ke­rung wider­steht Mani­pu­la­ti­ons­ver­su­chen und Panik­ma­che leich­ter», sagt Andrew Holland. Und das ist die Aufgabe der Medien. «Medien, die nach etablier­ten jour­na­lis­ti­schen Grund­sät­zen recher­chie­ren und einord­nen, tragen deshalb zur Resi­li­enz der Gesell­schaft bei, unter­stüt­zen die Meinungs­bil­dung, indem sie Infor­ma­tio­nen kontex­tua­li­sie­ren und gewich­ten, und erleich­tern so die demo­kra­ti­sche Teil­habe», sagt er und fügt an: «Hoch­wer­tige Medi­en­ar­beit kommt in tradi­tio­nel­len wie neuen Forma­ten daher.» 

Anmer­kung der Redak­tion:
Die Autorin ist Co-Präsi­den­tin von fairmedia.

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