Die wirtschaftliche Lage der seriösen Schweizer Medien ist angespannt. Kaum eine Woche vergeht ohne Meldungen von Verlagshäusern, die Stellen reduzieren. Gleichzeitig ist der Zugang zu zahlreichen und vielfältigen Online-Informationsquellen so leicht wie noch nie. Längst ist bekannt, dass sich die Mediennutzung stark gewandelt hat. Immer mehr Menschen beziehen ihre Informationen über soziale Medien, Websites oder Streaming-Dienste. In dieser Dynamik stellt sich die Frage, ob gezielte Desinformationskampagnen eine Wirkung auf die Gesellschaft haben.
«Ja, auf jeden Fall», sagt Marianne Läderach, Leiterin Medieninstitut Verlegerverband SCHWEIZER MEDIEN, «solche Kampagnen haben ja immer auch das übergeordnete Ziel, das Vertrauen in die Strukturen und Institutionen unserer Gesellschaft zu zerstören.» Desinformation und Fake News können eine Gesellschaft ernsthaft destabilisieren.
Eine Desinformation könne eine Form der Kriegsführung sein, so Jeremias Schulthess, Geschäftsführer von Fairmedia. Spätestens die Big Lie, Trumps Mythos der gestohlenen Wahlen, hat die Kraft und das Potenzial von Fehlinformation gezeigt. Die Verletzlichkeit einer traditionellen westlichen Demokratie hat sich im Kapitolsturm manifestiert.
Solchen Entwicklungen will Fairmedia vorbeugen. Mit FairmediaWATCH will der Verein für Journalismus und Demokratie die Mechanismen von Fehlinformationen aufzeigen. Er zeigt, wie auch in der Schweiz manipulierte Bilder oder Fake News verbreitet werden und mit welchen Methoden aus Informationen Desinformationen werden.
Dennoch erachtet Guido Keel, Leiter Institut für Angewandte Medienwissenschaft an der ZHAW, die Gefahr in der Schweiz noch immer als weniger ausgeprägt als in anderen Ländern. Dazu trage vor allem bei, dass die Schweiz von mehreren kleinen Mediensystemen geprägt und der Journalismus noch relativ stark sei. Auch die Polarisierung beurteilt Guido Keel als weniger weit fortgeschritten als in anderen Ländern.
Dennoch: Die Herausforderungen für die Leser:innen wachsen. Manipulationen sind heute einfacher. Der technologische Fortschritt mit KI macht vieles realistisch einfach.
Was KI kann
Noch sind die Gefahren durch Fehlinformation dank KI schwer abzuschätzen. Die Erfahrungen sind noch gering. Guido Keel warnt aber: «KI ist eine Gefahr, weil sie das an sich schon schwierige Geschäftsmodell von Medienhäusern weiter gefährdet und Umwälzungen mit sich bringt, die fundamentale – disruptive – Veränderungen verlangen.» Und er sieht Parallelen zum Eindringen von Google und Facebook vor 20 und 10 Jahren, als diese den Medienkonsum verändert, und die Medienhäuser damit herausgefordert haben. «Man heisst es willkommen, weil man sich Vorteile erhofft, holt sich damit aber gleichzeitig ganz viele Herausforderungen ins Haus», sagt er. «Mit KI wiederholt sich diese Geschichte, aber in einem viel grösseren Umfang.» Die klassischen Medienhäuser sollten sich dem richtigen Umgang mit der Technologie fundiert widmen. Die KI ist da. Sie wird genutzt werden. Das Wie lässt sich beeinflussen. Denn KI bringt sehr wohl auch Chancen, gerade auch für Journalist:innen, wenn es ihre journalistische Arbeit ergänzt – und nicht verdrängt.
Diese Gefahr sieht Andrew Holland von der Stiftung Mercator Schweiz weniger. «KI kann Aspekte der Medienproduktion automatisieren und effizienter machen, die journalistische Recherche und Analyse wird sie aber nicht ersetzen», ist er überzeugt. «Qualitätsjournalismus erfordert eine Vielzahl an Fähigkeiten, etwa Kontextwissen, emotionale Intelligenz und ethisches Bewusstsein. Hier ist weiterhin der Mensch gefragt.» Ausserdem sieht er – zumindest aktuell noch – ein Glaubwürdigkeitsproblem bei KI-getriebenen Sprachmodellen.
Zumindest teilweise beurteilt er den Wahrheitsgehalt heute noch als zweifelhaft. Der
Medienkonsum hat sich insbesondere durch die zahlreichen neuen Kanäle gewandelt. Die Absender:innen hinter den Informationen sind dabei unterschiedlich transparent. Die verschiedenen Kanäle haben die Hürde gesenkt, Informationen und Desinformationen zu verbreiten.
Wichtige Kompetenz
«Das Veröffentlichen von Inhalten ist einfacher geworden», sagt Andrew Holland. «Medien haben weniger Gewicht hinsichtlich der Verbreitung von Informationen und Inhalten, was an ihrer Deutungshoheit rüttelt.» Darin sieht er zugleich Chance und Gefahr. Der gesellschaftliche Diskurs werde freier und vielfältiger, wenn nicht einige wenige Medienhäuser entscheiden, was veröffentlicht wird und was nicht. «Zugleich sorgt die neue Vielfalt der Stimmen und die Erosion journalistischer Regeln für Orientierungslosigkeit», sagt er. Wie mit diesen Anforderungen umgegangen wird, ist je nach Altersschicht unterschiedlich. Jede Generation hat einen anderen Zugang zu Informationen und andere Hindernisse, die sie davon abhalten kann. So sind für ältere Menschen die neuen Technologien nicht immer einfach zu handhaben. Jüngeren Menschen fehlt dagegen der Zugang zu klassischen Informationsmedien. «Man trifft in der Regel kaum junge Menschen, die ein NZZ-Abo kaufen oder beim Frühstück das Regionaljournal hören», sagt Jeremias Schulthess. Diese Entwicklung bereitet ihm Sorgen. Er erachtet es als bedenklich, wenn der Grad an Informiertheit über das politische und gesellschaftliche Geschehen abnimmt. Dies würde Tür und Tor für Falschinformationen öffnen. Umso wichtiger sei es, die Medienkompetenz zu schulen. Auch Marianne Läderach erachtet dies als relevante Aufgabe für eine Gesellschaft: «Das Angebot an Nachrichten und Informationen unterschiedlicher Quellen ist immens, insbesondere auch auf den sozialen Plattformen. Wie mit dieser unablässigen Informationsflut umzugehen ist und wie die Informationen kritisch hinterfragt werden sollten, um sich eine eigene Meinung zu bilden, erfordert Übung und Reflexion.»
«The world is getting more complex» ist der Titel der Illustration von François Chalet.
Vertrauenswürdig
Das Schulen von Medienkompetenz ist eine vielschichtige Herausforderung. Der Schulstoff kann sich nicht nur auf technologische Fähigkeiten und das Wissen um vertrauenswürdige Medientitel beschränken. Es brauche die richtige Haltung, ist Guido Keel überzeugt. «Junge mögen heute zwar viel besser wissen, was Fake News sind und wie Informationen auf Social-Media-Plattformen zu beurteilen sind. Dieses Wissen hält sie aber nicht davon ab, sich trotzdem unkritisch zu informieren bzw. ihre Mediennutzung auf gesellschaftlich weniger relevante Themen auszurichten.» Wer sich fragt, wie es um die eigene Medienkompetenz steht, für den haben Mercator, SRG, das Medieninstitut und der Verein Polittools in diesem Jahr den newstest.ch lanciert. So kann jede und jeder sich selbst testen. In jedem Fall sollten die Medienhäuser Medienkompetenz genügend Aufmerksamkeit schenken. Denn die Gefahren liegen nicht nur im Verlust von Leserschaft und des eigenen wirtschaftlichen Erfolgs. Verlust von Medienkompetenz gefährdet die Autorität der Medienhäuser. Die Glaubwürdigkeit ihrer Informationen ist in Frage gestellt. Damit fehlt einer demokratischen Gesellschaft eine verlässliche gemeinsame Basis. «Die Verletzlichkeit nimmt zu und dies ist eine grosse Gefahr für eine funktionierende, demokratische Gesellschaft», sagt Marianne Läderach. Der Verlust an Autorität der klassischen Medien erleichtert die Verbreitung und die Akzeptanz von Desinformation. Jeremias Schulthess fügt an: «Wenn die Autorität der Medien schwindet, kann jeder und jede Deutungshoheit für sich beanspruchen. Das vereinfacht die Verbreitung von manipulativen Inhalten.» Grundsätzlich sollten Medien im traditionellen Sinn – dabei schliesse er Online- und Print-Medien explizit mit ein – im besten Fall die gesellschaftliche Resilienz stärken. «Unter gesellschaftlicher Resilienz verstehe ich in diesem Zusammenhang die Fähigkeit, sich in einer Gesellschaft externen Störungen zu widersetzen. Im demokratischen Kontext kann eine externe Störung zum Beispiel das Aufkommen von extremen, autoritären Strömungen sein. Um solche möglichst zu verhindern, braucht es Medien, die einen konstruktiven Dialog innerhalb der Mehrheitsgesellschaft ermöglichen.»
«Eine gut informierte Bevölkerung widersteht Manipulationsversuchen und Panikmache leichter.»
Andrew Holland, Geschäftsführer Stiftung Mercator Schweiz
Der Verlust der Autorität ist für eine demokratische Gesellschaft umso folgenschwerer, weil, wie Guido Keel betont, es nicht nur die Autorität der Medien trifft, sondern verschiedener gesellschaftlicher Institutionen. «Es findet eine Fragmentierung statt, wo der Dialog zwischen den unterschiedlichen Gruppen gefährdet ist oder sehr verhärtet geführt wird, insbesondere im Kontext von gezielter Desinformation und Hassrede.» Das Problem dieser Fragmentierung mag in normalen Zeiten noch wenig offensichtlich sein. Doch in Krisen zeigen sich die Risiken für eine Gesellschaft. «Gerade in gesellschaftlichen Notlagen ist der offene gesellschaftliche Diskurs eine Voraussetzung für die Überwindung solcher Notlagen oder Krisen», sagt Guido Keel. «Wenn der gesellschaftliche Diskurs, der möglichst alle einbezieht, nicht mehr möglich ist, sondern der Austausch nur noch polarisiert in klar abgegrenzten Blasen stattfindet, ist keine gesellschaftliche Verständigung mehr möglich. Diese ist aber Voraussetzung für die Stärkung der gesellschaftlichen Resilienz.» Die Medien sind gefordert. Die Herstellung des gesellschaftlichen Dialogs ist ihre Kernaufgabe. Medien haben die Mittel, von allen relevanten gesellschaftlichen Gruppen, deren Ideen und Perspektiven zu erfahren sowie diese in Beziehung zueinander zu stellen. «Diese Forums-Funktion der Medien ist meines Erachtens zentral für die soziale Kohäsion», sagt er.
Gemeinsame Wissensbasis
Eine Gesellschaft hat also ein Interesse daran, dass ihre Mitglieder ein gewisses Mass an Informationen aufnehmen. Sie braucht eine gemeinsame Wissensbasis, die den Diskurs, den Dialog und auch den Disput erst möglich macht. Das ist die Basis für eine resiliente Gesellschaft. «Eine gut informierte Bevölkerung widersteht Manipulationsversuchen und Panikmache leichter», sagt Andrew Holland. Und das ist die Aufgabe der Medien. «Medien, die nach etablierten journalistischen Grundsätzen recherchieren und einordnen, tragen deshalb zur Resilienz der Gesellschaft bei, unterstützen die Meinungsbildung, indem sie Informationen kontextualisieren und gewichten, und erleichtern so die demokratische Teilhabe», sagt er und fügt an: «Hochwertige Medienarbeit kommt in traditionellen wie neuen Formaten daher.»
Anmerkung der Redaktion:
Die Autorin ist Co-Präsidentin von fairmedia.