Die Schweiz hat den Zuschlag für die WorldWinterGames 2029 erhalten, die olympischen Spiele für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung. Was bedeutet das für die Schweiz?
Es ist eine der grössten Sportveranstaltungen auf der Welt überhaupt. Nach Anzahl Athlet*innen ist der Anlass Nummer zwei oder drei. Am Anlass werden Menschen mit geistiger Beeinträchtigung zusammenkommen und für die Schweiz heisst das, es gibt einen Grossanlass mit den Ausführungsorten Zürich und Chur. Wichtig dabei ist auch das vorgesehene Host-Programm. Konkret reisen rund 100 Länder-Delegationen an. Diese werden vor den Spielen im ganzen Land in unterschiedlichsten Gemeinden untergebracht. Kernidee ist, Momente und Begegnungen von Menschen mit und ohne Beeinträchtigung zu ermöglichen. Es ist eine wunderbare Gelegenheit, die Einbindung von Menschen mit Behinderung in den Fokus zu rücken. Spannend daran ist ja, dass die Schweiz den Zuschlag schon 2021 bekommen hat für das Austragungsjahr 2029.
Das sind acht Jahre …
… eine grossartige Vorlaufzeit, um das Thema langsam zu entwickeln.
Verändern diese WorldWinterGames 2029 etwas im Schweizer Sport?
Die Schweiz hat 2014 die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK) unterzeichnet. Diese fordert, dass Menschen mit Behinderung eine Wahl bekommen, wie sie Sport treiben wollen. In der Schweiz gibt es heute zwei getrennte Sportsysteme, eines für Menschen ohne Behinderung und eines für Behinderte. Dies ist unvereinbar mit den Zielen der UN-BRK, die meist mit dem Schlagwort «Inklusion» umschrieben werden: dem Teilhaben von Menschen mit Behinderung am gesellschaftlichen Leben. Die WorldWinterGames sollen helfen, dass diese Idee von einem barrierefreien Zusammenleben auch in den traditionellen Sportorganisationen Einzug hält. Bis jetzt ist hier noch wenig zu spüren.
Der Bundesrat hat die Bewerbung offenbar mitgetragen.
Das ist Bundesrätin Viola Amherd, die das mitträgt, denn der Sport gehört in der Schweiz immer noch zur Verteidigung (lacht).
Was ist die Rolle des Staats?
Die Rolle des Staats ist wesentlich. Gleichzeitig muss man sagen, dass UN-Konventionen immer die Staaten verpflichten, die Konventionen umzusetzen. Es ist aber allen bewusst, dass der Staat das nicht allein stemmen kann. Die Einbindung von Menschen mit Behinderung ins tägliche Leben ist eine Aufgabe der ganzen Gesellschaft. Hier liegt die grosse Chance solcher Weltspiele, die über den Sport viele wichtige Akteure zusammenbringen können.
Die Einbindung von Menschen mit Behinderung ins tägliche Leben ist eine Aufgabe der ganzen Gesellschaft.
Robert Schmucki
Wie sieht diese Chance aus?
Neben dem Staat nimmt die Wirtschaft eine Schlüsselrolle ein. Sie ist unglaublich wichtig bei der Frage, wie wir Inklusion erreichen wollen. In der Schweiz ist «Arbeit» für die gesellschaftliche Anerkennung extrem wichtig. Ich stelle mich mit dem Namen vor und als zweites sage ich, was ich beruflich tue. Das ist auch für Menschen mit Beeinträchtigung so und damit sehr wichtig. Heute geht man in vielen Bereichen wieder zurück zum Ausdruck Menschen mit Behinderung. Dies, weil die UN-BRK Behinderung so definiert, dass diese nicht nur ein medizinisches Problem eines einzelnen Menschen ist, sondern es auch die Gesellschaft ist, die Menschen behindert. Die Gesellschaft ist nicht fähig, den Ansprüchen dieser Menschen gerecht zu werden. Menschen sind nicht einfach behindert, sie werden behindert. Genau dieses Umdenken steckt in den Diskussionen rund um Inklusion.
Ist die Schweiz noch nicht weiter mit der Inklusion von Menschen mit Behinderung?
Im April wurden die sogenannten Concluding Observations der UNO publiziert. Diese führen eine lange Liste auf, was in der Schweiz (noch) nicht klappt bei der Umsetzung der Konvention. Dies reicht von Grenzen, die in den Gesetzen definiert sind, über Probleme in der Umsetzung der Kantone bis zu sprachlichen Barrieren, die nicht abgebaut sind. Die UN fokussiert aber immer nur auf die Leistung der Staaten. Die fehlenden Veränderungen in der Gesellschaft werden nicht angesprochen. Dies ist aus meiner Sicht, wie schon erwähnt, der entscheidende Faktor. Es beginnt schon damit, dass man Berührungsängste abbaut. Genau auf diesen Aspekt fokussieren diese grossen Winterspiele.
Wer sitzt nun miteinander am Tisch, wenn die Diskussionen im Vorfeld der Wintergames starten?
In St. Gallen finden aktuell, vom 15. bis 19. Juni 2022, die National Summer Games für Menschen mit geistiger Behinderung statt. Es nehmen rund 1500 Athlet*innen aus der ganzen Schweiz teil. Sie kämpfen in 14 Sportarten um Medaillen. Am Rande der Veranstaltung werden sich Vertreter*innen aus der Wirtschaft treffen. Zum ersten Mal. Sie werden sich mit der Frage beschäftigen, was Inklusion auch für die Arbeitswelt bedeutet. Internationale Grosskonzerne sind teilweise schon sehr weit mit der Einbindung von Menschen mit Behinderung in einen inklusiven Arbeitsmarkt.

Wann startet die offizielle Vorphase der WorldWinterGames?
Die offizielle Kampagne startet im Frühling 2024, nach der offiziellen Vertragsunterzeichnung der Schweiz mit Special Olympics International. Gründerin ist übrigens Eunice Kennedy Shriver, die Schwester von John. F. Kennedy, eine Pionierin im weltweiten Kampf für Rechte und Akzeptanz von Menschen mit geistiger Behinderung. Noch heute steht die Kennedy-Familie stark hinter dieser Bewegung.
Sie haben als Junior bei GC Fussball gespielt, waren später im Basketball im Spitzensport tätig. Welche Rolle hat der Sport für Sie persönlich?
Er war der Ort, um Menschen kennenzulernen und Freunde zu treffen. Heute bin ich nicht mehr gut oder schnell, auch wenn der Ehrgeiz blöderweise manchmal noch durchbricht. Wenn ich jedoch zurückdenke, erinnere ich mich nur schwach an Meistertitel und wichtige Siege. Geblieben sind mir vor allem die gemeinsamen Reisen, die Trainingslager und die grossartigen Personen, mit denen ich zusammenspielen konnte.