Beatrice Fihn ist Executive Director The International Campaign to Abolish Nuclear Weapons ICAN, (Bild ICAN).

ICAN: Gefähr­li­che Momente in der Geschichte können zu gros­sen Fort­schrit­ten führen

Beatrice Fihn, Executive Director The International Campaign to Abolish Nuclear Weapons (ICAN), der internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen, nimmt am Verbier Festival Philanthropy Forum am 23. Juli teil. Sie spricht über die Rolle der Philanthropie und weshalb sie optimistisch ist.

Unsere Gesell­schaft steht vor gros­sen Heraus­for­de­run­gen. Welche Rolle kann der Phil­an­thro­pie­sek­tor einnehmen?

Beatrice Fihn: Es ist wich­ti­ger denn je, dass sich die Phil­an­thro­pie Gedan­ken macht zu den gros­sen Heraus­for­de­run­gen. Wir laufen aktu­ell von Krise zu Krise. Die Menschen sind erschöpft und ausge­laugt von all den schlech­ten Nachrichten.

Und was kann die Phil­an­thro­pie leisten?

Philanthrop*innen haben die Pflicht, brei­tere Bewe­gun­gen zu unter­stüt­zen – Gras­root-Bewe­gun­gen, welche die Menschen bewe­gen. Um die komple­xen und globa­len Probleme zu lösen, braucht es ein brei­tes Ange­bot an Lösun­gen. Und, um die wich­ti­gen Probleme zu lösen, ist eine ganze Bewe­gung nötig, die unter­stützt werden muss, und nicht nur ein einzi­ges Projekt.

Bei der Pande­mie hat sich gezeigt, dass es eine gewisse Skep­sis gibt, wenn zu mäch­tige Phil­an­thro­pen wie Bill Gates sich enga­gie­ren. Ist es deswe­gen wich­tig, viele Menschen zu involvieren?

Ja. Die wirk­lich schwie­ri­gen Heraus­for­de­run­gen wie die Klima­er­wär­mung, die Pande­mie und auch die Atom­waf­fen, mit welchen ich mich beschäf­tige, sind sektor­über­grei­fend. Es gibt nicht einen einzel­nen Akteur oder eine Konfe­renz, die das Problem lösen wird. Es ist die ganze Gesell­schaft, die sich ändern muss. Wir brau­chen einen ganz­heit­li­chen Ansatz. Der wissen­schaft­li­che Ansatz der Wissenschaftler*innen oder die Lösung der NGOs – das reicht nicht. Wir brau­chen die Wissenschaftler*innen, die Medien- und die Kultur­schaf­fen­den, alle verschie­de­nen Grup­pen, die zusam­men in dieselbe Rich­tung arbeiten.

Die Idee des Gleich­ge­wichts der Abschre­ckung funk­tio­niert nicht mehr.

Beatrice Fihn, Execu­tive Direc­tor ICAN

Deswe­gen arbei­tet ICAN als Koali­tion verschie­de­ner Organisation?

Genau. Und deswe­gen will ich in Verbier diese Ideen disku­tie­ren. Wir haben ein Modell, das sich auch für andere Heraus­for­de­run­gen eignet: möglichst viele verschie­dene Akteure mit unter­schied­li­chen Metho­den und Stra­te­gien verei­nen. Es braucht eine koor­di­nierte und ebenso offene Koali­tion, in der es Raum für alle gibt, in der aber alle ein gemein­sa­mes Ziel verfol­gen und erken­nen, dass sie Teil eines grös­se­ren Ganzen sind. Das heisst auch, wir müssen die Moti­va­tion finden, kleine Dinge zu tun. Und wir soll­ten erken­nen, dass diese zum Gros­sen beitragen. 

Ist ihr Ansatz ihr Erfolgs­ge­heim­nis? 2007 gegrün­det wurden sie 2017 mit dem Frie­dens­no­bel­preis ausgezeichnet?

Es ist ein Modell, das wir von der erfolg­rei­chen inter­na­tio­na­len Kampa­gne zum Verbot von Land­mi­nen kennen. Wir haben es vergrös­sert und dem Thema ange­passt. Wich­tig ist dabei, dass wir auch mit Akteu­ren zusam­men­ar­bei­ten, die nicht offi­zi­ell Teil der Koali­tion sind. Das können Regie­run­gen sein, das IKRK oder der Papst und die katho­li­sche Kirche. Wir haben ein Modell, in dem jeder Akteur und jede Akteu­rin etwas bewir­ken kann, und wir versu­chen, das grosse Ganze zusammenzufügen.

War es mehr die Angst vor einem Atom­krieg oder die Hoff­nung nach dem Ende des Kalten Krie­ges, dass eine Verän­de­rung möglich ist, die zur Grün­dung von ICAN 2007 beigetra­gen hat?

Es dürfte die Frus­tra­tion gewe­sen sein. Wir hatten das Ende des kalten Krie­ges. Wir hatten die guten Jahre, aber keiner der Atom­waf­fen­staa­ten machte Fort­schritte zur Abrüs­tung. Die Argu­men­ta­tion für Atom­waf­fen änderte sich stetig. Nach der Sowjet­union kamen andere Gründe. Heute ist es wieder Russ­land. Das zeigt, wir können nicht auf die Atom­mächte warten, dass sie das Rich­tige tun. Wir müssen exter­nen Druck erzeu­gen, damit sie sich bewe­gen. Wir haben heute keinen kalten Krieg mit zwei Blöcken. Die Situa­tion ist kompli­zier­ter. Wir haben China, Indien und Paki­stan. Viele regio­nale Konflikte, wie auch neue Tech­no­lo­gien, sorgen für diese Komple­xi­tät. Die Idee des Gleich­ge­wichts der Abschre­ckung funk­tio­niert nicht mehr. Wenn wir die Atom­waf­fen behal­ten, werden sie auch benutzt. Deswe­gen müssen wir sie eliminieren.

Die russi­sche Bedro­hung ist wie der Kana­ri­en­vo­gel in der Kohlemine.

Beatrice Fihn, Execu­tive Direc­tor ICAN

Hat Sie der Krieg in der Ukraine überrascht?

Wie viele war ich über­rascht. Natür­lich hatten wir die Zeichen gese­hen, aber bis zum letz­ten Tag gehofft, dass er es nicht tun werde. Wir haben aller­dings disku­tiert, wie und ob die Bedro­hung durch Atom­waf­fen gestie­gen ist. Die Staa­ten mit Atom­waf­fen entwi­ckeln sich zuneh­mend in Rich­tung natio­na­lis­ti­sche Staa­ten unter auto­ri­tä­ren Führun­gen. Kommt hinzu, dass viele Waffen­ab­kom­men aufge­ge­ben wurden. Seit Jahren warnen wir – auch in unse­rer Rede zum Nobel­preis – dass wir nicht genüg­sam sein dürfen. Die Dinge werden schlim­mer. Wir müssen handeln. Denn die Situa­tion wird kompli­zier­ter. Wir haben den Klima­wan­del, den wirt­schaft­li­chen Druck und die Heraus­for­de­rung der Nahrungs­mit­tel­ver­sor­gung, grosse Migra­ti­ons­ströme und den Kampf um Ressour­cen: Das wird eine sehr gefähr­li­che Welt und in dieser hat es Atom­waf­fen. Die russi­sche Bedro­hung ist wie der Kana­ri­en­vo­gel in der Kohle­mine. Wenn wir dieses Warn­si­gnal nicht ernst nehmen, laufen wir in eine Katastrophe.

In welche Rich­tung können wir uns heute über­haupt bewe­gen? Zwischen gewis­sen Ländern fehlt eine Vertrauensbasis.

Die Medien fokus­sie­ren immer auf die schlech­ten Dinge. Genau hier kann die Phil­an­thro­pie einen Beitrag leis­ten und die Erfolgs­ge­schich­ten teilen. Zeigen, was funk­tio­niert. Wich­tig ist, dass wir diese Erfolge nicht einfach als gege­ben verste­hen, sondern die Arbeit dahin­ter aner­ken­nen. Viele Staa­ten haben sich für ein Verbot der Atom­waf­fen ausge­spro­chen und den Vertrag zum Verbot von Atom­waf­fen unter­schrie­ben. Es ist ein posi­ti­ves Signal, dass sie auch in unsi­che­ren Zeiten diese Option nicht wollen. Dass diese Staa­ten atom­waf­fen­frei blei­ben, soll­ten wir aber nicht einfach als garan­tiert anneh­men. Es ist wich­tig, dass wir diese Arbeit fort­set­zen und uns mit dem Vertrag zum Verbot von Atom­waf­fen dafür einset­zen, auch wenn die Atom­mächte diesen noch nicht unter­schrie­ben haben.

Welche Entwick­lun­gen sind über­haupt möglich?

Die Moti­va­tion für Abrüs­tung wird stei­gen. Histo­risch zeigt sich in Bezug auf die gröss­ten Krisen, die kältes­ten Phasen des Kalten Krie­ges, dass danach die gröss­ten Durch­brü­che möglich waren. Nach der Kuba­krise kam der Atom­waf­fen­sperr­ver­trag zustande. Und in den 80er Jahren, in Zeiten gros­ser Span­nun­gen und einer globa­len Angst vor einem Atom­krieg, zwang der öffent­li­che Druck Michail Gorbat­schow und Ronald Reagan dazu, massive Reduk­tio­nen des Bestan­des an Atom­waf­fen um 80 Prozent auszu­han­deln. Gefähr­li­che Momente in der Geschichte können zu gros­sen Fort­schrit­ten führen. Daran müssen wir uns erin­nern. Wir müssen uns im Klaren sein, dass wir heute den Rahmen setzen, für das, was kommen wird. Wir legen die Basis für den Moment, wenn es die Gele­gen­heit geben wird, wenn die rich­tige Person an der Macht sein wird, um Gros­ses zu errei­chen. Dazu müssen wir heute die Arbeit machen. Der Erfolg ist nicht garan­tiert. Aber ich bin optimistisch.

Klima­wan­del, Flücht­lings­krise, Pande­mie – wie können wir diese Themen gemein­sam behan­deln und welche Rolle kann der Phil­an­thro­pie­sek­tor übernehmen?

Die Themen sind eng verbun­den. Sie sind in vieler­lei Hinsicht ähnlich. Es ist die exis­ten­zi­elle Bedro­hung, von der wir alle wissen, dass sie uns scha­den wird, wenn wir nichts dage­gen unter­neh­men. Die Heraus­for­de­rung ist, Politiker*innen davon zu über­zeu­gen, die kurz­fris­ti­gen Kosten für den lang­fris­ti­gen Nutzen zu tragen. Diese Entschei­dung inner­halb eines Wahl­zy­klus zu fällen, ist schwie­rig. Hier kann die Phil­an­thro­pie eine gewich­tige Rolle über­neh­men und sich für die nach­hal­tigs­ten Lösun­gen enga­gie­ren. Dazu braucht es konti­nu­ier­li­che Arbeit – wir können den Klima­wan­del nicht inner­halb eines Jahres stop­pen. Diese lang­fris­tige Arbeit braucht es auch bei den Atomwaffen.


Verbier Festi­val Phil­an­thropy Forum 2022

Beatrice Fihn disku­tiert am dies­jäh­ri­gen Verbier Festi­val Phil­an­thropy Forum zusam­men mit Maria Catt­aui, Yves Daccord und Jeremy Farrar unter der Leitung Etienne Eichen­ber­ger über die Frage: Wie kann Phil­an­thro­pie einen stär­ke­ren Impact erzeu­gen im Zeit­al­ter von Disrup­tion? How can phil­an­thropy be more impactful in an age of disruption?

Die Podi­ums­dis­kus­sion kann online verfolgt werden. 

Phil­an­thropy Forum: Sams­tag 23. Juli 2022, 15.00 – 16.30 Uhr

Anmel­dung und weitere Informationen.

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