Er handelt. Wenn Guido Fluri eine Not erkennt, wird er selbst aktiv. Dabei ist sein philanthropisches Engagement mit der Guido Fluri Stiftung stark von seiner eigenen Geschichte geprägt.
Das philanthropische Engagement von Guido Fluri ist stark geprägt durch seine eigene Biografie. Er ist der Sohn einer alleinerziehenden, damals unmündigen Mutter, die in seiner frühen Kindheit an Schizophrenie erkrankte. Fremdplatzierungen prägten seine Kindheit. Die obligatorische Schulzeit schloss er im solothurnischen Matzendorf ab. Er wohnte bei seiner Grossmutter. Der Berufseinstieg gestaltete sich vorerst schwierig, bis sich das Blatt mit seiner Lehre als Tankwart wendete. Mit den Ersparnissen aus den konsequent zusammengetragenen Trinkgeldern und mit einem Bankkredit erstand er mit erst 20 Jahren ein Stück Bauland. Er baute. Den gewinnbringenden Verkauf seines ersten Mehrfamilienhauses ermöglichte ihm den Start als Unternehmer. Und heute sagt er als Philanthrop: «In einer modernen Philanthropie übernehmen reiche Menschen Verantwortung.» Oft seien es erfolgreiche Unternehmerinnen und Unternehmer, welche die finanzielle Kraft und das Netzwerk haben zu mobilisieren.
Die Wiedergutmachungsinitiative
Guido Fluri hat Verantwortung übernommen. Als Vater der Wiedergutmachungsinitiative hat er die Politik gezwungen hinzuschauen und zu handeln. Im Jahr 2013 entschuldigte sich der Bundesrat bei den ehemaligen Verding- und Heimkindern. Eine finanzielle Entschädigung kam jedoch nicht zu Stande. Für Guido Fluri nicht genug, um ein glaubwürdiges Zeichen der Wiedergutmachung zu setzen. Seinen Ärger verwandelte er in Tatendrang: «Jetzt lancieren wir eine Volksinitiative!» Die Wiedergutmachungsinitiative war geboren. Er erinnert sich und lacht. «Zuerst ist mir alles um die Ohren geflogen. Aber es war mir klar, dass ich, soll die Volksinitiative Erfolg haben, alle Opfergruppen zusammenführen muss.» Guido Fluri hat mit seiner Stiftung die Fahne in die Hand genommen, wie er sagt. Die Initiative verlangte neben den Forderungen der parlamentarischen Initiative einen Fonds für eine finanzielle Wiedergutmachung. Ihm war klar, um genug Unterstützung aufzubauen, brauchte er personelle Ressourcen und finanzielle Mittel. Ein mehrköpfiges Projektteam, die Zeitschrift Beobachter und ein überparteiliches Komitee unterstützten ihn bei seinem Vorhaben. Die nötigen Unterschriften waren nach nur neun Monaten gesammelt. «Wir mussten schnell sein, denn viele der Opfer waren damals schon alt und gebrechlich», sagt Guido Fluri. Die Initiative wurde am 13. Januar 2015 bei der Bundeskanzlei eingereicht und nur ein halbes Jahr später legte der Bundesrat einen Gesetzesentwurf als indirekten Gegenvorschlag zur Wiedergutmachungsinitiative vor.
«Wir mussten schnell sein, denn viele der Opfer waren schon alt und gebrechlich.»
Guido Fluri
Wissen, wovon er spricht
Mit der Vorlage des Bundesrates startete die eigentliche politische Überzeugungsarbeit. «Wir waren mit grössten Widerständen konfrontiert. Mir war sofort klar, ich muss die Landeskirchen und den Bauernverband an Bord holen», erinnert sich Guido Fluri. Er habe mit seinem eigenen christlichen, evangelischen Hintergrund eine gewisse Orientierung. Damit war er sich sicher, etwas Gutes zu tun. «Es ist die Botschaft der Nächstenliebe, dass man einander hilft, auch in schwierigen Zeiten, und nicht die Schuldfrage stellt», betont der Stiftungsgründer, «das war mein innerer Kompass. Ich verstehe, wenn sich jemand für seine eigene Geschichte schämt, weil ihm immer wieder vermittelt wurde, dass er nichts kann, dass er nichts wert ist», sagt Guido Fluri. Eine gewisse Stigmatisierung nehme man das Leben lang mit. Er habe unendlich viele persönliche Gespräche geführt, um den skeptischen Politikerinnen und Politikern zu erzählen, was es wirklich hiess, Opfer einer fürsorgerischen Zwangsmassnahme zu sein. Zuerst musste er Brücken bauen. «Heute ist die Guido Fluri Stiftung bei den Kirchen willkommen, weil wir die Kirche nicht verurteilen wollten», sagt er. So hätten sich die kirchlichen Kreise letztendlich zur Initiative bekannt. Guido Fluri sprach mit Volksvertretern aus allen Parteien. Weil er keiner Partei angehört, sei er glaubwürdig. Bei vielen Politikerinnen und Politikern der SVP und der FDP biss er jedoch auf Granit, bis zur parlamentarischen Debatte im April 2016. Widerstand, erzählt Guido Fluri, kam auch von Seiten des Bauernverbandes, der Angst hatte, er könnte im Nachhinein zur Rechenschaft gezogen werden. Aber darum ging es dem Initiator der Wiedergutmachungsinitiative nicht. Es ging ihm um eine Gesamtlösung für die Betroffenen. Dazu gehörte auch Kompromisse einzugehen, etwa bei der Solidaritätsbeiträgen. Seine Vorgehensweise war erfolgreich. Guido Fluri überzeugte eine grosse Mehrheit der nationalen Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Das Parlament entschied sich mit breiter Zustimmung für einen Gegenvorschlag, der die Kernpunkte der Initiative umfasste. Die Initiative wurde daraufhin zurückgezogen. Nur ein Jahr später trat das Gesetz in Kraft. Bis heute haben 11’000 Betroffene eine offizielle Anerkennung für das erlittene Leid sowie einen Solidaritätsbeitrag von je 25’000 Franken erhalten. Nach wie vor gehen monatlich fünfzig bis hundert Gesuche bei den Kommissionen ein.
Erleichterter Guido Fluri nach der Annahme des Gegenvorschlags im Parlament.
Guido Fluri im Gespräch mit Hirntumorspezialist Abolghassem Sepehrnia.
Guido Fluri gemeinsam mit Betroffenen beim Einreichen der Wiedergutmachungsinitiative.
Guido Fluri trifft sich mit Papst Franziskus im Vatikan.
Nachhaltiges Engagement
Das nationale Forschungsprojekt der Aufarbeitung ist sehr umfassend und läuft bis 2024. Guido Fluri ist überzeugt: «Man muss diese Missstände immer wieder artikulieren und darüber reden.» Deshalb führt die Stiftung auch Treffen wie den diesjährigen Sommeranlass durch. 800 ehemalige Verdingkinder haben daran teilgenommen und ein Zeichen der Solidarität gesetzt. «Nie wieder!» lautete das Motto des Anlasses.
Anstoss zum gemeinnützigen Engagement
Initialzündung zur Stiftungsgründung im Jahr 2010 war die Diagnose eines gutartigen Tumors, die bei ihm am Kleinhirnbrückenwinkel in der Schädelbasis festgestellt wurde. Nach der Diagnose hatte er sich minutiös mit der Erkrankung auseinandergesetzt. Er wollte sehr genau wissen, was ist. In der Schweiz transparente Information zum seltenen und komplexen Tumor zu erhalten, sei schwierig gewesen, erläutert er. Dies auch, weil es bei jährlich nur rund 50 Fällen, verteilt auf rund fünf Kliniken, keine vertiefte Kompetenz gäbe. Er sagt dazu: «Als ich gesehen habe, wie schwierig die Situation für Betroffene ist, habe ich mich entschieden, in der Schweiz aktiv zu werden.» Nach intensiven Bemühungen sei es der Guido Fluri Stiftung gelungen, für den Arzt Abolghassem Sepehrnia – einen international anerkannten Neurochirurgen – eine Berufsausübungsbewilligung für die Schweiz zu erwirken. So konnten sich in der Schweiz Betroffene eines Akustikusneurinoms von einem erfahrenen
Experten behandeln lassen. Mehrere hundert Operationen führte Sepehrnia durch. «Die analytische Verarbeitung dieses Themas, auch die emotional analytische, hat mir Selbstsicherheit gegeben und Ängste genommen», sagt Guido Fluri
Mittendrin
Guido Fluri packt an. Er geht dorthin, wo es geschieht. Meist sind es unfassbare Tragödien. «Wenn etwas passiert, wenn bspw. Menschen auf der Flucht sind, versetze ich mich in deren Situation, und dann weiss ich, ich muss Verantwortung übernehmen», erklärt der Macher. Gemeinsam mit seiner Stiftung bringt er die Projekte auf den Boden. So war die Initialzündung für die niederschwellige Anlaufstelle Kescha für Kindes- und Erwachsenenschutz die emotionale Diskussion im Nachgang zum Fall Flaach. Die Kescha versucht Eskalationen zu verhindern. Dies, indem die Psychologinnen und Psychologen zuhören, die Sorgen der Beteiligten ernst nehmen und Lösungen suchen. Über 12’000 Beratungen führte die Anlaufstelle in den letzten fünf Jahren durch und konnte dadurch viele rechtliche Zuspitzungen vermeiden. Nur in wenigen Ausnahmefällen musste sie den Beizug eines Rechtsanwalts empfehlen.
Auch beim Ausbruch des Krieges in der Ukraine handelte Guido Fluri sofort. Er organisierte gemeinsam mit verschiedenen Organisationen Evakuierungsflüge und brachte schliesslich über 200 vulnerable Kinder und ihre Mütter in die Schweiz. Ihm sei es bei solchen Aktionen auch wichtig eine Signalwirkung zu erzeugen. Es sei entscheidend zu handeln und nicht zu warten, bis die staatlichen Institutionen den Bereitschaftsgrad erreicht haben.
Im Einsatz für den guten Zweck
Für die Guido Fluri Stiftung sind gut 20 Personen permanent im Einsatz. Ein halbes Dutzend davon sind bei der Kescha in Zürich tätig. Nebst dem Engagement bei der Stiftung ist Guido Fluri bei der GF Group Holding AG tätig. Das Family Office mit rund einem Dutzend Mitarbeitenden investiert unter anderem in innovative Unternehmen und hält aktuell rund 35 substanzielle Beteiligungen an Unternehmen. Die Holding schüttet ungefähr einen Drittel des Gewinns zuhanden der Stiftung aus.
Erweitertes Engagement in Europa
Aktuell weitet die Guido Fluri Stiftung mit der «Justice Initiative» ihr Engagement auf Europa aus. Dabei gehe es, nach dem Vorbild der Wiedergutmachungsinitiative, um Kinderschutz und Prävention sowie um die Aufarbeitung von Missbrauchsvorwürfen. Den Weg, wie er vorgehen soll, habe er sich lange überlegt. Zum einen hat die Stiftung vor kurzem in Venedig eine Wanderausstellung gestartet, die in unterschiedlichsten europäischen Grossstädten gezeigt wird. Zum anderen konnte sich Guido Fluri über sein Anliegen, in einem von langer Hand vorbereiteten Treffen mit Papst Franziskus austauschen. «Die Anwesenden waren sich einig, dass es wichtig sei, in die Zukunft zu schauen, um sich auf die Prävention zu konzentrieren», sagt Guido Fluri. Seine Stiftung wird einen Lehrstuhl an der Päpstlichen Universität Gregoriana stiften. Start ist im Herbst 2022. Der Lehrstuhl soll dazu beitragen, dass in der Priesterausbildung mehr zum Thema Missbrauch gelehrt wird. Was heisst Missbrauch? Wo fängt er an und vor allem – wie kann man diesen verhindern!