In einer Welt, in der man fast täglich von Nachrichten über humanitäre Krisen, Naturkatastrophen und Konflikte liest, zeigt sich ein interessantes, aber auch beunruhigendes Phänomen: Compassion Fade. Dieser Effekt beschreibt eine Verringerung des Mitgefühls und der Bereitschaft zu helfen, wenn die Zahl der Leidenden steigt. Aber warum äussert sich dieses Phänomen und was kann man dagegen tun?
Die Psychologie hinter Compassion Fade
Eine abnehmende Hilfsbereitschaft bei zunehmender Anzahl an Betroffenen scheint kontraintuitiv. In der Forschung zu Compassion Fade gibt es dazu zwei dominante Erklärungsansätze. Der erste Ansatz geht davon aus, dass es sich bei Compassion Fade um ein Bias handelt. Unter einem Bias versteht man in der Psychologie eine systematische fehlerhafte Neigung beim Wahrnehmen und Urteilen. Laut diesem Erklärungsansatz berührt uns das Leid Weniger mehr als das Leid Vieler. Einzelne Schicksale berühren uns stärker, weil wir uns leichter mit einzelnen Personen identifizieren und emotionale Verbindungen mit ihnen knüpfen können. Sobald jedoch die Zahl der Betroffenen steigt, wird dies schwieriger und unser Mitgefühl nimmt ab.
Der andere Erklärungsansatz geht davon aus, dass es sich bei Compassion Fade um eine Art Selbstschutz handelt. Grosses Leid kann zu einem Gefühl der Überwältigung und Hilflosigkeit führen. Wir fragen uns unbewusst, ob unsere Hilfe überhaupt einen Unterschied machen kann, und diese Zweifel können dazu führen, dass wir uns zurückziehen, anstatt zu helfen.
Spendensuchende Organisationen machen sich Compassion Fade durchaus zu Nutzen. So werden auf Spendenaufrufen oft nur weniger oder gar nur eine Person abgebildet, um ein möglichst grosses Mitgefühl hervorzurufen, welches eine Spende begünstigen soll.
Die Grenzen von Compassion Fade
Laut neuerer Forschung tritt Compassion Fade jedoch nicht auf, wenn ein direkter Vergleich von Spendenaufrufen möglich ist. Ein solcher direkter Vergleich ist zum Beispiel auf Crowdfunding Plattformen wie GoFundMe möglich. Diese Kampagnen unterscheiden sich auch in der Anzahl Personen, die von einer Spende profitieren. Am CEPS haben wir Spendendaten von rund 30’000 Crowdfunding Projekten untersucht und getestet, wie sich die Anzahl der Begünstigten auf den Spendenerfolg auswirkt. Die Anzahl Personen auf dem Profilbild der Projekte diente dabei als Mass der Anzahl Begünstigten. Unsere Analysen zeigten, dass es tatsächlich einen positiven Zusammenhang zwischen der Anzahl Personen auf dem Profilbild und dem Erfolg einer Kampagne gab.
Die Ergebnisse bestätigen also neuste Laborstudien zu Compassion Fade die zeigen, dass sich der Effekt bei direktem Vergleich mehrerer Projekte umkehrt. Spendensuchende Organisationen müssen also gut überlegen, ob ihr Spendenaufruf in Isolation oder gleichzeitig mit anderen Spendenaufrufen gesehen wird. Denn Compassion Fade tritt nur in isolierter Betrachtung von Spendenaufrufen auf. Werden verschiedene Spendenaufrufe direkt miteinander verglichen, erweckt grösseres Leid auch eine grössere Hilfsbereitschaft.