The Philanthropist: Sie haben in Deutschland Medizin studiert. Weshalb arbeiten Sie jetzt in Simbabwe?
Ute Dibb: Mit 30 habe ich den Facharzt gemacht. Ich hätte anschliessend in eine Praxis wechseln können. Mein Weg wäre vorgegeben gewesen. Ich wollte aber noch etwas anderes sehen. Bei der Arbeit für die CBM kann ich etwas sinnvolles tun. Ich konnte in Nepal viel operieren und viel lernen. Diese Fähigkeiten konnte ich mitnehmen.
Gibt es bei den Augenleiden eine globale Herausforderung, der Sie an allen Ihren Stationen begegnet sind?
Rund drei Prozent der Weltbevölkerung sind blind. Der Anteil variiert je nach Land und ist in Entwicklungsländern deutlich höher. Auch die Ursachen für die Augenleiden sind unterschiedlich: In entwickelten Ländern sind die häufigsten Ursachen die altersbedingte Makuladegeneration, Diabetes und grüner Star. In Entwicklungsgebieten ist es vor allem der graue Star und auch der grüne Star. Zum Teil ist es aber auch schlicht fehlendes Geld: Eine vorübergehende Erblindung wird so aufgrund der ausgebliebenen Behandlung zu einer dauerhaften Blindheit.
Hauptursache ist der graue Star. Ist dieser leicht zu behandeln?
Den grauen Star können wir in zehn Minuten operieren. Mit wenig Geld lässt sich viel ausrichten.
Was kostet die Behandlung des grauen Stars?
Bei uns in Simbabwe sind dies 70 Dollar. Das können die meisten gerade noch bezahlen.
Mit den Basismitteln können wir schon viel erreichen.
Ute Dibb, Augenärztin beim Zimbabwe Council for the Blind
Haben Sie dieselben Behandlungsmöglichkeiten wie in Europa?
Wir haben die Basismittel. Sie müssen bezahlbar sein und in der Handhabe einfach. Augentropfen, die im Kühlschrank aufbewahrt werden müssen, lohnen sich nicht. Die meisten meiner Patientinnen und Patienten haben keinen Kühlschrank. Aber mit den Basismitteln können wir schon viel erreichen.
Auch Kinder gehören zu den Leidtragenden: Jede Minute erblindet ein Kind. Was sind hier die Ursachen?
Die Ursachen sind vielfältig. Bei Neugeborenen ist es oft der grüne oder graue Star. Zudem gehören Infektionen oder unbehandelte Verletzungen zu den Ursachen.
Diese Ursachen wären leicht zu behandeln.
Ja. Entzündungen und Verletzungen sind meist leicht zu behandeln. Bei Neugeborenen kann der graue oder grüne Star in den ersten Lebenswochen operiert werden. In den Entwicklungsgebieten ist dies jedoch oft nicht der Fall. Wird dieses Leiden aber nicht in den ersten fünf oder sechs Lebensjahren operiert, so ist das Zeitfenster für eine Operation verpasst. Das ist nicht mehr aufzuholen.
Was bedeutet eine Augenkrankheit für die betroffenen Menschen in Armutsgebieten – haben sie eine Möglichkeit auf ein selbstbestimmtes Leben?
Das ist schwierig. Wer blind ist, hat keine Chance auf ein Einkommen. Oft bleibt ihnen als Hilfe ein enges Netzwerk in der Familie oder im Dorf. Unterstützung vom Staat gibt es nicht. Der Alltag wird zur Herausforderung.
Das heisst?
Schon nur das Fortbewegen ist sehr schwierig. Zum Teil hat es keine Strassen, viele Schlaglöcher – für einen Menschen mit Sehbehinderung ist es gefährlich. Viele bleiben deswegen zu Hause und versuchen, beispielsweise bei der Hühnerhaltung zu helfen. Aber an ein Einkommen ist kaum zu denken. Wer arm ist, hat ein höheres Risiko, blind zu werden, weil er sich eine Behandlung nicht leisten kann, und wer blind ist, bleibt arm. Neben dem finanziellen Aspekt führen die soziale Isolation oft auch zu Depressionen.
Wie ist die Situation von Kindern?
Für Kinder wird die Schulbildung zur Herausforderung. Es gibt kaum Ressourcen für spezielle Bildungsangebote. Besteht die Blindheit von Geburt an, so hindert dies grundlegende Entwicklungen wie Krabbeln und Laufen, weil die Kinder nicht sehen, wie dies geht. Diese Behinderungen sind kaum aufzuholen. Es fehlt die Unterstützung für diese Familien.
Einem Menschen zu sagen, dass er erblindet, ist ein schwieriger Moment. Wie gehen Sie damit um?
Schlechte Nachrichten zu überbringen, gehört zum Beruf, auch bei anderen Ärztinnen und Ärzten. Allerdings muss ich sagen, dass wir in den meisten Fällen noch etwas bewegen können. Aber ich habe gelernt, dass es wichtig ist, klar zu sagen, wie die Situation ist. Damit verhindern wir auch, dass Betroffene ihr letztes Hab und Gut aufopfern für eine aussichtslose Behandlung.
Wir mussten eine Triage vornehmen und konnten nur die schlimmsten Fälle behandeln.
Ute Dibb, Augenärztin beim Zimbabwe Council for the Blind
Ist es belastend, wenn Patientinnen und Patienten eigentlich eine Chance auf eine Heilung gehabt hätten, aber die Ressourcen fehlen?
Es kommt vor, dass die Betroffenen viel zu spät kommen und wir nichts mehr behandeln können. Das liegt allerdings nicht nur an fehlenden Ressourcen. Auch fehlendes Bewusstsein für die eigenen Gesundheit und schlicht das Setzen von anderen Prioritäten können Gründe sein. Ständig über diese Fälle nachzudenken würde frustrieren. Ich fokussiere mich lieber auf die Menschen, denen wir helfen können. Das sind die meisten. Ausserdem haben wir auch eine Schwester, die Betroffene berät, wie sie ihr Zuhause besser einrichten können oder zu Fragen der Mobilität Unterstützung gibt.
Wie hat die Pandemie Ihre Arbeit beeinflusst?
Wir waren auch in Simbabwe stark getroffen. Bei uns gab es drei Lockdowns. In diesen mussten wir schliessen. Wir haben uns aber schnell auf die Situation eingestellt, Prozesse angepasst und Schutzmaterial organisiert. Schwierig war aber insbesondere, dass andere Kliniken nicht wieder öffneten. Unsere Klinik mit zwei Ärztinnen war für Monate die einzige im ganzen Land, die offen war. Wir konnten nicht alle behandeln. Wir mussten eine Triage vornehmen und konnten nur die schlimmsten Fälle behandeln. Wir haben noch immer Wartelisten.
Die CBM Christoffel Blindenmission
Die CBM Christoffel Blindenmission ist eine international tätige, christliche Entwicklungsorganisation. In Armutsgebieten fördert sie Menschen mit Behinderungen und verhindert vermeidbare Behinderungen. Von der Weltgesundheitsorganisation WHO ist die CBM als Fachorganisation anerkannt. Ihr Ziel ist eine inklusive Gesellschaft, in der niemand zurückgelassen wird. Die CBM Schweiz führt das Zewo-Gütesiegel und ist Partnerorganisation der Glückskette.