Zur Zukunft gibt es keine Zahlen. Sie könnte ungewisser nicht sein. So schreibt die Jacobs Foundation in der Zusammenfassung einer 2020 veröffentlichten Studie zu Future Skills: «Der Klimawandel, geopolitische Machtverschiebungen, die Langzeitauswirkungen der
Coronakrise – viele aktuelle Trends machen die Zukunft höchst ungewiss.» Gegenwart und Vergangenheit sind klar; aus gemachten Erfahrungen lernen wir. Aber welche Fähigkeiten brauchen wir, unsere Kinder und Enkelkinder in 30 Jahren? Die Studie kommt zum Schluss, dass es dreier grundlegender Kompetenzen bedarf, die Kinder und Jugendliche für die Gestaltbarkeit der Zukunft befähigen: Wissen, Wollen und Wirken.
Konrad Weber, Theresa Gehringer und Sandro Alvarez Hummel haben sich ähnliche Fragen für den Stiftungssektor gestellt. Was tun, wenn der Stiftungssektor nicht vorankommt? Sie weisen darauf hin, dass obwohl viele Problemfelder auf dem Tisch liegen, der Sektor oft zu wenig mutig vorangeht. Und die Akteur:innen des Sektors bleiben mehrheitlich unter sich. «Wir haben Lust, den Stiftungssektor mitzuprägen, weil wir hier noch viel Potenzial sehen», sagt Sandro Alvarez Hummel. «Wir würden gerne mitgestalten und die Idee eines Stiftungslabors ist ein erster konkreter Ansatz. Es ist ein Experiment, das 1000 Tage dauern soll.»
Konrad Weber (links), Sandro Alvarez Hummel und Theresa Gehringer setzen mit 1000 Tagen Stiftungslabor einen neuen Impuls.
Ko-kreative Herangehensweise
Die drei jungen Initiator:innen, allesamt aus der Generation Y, haben sich in den anderthalb Jahren Konzeptionsphase des Stiftungslabors mehrheitlich digital ausgetauscht. Sie kommen aus unterschiedlichen Geschäftsfeldern und bringen auf ihren Gebieten viel Erfahrung mit. Konrad Weber ist Strategieberater und New-Work-Spezialist mit breiter journalistischer Erfahrung. Theresa Gehringer ist promovierte Stiftungsexpertin mit praktischer Erfahrung bei unterschiedlichen Stiftungen und Nonprofitorganisationen, und Sandro Alvarez Hummel engagiert sich bei Wemakeit, ist Crowdfunding- und Kampagnenspezialist und beschäftigt sich in seinem Dissertationsprojekt mit Stiftungskooperationen. Sandro Alvarez Hummel und Theresa Gehringer setzen sich ausserdem als Vorstandsmitglieder der Vereinigung Junger Stiftungsexpert:innen für den Sektor ein. Die drei können sich damit auf langjährige Praxis und einen bunten Strauss an Methoden abstützen.
Keine festen Strukturen und maximal digital
Kein neues Angebot, das sich für Jahrzehnte etablieren soll und keine neuen Strukturen sind die Ansage. Es soll gewissermassen eine Spielwiese sein, welche die drei dem Sektor zur Verfügung stellen. Die Herangehensweise soll Spass machen. Spielerisch sollen Interessierte an konkreten Hilfestellungen arbeiten, an Ideen, Impulsen und Inspirationen. «Als digitaler Experimentierraum fördert das Stiftungslabor die Innovationsfreude und die digitale Kompetenz der Mitglieder des Sektors», erklärt Konrad Weber, und sagt weiter: «Ideengeber:innen können im Stiftungslabor ko-kreativ neue Lösungsansätze zu bereits erkannten, komplexen Herausforderungen der Praxis entwickeln. So entstehen nicht nur neue Lösungen, sondern werden auch die Mitglieder des Stiftungssektors in ihrem kritischen und analytischen Denken und ihrer emotionalen Intelligenz gefördert.»
1000 Tage Raum für Experimente
Die Initiator:innen gehen neugierig an 1000 Tage Stiftungslabor heran. Theresa Gehringer wirft ein: «Wir sind gespannt, was wir in den 1000 Tagen mit unseren Mitdenker:innen erreichen können.» Die Zeit sollte ausreichen, um Vorhandenes zu erfassen, zu kondensieren und auch um Ideen anzustossen. Davon ist das Team überzeugt. Damit alle Mitarbeitenden einer Organisation gleichermassen profitierten, sei der Miteinbezug über alle Stufen sehr wertvoll, und dazu brauche es einen niederschwelligen Zugang. Sie wollen ebenso Leute aus dem Sektor wie auch jene, die mit diesem zu tun haben, zusammenbringen. So betont Sandro
Alvarez Hummel: «Wir zählen ‹aufeinander zugehen und zuhören› als einen Future Skill.» Und er ergänzt: «Das Stiftungslabor ist ein digitaler Experimentierraum mit Bühne für den Schweizer Stiftungssektor, der zum Tun und weniger zum Sinnieren anregen soll.»
Mit Hirn, Herz und Muskeln
Hirn: Das Labor ist ein Experimentierraum, um mitzudenken. Ausgewählte Fragestellungen kommen auf den Labortisch. Dort werden sie unter die Lupe genommen, um gemeinsam mit einer freiwilligen Online-Community maximal konkrete Praxislösungen zu erarbeiten. Nichts geschieht hinter verschlossenen Türen. Lösungsansätze werden präsentiert und debattiert. Alle können teilhaben.
#onlinewerkstatt #ideenschmiede
Herz: Die Laborversuche sollen Spass machen. Durch New-Work-Ansätze werden Menschen mit unterschiedlicher Expertise zusammengebracht. Die Zeit ist reif und angesichts der ständig ändernden sozialen Herausforderungen sind viele Leute bereit mitzudenken und an neuen Lösungen zu tüfteln.
#inspiration #spass
Muskeln: Wo viele Menschen zusammenarbeiten, entsteht Kraft. Die drei Expert:innen bringen diese Kraft in den Sektor. Sie überschreiten die Grenzen zwischen den Führungsstufen, indem sie das Labor für alle öffnen. Sie sind keine Konkurrenz zu jemandem und geben Wissen und Methodenkompetenz weiter.
#serviceprovider
Push and Pull
«Es geht uns nicht darum, in den Sektor zu kommen und alles aufzuwühlen», betont Sandro Alvarez Hummel, «wir wollen dort weitermachen und uns gerne einbringen, wo bereits Handlungsfelder identifiziert sind.» Ein Beirat mit Exponent:innen aus der Stiftungsbranche ist angedacht, um die Erfahrungen abzuholen und in einem ko-kreativen Prozess weiterzuentwickeln. Und um nicht bei der Identifikation der Handlungsfelder stehen zu bleiben, wollen sie zum Mitmachen provozieren, ein eigenes Agenda-Setting verfolgen und sich beispielsweise auch mit bereits bestehenden Laboren wie dem Staatslabor oder dem Klimalabor austauschen.
Die nötigen Kompetenzen
Der Bedarf ist riesig: Die Schweiz ist das Land der Stiftungen und Vereine. In deren strategischen Organen sitzen schweizweit rund 70’000 Stiftungsrät:innen und bei rund 90’000 Vereinen noch viel mehr Vereinsvorstandsmitglieder. Das Potenzial ist riesig. Mit den jährlichen Verbandssymposien wird aber nur ein Bruchteil der engagierten Personen erreicht.
Während im Stiftungslabor Future Skills wie Innovationsmethoden, New Work, Hin- und Zuhören, Datenkompetenz, Empathie, kulturelle Sensibilität und der Wille, Neues zu lernen, im Fokus stehen, sucht Dominic Lüthi, der Gründer und Geschäftsführer von StiftungsratsMandat.com, einer Plattform für die Suche nach geeigneten Stiftungsrät:innen, nach einem individuellen und massgeschneiderten Kompetenzenmix.
Dabei komme es auf die Zusammensetzung an, sagt Dominic Lüthi, Initiant der Matchmakingplattform für Stiftungsratsmitglieder und Stiftungen. «Wir empfehlen, unter dem Aspekt der Diversität unterschiedliche Generationen, Geschlechter, Denkweisen und Ethnien in Stiftungsräten zu vereinen», regt er an. Es brauche aber ebenso eine stimmige Verbundenheit und Identifikation mit dem Stiftungszweck, langfristiges Denken und Teamgeist sowie fachliche Kenntnisse, wie Marketing- und Kommunikation, Governance und Compliance, Recht, Digitalisierung, Fundraising und Finanzen etc. Sehr wichtig sind auch angewandte Kenntnisse. «Es sollte ein guter Mix aus Praxis und Theorie im Stiftungsrat vertreten sein, damit Projekte und Herausforderungen mit griffigen Massnahmen praktikabel und lösungsorientiert angegangen werden können», betont Dominic Lüthi. Vertraut gemacht mit der Idee des Stiftungslabors sagte er spontan zu, als Experte mitzutun.
Junge Menschen motivieren
Die Diversität von Stiftungsräten ist ein Dauerthema im Stiftungssektor – insbesondere die fehlende Einbindung der jüngeren Generationen. Dem will die Board for Good Foundation mit ihrem NextGen-Programm entgegenwirken. Ziel ist es, junge Meschen für ein Engagement im Stiftungssektor zu begeistern und ihnen eine qualifizierte Stiftungsratsausbildung zu ermöglichen. Seit die Initiative im Herbst 2021 ins Leben gerufen wurde, haben sich 164 junge Menschen auf die Stipendienplätze beworben. 47 Personen konnten in sechs Seminaren bis heute von einem Stipendium profitieren. Die Nachfrage bleibt hoch. Aufgrund dessen hat sich der Beirat der Stiftung entschieden, das Programm um drei Jahre weiterzuführen. In dieser Zeit möchte die Initiative noch mehr junge Menschen dabei unterstützen, in den Gremien der Stiftungswelt Fuss zu fassen.
Kraftvoller Anschub
Auch das Stiftungslabor möchte eine jüngere, aber vor allem eine diverse Zielgruppe erreichen. Es soll sichtbar machen, wie cool, vielfältig und lebendig der Sektor ist. Wer aber Bewegung in den Sektor bringen will, braucht nicht nur die Idee. Kapazitäten und Ressourcen sind ebenso notwendig. An diesem Punkt stehen Konrad Weber, Theresa Gehringer und Sandro Alvarez Hummel. Sie sind heute schon stark eingespannt. «Die anderthalbjährige Konzeptphase ist abgeschlossen», sagt Konrad Weber: «Wir sind ready to go!» Nun braucht es Ressourcen, sprich Geld. Bis Ende Jahr soll die Anschubfinanzierung eingebracht sein. Dann will das Team ihre aktuellen Engagements reduzieren, um in den 1000 Tagen auf Mandatsbasis gute Arbeit leisten zu können. Es braucht minimale professionelle Strukturen, aber vor allem Finanzen, um in einem ersten Schritt mit dem visuellen Auftritt voranzukommen. Für die Umsetzung der 1000 Tage Stiftungslabor rechnen die Initiator:innen mit einem Finanzierungsbedarf von einer halben Million Franken. Die Ressourcen möchten sie in Zusammenarbeit mit dem Stiftungssektor und weiteren Unterstützenden zusammentragen.
Scheitern gibt es nicht
Im Stiftungssektor werden heute in der überwiegenden Mehrheit Best Practices ausgetauscht und tolle Erkenntnisse gezeigt. Scheitern gibt es nicht. Dabei ist eine bekannte deutsche Redewendung ‹Nur aus Fehlern kann man lernen›. «Wir wollen explizit auch Experimente durchführen, die scheitern können, und zulassen, daraus zu lernen», betonen Theresa Gehringer und Sandro Alvarez Hummel, «von daher sind wir nicht nur auf absolut geniale, innovative, super gelungene Experimente aus.» «Wir sind jung, motiviert und wir arbeiten bereits heute sektorübergreifend und interdisziplinär», wirft Konrad Weber ein. Das Stiftungslabor-Team wird auf alle Fälle starten und den vielen Protagonist:innen in der Stiftungswelt den Ball zuspielen, Leute einbeziehen, eine Community aufbauen und maximal digital agieren. Die Zeit ist da für einen Change.