Fleur Jaccard, Geschäftsleiterin Age-Stiftung begrüsst ihre Gäste im Casino Bern. Bild: Reto Schlatter, zVg, Age-Stiftung

Wunsch nach mehr Kontakt in der Nachbarschaft 

Wie wohnen ältere Menschen in der Schweiz, und welche Rolle spielt die Nachbarschaft für ihr Wohlbefinden? Der fünfte Age Report, der am 7. November in Bern vorgestellt wurde, beleuchtet, warum gute Nachbarschaftsbeziehungen für viele Senior:innen wichtiger sind als ein barrierefreies Zuhause – besonders für jene, die alleine leben oder finanziell eingeschränkt sind.

Im Casino Bern stellte die Age Stif­tung am 7. Novem­ber 2024 die fünfte Ausgabe des Age Reports vor. Seit 2004 veröf­fent­licht sie alle fünf Jahre einen Age Report. Er gilt als Stan­dard­werk für das Thema Wohnen und Älter­wer­den in der Schweiz. Fleur Jaccard, Geschäfts­füh­re­rin der Age Stif­tung, begrüsste ihre Gäste im gut gefüll­ten Saal. Das Inter­esse am Anlass von Bundes­be­hör­den, Stif­tun­gen, Verbän­den und NGO, die sich mit dem Thema Alter und Wohnen befas­sen, war gross.

Der Age Report V

Der Age Report V rich­tet sich an ein brei­tes Publi­kum – von Forschen­den über die Alters­ar­beit bis hin zu Politiker:innen und Mitglie­der der Verwal­tung – und er soll eine fundierte Wissens­grund­lage zur Sensi­bi­li­sie­rung der Öffent­lich­keit und der Entscheidungsträger:innen für die Heraus­for­de­run­gen des Älter­wer­dens bieten. Er beinhal­tet eine umfas­sende Analyse zur Wohn- und Lebens­si­tua­tion älte­rer Menschen in der Schweiz. Dabei liegt der Fokus auf Wohnen und Nach­bar­schaft. Der Report V glie­dert sich in zwei Teile. Im ersten Teil ist die Präsen­ta­tion der Ergeb­nisse einer reprä­sen­ta­ti­ven Befra­gung – münd­li­che Inter­views – von rund 2700 Perso­nen ab 65 Jahren zu finden. Sie geben Auskunft über ihr Wohn­le­ben. Die Umfrage deckt alle Sprach­re­gio­nen ab. Der Teil besteht aus Fach­bei­trä­gen, bspw. zum Thema Nach­bar­schaft und deren Bedeu­tung für das selbst­stän­dige Wohnen, oder zur Alters­po­li­tik auf Gemein­de­ebene. Es kommen Forschende aus verschie­de­nen Diszi­pli­nen und Landes­tei­len zu Wort, einschliess­lich der Perspek­ti­ven von Menschen mit Migrationshintergrund.

Simon Stocker, Schaff­hau­ser Stän­de­rat und Alters­experte, führt durch die Podi­ums­dis­kus­sion mit den Herausgeber:innen Valé­rie Hugent­o­bler und Alex­an­der Seifert sowie mit Fran­çois Höpf­lin­ger, Experte für Alters- und Gene­ra­tio­nen­fra­gen. Bild: Reto Schlat­ter, zVg, Age-Stiftung

Der Schaff­hau­ser Stän­de­rat Simon Stocker  führte durch die Podi­ums­dis­kus­sion mit den Herausgeber:innen Valé­rie Hugent­o­bler und Alex­an­der Seifert sowie mit Fran­çois Höpf­lin­ger, Experte für Alters- und Gene­ra­tio­nen­fra­gen. Aus dieser ging hervor, dass sich seit der Heraus­gabe des Age Report IV ein Para­dig­men­wech­sel voll­zo­gen hat. Höpf­lin­ger erklärte, während vor fünf Jahren noch die Art des Wohn­rau­mes, die Ausge­stal­tung einer Wohnung, für die Befrag­ten sehr wich­tig gewe­sen sei, sei in der aktu­el­len Befra­gung das Quar­tier, dessen Ange­bot und die Nach­bar­schaft von gröss­ter Wich­tig­keit. Der Blick­win­kel hat sich ganz offen­bar verän­dert. Von allen Podiumsteilnehmer:innen wurden auch parti­zi­pa­tive Vorge­hens­weise vorge­schla­gen – unter Einbe­zug der Bevöl­ke­rung aller Alters­klas­sen – zur Entwick­lung der Wohn­for­men der Zukunft. Denn diese Diskus­sion werde es brau­chen. Dachte man noch vor fünf Jahren, dass sich mögli­cher Alters­wohn­ge­mein­schaf­ten als eine gefragte Wohn­form entwi­ckeln könnte, wisse man heute, dass sich dieses Bedürf­nis kaum entwi­ckelt habe. Zwischen­for­men ja, aber mit Rückzugsmöglichkeit.

Selb­stän­di­ger, akti­ver und gesun­der Ruhestand

Die Menschen in der Schweiz werden älter und blei­ben länger gesund, was ihnen mehr Zeit für die persön­li­che Lebens­ge­stal­tung im Ruhe­stand gibt. Der Report zeigt: Grund­sätz­lich ist die Wohn- und Lebens­zu­frie­den­heit von Perso­nen mit ausrei­chend finan­zi­el­len Ressour­cen gut; sie fühlen sich wohl und gesund. Viele ältere Menschen leben heute aktiv und indi­vi­du­ell. Sie blei­ben dank ambu­lan­ter Unter­stüt­zung länger selbst­stän­dig in ihren eige­nen vier Wänden oder nutzen alter­na­tive Wohn­for­men im Alter. Aller­dings profi­tie­ren nicht alle gleich stark von dieser Entwick­lung: Beson­ders ältere Menschen mit nied­ri­gem Bildungs­sta­tus und allein­ste­hende Frauen sind häufi­ger von finan­zi­el­len Einschrän­kun­gen und Alters­ar­mut betroffen.

Einbli­cke in Wohn­zu­frie­den­heit und Wohnumgebung

Insge­samt zeigen sich die über 65-Jähri­gen in der Schweiz mit ihrer Wohn­si­tua­tion sehr zufrie­den. Aller­dings verdeut­licht die Umfrage eine soziale Ungleich­heit: Während sich vermö­gende Senior:innen oft eine hohe Wohn­qua­li­tät leis­ten können, akzep­tie­ren weni­ger wohl­ha­bende Ältere Hinder­nisse, um in ihrer vertrau­ten Umge­bung blei­ben zu können. Nur etwa 34 Prozent der Befrag­ten leben in barrie­re­freien Wohnun­gen, da entspre­chende Anpas­sun­gen oft nur für finan­zi­ell besser gestellte Perso­nen möglich sind. Wer länger lebt, wohnt auch länger. Die Menschen leben bis zu einem höhe­ren Alter in den eige­nen vier Wänden – dank ambu­lan­ter Unter­stüt­zung. Der Report zeigt einen Trend zu viel­fäl­ti­gen Zwischen­for­men des Wohnens im Alter. Auch hier zeigt die Unter­su­chung, dass ältere Menschen mit nied­ri­gem Bildungs­ni­veau, allein­le­bende Frauen und Hoch­be­tagte ab 85 Jahren häufig mit finan­zi­el­len Engpäs­sen konfron­tiert sind, die ihr Sozi­al­le­ben einschrän­ken und das Risiko sozia­ler Isola­tion erhö­hen können

 Anstieg von Einper­so­nen­haus­hal­ten und Chan­cen durch Tech­no­logie

Ein markan­ter Trend ist der starke Anstieg an Einper­so­nen­haus­hal­ten, vor allem bei Männern ab 65 Jahren. Ihr Anteil ist in den letz­ten zwei Jahr­zehn­ten von 16 auf 37 Prozent gestie­gen. Gleich­zei­tig ist die Inter­net­nut­zung von älte­ren Menschen in den letz­ten zehn Jahren deut­lich ange­stie­gen. Verfüg­ten 2013 erst 51 Prozent der älte­ren deutsch­schwei­ze­ri­schen Bevöl­ke­rung über einen Inter­net­an­schluss, sind es im Jahr 2023 bereits 75 Prozent. Das Haupt­kom­mu­ni­ka­ti­ons­mit­tel ist nach wie vor das Tele­fon. Der Fern­se­her bleibt die Haupt­in­for­ma­ti­ons­quelle für Tages­ak­tua­li­tä­ten. Das gilt für alle ab 65 Jahren und unab­hän­gig von der sozia­len Schicht. Mobile Geräte (bspw. Smart­phones, Tablets) werden eher von Perso­nen mit hohem Bildungs­grad verwen­det. Hier sieht der Bericht ein gros­ses Potenzial. 

Mit dem Age Report V will die Age Stif­tung die Bedeu­tung einer star­ken Nach­bar­schaft und einer passen­den Wohn­um­ge­bung für ein würde­vol­les Altern unter­strei­chen. Er bietet eine gute Diskus­si­ons­ba­sis. Um trag­fä­hige Lösun­gen in einem sich verknap­pen­den und verteu­ern­den Wohnungs­markt zu finden, gehö­ren alle Parteien an einen Tisch: Behör­den, Gemein­den, Verbände, Stif­tun­gen, Wissen­schaft, ältere und jüngere Menschen aber auch die Privat­wirt­schaft, insbe­son­dere die Versi­che­run­gen, welche viele Immo­bi­lien besit­zen. Ein parti­zi­pa­ti­ver Prozess wäre eine gute Möglich­keit für ein konstruk­ti­ves Vorgehen.

Die Betei­lig­ten für die Reali­sie­rung des Age Reports V im Berner Casino. Bild: Reto Schlat­ter, zVg, Age-Stiftung

Der voll­stän­dige Age Report V ist in Deutsch und Fran­zö­sisch verfüg­bar. Er kann als Buch bestellt oder als kosten­lo­ses PDF herun­ter­ge­la­den werden. Erst­mals wurde zur Orien­tie­rung ein Kompass verfasst. Dieser fasst die Erkennt­nisse zusam­men und bietet einen guten Über­blick. Beides kann hier herun­ter­ge­la­den werden.

Die von Valé­rie Hugent­o­bler (HETSL | HES-SO) und Alex­an­der Seifert (FHNW) heraus­ge­ge­bene Publi­ka­tion erscheint im Seismo Verlag. Der Age Report V wird durch die Age-Stif­tung ermög­licht, unter­stützt von der Fonda­tion Leen­aards für die fran­zö­sisch­spra­chige Schweiz. 

Der Age Report V. Bild: Reto Schlat­ter, zVg Age-Stiftung
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