The Philanthropist: Die Gebert Rüf Stiftung fördert den Wissenschaftsjournalismus schon lange. Wie kann dieser dazu beitragen, das Vertrauen der Öffentlichkeit in wissenschaftliche Erkenntnisse zu stärken, insbesondere in Krisenzeiten wie der strategisch eingesetzten Desinformation?
Marco Vencato: Wissenschaftsjournalismus spielt eine zentrale und zugleich systemrelevante Rolle bei der Vermittlung komplexer Themen an eine breite Öffentlichkeit. Gerade in Krisenzeiten ist es essentiell, faktenbasierte und verständliche Berichterstattung zu gewährleisten, um Fehlinformationen entgegenzuwirken. Qualitätsjournalismus validiert Informationen durch Recherche, Analyse und Einordnung, er hilft dabei, Vertrauen in wissenschaftliche Erkenntnisse zu schaffen und zeigt deren Relevanz für die Gesellschaft auf.
TP: Der Wissenschaftsjournalismus wird zunehmend zurückgefahren. Welche Auswirkungen hat das auf die öffentliche Wahrnehmung von Wissenschaft und Forschung?
MV: Das ist eine grosse Herausforderung, die sich in den letzten Jahren immer weiter akzentuiert hat. Die Schweiz ist ein Land, das stark von Hochtechnologien, Innovation, Wissenschaft und Forschung lebt. Unser Bildungs‑, Forschungs- und Innovationssystem ist im internationalen Vergleich hervorragend ausgebaut. Trotzdem wird erstaunlich wenig darüber kommuniziert. In der öffentlichen Wahrnehmung dominieren oft noch traditionelle Bilder – Käse, Landwirtschaft, Schokolade. Dabei sind wir ein Land der Innovation. Leider ist das viel zu wenig präsent.
Wenn diese Strukturen wegbrechen, geraten fundierte Berichterstattung und faktenbasierte Einordnung in Gefahr.
Marco Vencato, stv. Direktor der Gebert Rüf Stiftung
TP: Welche Folgen hat der Abbau von Wissenschaftsjournalismus konkret für die Medienlandschaft?
MV: Kompetenzen gehen verloren – nicht nur in den grossen Verlagshäusern, auch beim Schweizer Fernsehen SRF. Das hat Auswirkungen auf das gesamte System: Woher kommen die Informationen? Wie ordnet man wissenschaftliche Erkenntnisse ein? Und woher beziehen Journalist:innen ihre wissenschaftliche Expertise? Wenn diese Strukturen wegbrechen, geraten fundierte Berichterstattung und faktenbasierte Einordnung in Gefahr.
TP: Die GRS fokussiert auf Wissenschaftsjournalismus. Wie sieht dieser Ansatz aus?
MV: Unser Stiftungsrat hat kürzlich entschieden, den Fokus zu erweitern. Es geht nicht nur um klassische Wissenschaftsthemen, sondern um eine wissenschaftlich fundierte Betrachtung aller relevanten gesellschaftlichen Fragen. Gerade in Zeiten von Fehlinformationen und populistischen Vereinfachungen ist das essentiell. Wir wollen die Leute mit Themen abholen, die ihnen unter den Nägeln brennen, und diese zugleich wissenschaftlich einordnen.
TP: Was können Sie als Stiftung dazu beitragen?
MV: In der Förderung verfolgen wir einen Dreiklang. Beim ersten Punkt geht es um die direkte Förderung von journalistischen Multimedia-Formaten. Wir bringen Journalist:innen, Designer:innen und IT-Fachpersonen zusammen, um gemeinsam neue Erzählformate zu entwickeln. Oft ist das eine Herausforderung, weil Journalist:innen im täglichen Arbeitsstress gefangen sind und selten die Ressourcen haben, neue Ideen zu verfolgen. Hier setzen wir an und bieten Unterstützung. Ein gutes Beispiel ist das Format «Scrollytelling», das jetzt – nach nur zwei abgeschlossenen Förderprojekten – leicht skalierbar ist und sich in bestehende Content-Management-Systeme integrieren lässt. Darin sehen wir viel Potenzial.
TP: Neben der direkten Förderung bietet ihr auch Weiterbildung an. Was steckt dahinter?
MV: Genau. Wir unterstützen Journalist:innen, die am Bootcamp von Swissnex in San Francisco «Multimedia Lab for Journalists» teilnehmen möchten. Dabei werden diese in Kontakt mit den neuesten Innovationen im US-amerikanischen Medienmarkt gebracht. Sie sollen über den eigenen Tellerrand hinausschauen.
TP: Der dritte Schwerpunkt ist die Medienkompetenzförderung. Warum ist das so wichtig?
MV: Medienprojekte sind wertlos, wenn niemand Medien konsumiert. Gerade junge Menschen müssen ganz konkret erfahren können, was journalistische Arbeit bedeutet. Und wie sich seriöse von unseriösen Informationen unterscheiden. Deshalb unterstützen wir die «Zürcher Medienwochen». Hier können Schüler:innen, begleitet von Journalist:innen, eigene Medienbeiträge erstellen. Sie durchlaufen den gesamten Prozess: Thema finden, recherchieren, Interviews führen, passende Bilder suchen und den Beitrag schliesslich verfassen. Und toll ist: Stimmt die Qualität stimmt, wird der Artikel sogar publiziert.
Wir unterstützen Medien, die nicht ausschliesslich von Stiftungsgeldern leben, sondern selbst Eigenleistung erbringen.
Marco Vencato
TP: Was für Medien fördern Sie?
MV: Wir unterstützen Medien, die nicht ausschliesslich von Stiftungsgeldern leben, sondern selbst Eigenleistung erbringen. Ein rein stiftungsfinanziertes Medienmodell sehen wir kritisch, da kleine Medien in der heutigen Landschaft nur schwer überlebensfähig sind. Eine wirtschaftliche Eigenverantwortung ist daher wichtig.
TP: Es braucht also eine Bereitschaft zur Eigeninvestition?
MV: Ja. Es gibt heute Initiativen wie we.publish, die Infrastrukturprobleme im Journalismus gemeinsam angehen. Solche Plattformen ermöglichen es, Ressourcen effizient zu nutzen und lokale Communitys gezielt zu bedienen.
TP: Wie bewertet GRS die Wirksamkeit ihrer Programme im Bereich Wissenschaftskommunikation?
MV: Wir betrachten die Wirkung auf zwei Ebenen. Erstens messen wir den direkten Impact von Projekten, beispielsweise durch die Verweildauer von Leser:innen auf Beiträgen. Bei Scrollytelling-Formaten wie denen der Aargauer Zeitung oder auf Watson sehen wir hohe Verweildauern. Das zeigt, dass das Publikum interessiert bleibt. Zweitens analysieren wir die Möglichkeit einer langfristigen Entwicklung, etwa die Skalierung von Projekten.
Wir arbeiten mit etablierten Prozessen: Journalist:innen können Ideen einreichen und erhalten innerhalb eines Monats eine Rückmeldung. Unsere Kompetenz in der journalistischen Förderung hat zudem weitere Stiftungen wie die Fondation Leenaards überzeugt, sich zu engagieren – weitere signalisieren Interesse, sich der Förderinitiative anzuschliessen.
TP: Wie schätzen Sie die aktuelle Medienlandschaft ein? Ist es ökonomisch sinnvoll, wenn viele kleine Medien mit ähnlichen Inhalten entstehen, oder ist das eher eine Herausforderung?
MV: Das hängt von der Perspektive ab. Einerseits kann eine Vielzahl kleiner Medien ein Problem darstellen, wenn sie um die gleichen begrenzten Ressourcen konkurrieren. Andererseits gibt es Chancen in der Vernetzung und Spezialisierung. Plattformen wie «The Conversation» in englisch- und französischsprachigen Ländern zeigen, wie Wissenschaftsvermittlung international erfolgreich organisiert werden kann. Diese Plattform vernetzt Wissenschaftler:innen mit Journalist:innen, um fundierte Inhalte für ein breites Publikum zugänglich zu machen. The Conversation zu erweitern, wird aktuell auch für den deutschsprachigen Raum geprüft.
TP: Was sind die nächsten Ziele der GRS im Wissenschaftsjournalismus?
MV: Wir wollen unsere bestehenden Programme mit gezielten Förderpartnerschaften weiter ausbauen und noch mehr Journalist:innen und junge Menschen erreichen. Besonders die Skalierung von innovativen Formaten wie Scrollytelling liegt uns am Herzen.