Wie steht es um die Polarisierung in der Schweiz? Dieser Frage gingen der Think+Do Tank der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft (SGG) Pro Futuris und die Stiftung Mercator Schweiz in einer repräsentativen Untersuchung nach. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass bestimmte politische und gesellschaftliche Gruppen auf erhebliche Antipathien stossen. Besonders kritisch bewertet werden Klimaaktivist:innen, Pandemie-Massnahmengegner:innen, Asylbewerber:innen. Strenggläubige, sehr reiche Personen sowie non-binäre Menschen. «Wer politisch fordernd auftritt oder von gesellschaftlichen Normen abweicht, stösst in der Schweiz auf deutliche Vorbehalte», fasst Co-Autorin Isabel Schuler von Pro Futuris die Ergebnisse zusammen. Ein Mangel an Kontakten zu Personen aus anderen Schichten steigere die Vorbehalte zusätzlich. Die Umfrage zeige, dass Wähler:innen aus dem rechten Lager dem linken Lager weniger Sympathien entgegenbringen als umgekehrt. Die Studie liefere damit keine Hinweise darauf, dass linke Wähler:innen grundsätzlich intoleranter seien als rechte, obwohl das in der öffentliche Debatte immer wieder behauptet werde.
Die Studie zeigt zudem eine widersprüchliche Haltung der SVP-Wählerschaft auf: Sie äussert überdurchschnittlich starke Antipathien gegenüber bestimmten Gruppen. Zugleich sorgt sie sich aber am stärksten um den Zusammenhalt und beklagt den Verlust gemeinsamer Werte. Diese Widersprüchlichkeit könnte gemäss den Autor:innen darauf hindeuten, dass Polarisierung oft mit einem Gefühl des Verlusts verbunden sei: «Wer das Gefühl hat, dass sich die Gesellschaft zu stark verändert, könnte eher dazu neigen, bestimmte Gruppen als Symbol dieses Wandels abzulehnen», sagt Co-Autorin Flurina Wäspi von der Stiftung Mercator Schweiz.
Wunsch nach Austausch
70 Prozent der Befragten der Ansicht sind, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt in den vergangenen Jahren abgenommen habe. Dennoch erachten drei Viertel der Befragten den Dialog mit politisch Andersdenkenden für wertvoll. «Der Wunsch nach Dialog könnte eine Sehnsucht nach mehr Zusammenhalt widerspiegeln – oder die Lust auf mehr Debatten», sagt Ivo Scherrer, Projektleiter von Pro Futuris und Co-Autor der Studie.
Während die Bevölkerung der Wissenschaft, Justiz und Polizei hohes Vertrauen entgegenbringen, schneiden die Politik und vor allem die Medien deutlich schlechter ab: Nur etwa 34 Prozent der Befragten vertrauen dem Parlament stark oder sehr stark; beim Bundesrat sind es gut 42 Prozent. Und lediglich 16,6 Prozent der Befragten haben grosses Vertrauen in die Medien. Das sei alarmierend, sagt Ivo Scherrer: «Journalismus kann nur dann als vierte Gewalt wirken, wenn er das Vertrauen der Menschen geniesst.» Die Studie «Wir und die anderen: Antipathien und Sympathien in der Schweizer Bevölkerung» basiert auf einer repräsentativen Umfrage, die im Juni 2024 in Zusammenarbeit mit dem Kompetenzzentrum für Public Management der Universität Bern unter 2573 Teilnehmenden durchgeführt wurde.