The Philanthropist: Frühling ist Pollenzeit: Sind Sie jetzt besonders gefordert?
Hannes Lüthi: Ja, in der Tat. Wir registrieren an unserem Beratungstelefon sehr viele Anfragen zum Thema Pollenallergie. Da viele Menschen Heuschnupfen haben, ist gerade im Frühling der Informationsbedarf, auch von den Medien, hoch.
TP: Hat Corona einen Einfluss auf die Pollenallergie?
HL: Allergien und Asthma sind ganz allgemein ein grosses Thema im Zusammenhang mit Corona. Die Covid-19-Pandemie hat viele Fragen bei Betroffenen und in der Öffentlichkeit aufgeworfen, etwa rund um Risikogruppen und Impfung. Wir spüren eine Grundverunsicherung in der Gesellschaft. Mit möglichst gut verständlicher Beratung können wir dieser begegnen.
TP: Welche Bedeutung kommt dem Heuschnupfen im Vergleich zu anderen Allergien und Intoleranzen zu?
HL: Pollenallergie ist die häufigste Allergie. 20 Prozent der Menschen in der Schweiz leiden an Heuschnupfen. Aber man kann ihn in den Griff bekommen, auch wenn er belastend ist. Mit unserer Beratung versuchen wir den Menschen die Informationen zu geben, die sie brauchen und Tipps, wie sie den Pollen ausweichen können. Anders sieht es zum Beispiel bei Nahrungsmittelallergien oder starken Reaktionen auf Insektengift aus. Bei diesen bieten wir ganz andere Dienstleistungen an, denn die Betroffenen brauchen andere Kompetenzen und fundierteres Wissen, um einen Notfall zu vermeiden. Dazu bieten wir beispielsweise Workshops an. Ebenfalls spezifisches Wissen braucht es bei Neurodermitis; schwere Hautreaktionen sind ebenfalls ein grosses Thema bei den Betroffenen und damit bei uns.
TP: Schwere Leiden wie beispielsweise Erdnussallergien nehmen zu. Gibt es bekannte Gründe?
HL: Allergien nehmen ganz im Allgemeinen zu und da spielen verschiedene Faktoren mit: eine veränderte Ernährung, eine übertriebene Hygiene oder etwa die Schadstoffbelastung in der Luft. Sie alle beeinflussen das Immunsystem, das bei Allergien überschiessend reagiert. Sicher sind Allergien und Intoleranzen heute eher ein Thema als früher, es stehen auch bessere Diagnosemöglichkeiten zur Verfügung.
Spenderinnen und Gönner sowie auch Stiftungen, die unsere Projekte mittragen, werden wichtiger.
Hannes Lüthi, Geschäftsleiter Stiftung aha! Allergiezentrum Schweiz
TP: Drei Millionen Menschen leiden an Allergien oder Intoleranzen – widmen sich die Behörden genügend dem Thema?
HL: Die Behörden unterstützen uns, da sind wir sehr froh. Allerdings geht die Unterstützung durch die öffentliche Hand stetig zurück. Die Wichtigkeit der Allergieproblematik ist den Menschen und auch den Behörden bewusst. Es braucht aber mehr Prävention und Information – und das können wir bieten, denn wir haben den direkten Draht zu Betroffenen und Fachpersonen. Um den Rückgang der Unterstützung durch öffentliche Gelder zu kompensieren, suchen wir immer nach neuen Mitteln. Spenderinnen und Gönner sowie auch Stiftungen, die unsere Projekte mittragen, werden wichtiger.
TP: Sie sind selbst eine Stiftung. Was ist der Vorteil?
HL: Der Vorteil ist, dass wir keinen Gewinn erwirtschaften müssen. Daher können wir uns ganz an den Bedürfnissen und dem Bedarf der Betroffenen orientieren und haben so einen direkten Draht zur Basis. Und: Wir können uns unabhängig bewegen und unser Angebot auf wissenschaftliche Grundlagen abstützen. Zudem sind wir steuerbefreit und können die Erträge direkt für die Betroffenen einsetzen.
TP: Wie wichtig ist die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft: Ihr Logo steht auf Produkten im Detailhandel?
HL: Wir orientieren uns nicht an der Wirtschaft, sondern an den Bedürfnissen der Betroffenen. 2006 haben wir das Allergie-Gütesiegel lanciert, das die unabhängige Zertifizierungsstelle, die Service Allergie Suisse SA, vergibt. Die zertifizierten Produkte und Dienstleistungen bieten einen Mehrwert für Allergiebetroffene. Wer zum Beispiel an einer Erdnussallergie leidet oder von einer Glutenintoleranz betroffen ist, muss sich auf die Deklaration verlassen können. Die gesetzliche Grundlage bei der Deklaration ist in der Schweiz gut. Das Allergie-Gütesiegel geht aber noch ein paar Schritte weiter, und ein zertifiziertes Produkt unterliegt zusätzlichen Prüfungen, damit sich Menschen mit Allergien sicher sein können.
TP: Wo sehen Sie die grosse Herausforderung in den kommenden Jahren?
HL: Es ist wissenschaftlich belegt, dass immer mehr Menschen Allergien haben. Damit steigt auch die Nachfrage nach Beratung und Unterstützung. Gleichzeitig werden die Bedürfnisse der Betroffenen vielfältiger und es wird nach Dienstleistungen gefragt, die wir erst entwickeln müssen. Aufgrund der Corona-Pandemie waren wir gezwungen, noch schneller digitale Angebote zu entwickeln. Es ist immer ein Abwägen, wo wir unsere Mittel einsetzen. Das ist genau der Punkt, an dem wir die Schere spüren: Die öffentliche Hand zahlt weniger, doch gleichzeitig steigen die Bedürfnisse der Betroffenen. Diesen Bedarf mit Spenden zu kompensieren ist nicht einfach, denn der Spendenmarkt ist hart umkämpft.