The Philanthropist: Die Stiftung wurde 1987 gegründet. Gab es ein auslösendes Moment, sich für den
ökologischen Landbau zu engagieren?
Mathias Forster: Rainer Bächi gründete die Bio-Stiftung Schweiz vor allem, um das Institut für Marktökologie IMO, das ebenfalls von ihm gegründet und geführt wurde, in gemeinnützige Hände zu legen. Er war der Ansicht, dass ein Unternehmen sich selbst gehören und nicht in privater Hand sein sollte. Er wollte damit für Bioprodukte von Kleinbauern aus der sogenannten 3. Welt Zugänge zu den Märkten in Europa und den USA schaffen. Ebenso war es seine Absicht, die Gewinne wiederum dem Gemeinwohl zufliessen zu lassen. Somit war die Bio-Stiftung über Jahrzehnte die Eigentümerin und Trägerin eines der ersten weltweiten Nachhaltigkeits‑, Kontroll- und Zertifizierungsinstitute. Inspiriert durch das Kulturprozent der Migros verfügte er von Anfang an, dass ein Prozent des Umsatzes an Projekte ausgeschüttet wurden, die die Mission der Stiftung unterstützten, sich für eine Ökologisierung der Landwirtschaft einzusetzen.
TP: Mit dem Bodenfruchtbarkeitsfonds erhielt die Stiftung einen neuen Schwerpunkt. Weshalb dieser
Fokus?
MF: Als Rainer Bächi am 10. Juni 2010 in Georgien tödlich verunglückte, entschloss sich der Rest des
Stiftungsrats, das Institut für Marktökologie IMO zu verkaufen. Es hatte zu der Zeit in über 70 Ländern
weltweit Niederlassungen, Filialen und Büros. Nach dem Verkauf suchte der Stiftungsrat nach einer Lösung für die Bio-Stiftung, um sie nicht auflösen zu müssen. Ich arbeitete damals als Geschäftsführer und Stiftungsrat in einer anderen Stiftung. In dieser Stiftung hatte ich damals zusammen mit Christian Hiss und Christopher Schümann den Bodenfruchtbarkeitsfonds gegründet. Als ich hörte, dass die Bio-Stiftung nach einem neuen Inhalt suchte, fragte ich Markus Bächi, den Bruder des Gründers und damaligen Präsident, ob ich das «Gefäss» Bio-Stiftung übernehmen könnte, um den Bodenfruchtbarkeitsfonds dort hinein «umzutopfen». Dieser entwickelte sich sehr dynamisch. Dadurch kam das Thema Bodenfruchtbarkeit als neuer Impuls in die Bio-Stiftung. Es war damals unser einziges Projekt. Gegründet haben wir den Bodenfruchtbarkeitsfonds, weil der weltweite dramatische Verlust der Bodenfruchtbarkeit und des Humus unsere Lebensgrundlage bedroht. Auch der Klimawandel hängt mit der Qualität des Bodens zusammen. Vielleicht hängt schlussendlich alles mit dem Boden zusammen, denn er ist die Lebenssphäre, die uns tagtäglich trägt und ernährt. Für die Pilotphase II benötigen wir noch ca. drei Millionen Franken. Aktuell befinden wir uns im Fundraisingprozess.
Nachhaltigkeit und Klimawandel sind vor allem dort allgegenwärtig, wo Geschäfte gewittert werden und man durch Investitionen Geld verdienen kann.
Mathias Forster
TP: Heute ist Nachhaltigkeit und Klimawandel allgegenwärtig. Braucht es das Engagement der Stiftung
noch?
MF: Nachhaltigkeit und Klimawandel sind vor allem dort allgegenwärtig, wo Geschäfte gewittert werden und man durch Investitionen Geld verdienen kann. Aber in denjenigen Bereichen, in welchen dringend etwas getan werden muss, sich aber damit kein Geld verdienen lässt, ist der Bedarf nach wie vor sehr hoch. Schenkgelder zu finden für Projekte mit einem hohen Innovationsfaktor ist herausfordernd. An diesen Stellen braucht es Schenkgeld und Stiftungen, die Innovation ermöglichen und fördern, manchmal auch schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt der «Schwangerschaft», also noch vor der «Geburt» eines Projekts. Interessanterweise sind Frauen viel eher bereit, in einer frühen Phase eines Projekts Mitverantwortung zu übernehmen.
TP: Wie entwickeln Sie Ihre Projekte? Kann eine Spenderin oder ein Spender Einfluss nehmen?
MF: Wir entwickeln Projekte auf verschiedene Art und Weise. Das ist jedes Mal sehr individuell. Meistens stehen Begegnungen und Gespräche mit Menschen am Anfang. Ein Bewusstsein für ein Problem entsteht und daraus dann plötzlich eine Idee. Diese wird aufgegriffen und grob ausgearbeitet. Damit gehen wir anschliessend in einen erweiterten Kreis von Menschen, die mit diesem Thema vertraut sind und stellen die Idee vor. Wenn sie auf Resonanz stösst, arbeiten wir sie weiter aus und suchen das Geld, um das Projekt umsetzen zu können. Geldgebende nehmen somit mit ihrer Spende natürlich Einfluss auf die Entwicklung des Projekts. Indem sie entscheiden, es zu unterstützen oder nicht. Die Pilotphase I des Bodenfruchtbarkeitsfonds zum Beispiel, konnten wir genau so durchführen, wie wir es für richtig erachteten, weil sich genügend Geldgeberinnen fanden, die bereit waren, das Projekt durch Spenden zu ermöglichen.
TP: Was bewegt die Menschen, Ihnen Spendengeld anzuvertrauen?
MF: Ein Grund für eine Zuwendung kann sein, dass man etwas Sinnvolles mit seinem Geld bewirken möchte, Zukunft stiften. Oder man will mit seinem Kapital anderen ermöglichen, ihre Ziele und Projekte umzusetzen, weil man gut und wichtig findet, was und wie sie es tun. Andere wiederum wollen Geld vielleicht auch dort einsetzen, wo jemand tätig ist, der oder die selber nicht in einem Wirtschaftsprozess drinsteht, aber trotzdem etwas Wichtiges zum Ganzen beiträgt. In manchmal sehr persönlichen Gesprächen mit den spendenden Menschen versuchen wir ihre Bedürfnisse gemeinsam herauszufinden. Denn manchmal wissen sie noch nicht genau, wofür sie spenden wollen, wohl aber, dass sie das tun möchten. Manchmal übergeben sie uns aber auch eine Idee.
TP: Zum Beispiel?
MF: Sie möchten sich zum Beispiel für Biodiversität oder Agroforstsysteme (Landwirtschaftsform kombiniert mit Bäumen und Sträucher auf derselben Fläche) einsetzen, haben aber keine Lust oder Zeit für eine eigene Stiftung. Dann können sie an uns herantreten. Wenn wir uns einig werden, was meistens der Fall ist, so können wir einen Biodiversitätsfonds innerhalb der Bio-Stiftung Schweiz gründen. Wir geben diesem Fonds ein eigenes Reglement und wenn gewünscht, kann auch ein Fondsbeirat gegründet werden. Dieser Fonds kann im Sinne seiner Aufgabe Spendengelder sammeln und verteilen, Projekte initiieren oder unterstützen. Da wollen wir grösstmögliche Flexibilität.
Wir entwickeln aber auch selber Projekte. Für diese suchen wir das nötige Geld. Wir sind eine operative Initiativstiftung, die nicht mit einem grösseren Kapital gegründet und ausgestattet wurde. Das bringt und braucht eine Wachheit und einen Sinn für dasjenige, was an der Zeit und gewollt ist. Wenn jemand aber eine grössere Summe in die Zukunft unserer Ökosphären investieren möchte, dann stehe ich jederzeit sehr gerne persönlich zum Gespräch zur Verfügung.
TP: Die Stiftung behandelt lokale und globale Themen. Hat Nachhaltigkeit in weniger wohlhabenden Gesellschaften einen anderen Stellenwert?
MF: Wir entwickeln unsere Projekte aus einem globalen Bewusstsein heraus, setzen diese aber lokal um. Wir handeln nach dem Motto: Wir können es nicht alleine, aber es geht auch nicht ohne uns. Die Frage ist ja, wie wir Nachhaltigkeit definieren. Im globalen Süden sind tragfähige Beziehungen etwas vom Wichtigsten. Somit bedeutet es Nachhaltigkeit, diese zu haben. Aber auch, wie man mit möglichst wenig Wasser, Energie- und Chemieeinsatz Landwirtschaft betreiben kann. Im Süden wissen sie viel besser als wir hier, wie das geht. Aus der Not heraus. Der agrochemisch-industrielle Landbau, den wir als so modern anschauen, ist eine Fehlleistung und hat noch nie und wird nie die Welt ernähren. Das ist ein Mythos, den die Pestizidindustrie selber, leider sehr erfolgreich, in die Welt gesetzt hat. Bei uns hat Nachhaltigkeit immer ein wenig den Touch von Luxus, im globalen Süden ist Nachhaltigkeit überlebenswichtig. Bei uns ist sie das natürlich auch, aber solange man immer zuerst alle anderen Bedürfnisse stillen will und wenn dann noch etwas Geld überbleibt, kann man ja auch noch ein wenig nachhaltig sein, so lange haben wir noch viel Entwicklungsraum. Aber ich glaube wahrzunehmen, dass da das Coronaphänomen doch einiges bewegt. Wenn wir uns eines Tages wieder primär als Menschen und nicht (nur) als Konsumenteninnen verstehen werden, so wird sich herausstellen, dass dies ein Zuwachs an
Nachhaltigkeit bedeuten wird. Sie sehen, ich wünsche mir eine etwas erweiterte Interpretation von
Nachhaltigkeit.
Bei uns hat Nachhaltigkeit immer ein wenig den Touch von Luxus, im globalen Süden ist Nachhaltigkeit überlebenswichtig.
Mathias Forster
TP: Sie arbeiten im Bodenfruchtbarkeitsfonds mit den produzierenden Betrieben zusammen und setzen
sich für eine breite Information (Antipestizid) ein. Wo sehen Sie den grösseren Hebel, um den
ökologischen Landbau zu stärken, auf Produzenten- oder auf Konsumentenseite?
MF: Es gibt überall Ansätze und alle sind wichtig. Die Konsumenten*innen entscheiden jeden Tag beim Griff ins Einkaufsregal, was sie kaufen. Jedes Mal erteilen sie damit einen Auftrag, dasselbe Produkt in derselben Qualität und zu denselben Bedingungen erneut zu produzieren. Das ist die individuelle Verantwortung von uns allen und gleichzeitig auch ein kraftvoller Hebel, den Biolandbau zu stärken.
Aber auch die Gemeinden, die Kantone, der Bund könnten viel mehr tun! Die Armee, die Kantinen, Schulen
und Hochschulen, die Alters- und Pflegeheime, Kindergärten und Spitäler, sie alle könnten nachhaltiger
werden und konsequent biologische Produkte einkaufen und verarbeiten. Das wäre nachweislich gut für die Gesundheit und die Mitwelt. Das geschieht zum Beispiel in Dänemark bereits, hierzulande ist da noch sehr viel Luft nach oben. Und dann müssten wir endlich die wahren Preise der Produkte sehen. Denn die konventionellen Produkte sind nur scheinbar günstiger. Dies deshalb, weil die Schäden, die sie in der Mitwelt und der Gesundheit anrichten, nicht im Produktpreis eingerechnet sind und wir diese entweder über unsere Steuern bezahlen, oder den zukünftigen Generationen aufbürden. Der Biopreis ist der ehrlichere Preis. Bereits in der Schule sollten allen Kindern die Naturzusammenhänge und das Verständnis für Qualität und Wert der Lebensmittel konsequent vermittelt werden.
TP: Es muss also Ihrer Ansicht nach sehr viel auf einmal verändert werden. Ist das zu schaffen?
MF: Vieles ist in Bewegung, auch zum Positiven hin. Ich blicke mit guter Hoffnung in die Zukunft. Angesichts der Herausforderungen vor denen wir als menschliche Spezies auf und mit diesem Planeten stehen, im Hinblick zum Beispiel auf die Biodiversität oder die abnehmende Bodenfruchtbarkeit und die Humusverluste, aber auch das Klima und die Pestizide, sollte es uns allen klar sein, dass wir nicht mehr beliebig viel Zeit haben um grössere Katastrophen abzuwenden. Im Grunde genommen finden sie bereits heute statt, wie man zum Beispiel an langanhaltenden Dürreperioden oder dem Abschmelzen der Gletscher und dem Anstieg der Weltmeere sehen kann. Je mehr wir in die Zukunft investieren an Tatkraft, Kreativität und Bewusstseinsbildung, aber auch an Geld, desto grösser werden die Chancen, dass wir unseren Kindern und den nachkommenden Generationen eine Welt übergeben können, in der sich für alle gut leben lässt.
Zur Person
Mathias Forster, geboren 1973 in Aegerten bei Biel, war nach seiner kaufmännischen Ausbildung, viele Jahre als Marketing- und Verkaufsleiter in internationalen Unternehmen tätig. Er war Mitgründer und Geschäftsführer der Trigon Stiftung, die er bis 2017 geleitet hat. Von 2009 bis 2018 war er zudem Stiftungsrat und Geschäftsführer der Asta Blumfeldt-Stiftung. Er hat den Bodenfruchtbarkeitsfonds der Bio-Stiftung Schweiz mitgegründet und ist Vorsitzender der Projektleitung. Seit 2017 ist er als Stiftungsrat und Geschäftsführer der Bio-Stiftung Schweiz tätig. Er ist zusammen mit Christopher Schümann Herausgeber des Buches «Das Gift und wir – Wie der Tod über die Äcker kam und wie wir das Leben zurückbringen können» und engagiert sich für den Ausstieg aus dem Pestizidzeitalter.