Seit vergangenem Juni leitet Aline Freiburghaus das Westschweizer Büro von SwissFoundations. Dass sie überhaupt im Philanthropiesektor landete, verdankte sie mehr einem glücklichen Zufall. Ihr gefällt das hohe Tempo, mit dem Stiftungen auf gesellschaftliche Fragestellungen reagieren können.
Der Dachverband der Förderstiftungen SwissFoundations feiert dieses Jahr sein 20-jähriges Jubiläum. Was ist geplant?
Es ist ein spezielles Jahr. Wir müssen mit der Unsicherheit spielen. Aber wir haben ein junges reaktives Team. Wir geben die vierte Ausgabe des Swiss Foundation Code heraus, unser Symposium findet am 1. und 2. Juni statt, und wir entwickeln weiterhin Projekte mit und für unsere Mitglieder unter dem Motto #FoundationForFuture.
Sie leiten seit Juni 2020 das Genfer Büro von SwissFoundations. Unterscheidet sich die Westschweizer Stiftungslandschaft von jener in der Deutschschweiz?
Es gibt keinen Röstigraben in der Stiftungswelt. Es gibt aber regionale Unterschiede. Auch Basel und Zürich haben einen anderen kulturellen Hintergrund. Diese Unterschiede spielen aber bei der Zusammenarbeit kaum eine Rolle. Bei den Schlüsselthemen arbeiten die Stiftungen zusammen. Das hat sich gerade in der Pandemie gezeigt.
Was macht den Stiftungsstandort Genf aus?
Es dürfte der internationale Einfluss sein. Genf ist eine historische Wiege der Philanthropie, wie das 1863 gegründete Internationalen Komitee vom Roten Kreuz zeigt. Die Genferseeregion hat eine sehr dynamisch und international geprägte Philanthropie.
Ist insbesondere die Nähe zu Frankreich dominant?
Es sind vor allem der «Geist von Genf» und die grossen Nichtregierungsorganisationen, die den Standort prägen. Es ist nicht unbedingt der Einfluss von Frankreich. Vielmehr ist es die Offenheit gegenüber der Welt. Wir kennen eine Tradition mit den protestantischen Familien am Seeufer. Diese haben sich schon immer mit einer grossen Spendentätigkeit für das Gemeinwohl eingesetzt. Grosse Teile der Familienvermögen haben sie in philanthropischer Weise genutzt. Ausserdem gilt es zu beachten: Jede Stiftung entspringt aus der Initiative eines individuellen Philanthropen. Seine oder ihre DNA prägt die Stiftung. Sie macht jede Stiftung einzigartig. Es gibt vielleicht übergeordnete kulturelle Tendenzen nach Region, aber jede Stiftung hat ihre eigene Identität.
Welche Rolle spielen die Behörden in Genf?
Der Arc Lemanique, die gesamte Genferseeregion zeichnet sich durch einen sehr dynamischen Stiftungssektor aus. Sicher tragen auch die Aufsichtsbehörden dazu bei, dass der Sektor prosperieren kann. Sie führen einen Dialog mit den Stiftungen und garantieren so Rahmenbedingungen, die eine positive Entwicklung ermöglichen. SwissFoundations arbeitet seit 2013 mit dem Kanton Genf in einem gegenseitigen Vertrauensverhältnis zusammen. Das hat sich als sehr wertvoll erwiesen. Davon profitiert auch die Öffentlichkeit.
Wie profitiert diese?
Ein gutes Beispiel ist Venture Kick. Ein privates Konsortium hat die philanthropische Initiative 2007 ins Leben gerufen. Ihr Ziel ist, Startups in der Schweiz zu unterstützen und eine Brücke zwischen Wissenschaft und Unternehmertum zu schlagen. Verschiedene Stiftungen, aus verschiedenen Regionen, wie die Gebert Rüf oder die Fondation ProTechno, arbeiten in dem Konsortium zusammen, um diese unternehmerische Wirkung zu erzielen. Es fördert einen sehr schnellen Transfer wissenschaftlicher Errungenschaften in die Wirtschaft. Dadurch können sie einen positiven Nutzen für die Gesellschaft schaffen.
Zur Person
Aline Freiburghaus leitet seit Juni 2020 das Westschweizer Büro von SwissFoundations. Seit Anfang 2021 führt sie zudem zusammen mit Katharina Guggi und Montserrat Bellprat interimistisch die operativen Geschäfte von SwissFoundations, bis die Geschäftsführung neu besetzt ist. Aline Freiburghaus war von 2015 bis 2019 Projektleiterin bei SwissFoundations. Sie hält zwei Masterabschlüsse in Umwelt- und politischen Wissenschaften von der Universität Genf.
Wo sehen sie die grossen Themen, die für SwissFoundations anstehen?
Die Gründung von SwissFoundations war getrieben von der Absicht, den Ehrfahrungsaustausch zu erleichtern und die Stiftungswelt zu professionalisieren. Transparenz, Kollaboration, Wirkung und Weiterbildung sind Schlüsselthemen für die Entwicklung des Stiftungssektors. Als aktives und der Innovation verpflichtetes Netzwerk, verfolgen wir auch genau die politischen und gesellschaftlichen Trends, so wie die Sustainable Development Goals (SDGs) oder die Digitalisierung.
Nachholbedarf hat die Stiftungswelt beim Thema Gleichstellung.
Es ist ein Thema, das wir auch an unseren Tagungen behandeln. Stiftungen sind Teil der Zivilgesellschaft. Es gibt Studien des Centre of Philanthropy Studies an der Universität Basel und des Geneva Centre for Philanthropy die zeigen, dass die Diversität in der Stiftungswelt noch Potenzial hat. Weniger als ein Drittel der Stiftungsräte sind Frauen. Allerdings möchten wir das Thema nicht auf die Geschlechterfrage reduzieren. Diversität betrifft auch das Alter oder das soziale Milieu. Hier sehen wir grossen Handlungsbedarf. Aber der Stiftungssektor ist sich am entwickeln. Wir erleben eine neue Generation mit einer grossen Dynamik.
Bei SwissFoundations sind die Frauen bereits gut vertreten. Steht dahinter eine bewusste Strategie?
SwissFoundations hat nicht explizit Frauen gesucht. Die Kompetenzen waren immer entscheidend, um die Professionalisierung des Sektors voranzutreiben und innovativer zu werden. Dass auf unserer Geschäftsstelle aktuell nur Frauen arbeiten und auch im Vorstand viele Frauen vertreten sind spiegelt die Tatsache wider, dass SwissFoundations sensibel dem Thema gegenüber ist. Der Verband hat Frauen, die sich für Schlüsselstellen beworben haben, vor allem keine Hindernisse in den Weg gelegt.
Für viele Funktionen ist es im Stiftungssektor per se schwierig, Freiwillige für die Gremien zu finden. Wie lässt sich in dieser Situation die Diversität fördern?
Die Entlöhnung der Gremien ist eine zentrale Frage, um kompetente Personen zu finden, die Zeit haben und sich engagieren wollen. Insbesondere für finanziell weniger gut Gestellte ist es schwierig, unbezahlte Arbeit zu leisten. Klar ist, wegen der Gemeinnützigkeit können Stiftungsräte nicht viel bezahlt werden. Dennoch gilt es zu überlegen: Eine angemessene Entlöhnung würde es vereinfachen, die Stiftungsräte zu erneuern und auch Bevölkerungsschichten einzubeziehen, die bisher untervertreten sind.
Kann der Sektor bei der Gleichstellungsfrage ein Vorreiterrolle übernehmen oder muss zuerst die Wirtschaft agieren?
Ich glaube, die Teilung in Sektoren ist überholt. Wir müssen mehr in Bezug auf Ökosysteme und Kollaboration denken. Natürlich hat die Wirtschaft viel Gewicht. Im Vergleich dazu sind die Mittel des Stiftungssektors gering. Aber Stiftungen können dafür sehr schnell reagieren. Und sie können beachtliche Summen in kurzer Zeit bereitstellen. Sie sind zudem nicht dem wirtschaftlichen Gewinn verpflichtet. Stiftungen können Risiken eingehen und Nischen bearbeiten, in denen sich die Wirtschaft nicht sinnvoll engagieren kann. Das ist der grosse Vorteil der Philanthropie.
Haben Sie diese Möglichkeiten zum Einstieg in den Stiftungssektor bewegt?
Ich habe mit Umwelt- und Politikwissenschaften eine interdisziplinäre Ausbildung. Dass ich diese bei SwissFoundations anwenden kann, dafür bin ich sehr dankbar. Dass ich im Stiftungssektor gelandet bin war aber eher ein glücklicher Zufall, über Umwege, die das Leben bringt.
Sie waren zuerst als Projektleiterin bei SwissFoundations tätig. Was hat Sie besonders geprägt?
Mich motiviert, dass wir für das Gemeinwohl arbeiten und uns für eine bessere Gesellschaft einsetzen können. Zu Beginn meiner Zeit bei SwissFoundations 2016 hatte ich die Chance, in Genf mit einer Gruppe von Stiftungen zu arbeiten, die sich für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge einsetzten. Damals drängten viele Flüchtlinge aus Syrien und Eritrea nach Europa und die Bedürfnisse waren dringend. In zwei Wochen stellten neun Stiftungen eine halbe Millionen Franken bereit. Sie konnten den Minderjährigen helfen, wo der Staat noch nicht bereit war, um zu reagieren. Das Projekt an sich, aber vor allem auch das Tempo der Stiftungen und die Relevanz der Arbeit haben mich beeindruckt.
Ist diese Geschwindigkeit aussergewöhnlich oder typisch für den Sektor?
Es ist die Kraft des Sektors. Stiftungen haben die Fähigkeit, schnell zu agieren. Und sie können vor allem auch antizipieren. Sie sind nicht denselben wirtschaftlichen Zwängen unterworfen wie Unternehmen. Stiftungen können beobachten und proaktiv handeln, wenn komplexe Probleme auftauchen.
«Diversität betrifft auch das Alter oder das soziale Milieu.»
Aline Freiburghaus
Im vergangenen Winter reisten Sie durch Südamerika. Haben Sie dabei auch spannende philanthropische Projekte kennengelernt?
Die Reise war privater Natur. Dennoch haben mich verschiedene Initiativen beeindruckt. Insbesondere als ich in die Antarktis reiste. Philanthropische Gelder unterstützen die Forschung des Swiss Polar Institut, das zur Bewahrung der Poole und der einzigartigen Biodiversität beitragen will.
Sie haben selbst Umweltwissenschaften studiert: Welche Rolle sehen Sie für die Stiftungen beim Thema Klimawandel?
Für eine relevante Rolle ist es entscheidend, dass Stiftungen Querschnittthemen aufgreifen. Klimawandel ist ein solche Herausforderung. Lange war sie auf die ökologische Fragestellung begrenzt. Jetzt zeigt sich, dass er die Gesundheit, die Wirtschaft und die Gesellschaft gleichermassen betrifft. Stiftungen müssen zusammenarbeiten und in Bezug auf Ökosysteme denken um ihre Wirkung zu vervielfachen. Dies gilt auch für andere Querschnittsthemen wie bspw. die Digitalisierung.
Wo sehen Sie den Sektor bei diesem Thema?
Der Sektor ist ziemlich traditionell. Insgesamt sind Stiftungen nicht die «digitalsten» Akteure. Aber grosse Stiftungen wie Mercator oder Fondation Lombard Odier sind Vorreiterinnen bei diesem Thema. Der Sektor ist im Wandel. Hier engagiert sich SwissFoundations. Wir wollen die Sichtbarkeit des Sektors auch in den digitalen Medien erhöhen.
Als Sie im Juni gestartet sind dürfte die Digitalisierung ihre Arbeit überhaupt erst ermöglicht haben?
Die wesentlichen Teile konnten wir online erledigen und unsere Covid-19 Notfall-Webinare waren ein Erfolg. Natürlich ist der Aufbau einer persönlichen Beziehung bei einer direkten Begegnungen einfacher. Gleichzeitig hat die Online-Lösung den Vorteil, Kontakte zwischen Akteuren zu erleichtern, die geografisch weiter voneinander entfernt sind.
Das politische Engagement von Stiftungen und Non Profit Organisationen wird aktuell kritisch hinterfragt. Wie sehen Sie die Rolle der Stiftungen?
Jede Handlung, wenn sie Auswirkungen auf die Gesellschaft hat, hat eine politische Bedeutung. Stiftungen sind zivilgesellschaftliche Akteure. Sie können gleichzeitig die Rolle des Stabilisatorin, des antizipierende Adovaktin und des «Change Agent» spielen. Unsere Mitglieder leisten in dieser Hinsicht eine bemerkenswerte Arbeit, die es meiner Meinung nach verdient, hervorgehoben zu werden.