WeltÂweit sorgen demoÂkraÂtieÂfeindÂliÂche EntwickÂlunÂgen für SchlagÂzeiÂlen. GesellÂschaftÂliÂcher ZusamÂmenÂhalt muss stetig aufs Neue erarÂbeiÂtet werden. Neu ist diese ErkenntÂnis nicht, was die aktuÂelle EntwickÂlung keinesÂwegs relaÂtiÂvieÂren soll. Aber es zeigt, dass es bestehende und gelernte MassÂnahÂmen gibt. Auch der FödeÂraÂlisÂmus will gepflegt und weiterÂentÂwiÂckelt sein. In der Schweiz tragen immer wieder neue InitiaÂtiÂven dazu bei. Um aktuÂelle FrageÂstelÂlunÂgen und HerausÂforÂdeÂrunÂgen zu behanÂdeln, hat die 1810 gegrünÂdete SchweiÂzeÂriÂsche GemeinÂnütÂzige GesellÂschaft SGG im Jahr 2022 den Think + Do Tank Pro FutuÂris lanciert. Als ExpeÂriÂmenÂtierÂraum soll er die DemoÂkraÂtie stärÂken. Dasselbe AnsinÂnen motiÂvierte fast gleichÂzeiÂtig auch NatioÂnalÂräÂtin NataÂlie
ImboÂden. Sie regte in einer Motion an, zum 175-Jahre-JubiÂläum der BundesÂverÂfasÂsung eine DemoÂkraÂtielaÂbor-StifÂtung für die Zukunft zu schafÂfen. Diese BestreÂbunÂgen reihen sich in bestehende InitiaÂtiÂven ein, die sich um den natioÂnaÂlen ZusamÂmenÂhalt und die Pflege der DemoÂkraÂtie sorgen. Bereits 1914 stiesÂsen WestÂschweiÂzer IntelÂlekÂtuÂelle die GrünÂdung der neuen helveÂtiÂschen GesellÂschaft NHG an. Sie sahen am Vorabend des ersten WeltÂkrieÂges den inneÂren FrieÂden der Schweiz zwischen Deutsch- und WestÂschweiz gefährÂdet. Viele Jahre später, 1967, hat die NHG zusamÂmen mit den KantoÂnen die «ch StifÂtung für die eidgeÂnösÂsiÂsche ZusamÂmenÂarÂbeit» gegrünÂdet. AuslöÂser war die EinschätÂzung, dass sich die Kantone «nicht zu einer wirkÂliÂchen ZusamÂmenÂarÂbeit aufrafÂfen können», zitiert die FestÂschrift zum 50-Jahre-JubiÂläum den SchweiÂzer JourÂnaÂlisÂten Hans Tschäni.
LängerÂfrisÂtige Arbeit
Mit dieser StifÂtung können die Kantone die ZusamÂmenÂarÂbeit fördern. Seit ihrer GrünÂdung hat sie verschieÂdene Projekte angeÂrisÂsen und gepflegt. So vergibt sie den FödeÂraÂlisÂmusÂpreis, und diesen März hat sie die FachÂkonÂfeÂrenz CitoyÂenneté zum ErfahÂrungsÂausÂtausch der Kantone zu poliÂtiÂscher Bildung lanciert. Im Sinne des angeÂstrebÂten kulturÂpoÂliÂtiÂschen BrückenÂschlags bietet sie seit 1976 mit dem Programm Premier Emploi stelÂlenÂloÂsen Hochschulabsolvent:innen eine PrakÂtiÂkumsÂmögÂlichÂkeit in einer andeÂren SprachÂreÂgion. Die StifÂtung ist das ideale Gefäss, um die ZusamÂmenÂarÂbeit der Kantone zu fördern und Projekte im Sinne aller 26 umzusetzen.
«Die ch StifÂtung kann sich ungeÂachÂtet der poliÂtiÂschen AktuaÂliÂtäÂten den längerÂfrisÂtiÂgen AufgaÂben annehÂmen: der Pflege der soziaÂlen KohäÂsion und der WeiterÂentÂwickÂlung des FödeÂraÂlisÂmus», sagt die StaatsÂräÂtin des Kantons NeuenÂburg Florence Nater, PräsiÂdenÂtin des StifÂtungsÂraÂtes. Dabei funkÂtioÂniert sie kompleÂmenÂtär zur KonfeÂrenz der KantonsÂreÂgieÂrunÂgen KdK und zu den Direktorenkonferenzen.

LetzÂtere betreiÂben TrefÂfen der kantoÂnaÂlen Departementsdirektor:innen zu einem speziÂfiÂschen Thema. Die KdK ist das Gremium aller KantonsÂreÂgieÂrunÂgen. Die StifÂtung dageÂgen mischt sich weniÂger in AlltagsÂtheÂmen ein. Sie leisÂtet GrundÂlaÂgenÂarÂbeit. «Die StifÂtung will die VielÂfalt in der Schweiz sichtÂbar machen, Impulse geben, die in PoliÂtik und GesellÂschaft aufgeÂnomÂmen und weiterÂentÂwiÂckelt werden», sagt Florence Nater.
Stärke des Föderalismus
«FödeÂraÂlisÂmus ist zunächst ein Mittel, um in VielÂfalt zu leben – mit verschieÂdeÂnen SpraÂchen, KultuÂren und unterÂschiedÂliÂchen regioÂnaÂlen RealiÂtäÂten – und, um gleichÂzeiÂtig eine Einheit zu bilden», sagt Florence Nater. Er ermögÂlicht das ZusamÂmenÂleÂben, ohne die regioÂnaÂlen EigenÂheiÂten aufzuÂgeÂben. Doch es braucht eine gemeinÂsame Basis; SoliÂdaÂriÂtät, KonsensÂoriÂenÂtieÂrung und SubsiÂdiaÂriÂtät. Die Schweiz ist eine Einheit und dabei nicht trotz, sondern gerade dank ihrer UnterÂschiede so erfolgÂreich. Die födeÂrale ZusamÂmenÂarÂbeit, wie sie in der ch StifÂtung gepflegt und geförÂdert wird, beruht auf der VielÂseiÂtigÂkeit und Nähe zur Bevölkerung.
«Eine der grosÂsen StärÂken des FödeÂraÂlisÂmus besteht darin, dass Entscheide nicht irgendwo in einem poliÂtiÂschen Zentrum getrofÂfen werden, sondern nah bei der BevölÂkeÂrung, dort, wo sie direkte AuswirÂkunÂgen zeigen und wo die MöglichÂkeit besteht, teilÂzuÂnehÂmen», sagt Florence Nater. Auch der PolitÂgeoÂgraf und GeschäftsÂfühÂrer des ForschungsÂinÂstiÂtuts Sotomo Michael Hermann sieht den Vorteil des FödeÂraÂlisÂmus darin, dass er LösunÂgen nahe bei den Bürger:innen ermöglicht.

RegioÂnal unterÂschiedÂliÂchen BedürfÂnisÂsen, etwa von ländÂliÂchen GegenÂden und urbaÂnen Zentren, kann so RechÂnung getraÂgen werden. Dabei erkennt Michael Hermann im SchweiÂzer FödeÂraÂlisÂmus eine Stärke, die er mit einer SchwäÂche des Konzepts begrünÂdet. Die GrenÂzen der Kantone verlauÂfen nicht entlang der SprachÂgrenÂzen, weshalb einige Kantone mehrÂspraÂchig sind. Und genau dies sieht Michael Hermann als Vorteil gegenÂüber bspw. dem belgiÂschen FödeÂraÂlisÂmus, in dem die Teilung entlang der SprachÂgrenze verläuft und so die GegenÂsätze verstärkt. Der SchweiÂzer FödeÂraÂlisÂmus bietet dageÂgen einen Beitrag zum ZusamÂmenÂhalt, wobei es helfe, dass er nicht nur in Deutschschweizer:innen und Westschweizer:innen einteilt, sondern dass er zusätzÂliÂchen IdenÂtiÂtätsÂbeÂzug ermögÂliÂche, wenn eine Person Zürcher:in, Appenzeller:in oder Walliser:in sei, sagt Michael Hermann. Aber er sieht noch einen zweiÂten wesentÂliÂchen Vorteil des födeÂraÂlen Systems: einen WettÂbeÂwerb der Ideen. Jeder Kanton kann eigene LösunÂgen finden. «Auf KantonsÂebene ist die Idee des kompeÂtiÂtiÂven Lernens von den LösunÂgen der andeÂren ausgeÂsproÂchen wichÂtig», sagt er. «Erst im Austausch merkt man, was andere machen, wo sie anstosÂsen und wo sie erfolgÂreich sind.» Einen Vorteil, den auch Florence Nater nennt: «Die Schweiz ist ein grosÂses LaboÂraÂtoÂrium für Ideen, aber vor allem auch für konkrete LösungsÂanÂsätze. Der FödeÂraÂlisÂmus ermögÂlicht ExpeÂriÂmente in EchtÂzeit, in VielÂfalt zu leben, bei allen UnterÂschieÂden: zwischen RegioÂnen, zwischen BevölÂkeÂrunÂgen unterÂschiedÂliÂcher Herkunft, zwischen GeschlechÂtern», sagt Florence Nater. «Jede Gemeinde und jeder Kanton macht ErfahÂrunÂgen und im gegenÂseiÂtiÂgen Austausch setzen sich ideaÂlerÂweise die guten LösunÂgen durch. FödeÂrale VielÂfalt ist ein ReichÂtum, kein DefiÂzit.» Dennoch. Der WettÂbeÂwerb und die UnterÂschiede sind auch herausÂforÂdernd. Um die MobiÂliÂtät über die KantonsÂgrenze zu ermögÂliÂchen, sind HarmoÂniÂsieÂrunÂgen notwenÂdig, beispielsÂweise im GesundÂheitsÂweÂsen oder im Bildungssystem.
«Auf KantonsÂebene ist die Idee des kompeÂtiÂtiÂven Lernens von den LösunÂgen der andeÂren ausgeÂsproÂchen wichtig.»
Michael Hermann, GeschäftsÂfühÂrer des ForschungsÂinÂstiÂtuts Sotomo
AgieÂren wie Partner:innen
HarmoÂniÂsieÂrunÂgen brauÂchen eine KonsensÂoriÂenÂtieÂrung und ein gemeinÂsaÂmes VerständÂnis, ähnlich wie in einer kollaÂboÂraÂtiÂven ZusamÂmenÂarÂbeit. Im födeÂraÂlen ZusamÂmenÂspiel hat es eine gerinÂgere ReguÂlieÂrungsÂdichte als auf BundesÂebene. Weil nicht einfach ein Gesetz abgeÂleÂsen werden kann, bekommt die menschÂliÂche und zwischenÂmenschÂliÂche KompoÂnente mehr Gewicht. Das System verlangt mehr DiskusÂsioÂnen und MenschenÂverÂstand. Die ZusamÂmenÂarÂbeit erfolgt gleichÂbeÂrechÂtigt. An den KonfeÂrenÂzen agieÂren die Kantone wie Partner:innen, die alle verschieÂdene VerwalÂtungsÂkulÂtuÂren, Systeme und TradiÂtioÂnen vertreÂten. Die UnterÂschiede sind nicht immer direkt überÂtragÂbar. «Es braucht Kulturübersetzer:innen, Kulturdolmetscher:innen», sagt Michael Hermann. Dieser Austausch und Abgleich ist für den InforÂmaÂtiÂonsÂfluss wichÂtig, auch gegen aussen. Ist dieser blockiert, sieht Michael Hermann das Risiko der IntransÂpaÂrenz. Das wirkt dem Vertrauen entgeÂgen. Hier verorÂtet er eine potenÂziÂelle SchwäÂche des FödeÂraÂlisÂmus, weil TransÂpaÂrenz aktiv gepflegt werden muss. «Es reicht nicht, dass man nicht verdeckt», sagt er. 26 unterÂschiedÂliÂche kantoÂnale LösunÂgen werden intransÂpaÂrent, wenn sie nicht vergleichÂbar sind. InforÂmaÂtioÂnen müssen harmoÂniÂsiert werden. DesweÂgen gehört zum FödeÂraÂlisÂmus das aktive BestreÂben, durch VergleichÂbarÂkeit TransÂpaÂrenz zu schafÂfen und damit Vertrauen aufzuÂbauen. FödeÂraÂlisÂmus bedarf der steten Pflege, der SchafÂfung von TransÂpaÂrenz und des regelÂmäsÂsiÂgen AustauÂsches. Er ist kein starÂres Konstrukt. «Er muss – wie das gesamte poliÂtiÂsche System – stets konstrukÂtiv-kritisch hinterÂfragt und bei Bedarf weiterÂentÂwiÂckelt werden», sagt Florence Nater. «Hier braucht es eine OffenÂheit für zukunftsÂgeÂrichÂtete LösunÂgen.» Das klingt nach viel Aufwand, bringt aber vor allem mehr Chancen.
«Die ch StifÂtung kann sich ungeÂachÂtet der poliÂtiÂschen AktuaÂliÂtäÂten den längerÂfrisÂtiÂgen AufgaÂben annehÂmen: der Pflege der soziaÂlen KohäÂsion und der WeiterÂentÂwickÂlung des Föderalismus.»
Florence Nater, PräsiÂdenÂtin des StifÂtungsÂrats der ch Stiftung
Die ChanÂcen wahrnehmen
Gerade in den verganÂgeÂnen Jahren stand der gelebte FödeÂraÂlisÂmus unter Druck und ein Hang zu zentraÂliÂsierÂten LösunÂgen wurde erkennÂbar. «Aber auf der instiÂtuÂtioÂnelÂlen Ebene ist der FödeÂraÂlisÂmus in der Schweiz fest veranÂkert», hält Florence Nater fest. Um diesen weiter zu entwiÂckeln, zu fördern und zu stärÂken, bietet die ch StifÂtung WeiterÂbilÂdungsÂverÂanÂstalÂtunÂgen zum FödeÂraÂlisÂmusÂwisÂsen an. Mit einem eigeÂnen ch Blog will sie die DiskusÂsion über die ChanÂcen und HerausÂforÂdeÂrunÂgen födeÂraÂler LösunÂgen animieÂren. Die Beiträge themaÂtiÂsieÂren konkrete, für den FödeÂraÂlisÂmus releÂvante Themen wie die DigiÂtaÂliÂsieÂrung, die MediÂenÂförÂdeÂrung oder das KrisenÂmaÂnageÂment. FödeÂraÂlisÂmus muss gepflegt werden. Das war die Absicht der StifÂtungsÂgrünÂdung und ist heute genauso aktuÂell wie damals. Florence Nater sagt: «Aus Sicht der Kantone wird es daher in der nächsÂten Zeit auch darum gehen, der BevölÂkeÂrung den konkreÂten Nutzen und die Vorteile födeÂraÂler LösunÂgen in ErinÂneÂrung zu rufen, als VerspreÂchen des Respekts für VielÂfalt und als InstruÂment des natioÂnaÂlen und soziaÂlen Zusammenhalts.»