The Philanthropist: Der Migros-PionierÂfonds hat 100 Projekte mit 100 MillioÂnen FranÂken unterÂstützt. Gibt es ein Projekt, das Ihnen speziÂell am Herzen liegt?
Stefan Schöbi: Da ist viel HerzÂblut im Spiel, aber ich habe kein LiebÂlingsÂproÂjekt. Wir freuen uns immer enorm, wenn ein Projekt erfolgÂreich ist. AllerÂdings haben wir gelernt, dass wir nicht im Voraus wissen, welche das sein werden. Wir hatten Projekte als LeuchtÂtürme eingeÂschätzt, die es nicht wurden. Andere haben wir liquiÂdiert und sie sind wie Phönix aus der Asche auferstanden.
Wie viele Projekte verfolÂgen Sie?
Wir prüfen rund 150 ProjektÂideen pro Jahr. Mit 30 gehen wir in die AusarÂbeiÂtungsÂphase. Einen FörderÂverÂtrag erhalÂten am Ende 15.
Den PionierÂfonds gibt es jetzt etwa neun Jahre. Wie haben sich die Projekte seitÂher veränÂdert?
Sie sind mutiÂger und gleichÂzeiÂtig nachÂhalÂtiÂger geworÂden, da haben wir seit dem Start einiÂges gelernt. Kein grosÂses Thema bei den ProjekÂten ist die PandeÂmie – ausser, dass sie einiÂges anspruchsÂvolÂler, vieles aber auch einfaÂcher macht. Dinge, die zuvor undenkÂbar waren, sind nun möglich.
Und themaÂtisch?
Zu Beginn waren MobiÂliÂtät und ErnähÂrung grosse Themen. Heute ist es vor allem die klimaÂneuÂtrale GesellÂschaft. Auch KollaÂboÂraÂtion wird immer wichÂtiÂger: Grosse Fragen können nur von verschieÂdeÂnen PlayÂern gelöst werden. Mit der DigiÂtaÂliÂsieÂrung eröffÂnen sich neue MöglichÂkeiÂten. Aber wir sind noch weit davon entfernt, sie zum Besten für unsere GesellÂschaft zu nutzen.
Grosse Fragen können nur von verschieÂdeÂnen PlayÂern gelöst werden.
Stefan Schöbi
Sie verfolÂgen einen speziÂelÂlen FörderÂanÂsatz zwischen PhilÂanÂthroÂpie und Venture-CapiÂtal (Risiko-KapiÂtal): Wo ist das EngaÂgeÂment des Migros-PionierÂfonds anzuÂsieÂdeln?
Wir machen weder klasÂsiÂsche PhilÂanÂthroÂpie noch eigentÂliÂches Impact InvesÂtÂing, sondern liegen irgendwo in der Mitte. Wir brinÂgen Projekte an den Start und wollen diese auch unterÂnehÂmeÂrisch nachÂhalÂtig aufstelÂlen. AllerÂdings bleiÂben wir nur drei bis fünf Jahre involÂviert. AnschliesÂsend sollen sie – auch ohne unsere UnterÂstütÂzung – weiterÂbeÂstehen. Damit verfolÂgen wir einen Venture-Ansatz, sind aber selbst nicht beteiÂligt, sondern stelÂlen Mittel in einer frühen Phase eines ProjekÂtes à ‑fonds-perdu zur Verfügung.

Und wie arbeiÂten Sie mit dem PhilÂanÂthroÂpie Sektor zusamÂmen?
IntenÂsiv. Und je länger, je intenÂsiÂver. GleichÂzeiÂtig sind wir überÂzeugt, dass der Start eines ProjekÂtes fokusÂsiert und effiÂziÂent erfolÂgen muss und wir als FörderÂpartÂner für ein RisiÂkoÂproÂjekt auch voll in die VerantÂworÂtung steiÂgen sollÂten. Hier arbeiÂten wir also anders als die klasÂsiÂsche PhilÂanÂthroÂpie, wo oft viele PartÂner je einen kleiÂnen Beitrag leisten.
Das heisst?
Dass wir Projekte in der StartÂphase ausfiÂnanÂzieÂren. Sie können sich damit ganz auf die UmsetÂzung fokusÂsieÂren. Und sie haben einen einziÂgen AnsprechÂpartÂner, der auch VerantÂworÂtung überÂnimmt und das Projekt als SparÂring-PartÂner eng begleiÂtet. In der VeranÂkeÂrungsÂphase ist dann aber das GegenÂteil gefragt, nämlich möglichst breite TrägerÂschafÂten – und ihr Aufbau kann sehr früh beginnen.
Weshalb braucht es in dieser Phase weitere Akteure?
Hat sich ein ModellÂproÂjekt gewaÂschen, dann geht es um die InteÂgraÂtion in bestehende LösunÂgen, um KoopeÂraÂtion mit bestehenÂden PlayÂern, um breite AkzepÂtanz. Für das ProjektÂteam heisst das auch Abschied nehmen vom «eigeÂnen Kind». Auch wenn schliessÂlich von der ursprüngÂliÂchen Idee nur 30 Prozent übrigÂbleiÂben, diese dafür stabil fortÂbeÂstehen, ist eine VeranÂkeÂrung erfolgreich.
AnspruchsÂvoll ist die SkalieÂrung von ProjekÂten, die im KleiÂnen erfolgÂreich waren, aber plötzÂlich mit anz neuen HerausÂforÂdeÂrunÂgen konfronÂtiert sind.
Stefan Schöbi
Ihr EngaÂgeÂment soll jeweils kurz sein. Dennoch haben Sie ein Projekt über fast zehn Jahre unterÂstützt. Macht eine so lange FördeÂrung Sinn?
Wir sind sicher lieber schnelÂler am Ziel, aber nicht immer haben wir das in der Hand. Die Mode Suisse ist als ältesÂtes Projekt in unseÂrem PortÂfoÂlio ein EinzelÂfall. In der zehnÂjähÂriÂgen FörderÂzeit haben wir zudem viel gelernt. Wir wissen heute besser, wie wir ein Projekt zielÂstreÂbig aufsetÂzen. AusserÂdem begleiÂten wir Projekte heute enger und unterÂstütÂzen sie nicht nur finanziell.
Das heisst, neben den finanÂziÂelÂlen Mitteln bietet der PionierÂfonds einem Projekt auch zusätzÂliÂche UnterÂstütÂzung?
Wir steiÂgen sehr früh ein. Wir greiÂfen pionierÂhafte Ideen auf, bevor es überÂhaupt ein konkreÂtes VorhaÂben gibt. MittÂlerÂweile haben wir einiÂges an ErfahÂrung gesamÂmelt, wie man ein Projekt stabil aufstellt, was es alles dazu braucht, wie ein erfolgsÂverÂspreÂchenÂder ProjektÂplan mit den richÂtiÂgen EntwickÂlungsÂschritÂten aussieht. Auch ProjektÂteams, die wir am Ende nicht finanÂzieÂren, geben uns als FeedÂback, dass diese BegleiÂtung sehr hilfÂreich war.
Dennoch ist nicht jedes Projekt auf Anhieb erfolgÂreich. Wo sind die grosÂsen HerausÂforÂdeÂrunÂgen?
TeamÂbilÂdung und OrgaÂniÂsaÂtiÂonsÂentÂwickÂlung stehen ganz zuoberst auf der Liste. In WachsÂtumsÂphaÂsen haben Projekte plötzÂliÂche LiquiÂdiÂtätsÂproÂbleme oder einen BusiÂnessÂplan, der doch nicht ganz aufgeht. AnspruchsÂvoll ist die SkalieÂrung von ProjekÂten, die im KleiÂnen erfolgÂreich waren, aber plötzÂlich mit ganz neuen HerausÂforÂdeÂrunÂgen konfronÂtiert sind. Wir haben unterÂdesÂsen alle nicht-finanÂziÂelÂlen HilfeÂstelÂlunÂgen in unseÂrem PionierÂlab zusamÂmenÂgeÂfasst. Das ist unsere «NotfallÂapoÂtheke», die uns erlaubt, schnell zu reagieÂren und meist eine gute Lösung zu finden.
Und jetzt erweiÂtern Sie Ihren WerkÂzeugÂkasÂten mit einem HandÂbuch für Pionier*innen. Was brauÂchen diese am meisÂten?
Sie brauÂchen eine BegleiÂtung, einen SparÂringsÂpartÂner. PionieÂrinÂnen und Pioniere sind zwar Menschen mit viel EnerÂgie und tausend Ideen, aber sie sind auch keine Superheld*innen. Mit unseÂrem HandÂbuch können sie von unseÂrer ErfahÂrung aus den bisher unterÂstützÂten ProjekÂten profitieren.

Was können wir vom Buch erwarÂten?
Wir haben es so kurz wie möglich gehalÂten und alles rausÂgeÂworÂfen, was es nicht braucht. Es umfasst noch zwölf kurze KapiÂtel auf weniÂger als 100 Seiten – Macher*innen sind keine Bücherratten.
Sie haben die PubliÂkaÂtion bereits als Beta-Version veröfÂfentÂlicht. Wie hat sich dies auf die finale Version ausgeÂwirkt?
Das Buch ist nicht im stilÂlen KämmerÂlein entstanÂden, sondern gemeinÂsam mit den 100 ProjektÂteams und weiteÂren ExperÂten und ExperÂtinÂnen. Sie haben die ZwischenÂstände kommenÂtiert. AnschliesÂsend haben wir den ProtoÂtyp finaÂliÂsiert – wobei auch die aktuÂellste Version ein ProtoÂtyp bleibt. Wir wollen die PubliÂkaÂtion online laufend ergänzen.
Eine Idee zu haben ist gut. Viel wichÂtiÂger aber ist das Team, das sie umsetzt.
Stefan Schöbi
Ein Thema im Buch ist das ScheiÂtern. Was sind die häufigsÂten Gründe?
Ein HauptÂgrund ist das Team. Denn auch wenn dies auf den ersten Blick überÂrascht, pionierÂhafte Ideen sind meist mehr oder weniÂger naheÂlieÂgend. Die entscheiÂdende Frage lautet: Wer machts? Welches Team setzt diese Idee erfolgÂreich um? Diese Menschen müssen gut miteinÂanÂder funkÂtioÂnieÂren, flexiÂbel sein, schnell akzepÂtieÂren, dass das, was in ihrem Kopf ist, nicht immer die richÂtige Lösung ist. Eine Idee zu haben ist gut. Viel wichÂtiÂger aber ist das Team, das sie umsetzt.
Sie schreiÂben von posiÂtiÂvem ScheiÂtern. Wie lerne ich das?
Wir sind kondiÂtioÂniert darauf, nicht zu scheiÂtern. Dabei ist das ScheiÂtern viel interÂesÂsanÂter als der schnelle Erfolg. Wenn wir scheiÂtern, liegen die Gründe oft auf der Hand. Die Frage ist deshalb, wie und wie schnell ich darauf reagieÂren kann. ErfolgÂreich scheiÂtern bringt uns rasch weiter, während Erfolg oft blind macht – das sagt ja auch das Sprichwort.
Das HandÂbuch «Von 0 auf 100» ist im BuchÂhanÂdel erhältÂlich ab dem 25. Januar 2022.
Ab sofort gibt es die online Version unter www.von0auf100.org