GeorÂges T. Roos, ZukunftsÂforÂscher
Der GeneÂraÂtioÂnenÂverÂtrag umfasst mehr als sichere Renten. Dies macht gerade die CoroÂnaÂkrise deutÂlich. Doch auch unabÂhänÂgig von PandeÂmien wird er den künfÂtiÂgen GegeÂbenÂheiÂten angeÂpasst werden müssen.
Grob betrachÂtet, hat der LockÂdown eine zentrale ZielÂgrösse: die KapaÂziÂtät an IntenÂsivÂpfleÂgeÂplätÂzen und BeatmungsÂgeÂräÂten. Es scheint eindeuÂtig zu sein, dass die Covid-19-InfekÂtion besonÂders für ältere Menschen (und vulnerable PersoÂnen mit VorerÂkranÂkunÂgen) gefährÂlich ist – je höher das Alter, desto höher das SterÂbeÂriÂsiko. In der SchlussÂfolÂgeÂrung heisst das: Die drasÂtiÂschen MassÂnahÂmen zur EindämÂmung des CoroÂnaÂviÂrus wurden in erster Linie für die ältere und vulnerable BevölÂkeÂrung getrofÂfen. Wenn das GesundÂheitsÂsysÂtem nicht mehr in der Lage ist, all jene, die in einen kritiÂschen Zustand geraÂten, bestÂmögÂlich zu behanÂdeln, haben wir versagt. Der Preis wird sehr hoch sein: Ganze BranÂchen geraÂten in exisÂtenÂziÂelle Krisen, die WirtÂschaft wird wahrÂscheinÂlich in eine lange RezesÂsion geraÂten, die VerschulÂdung nimmt rasant zu. Die MehrÂheit der BevölÂkeÂrung stimmt den MassÂnahÂmen trotzÂdem zu. Die Würde des Menschen ist unanÂtastÂbar – und gerade die Art, wie wir mit den SchwächsÂten unter uns umgeÂhen, ist die MessÂlatte dafür. Die ökonoÂmiÂsche ProspeÂriÂtät darf nicht dageÂgen aufgeÂrechÂnet werden.
Gerecht gestalÂteÂtes Rentensystem
Die Schweiz ist eine alternde GesellÂschaft. Gemäss den SzenaÂrien des BundesÂamÂtes für StatisÂtik dürfte der Anteil der 65-JähriÂgen und derer über 65 an der GesamtÂbeÂvölÂkeÂrung bis 2040 auf 25 Prozent ansteiÂgen. Die Anzahl der PersoÂnen, die 80 oder älter sind, dürfte sich bis dahin verdopÂpeln. Die zunehÂmende AlteÂrung fordert den GeneÂraÂtioÂnenÂverÂtrag heraus. Während 1960 auf eine Person im RentenÂalÂter sechs PersoÂnen im erwerbsÂfäÂhiÂgen Alter kamen, wird sich dieses VerhältÂnis in 20 Jahren in RichÂtung 1:2 veränÂdert haben: Auf eine Person im RentenÂalÂter werden noch zwei PersoÂnen im erwerbsÂfäÂhiÂgen Alter kommen. Für die SicheÂrung der zukünfÂtiÂgen AltersÂvorÂsorge sind dies schwieÂrige Trends, nicht nur für die 1. Säule (AHV), sondern auch für die 2. Säule, die, obwohl nicht so gedacht, ebenÂfalls zunehÂmend von Jung auf Alt umverÂteilt. Aus meiner Sicht ist die Frage nicht, ob die Schweiz auch künfÂtig eine ausreiÂchende Rente sichern kann, sondern wie das RentenÂsysÂtem gerecht gestalÂtet wird. Soll die zusätzÂliÂche demoÂgraÂfieÂbeÂdingte BelasÂtung zur HauptÂsaÂche die künfÂtige ErwerbsÂbeÂvölÂkeÂrung tragen (mehr LohnÂabÂzüge, mehr ordentÂliÂche SteuÂern, mehr MehrÂwertÂsteuer) oder soll die ZusatzÂlast auch anteilÂmäsÂsig von den künfÂtiÂgen RentÂneÂrinÂnen und RentÂnern mitgeÂtraÂgen werden (höheÂres PensiÂonsÂalÂter, tiefere Renten aus der Pensionskasse)?
Setzt die CoroÂnaÂkrise den GeneÂraÂtioÂnenÂverÂtrag einer zusätzÂliÂchen BelasÂtung aus? DiskuÂtiert wird dies im Moment nicht. Die aktuÂelle Krise lässt viele im GegenÂteil ganz direkt spüren, dass der GeneÂraÂtioÂnenÂverÂtrag nicht einfach sichere Renten umfasst und nicht nur in eine RichÂtung Hilfe leisÂtet. Die Beiträge von GrossÂelÂtern für die FamiÂlien ihrer Söhne und TöchÂter werden gerade heute vielerÂorts schmerzÂlich vermisst. 2018 betreuÂten 72 Prozent der GrossÂelÂtern regelÂmäsÂsig oder geleÂgentÂlich ihre EnkelÂkinÂder. Eine LeisÂtung, die nun behördÂlich verordÂnet ausfalÂlen muss. In normaÂlen Zeiten ermögÂliÂchen sie dadurch ihren Söhnen und TöchÂtern, ihre wirtÂschaftÂliÂchen TätigÂkeiÂten zu verfolÂgen, ganz zu schweiÂgen von psychoÂloÂgiÂschen und paarÂbeÂzoÂgeÂnen Boni. AusserÂdem helfen viele SenioÂrinÂnen und SenioÂren finanÂziÂell aus, bspw. beim Erwerb von WohnÂeiÂgenÂtum durch vorgeÂzoÂgene Erbgänge. Die Summe der vererbÂten VermöÂgensÂwerte liegt bei riesiÂgen 60 MilliÂarÂden FranÂken im Jahr. Nicht zu vergesÂsen ist die FreiÂwilÂliÂgenÂarÂbeit, die SenioÂrinÂnen und SenioÂren leisÂten: Ältere Menschen beteiÂliÂgen sich massÂgebÂlich an der instiÂtuÂtioÂnaÂliÂsierÂten und inforÂmelÂlen Freiwilligenarbeit.
Als ZukunftsÂforÂscher bin ich aber gehalÂten, in SzenaÂrien zu denken: Was wäre, wenn eine zweite und gar eine dritte Welle
der CoroÂnaÂpanÂdeÂmie folgen? Werden wir uns einen zweiÂten LockÂdown leisÂten können oder wollen? Was, wenn die ArbeitsÂloÂsigÂkeit massiv ansteigt, weil die wirtÂschaftÂliÂche ErhoÂlung Jahre dauert oder immer wieder durch neue PandeÂmien vernichÂtet wird? Was wäre, wenn PensiÂonsÂkasÂsen und die AHV an den AnlaÂgeÂmärkÂten über Jahre vornehmÂlich Verluste erzieÂlen und schnelÂler und massiÂver in SchiefÂlage geraten?
Keine Frage: Ein solches SzenaÂrio würde die SpanÂnunÂgen im GeneÂraÂtioÂnenÂverÂtrag erhöÂhen. DenkÂbar ist, dass in einem solchen SzenaÂrio die gesundÂheitsÂpoÂliÂtiÂschen MassÂnahÂmen vor allem auf ältere und vulnerable PersoÂnen eingeÂgrenzt werden würden. Dann würden GrossÂelÂtern auf Dauer als famiÂliÂenÂerÂgänÂzende KinderÂbeÂtreuer wegfalÂlen. Dann würden die finanÂziÂelÂlen BelasÂtunÂgen für die ErwerbsÂgeÂneÂraÂtioÂnen nicht unbeÂgrenzt steiÂgen dürfen. Dann würde der Staat wahrÂscheinÂlich von der PosiÂtion, möglichst jedes Leben retten zu wollen, abrüÂcken müssen.
GeneÂraÂtioÂnenÂverÂtrag anpassen
Der heutige BundesÂtagsÂpräÂsiÂdent DeutschÂlands, WolfÂgang Schäuble, gab unlängst in einem InterÂview zu ProtoÂkoll: «Wenn ich höre, alles andere habe vor dem Schutz des Lebens zurückÂzuÂtreÂten, dann muss ich sagen: Das ist in dieser AbsoÂlutÂheit nicht richÂtig.» Er sagt es als 77-JähriÂger und ergänzt, dass das Risiko doch für Jüngere viel höher sei, denn sein natürÂliÂches LebensÂende sei näher. Der GeneÂraÂtioÂnenÂverÂtrag wird angeÂpasst werden müssen – aufgrund der demoÂgraÂfiÂschen EntwickÂlung auch ohne PandeÂmien. Zurzeit ist die GesellÂschaft – vor allem die jungen Menschen, welche das Social Distancing am meisÂten belasÂtet – mit den älteÂren GeneÂraÂtioÂnen soliÂdaÂrisch. Die CoroÂnaÂkrise setzt den GeneÂraÂtioÂnenÂverÂtrag nicht aus, aber sie macht deutÂliÂcher als zuvor, dass er den künfÂtiÂgen GegeÂbenÂheiÂten angeÂpasst werden muss