Nicolette Kretz, Gesamtleiterin auawirleben Theaterfestival Bern

Wäre da die Selbst­re­fle­xion genü­gend stark, um das aufzudecken?

Um die Werte der Zusammenarbeit zu festigen hat das Theaterfestival Bern auawirleben ein Manifest formuliert. Gesamtleiterin Nicolette Kretz spricht über die Entstehung des Manifests und die Zusammenarbeit von künstlerischen und administrativen Bereichen.

Sie haben 2020 ein Mani­fest verfasst: Wie hat dies die Zusam­men­ar­beit beeinflusst?

Wich­tig ist fest­zu­hal­ten, dass wir das Mani­fest nicht geschrie­ben haben, weil in unse­rem Team grund­sätz­lich was schief lief. Es war für uns eher ein Inne­hal­ten und uns unse­rer gemein­sa­men Werte bewusst werden. Wir woll­ten die Werte schär­fen, indem wir sie schrift­lich festhalten. 

Wie ist das Mani­fest entstanden?

Initi­al­zün­dung des Mani­fests war die Aussicht auf mehr Subven­tio­nen. Uns war klar, dass wir für mehr Förder­gel­der der Stadt Bern kämp­fen woll­ten, aber dabei nicht einfach entspre­chend mehr Programm anbie­ten woll­ten bei gleich­schlecht blei­ben­den Arbeits­be­din­gun­gen. Wir haben uns also erst einmal gefragt, welche Werte – bisher impli­zit – hinter unse­rer Arbeit stehen und wo wir einen Schritt weiter­ge­hen soll­ten. So haben wir im Zuge dessen auch die Arbeits­be­din­gun­gen des Teams verbes­sert. Die Löhne lagen tiefer als der Bran­chen­durch­schnitt. Zudem verfüg­ten wir über zu wenig Stel­len­pro­zente für die notwen­dige Arbeit.

Wie über­prü­fen Sie den Anspruch bezüg­lich Inklu­sion und Diver­si­tät, Nach­hal­tig­keit und Trans­pa­renz, der im Mani­fest formu­liert ist, ob Sie diesem gerecht werden?

Wir widmen jähr­lich eine Sitzung oder Retraite im Kern­team der Über­prü­fung des Mani­fests. Dabei inter­es­sie­ren uns vier Fragen: Haben wir das Mani­fest einge­hal­ten und wo nicht? Gab es kriti­sche Reak­tio­nen auf das Mani­fest von unse­ren Kollaborateur:innen, woraus wir etwas lernen können? In welchem Bereich geht das Mani­fest zu wenig weit und muss es geschärft werden? Sind uns weitere Bereiche/Punkte aufge­fal­len, die wir fest­hal­ten möch­ten? Nach wie vor bleibt für uns eine Frage offen: Was passiert, wenn sich in einem Thema alle vier Mitglie­der des Kern­teams mani­fest-widrig verhal­ten? Wenn wir uns bspw. alle glei­cher­mas­sen diskri­mi­nie­rend gegen­über einer Person oder Perso­nen­gruppe verhal­ten würden? Wäre da die Selbst­re­fle­xion genü­gend stark, um das aufzudecken?

So können wir gemein­sam stra­te­gi­sche Entschei­dun­gen tref­fen, ohne je das Künst­le­ri­sche gegen das Kauf­män­ni­sche auszuspielen. 

Nico­lette Kretz, Gesamt­lei­te­rin auawir­le­ben Thea­ter­fes­ti­val Bern

Wie schwie­rig ist die Zusam­men­ar­beit verschie­de­ner Berei­che? Wie stark lässt sich die künst­le­ri­sche Arbeit mit der kauf­män­ni­schen verbinden?

Hier hilft uns die geringe Grösse unse­res Teams. Im «Büro», also im orga­ni­sa­to­ri­schen und künst­le­ri­schen Bereich, sind wir vier Perso­nen. Jede und jeder hat sozu­sa­gen eine Abtei­lung. Wir müssen zwin­gend bereichs­über­grei­fend arbei­ten. Alle sind über die ande­ren Berei­che gut infor­miert. Ich bin sehr froh, dass ich neben meinem thea­ter­wis­sen­schaft­li­chen Studium im Neben­fach Betriebs­wirt­schafts­lehre studiert habe. Umge­kehrt ist Bettina Tanner, die bei uns die finan­zi­el­len, perso­nel­len und vertrag­li­chen Geschäfte führt, hoch­gra­dig kompe­tent in künst­le­ri­schen Belan­gen. So können wir gemein­sam stra­te­gi­sche Entschei­dun­gen tref­fen, ohne je das Künst­le­ri­sche gegen das Kauf­män­ni­sche auszuspielen. 

Sie setzen sich inhalt­lich mit aktu­el­len poli­ti­schen und gesell­schaft­li­chen Frage­stel­lun­gen ausein­an­der. Ist es für Sie selbst­ver­ständ­lich, deswe­gen auch ihre Zusam­men­ar­beit hinsicht­lich dieser Verän­de­run­gen zu prüfen und anzupassen? 

Es ist auf alle Fälle so, dass wir das Mani­fest mitun­ter geschrie­ben haben, weil wir nicht «Wasser predi­gen und Wein trin­ken» woll­ten. Nach wie vor geschieht dies oft im Thea­ter! Schauspieler:innen und Tänzer:innen werden ausge­beu­tet, während sie in einem kapi­ta­lis­mus­kri­ti­schen Stück spie­len. Oder Regisseur:innen flie­gen nach Berlin, um an einem Stück über die Klima­ka­ta­stro­phe zu arbei­ten. Das ist viel­leicht etwas zuge­spitzt formu­liert, aber doch in etwa korrekt. Aber wir machen ja natür­lich auch nicht alles rich­tig, nur weil wir jetzt dieses Mani­fest haben!

Wie erken­nen Sie Verbesserungspotenzial?

Die Inhalte bzw. die Künstler:innen unse­res Programms fordern uns nach wie vor heraus! Dieses Jahr haben wir bspw. zwei briti­sche Thea­ter­grup­pen im Programm, die im Bereich Barrie­re­frei­heit deut­lich weiter gehen als wir. Wir lernen gerade sehr viel, indem wir ihre Forde­run­gen umset­zen. Ebenso prüfen einige Künstler:innen oder Orga­ni­sa­tio­nen, mit denen wir koope­rie­ren, immer mal wieder, ob wir uns des Toke­nisms – dass wir nur symbo­li­sche Anstren­gun­gen unter­neh­men – schul­dig machen. Dieser «Reality Check» ist abso­lut wich­tig und rich­tig! Wenn uns Künstler*innen keine kriti­schen Fragen mehr stel­len würden, wäre das Mani­fest eine Farce!


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